55 Jahre „Star Trek“: Sie waren Pioniere für eine bessere Welt

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Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise, das mit seiner 400 Mann starken Besatzung fünf Jahre lang unterwegs ist, um fremde Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Am 8. September 1966 – vor genau 55 Jahren – flog das Raumschiff Enterprise erstmals über die Bildschirme US-amerikanischer Haushalte. Der heutige Geburtstag der Serie wird mittlerweile als offizieller „Star Trek Day“ gefeiert, während das Franchise in unzähligen Ablegern immer noch den Menschen von einer weit entfernten Zukunft erzählt.

Technische Visionen, die Realität wurden

Dabei war die Serie schon 1966 ihrer Zeit voraus. Schaut man sich die erste ausgestrahlte Folge „The Man Trap“ (Das letzte seiner Art) an, erkennen wir viele Dinge, die heute längst Realität geworden sind. Kommunikatoren, Touchscreens und Flachbildschirme bestimmen längst unseren Alltag. Das Reden mit Computern ist ebenfalls auf dem Vormarsch, auch wenn Alexa und Siri lange nicht an das fiktive Original heranreichen. In ein paar wenigen Jahren haben wir wahrscheinlich auch Universalübersetzer, erste vielversprechende Technologien wurden bereits vorgestellt.

Dagegen sind Dinge wie Warp-Geschwindigkeit, Holodecks oder das Beamen noch immer Zukunftsmusik. Es gibt allerdings Konzepte. Es widerspricht beispielsweise nicht der Relativitätstheorie, dass man Warp fliegen könnten, auch wenn man sich bislang eines theoretischen Tricks bedient, um diese Idee umsetzbar zu machen. So erscheint es wohl einfacher, den Raum zu manipulieren, als ihn mit Lichtgeschwindigkeit zu durchfliegen. Wir haben aber auch noch bis 2063 Zeit, um Cochranes „Phoenix“ nachzueifern, die damals im Film „Der erste Kontakt“ die Menschheit qualifizierte, die Vulkanier kennenzulernen.

Die Nähe zur technischen Realität hat Star Trek bereits 1966 revolutionär gemacht und sorgte in der Folge für zahlreiche Karrieren ambitionierter Wissenschaftler und Ingenieure, die durch diese Serie auf den Geschmack gekommen sind, Technik weiterzudenken. Marc Rayman beispielsweise, Chefingenieur der NASA Jet Propulsion Laboratory (JPL), hat auf seinem Schreibtisch ein Star-Trek-Telefon und ist ambitioniertes Spielkind mit echtem Sandkasten: „I’ve been an incredible Star Trek fan my whole life, and even now getting to work at JPL, really just a big kid here. I still love Star Trek and I often think about how lucky I am […] I feel like I’m living Star Trek.”

Gene Roddenberry, den man als Vater von Star Trek bezeichnen dürfte, hat schon 1966 Wissenschaftler beschäftigt, die die Vorstellungen der Drehbuchautoren überprüft haben. Auch in den nachfolgenden Jahren beeinflusste die Wissenschaft Filme und Serien des Star Trek Universums. Stephen Hawking und seine Theorien über den gekrümmten Raum fanden ebenso Platz im Franchise, wie Theorien über künstliche Intelligenz. Star Trek verpackt diese Themen in Action, Spannung und Abenteuer und trägt seit 55 Jahren dazu bei, das Verständnis für den Kosmos auf bekömmliche Art in die heimischen Wohnzimmer zu tragen.

Humanistische Gedanken für eine bessere Welt

Die Rassentrennung und der Kalte Krieg endeten 1966 bei Star Trek. Navigator Pavel Chekow, der freundliche Russe neben dem asiatischen Steuermann Hikaru Sulu wischten Gedanken an den Kalten Krieg und Erinnerung an Pearl Harbor einfach vom Bedienpanel, während im Hintergrund die afro-amerikanische Nyota Uhura stets mit einem Finger am Ohr die Rassentrennung beendete.

