Musikperlen – Während sich der Mond versteckt, kriechen Liliputaner unter der Kälte hindurch (Tauchgang #40)

Im heutigen Musikperlentaucher widmen wir uns wieder einmal unseren deutschsprachigen Nachbarn der 3-Länder-Achse rund um den Bodensee. Zufälligerweise, wie ich zugeben muss, denn bis auf Grauzone, die erste der vorgestellten Bands, kannte ich die Herkunft der anderen beiden Bands zunächst nicht. Es passierte so, wie es immer passiert. Zufällig fällt mir ein Lied auf die Synapsen, das sich zunächst durch kitzeln bemerkbar macht, um sich dann im Kopf zu verfangen. Kennt ihr das? Wenn Euch ein Lied nicht aus dem Kopf geht und ihr mit winzigen Bruchstücken von Melodie, Text oder Herkunft auf die Suche geht? Jetzt bin ich jedenfalls wieder ein bisschen schlauer, meine Synapsen wurden zufriedengestellt und ihr bekommt wieder einmal 3 „frische“ Musikperlen präsentiert.

Grauzone – Kälte kriecht

Die wichtigste Band aus der Schweiz bleiben für mich die Brüder Eicher, die irgendwann 1979 die Band Grauzone gründen und mit ihrem kühlen Synthesizer-Sounds und ihrer Live-Präsenz, den Herausgeber eines Punk-Magazins beeindrucken, der die beiden Stücke „Raum“ und „Eisbär“ auf seinem „Swiss Wave Sampler“ veröffentlicht und für eine Verbreitung der Stücke sorgt. „Eisbär“ trifft Zeitgeist und Stimmung der damaligen Generation und wir nach einem Vertrag mit dem Label EMI (Welt-Rekord) in Deutschland zum Top-Ten Hit. Doch zu Gesicht bekommen nur die wenigstens die Band, denn die weigern sich beharrlich im Fernsehen aufzutreten. Bei ihren Live-Konzerten setzt sich die Rebellion fort, denn dort spielen sie nicht ihre Hits, sondern eigenwillige Synthiesizer-Improvisationen. „Wenn einer Eisbär hören will, soll er sich die Platte kaufen.“, sollen die Brüder laut dieser Internetseite ihren Kritikern entgegnet haben. 1982 ist der Spuk der Band dann auch schon wieder vorbei. Hinterlassen haben sie zahllose Meisterwerke des „typischen“ 80er Sounds, der das Jahrzehnt auch weiter über seine Dekade hinaus ins Langzeitgedächtnis gebrannt hat.

The Moon lay hidden beneath a Cloud – Untitled 4

Direkt nebenan, in Österreich, rumorte es in den frühen 90ern mystisch und spirituell. Albin Julius und Sängerin Alzbeth gründeten die Band „The Moon Lay Hidden Beneath A Cloud“, stellten sich selbst und ihre eigentliche Identität nicht in den Vordergrund, sondern wollte ihre Musik sprechen lassen. In überzeugter Ablehnung von Ideologien und Religionen erschufen die Beiden ihre eigene Interpretation von mittelalterlicher Musik, rituellen und geistlichen Gesängen zu einer elektronisch unterstützten Klang-Collage. Sie lehnten es ab, ihren Stücken Titel zu geben und hüllten sich in ihren seltenen Interviews in eben die Wolke, von der ihr Bandname zeugte. Nach 6 Alben und 6 Jahren endete die Beziehung und Zusammenarbeit der Beiden.Von ihrem Album „Amara Tanta Tyri“ lauschen wir dem vierten Titel und schweben auf den Klängen und Rhythmen über die mit Knochen bedeckte Tanzfläche.

Viele bunte Autos – Liliputaner

Wo wir schon gerade in Österreich sind. Fritz Ostermayer, der Wienern Radio-Hörern ein Begriff sein dürfte, hat nicht nur Musik gespielt, sondern auch gemacht. Schamlos hat er Anfang der 80er zusammen mit der stimmgebenden „Angie Modepunk“ (Angelika Hergovich-Mörth) und ein paar anderen Musikern die Band „Viele bunte Autos“ gegründet und sich an den Rockzipfel der NDW gehängt. Nachdem die Kassettenbeiträge von damals in der Belanglosigkeit versanken, hat der findige Wiener 2008 noch einmal Adrenalin ins längst tot geglaubte Herz gerammt und die Musik auf einer CD herausgebracht. Für uns, die Freaks des skurillen und absonderlichen, ein leckerer Snack. Die begabte Fachpresse schreibt dazu eindrucksvoll:

Wie bei vielen Austro-NDW-Gruppen zeigt sich eine in Deutschland selbst nur über mühseligen Konzeptualismus beizubiegende Popleidenschaft, die wohl in direkter Absetzungsbewegung zur hegemonialen Liedermachokultur um Fantasieknallchargen wie André Heller oder Authentizitätswuchteln wie Wolfgang Ambros leichter zu haben war. Jedenfalls entkommen Viele Bunte Autos deutschen Synthiepop-Tendenzen zu Tiefschwachsinn mit einer Leichtigkeit, die vielleicht eher nach New-Wave-Frankreich gehört hätte. Als Bonus gibt es noch den einen Unsterblichkeitshit, den eine gute obskure New-Wave-Band ja hingekriegt haben muss: „Komm in die Liga gegen Sex“ als verstörendes Bekenntnis zur Sexverweigerung – vorgetragen mit den Mitteln BowWowWow’scher Minderjährigen-Erotik. Ein typischer Widerspruch einer Zeit, in der die gelebten Widersprüche noch etwas galten.

 

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Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 6 Jahre

Die ersten beiden Songs liefen eine zeitlang montags häufig im Berliner dunckerclub. Kälte kriecht hatte ich mir vor vielen Jahren immer wieder gewünscht und es kam offensichtlich auch bei anderen Besuchern gut an :-)

Udspauth
Udspauth(@meinrad-fink)
Vor 6 Jahre

Wow. Auch als Wiener lernt man immer was Neues kennen, was damals so in Österreich musikalisch los war ;) Danke für den Bericht!

Sylvia_Plath
Sylvia_Plath (@guest_57268)
Vor 6 Jahre

Sieh mal einer an, trotz aktueller Szene-Abstinenz kenne ich alle drei Interpreten sowie die in diesem Beitrag vorgestellten Lieder. Die Lieder sind aber alle gut. :)

Jojo
Jojo(@johanna)
Vor 6 Jahre

Grauzone ist soooo super! Hab ich schon als Kind gerne gehört und durch diese Artikel wieder entdeckt. Danke!

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