Gothic trifft Reinhard Mey: Wegklicken oder mitfühlen?

Liedermacher-Legende Reinhard Mey hat sich mit einigen Künstlern der schwarzen Szene zusammengeschlossen und seinen Anti-Kriegssong „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“ neu veröffentlicht. Das Lied ist ursprünglich 1986 auf seinem Album „Alleingang“ erschienen und traf zu Zeiten, in denen Atomsprengköpfe im Zeichen des Kalten Kriegs in Deutschland stationiert wurden, das Gefühl vieler Menschen. Allerdings wirkt es heute, 34 Jahre später, ein wenig aus der Zeit gefallen. Erreicht man mit diesem pathetischen Stück wirklich noch die Zuhörer?

„Krieg ist stets ungerecht und kennt nur Verlierer.“

Reinhard Mey & Freunde haben ein eindrucksvolles Stück Musik neu interpretiert. Mit dabei sind unter anderem Eric Fish (Subway to Sally), Katja Moslehner (ehm. Faun), Andreas Stitz (Leichtmatrose), Daniel Schulz (Unzucht), Joachim Witt, Luci van Org und Holly Loose (Letzte Instanz). Niemand hat Gage verlangt, keiner möchte daran Geld verdienen und jede Spendenbereitschaft, die daraus möglicherweise resultiert, soll dem Friedensdorf International e.V. zugutekommen. Der Gedanke, die Absicht und die Intention dahinter sind wahrlich großartig: “

Alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler haben mit ihrem Gesang, ihrer Kunst und ihrem Handwerk aus Idealismus und persönlichem Engagement dieses einmalige Projekt verwirklicht.

Machen wir uns nichts vor. Text, Lied, Video und Produktion sind auf höchstem Niveau. Reinhard Mey ist ein begnadeter Liedermacher und zusammen mit diesen tollen Musikern muss daraus einfach eine runde Sache werden.

Wenn die Botschaft im Pathos erstickt

Jetzt wird es schwierig. Denn solche edle Absichten einer Kritik auszusetzen, endet häufig genug in einer mittelschweren Meinungs-Katastrophe, die leider häufig nur den Akt der  Kritik verurteilt und nicht deren möglicherweise berechtigte Einwände.

Ich finde einfach, es ist ein bisschen viel Lametta am Baum. Der Pathos, der aus jeder Pore dieses Songs zu kriechen scheint, ist einfach übertrieben. Als Gothic liebst du Traurigkeit, Gefühl und ja, zuweilen auch pathetische Attitüden, aber eben in einem nachvollziehbaren und vor allem zeitgemäßen Rahmen. Der Song ist deutsch. Politisch korrekt. Bewusst devot. Krampfhaft wird versucht, Mitgefühl zu erzeugen. Zeitgemäßer wird es später im Song. Die Wut, mit der Luci van Org den Text rüberbringt, transportiert die Botschaft einfach viel besser, gerade für jüngere Leute. Aber die haben – so fürchte ich – bereits vorher weggeklickt.

Ich muss einfach bei diesem Song an die frühen 80er-Jahre denken, als die Leute mit Strickpulli und Gitarre ums Lagerfeuer saßen und mit Hunderttausend anderen Leuten ein Teil der Friedensbewegung waren, die hierzulande gegen Dinge wie beispielsweise den Nato-Doppelbeschluss demonstrierten. 1985 formte sich die „Band für Afrika“, in der alles vertreten war, was Rang und Namen hatte, und präsentierte mit „Nackt im Wind“ einen Benefiz-Song, um den Hunger in Afrika zu bekämpfen.

Für mich verbindet die beiden Lieder die Absicht, betroffen zu machen und Anteilnahme zu ersingen. Damals vielleicht der richtige Weg, aber wen holt das dieser Tage denn noch ab? Ist nicht Begeisterung, Empörung oder gar inhaltliche Wut ein viel besserer Motor für Bewegung?

Schweigen ist keine Lösung

Ich kenne die Lösung nicht. Live Aid 85, das größte Rock-Konzert aller Zeiten, war für mich ein Feuerwerk an Begeisterung und Bewegung. Weltberühmte Bands und Musiker spielte ihre besten Songs unter einem gemeinsamen Banner und begeisterten Tausende. Ich fand es damals einfach umwerfend und fühle mich auch heute noch mehr davon angesprochen als von einzelnen Benefiz-Liedern. Tatsächlich spende ich seitdem mehr oder weniger regelmäßig, um Projekte zu unterstützen, die den Hunger auf der Welt bekämpfen.

Allerdings wurde Live-Aid damals vorgeworfen, nur eine Plattform für die Öffentlichkeitsarbeit der Bands zu sein und man unterstellte den Machern sogar, die rund 182 Millionen Euro in falsche Kanäle geleitet zu haben. Dieser Vorwurf wurde aber mehrfach widerlegt.