Zum einen war Schauspielerin Nichelle Nichols die erste schwarze Frau in einer Science-Fiction-Serie und zum Zweiten war sie die erste Schwarze, die im US-amerikanischen Fernsehprogramm einen weißen Mann küsste. (sie küsste Captain Kirk in der Folge „Platons Stiefkinder„) Dass man diese Tatsache erwähnen sollte, zeigt, wie unfassbar rassistisch es in den USA der 60er-Jahre zuging.

Einige Fernsehsender im Süden der USA weigerten sich sogar, die Serie auszustrahlen. Der Kuss, der 1968 über die Bildschirme flackerte, bestätigte sie in ihren Ansichten. Welche Bedeutung sie für die Afro-Amerikaner hatte, kann man heute kaum noch nachvollziehen. Als Nichelle Nichols die Rolle als Uhura nach ein paar Monaten nicht mehr weiterspiele wollte, weil sie sich darin unterfordert fühlte, überredete sie der Bürgerrechtler Martin Luther King persönlich dazu, der Serie „Raumschiff Enterprise“ treu zu bleiben.

Fans der Serie spielten von Anfang an eine große Rolle in der Entwicklung des Franchise. Als NBC die Serie nach einer Staffel absetzten wollte, weil es eben noch nicht genug Zuschauer gab, bombardierte diese den Sender mit Protestbriefen. Das Ende der Serie, das 1969 erreicht war, hinterließ eine Lücke in der begeisterten Anhängerschaft. 1972 fand die erste Star Trek Convention statt, die in den folgenden Jahren für wachsende Begeisterung sorgt. 1979 mündete der stete Zuspruch der Fans im ersten Film des Star Trek Franchise, an dem alle Schauspieler der Serie teilhaben wollten. Der Rest ist Legende.

Einmal Trekkie, immer Trekkie

Seit meiner Kindheit bin ich Fan der Serie, die ich Ende der 70er als Wiederholung erstmals im Fernsehen sehen durfte. Seit den Filmen in den 80er-Jahren und spätesten der Serie „The Next Generation“ bin ich Trekkie.

Klären wir die ewige Frage, was einen Trekkie ausmacht: Sich die Möglichkeiten der eigenen Zukunft vorstellen zu können und nach der Vision von einem besseren Selbst zu streben. Nehmen wir Star Wars, der Ende der 70er ebenfalls in die Kinos kam als Vergleich. Star Wars ist in einer anderen Galaxie, eine Phantasiewelt, die sich jemand ausgedacht hat und ein Raumschiff-Märchen, das stets in seinem Setting bleibt: „Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis…

Star Trek zeigt uns die Möglichkeiten der eigenen Zukunft. Eine bessere Zukunft, in der viele Dinge positiver sind. Eine Menschheit, die sich gemeinsam weiterentwickelt hat, die an neuen Zivilisationen interessiert ist, jedwedes Leben achtet und im Grunde furchtbar neugierig durchs Weltall fliegt. Es gibt keine Armut, keinen Hunger und Pille, der fast alle Krankheiten heilt. Reichtum ist bedeutungslos, die Wissenschaft ersetzt den Glauben an höhere Wesen und die Welt bleibt rational und logisch. Ist das nicht toll?

Star Trek übt Gesellschaftskritik. Sie findet meist auf fremden Planeten statt, sind aber im Grunde Kritik an uns selbst. Umweltzerstörung, Rassismus, Kapitalismus. Auch wenn sie auf 45 oder 90 Minuten begrenzt ist, steht am Ende meist ein diplomatischer oder philosophischer Konsens. Alles das holt uns ab und heraus aus einer Welt, die wir uns besser vorstellen würden, ebenso, wie sie in Star Trek dargestellt wird.

