Da ich keine Musikjournalistin bin, kann ich euch leider nicht mit schlauen Fachbegriffen zu Beats, Arrangements oder ausgeklügelten Produktionstechniken beeindrucken. Ich bin komplett unmusikalisch und bewerte Songs danach, ob sie mich emotional treffen – meistens wegen der Texte. Nun habe ich also die ehrenvolle (und leicht einschüchternde) Aufgabe bekommen, das neue Album von „Das Ich“ zu rezensieren. Weil ich euch nichts vormachen will, tue ich einfach gar nicht erst so, als hätte ich fachlich den Durchblick, sondern schreibe ganz ehrlich aus der Perspektive einer „nur“ Musikhörerin auf, was mir zu den Songtiteln einfällt und was ich darin zu entdecken glaube. Das ist natürlich höchst subjektiv, und ich entschuldige mich vorsorglich bei Bruno Kramm und Stefan Ackermann, falls ich mit meinen Deutungen meilenweit an dem vorbeilaufe, was sie sich beim Album gedacht haben. Los geht’s!
Das Ich – „Fanal“: Die persönliche und laienhafte Rezension
Bei „Menschenfeind“ erkenne ich dieses misanthropische Grundgefühl wieder, das in der Schwarzen Szene so verbreitet ist: der Blick auf den Menschen als zerstörerisches, egoistisches, heuchlerisches Wesen – leider auch mein eigenes Empfinden. Besonders die Zeilen „Einst träumte ich von goldenem Licht, ein Tag voll Frieden, ein zartes Gesicht. Dann ein Knall, die Welt zerbrach, die blutgetränkte Schlacht war wach.“ treffen für mich genau dieses Erleben: das verlorene kindliche Vertrauen, das abrupte Erwachen in einer brutalen Welt. Allerdings versuche ich persönlich auch immer noch, ein bisschen positiv zu bleiben. Es gibt nicht nur „schlechte Menschen“. Ganz viele sind auch sehr liebenswert.
Sorry, aber „Lazarus“ (Youtube) ist für mich persönlich untrennbar mit David Bowie verbunden und das wird sich auch nie wieder ändern. Allein der Titel reicht, um mir die Tränen in die Augen zu treiben, weil sofort Bowies Video „Lazarus“ vor meinem inneren Auge erscheint – wie er einsam im Bett liegt und von seinem eigenen Tod singt. „Du bist der Tod“ heißt es auch im Song von „Das Ich“. Doch hier klingt es wütender – das ist meine ganz eigene, sehr intime Interpretation dieses Songs. Eine Erinnerung eben.
Im Kontext von „Das Ich“ denke ich dabei natürlich auch an Stefan Ackermann und seine schwere Erkrankung – und an diese unglaublich berührende Geste, als auf dem WGT 2011 andere Sänger wie Myk Jung auf der Bühne für ihn eingesprungen sind und alle auf und vor der Bühne ganz viele gute Wünsche und Gedanken zur Genesung geschickt haben. Auch auf dem Amphi wurde Bruno Kramm von befreundeten Künstlern unterstützt. 2013 war Stefan Ackermann wieder zurück. „Lazarus“ bündelt für mich all das: Tod, Trauer, Verlust – aber eben auch die Möglichkeit der Rückkehr.
Beim Titel „Was bin ich?“ dachte ich erst an die klassischen Fragen: Wer bin ich? Habe ich einen freien Willen? Was bleibt von mir, wenn ich sterbe? Aber der Song passte irgendwie nicht zu diesem Gefühl und dann fiel mir auf. Es heißt ja „WAS bin ich?“ und der ganze Song klingt irgendwie wie ein Rätsel. Aber ich komme nicht auf die Lösung. Diese Antwort bleiben „Das Ich“ mir schuldig, denn ich verstehe die Lyrics nicht und kann sie online auch nirgends finden. Das lässt mich ratlos zurück.
„Vanitas“ ist für mich eines der klassischsten Grufti-Themen überhaupt: Vergänglichkeit. Die Einsicht, dass Macht, Reichtum, Schönheit – alles, was wir anhäufen und woran wir uns festklammern – nicht bleibt. Ich finde es wichtig, all das trotzdem genießen zu dürfen: Schönheit, wenn man sie hat, Macht, wenn man sie positiv nutzt, Reichtum, wenn man ihn menschlich einsetzt. Aber eben mit dem Bewusstsein, dass es Stationen sind, keine Ziele. Alles vergeht. Im eigenen Älterwerden spüre ich diese Vergänglichkeit extrem: ein Spiegelbild, mit dem ich hadere! „Wohin dein Blick auch schweift, nur Eitelkeit auf Erden…“, heißt es im Song. Aber hallo!!! Auf jeden Fall! Gerade angesichts der sozialen Medien. Und die Szene kann sich von diesem Schönheitswahn ja auch nicht ganz freisprechen.