Es ist also schwierig, alles richtig und es vor allem jedem recht zu machen. Wichtig ist jedoch, dass solche Themen im Gespräch bleiben, und der Wille, etwas gegen Krieg und Leid auf der Welt zu unternehmen. Möglicherweise bin ich ja genauso „deutsch“ wie der Weg des Liedes, seine Botschaft zu vermitteln, indem ich meckere, anstatt stillschweigend betroffen zu sein.

 

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das H.Gen
das H.Gen(@hagen)
Vor 3 Jahre

Reinhard Mey ist und war super und das Lied zu seiner Zeit genau richtig. Ich hatte die berühmte Karte vom Kreiswehrersatzamt auch im Briefkasten und der erste Golfkrieg stand vor der Tür. Aber dieses Remake hat wieder alles was deutscher Gothic-… (jetzt hätte ich beinahe Schlager geschrieben) braucht, inklusive Fremdschämfaktor durch Pathosgehabe. Da muss ich dir vollkommen recht geben. Und nur weil es für einen guten Zweck ist muss es nicht auch gut sein. Also einfach was spenden und weghören. Und wer es mag, spenden und zuhören ;-)

Letzte Bearbeitung Vor 3 Jahre von das H.Gen
Orphi
Orphi(@orphi)
Editor
Vor 3 Jahre

Reinhard Mey hat meinen allergrößten Respekt für sein Lebenswerk und seinen unermüdlichen Einsatz. Aber dieser Song ist UNERTRÄGLICH. Sorry. Ich schließe mich Hagen an. Wegklicken (ganz schnell), aber natürlich ein offenes Ohr für den guten Zweck haben…

The Drowning Man
The Drowning Man (@guest_59510)
Vor 3 Jahre

Kann ich auch so sagen…Reinhard Mey solo klar…Respekt! Aber sonst lieber Killing Joke oder Ski Patrol „Agent Orange“…das hier ist unererträglicher Schwulsti-Scheiss…ne dat is für Omi und Opi die finden das die Gotiks auf dem WGT voll cool sind und sich deshalb einig sind sich auch so kostümieren zu wollen!

Wiener Blut
Wiener Blut (@guest_59511)
Vor 3 Jahre

Als Mandatsträger bin ich zu einer Veranstaltung im Rahmen des Volkstrauertages eingeladen worden. Eigentlich ein Tag der bei vielen nebenher läuft. In Hinblick auf den bevorstehenden Volkstrauertag finde ich diese Neuvertonung vom Zeitpunkt her gut, von der Machart auch gelungen. Hinhören, NACHDENKEN, und evtl Spenden…. es gibt ja noch andere Möglichkeiten für Spenden in diesem Bereich. Was mir aber fehlt ist: Selber aktiv sein gegen Nationalismus und Militarismus… diese „Ideen“ töten seid Jahrhunderten bis heute täglich weltweit Menschen, und haben es in Deutschland mehrmals zu herausragenden Erfolgsmodellen gebracht.

The Drowning Man
The Drowning Man (@guest_59512)
Vor 3 Jahre

@Wiener Blut: Nö..ich find den Song einfach Kacke!

Graphiel
Graphiel(@michael)
Vor 3 Jahre

Uff… Naja, hab schon schlimmeres gehört. Besonders gut finde ich den Song deshalb aber trotzdem nicht. Auch wenn ich die Idee und die Botschaft dahinter natürlich durchaus gutheißen kann, sowie das Lebenswerk von Reinhard Mey respektiere. Doch auch für mich gewinnt der Song erst viel zu spät an passendem Wumms und erweckt so über eine lange Strecke das Bild von äußerst seierigem Düsterschlager, anstatt mich zu bewegen. Naja, wer es trotzdem mag… Bitte schön. Ich schließe mich da aber der Fraktion weghören und spenden an. Wie schon gesagt kann man die Idee und die Botschaft dahinter ja trotzdem gut finden. ;)

Frau Vledermaus
Frau Vledermaus (@guest_59524)
Vor 3 Jahre

Ich finds gut, irgendwie. Vielleicht liegt’s an den kleinen Kindern, die grad um mich rumwuseln. Der Wumms kommt zu spät, das stimmt, aber „schnell wegklicken“? Nee, die fünfeinhalb Minuten Lebenszeit sind nicht verschwendet. Da gibt es deutlich Sinnfreieres.

Elric
Elric (@guest_59525)
Vor 3 Jahre

Eine sehr böse, also wirklich ganz doll böse Person könnte auf die Idee kommen, daß an Krieg doch was dran sein muß, wenn diese Pappnasen (Reinhard Mey mal ausgenommen) dagegen sind…

Durante
Durante(@durante)
Vor 3 Jahre

Als Kind hab ich Mey geliebt, und manche Lieder mag ich heut noch irgendwie, aber die Fassung is mir auch viel zu kitschig (erst nach Minute 3 wirds dann etwas besser/interessanter), nur Mey+Gitarre passt besser zu dem Stück, da ist weniger einfach mehr. Aber ich respektiere die Intention der Musiker.
Eine meines Erachtens weitaus(!) gelungenere Verquickung von Gothic & Liedermacher ist dieses Konstantin Wecker-Cover:
https://youtu.be/LK9Kob8Do3w

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