55 Jahre Star Trek
Das NASA Shuttle Enterprise und die Star Trek Crew 1976. Mit DeForest Kelley (McCoy), George Takei (Sulu), James Doohan (Scotty), Nichelle Nichols (Uhura), Leonard Nimoy (Spock), Gene Roddenberry und Walter Koenig (Chekov). | NASA, The Shuttle Enterprise – GPN-2000-001363, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Gruft-Orakel September 2021: Ein Sarg möchte anschmiegsam werden

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Nichts ärgert Paula Sarg so sehr, wie schlagende Sargdeckel. Wenn die wuchtige Klappe donnernd gegen die Seitenwand kracht, zuckt sie jedes Mal zusammen. Holger Sarg ist diesen Monat wieder besonders anstrengend. Es kracht am laufenden Band. Bei Paula sind schon vor Schreck die Scharniere verkantet, sodass sie ihren Deckel nur noch mit Mühe aufbekommen hat. Als wäre das nicht schon Ärger genug, lässt Holger auch ständig seinen Deckel offen, was auf Paulas Nerv-Rangliste gleich den zweiten Platz einnimmt. Neulich waren die bezaubernden Grableuchten zu Besuch, als Holger mit weit aufgerissener Eichenklappe ins Zimmer stolziert. Die erschrockenen Grableuchten haben rot geflackert und Paula wäre gerne im Boden versunken. Warum macht er das nur? Wenn der wieder ankommt und kuscheln will, sagt sich Paula, kriegt er die Quittung. Wenn da nicht wieder Alana Abendroth hinter Holgers Sinneswandel steckt.

Wochenschau: Mit dem Backfire-Effekt gegen unangenehme Fakten

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Ich wusste, es hat einen Namen. Backfire-Effekt nennt man es, wenn Fakten und Argumente bei Menschen, die irgendeiner absurden Ideologie hinterherlaufen, genau das Gegenteil bewirken. Die Ansichten verfestigten sich. Verharzen, verkoken und verkleben fände ich in diesem Kontext zwar besser, aber ich will nicht so pingelig sein. Gut, der tolle Effekt mit dem klingenden Namen ist nicht wirklich bewiesen, klingt dafür aber enorm schlüssig. Das neue Jahrzehnt, das letztes Jahr begonnen hat, eignet sich ausgezeichnet, um sich mit einer eigenen „Blase der Wahrheit“ überschüssige Nachrichten, unangenehme Tatsachen und nicht einsortierbare Grauzonen vom Hals halten und Überzeugung reifen zu lassen, die auch die stärksten Fakten in die Schranken weisen. Allerdings kommt dieser nicht bewiesene Effekt in den besten Familien vor, es fällt auch einfach wahnsinnig schwer, eingefleischte Überzeugungen auf den Kopf zu stellen. Früher habe ich mal gedacht, in den meisten Menschen steckt etwas Gutes. Die Tatsachen scheinen zu sagen, es ist genau andersherum. Hier die aktuelle Wochenschau mit Fakten, die ich mir nicht ausgesucht habe.

Nevermind-Cover-Baby verklagt Nirvana wegen Kinderpornografie | Musikexpress

Spencer Elden, so heißt das Baby, das auf dem legendären Album-Cover nach einem Geldschein taucht, hat die Band Nirvana auf Schadenersatz verklagt, weil er sich durch das Bild „lebenslang geschädigt“ sieht. „Der Vorwurf Eldens ist schwerwiegend. Er beschuldigt die Band, mit ihrem Cover wissentlich kommerzielle Kinderpornografie in Umlauf gebracht zu haben. Zudem habe es für das Bild ihm zufolge nie eine offizielle Erlaubnis gegeben. In der Anklageschrift heißt es hierzu: „Weder Spencer noch seine Erziehungsberechtigten haben jemals eine Freigabe unterschrieben, die die Verwendung von Bildern von Spencer oder seines Bildes erlaubt, und schon gar nicht von kommerzieller Kinderpornografie, die ihn zeigt.““ Ein merkwürdiger Sinneswandel, hatte er doch vor 5 Jahren das Albumcover anlässlich des 25. Jubiläums noch freiwillig nachgestellt. Möglicherweise erfüllt sich nach 30 Jahren die Bildsprache des Covers doch noch.