Mit dem Oberbegriff „Dantes Hölle“ kann ich emotional kaum etwas anfangen. Dieses Denken in Sündern und Nicht-Sündern, in Bestrafung und Höllenkreisen, liegt mir nicht. Ich funktioniere einfach nicht in Kategorien von Vergeltung und göttlicher Strafe, und deshalb fällt es mir schwer, mich mit diesem Bild zu identifizieren oder etwas dabei zu fühlen – außer einer gewissen Distanz. Auch textlich seltsam, sofern ich überhaupt etwas verstehe, vielleicht weil es heißt: „Dantes Hölle leuchtet farbenfroh“. Das geht ja gar nicht 😉
„Brutus“ (Youtube) ist für mich ein extrem aktueller Titel. Natürlich steht Brutus historisch für den Verrat an Caesar, aber auch für den Versuch, einen Tyrannen zu stürzen. Ich kann da gar nicht anders, als sofort an Trump zu denken. In meinem Kopf taucht unweigerlich die Frage auf, ob es in seinem Umfeld Menschen gibt, die ihrem moralischen Kompass folgen und sagen: „Bis hierhin und nicht weiter, wir können nicht zulassen, dass dieser Mann alles zerstört.“ Im Song heißt es: „Richte deinen Henker, breche deinen Schwur, Liebe deine Feinde, erheb dich laut im Chor“. Würde ich mir vom amerikanischen Volk und von den Republikanern, die ihm blind folgen, wirklich wünschen. „Richte deinen Henker“ verstehe ich hier im Sinne von „wende Recht an“.
Noch gibt es die Verfassung ja her. Ich lehne Gewalt und Mord selbstverständlich absolut ab. Brutus wirft für mich nur die Frage auf, ab wann Loyalität zu einem destruktiven Herrscher selbst zur Schuld wird – und ob man den Mut hat, sich dem zu verweigern. Vielleicht alles etwas überinterpretiert, aber ganz nebenbei ist der Track wirklich super tanzbar.
„Prometheus“ steht für mich ganz klar als Symbol für den Fortschritt. Ich bin selbst ein totaler Nerd, liebe Computer und probiere begeistert KI und neue Technologien aus. Und gleichzeitig sehe ich, wie jeder Fortschritt seine dunkle Seite hat, oder vom Menschen in etwas Dunkles verwandelt wird. Das Internet ist für mich das perfekte Beispiel: Am Anfang war es ein kreativer, verbindender Raum mit Foren, Blogs und echtem Austausch. Heute dominieren Kommerz, Hass, Hetze, Algorithmen. Aus etwas, das Menschen zusammenbringen und kreativ beflügeln sollte, ist in vielen Bereichen ein Ort der Zerstörung geworden. Und das ist nur ein harmloses Beispiel. Der Song wirkt für mich, als höre man einen enthusiastischen Prometheus, der stolz darauf ist, den Menschen das Feuer zu bringen. „Heldenmacht, Heldenkraft!“ und dann plötzlich ein sterbendes Ende. Spiel mit dem Feuer eben.
Apropos Künstliche Intelligenz! Im Song „Genesis“ geht es wortwörtlich um eine Schöpfungsgeschichte: „Im Anbeginn der Zeit, da der Mensch sich erkannte, dem Gotte gleich in Macht und im Wissen, erschuf er ein Wesen, geformt aus dem Nichts: die künstliche Intelligenz.“ Den Rest des Songs müsst ihr euch selbst anhören. Ich will ja nicht spoilern. Nur so viel: Er ist über 13 Minuten lang und nicht wirklich tanzbar.
Mein Fazit zum Album „Fanal“ von „Das Ich“
„Fanal“ ist für mich ein Album, das den Zeitgeist auf unheimliche und wütende Weise trifft. Die Themen sind zwar nicht neu im Kosmos von „Das Ich“, sind hier aber eingebettet in eine Gegenwart, in der Krieg in Europa, eine überstandene Pandemie, ein toxisch gewordenes Internet und eine verunsicherte Jugend den Apokalypse-Gedanken greifbar machen. Musik hat für mich die Aufgabe, Gefühle abzuholen und zu vertiefen, einen in Gedanken hineinzuziehen, bis man sie wirklich durchlebt – und vielleicht zu eigenen Antworten kommt. Genau das schafft dieses Album für mich. Und ich persönlich liebe „Das Ich“ ja hauptsächlich auf der Tanzfläche. Das passt auch diesmal wieder!
Das Album Fanal könnt ihr in physischer Form in der regulären Form (15€) und in einer limitierten 2CD Ausgabe (25€) auf der Homepage erwerben. Digital (mit 2 Bonustracks) findet ihr es beispielsweise bei Bandcamp.
Übrigens: Am kommenden Wochenende (29. November) treten „Das Ich“ im Rahmen des Mini-Festivals „11 Jahre Schwarze Nacht“ in Mönchengladbach auf. Nur 500 Meter von unserer Höhle entfernt! Selbstverständlich werden wir unsere Aufwartung machen. Darüber hinaus könnt ihr die Band auch noch am 27.12.2025 beim EDA Festival sehen.
Orphi Eulenforst – impulsiv, pragmatisch, weniger optimistisch! Prädestiniert für den “Hexenfluch”. Orphi ist 1971 vom Himmel gefallen und beschäftigt sich vornehmlich mit den kulturellen Aspekten der Szene. Darüber hinaus macht sie sich als Muse und Gegenpol unbezahlbar.






Das war bisher auch immer das schöne an Spontis, dass man eben nicht professionell daher kommen muss. Kein Fachgeschwafel, sondern wahre Empfindungen und Wahrnehmung. Das was ein Lied, Video, Konzert oder eben auch Album mit einem macht! Von daher begrüße ich die „laienhafte“ Rezession! 🙂
Was „Das Ich“ selber betrifft, bin ich nie warm geworden. Ihr Stil ist nicht meins. Weder von Melodie, Text oder Stimme.
Aber vll. finde ich irgendwann Mal eine ruhige Minute, in der ich in das Album rein höre um Orphi ihre Wahrnehmung besser nachvollziehen zu können. 🙂