Sex-Pistols-Musiker gewinnen Prozess gegen Johnny Rotten | Spiegel

Zwei ehemalige Mitglieder der Punkband „Sex Pistols“ haben einen Gerichts-Prozess gegen Frontmann John Lydon aka Johnny Rotten gewonnen. Es ging um die Nutzung von Sex Pistols Songs in einer TV-Serie über die Band, die im nächsten Jahr erscheinen soll. Lydon wollte die Verwendung verhindern, weil er die Serie für „Gift“ hält und sich „zutiefst beleidigt fühlt“. „Der High Court in London gab Cook und Jones am Montag Recht. Sie dürfen die Songs der Sex Pistols für die von Disney produzierte Serie nutzen, wenn die Mehrheit der Bandmitglieder zustimmt. Die Anwälte des Duos hatten argumentiert, innerhalb der Band gebe es seit 1998 eine Abmachung, dass über Anfragen für die Lizenzierung von Musik per Mehrheitsbeschluss unter den Mitgliedern entschieden werde.

„Tutti Frutti“ als geheime Ware | TAZ

Das Internet macht es möglich. Musik gibt es immer und überall. Doch das war nicht immer so und noch deutlich verschärfter in Staaten, die aktive Zensur ausübten. So war es in der Sowjetunion lange unmöglich, Platten aus dem Ausland zu bekommen und „westliche“ Künstler zu konsumieren. Da haben die Leute Raubkopien gemacht und verteilt. Auf alten Röntgenaufnahmen. „Es sind fragile Objekte von geradezu gespenstisch anmutender, surrealer Schönheit: Auf einem der kreisrunden Artefakte erkennt man einen Rippenbogen, auf einer anderen etwas, das die Laiin eventuell für einen Oberschenkelknochen halten würde. Auf einer dritten sieht es so aus, als sei jemandem in den Kopf geschossen worden. Doch das Loch in der Mitte der Scheibe, die das Röntgenbild eines menschlichen Schädels zeigt, wurde nachträglich in das weiche Material gestanzt. Eine Schallplatte braucht schließlich ein Loch.“

Woodstock 99: Peace Love and Rage | Pitchfork

Das 30-jährige Jubiläum des Woodstock sollte mit der dritten Auflage des legendären Festivals einen Höhepunkt vor der Jahrtausendwende bilden. Rund 250.000 Besucher machten das Ereignis allerdings zu einem Desaster, das von Gewalt, Zerstörung und Vergewaltigungen überschatten wurde. „By now, Woodstock ’99 holds a particularly wretched place in the collective memory. The mere mention of the doomed festival’s name likely brings to mind images of apocalyptic bonfires, rivers of human waste, and Fred Durst screaming a song about breaking shit to a sea of bros who are doing just that.“ Im kollektiven Bewusstsein versagen selbst die simpelsten Kontrollmechanismen. Der Mensch ist eben auch ein Tier.

Drogen, Punk und wilde Liebe – Die Geschichte von Sid Vicious & Nancy Spungen | Reich, schön, tot – True Crime

Im Oktober 1978 wurde Nancy Spungen in einem Hotel in New York erstochen aufgefunden. Sid Vicious wurde wegen Mordverdachts festgenommen und im Februar des nächsten Jahres gegen eine Kaution auf freien Fuß gesetzt, entzog sich aber weiteren Untersuchungen durch eine Überdosis Heroin. Ein Podcast möchte die Geschichte nun aufarbeiten: „Es ist der 12. Oktober 1978, als Nancy im berühmten Hotel Chelsea in New York neben ihrem Freund, dem Bassist der Sex Pistols Sid Vicious, aufwacht. Sie hat starke Schmerzen im Unterleib. Als sie sich mit ihrer zitternden Hand an den Bauch greift, ist diese voller Blut. Heute geht es um eine wilde Liebesgeschichte, die Ära der krassen Punkszene der 70er-Jahre, jede Menge harter Drogen und wahrscheinlich sogar um zwei Morde.“ (danke Sophie)

Keine Bühne den Faschisten: Vorwürfe rund um die Distanz-Kundgebung und Statement der Crew | Leipziger Zeitung

Wie die LIZ berichtet, wurden die Veranstalter des DisTanz-Festivals, das am 14. August stattfand, im Vorfeld der Veranstaltung über die sozialen Netzwerke darüber informiert, dass einige Künstler*innen im Line-Up einen fragwürdigen Hintergrund hätten: „Was als Fortsetzung einer gelungenen Kundgebung zur pandemiebedingten Situation der Kulturschaffenden im vergangenen Jahr gedacht war, entwickelte sich nun jedoch schnell zu einem Shitstorm. Viele Medienkanäle machten darauf aufmerksam, dass das Selbstverständnis der Veranstaltung stark von Teilen des Line-Ups abweicht. Während man sich auf der Website für Awareness, Vielfalt und Gleichberechtigung ausspricht, wurden anscheinend zwei Acts gebucht, die stark von diesem Bild abweichen.“ Die Acts wurden umgehend ausgeladen.

Tierzähne, ein Geweih und ein Kinderskelett – Das rätselhafte Grab der Schamanin | GEO

Das Leipzig nun die Wirkungsstätte des Wave-Gotik-Treffen ist, hat seinen Grund. Vor rund 9000 Jahren wurde nämlich dort eine Geisterbeschwörerin bestattet, mit kuriosen Grabbeigaben. Jetzt tanzen Gruftis zu Pfingsten auf einer steinzeitlichen Grabstätte. Also wenigstens grob. „Menschen, die als Jäger und Sammler umherziehen, bestatten an diesem Tag, irgendwann um 6800 v. Chr., in Mitteldeutschland eine Frau, die zu Lebzeiten höchstes Ansehen genossen haben muss: eine Schamanin, die zwischen den Lebenden, den Naturgeistern und den Ahnen vermittelte. Ihr Grab, das 1934 nahe Leipzig entdeckt wurde, gewährt einzigartige Einblicke in die magische Kultwelt der Steinzeit. Keine andere Ruhestätte in Deutschland bietet so zahlreiche Hinweise auf die Existenz von Schamanen, deren Leben, Wirken und Sterben.

Wenn Spiritualität in die Haut geht | rbb24

Die Kirchen leiden seit Jahren unter Mitgliederschwund, doch das Verlangen der Menschen nach Sinnerkenntnis und Spiritualität ist geblieben. Anstatt sich diese Dinge von traditionellen Religionen zu holen, zählt man mehr und mehr auf eigene Rezepte. So gibt es in Berlin-Neukölln ein Studio für rituelle Tätowierungen: „Sie erhält hier heute ein Tattoo, das nicht nur ihre Rückenschmerzen beseitigen, sondern Izabela auch mehr Ruhe, Geduld und Selbstvertrauen geben soll.[…] Bevor die Tätowiererin zur Nadel greift, hat sie mit Izabela gemeinsam meditiert, um das passende Motiv zu finden. […] Die rituelle Körperbemalung sei nur ein Teil des Prozesses. Meditation und sogenannte „Heilsessions“ davor und danach gehören bei ihr mit zum Angebot.“ Hoffentlich können die Menschen, die das Innere so Extrovertiert nach Außen tragen, die Grenze zum Unsinn noch ziehen. (danke Caro)

Castle Party 2021 – The People | Amadeusz Andrzejewski

Vom 8. bis zum 11. Juli fand im polnischen Bolków die Castle Party 2021 statt. Drei Tage Normalität nach fast 2 Jahren Abstinenz. Man sagt, alle Auflagen der Regierung wurden eingehalten. Trotzdem wirkt das alles so befremdlich auf mich. Ich fürchte, wenn Corona irgendwann „vorbei“ ist, muss ich mich wieder an das Leben gewöhnen.

Stella Nomine – „Wir sind begeistert von diesem Festival!“ | Torgauer Zeitung

Nachdem das Stella Nomine im Torgauer Entenfang im letzten Jahr ausfallen musste, konnte es dieses Jahr unter den fast schon üblichen Corona-Maßnahmen stattfinden. Mit dabei waren unter anderem Das Ich, She Past Away, Wisborg, Ash Code und Other Day. In der Torgauer Zeitung äußert sich Bruno Kramm: „Dass nun endlich wieder Veranstaltungen dieser Art stattfinden können, hat irgendwie etwas Unwirkliches – es fühlt sich an, wie nach Jahren aus dem Koma aufzuwachen“, beschreibt er eindringlich. „Ich finde es total cool, dass Thomas (Thomas Richter, der Stella-Nomine-Veranstalter, Anm. d. Red.) dieses Festival veranstaltet und auch dieses Risiko eingeht! Denn ein neues Festival ist am Anfang sowieso immer erstmal ein Risiko und dann auch noch während der Pandemie…“.

Kreuzmühle startet mit neuem Video in die Wiedergeburt | Kreuzmühle

Die Kreuzmühle startet mit einigen Events zaghaft in die gefühlte Wiedergeburt. Am 30. Oktober lädt Remo Sorge zum legendären Göttertanz an Samhain mit DJ Tom Manegold.

Mittelalter-Band Irdorath in Belarus verhaftet, weil sie mit Dudelsäcken protestierten

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Weil die Mittelalter-Band Irdorath auf einer Demonstration gegen den belarussischen Diktator Lukaschenko mit ihren Dudelsäcken unter anderem den Protestsong „Peremen!“ spielten, wurden 16 Personen aus dem Umfeld der Band am 2. August 2021 bei einer Geburtstagsfeier der Sängerin Nadseja Kalach festgenommen. Die Behörden begründeten die Festnahme damit, dass Irdorath mit ihrer Musik „die Demonstranten zu unrechtmäßigem Verhalten gegenüber der Polizei angestachelt hätten„. Bis zur ihrer Verhandlung, deren Termin noch nicht genannt wurde, bleiben sie in Haft.

Verhaftung Irdorath - Screenshot Polizeivideo
Laut dem regierungskritischen Blog charter97.org wurde bei der Verhaftung das gefürchtete SOBR eingesetzt, ein dem Diktator Lukaschenko unterstelltes Sondereinsatzkommando.

Irdorath?

Die Band aus Minsk, die nach einer Insel aus dem Computerspiel „Gothic II“ benannt ist, ist spätestens seit ihren Auftritten beim Wacken Festival, beim Wave-Gotik-Treffen in Leipzig oder den deutschlandweiten MPS-Festivals auch innerhalb der schwarzen Szene sehr bekannt. Durch die musikalische Thematisierung Belarussischer Mythen und Legenden sollten sie eigentlich ein Aushängeschild ihres Landes sein. Doch die Realität sieht anders aus.

Seit ihrer Beteiligung an den Protesten, auf denen sie den Protestsong „Peremen!“ der legendären russischen New-Wave Band „Kino“ spielten, stehen Irdorath jedoch im Fadenkreuz behördlicher Ermittlungen. Ende 2020 verloren sie bereits ihre Arbeit für einen  Jugendhilfeverein und auch der Proberaum wurde ihnen gekündigt. Die Repressionen, unter denen Musiker in Belarus leiden, nehmen immer bizarrere Züge an. Seit 2021 bemühte man sich zusammen mit deutschen Veranstaltern und Freunden eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland zu bekommen. Wie der Dunkle Parabelritter berichtet, garantierten sowohl er als Veranstalter als auch das Wacken-Festival die Beschäftigung der Band. Da Irdorath bis zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht als politisch verfolgt galten, wurde eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt, man bezweifelte außerdem, dass man die Band während Corona überhaupt beschäftigen könnte. Unterdessen kündigte Lukaschenko an, das Land von unerwünschten Einflüssen durch Kulturschaffende und Journalisten zu „säubern“, wie die Tagesschau berichtete:

Lukaschenkos Racheaktion begann mit oppositionellen Politikern und richtet sich nun gegen alle Einrichtungen der Zivilgesellschaft – damit sich dort kein Widerstand mehr organisieren kann. Denn der ist nach Lukaschenkos eigener Aussage das Ergebnis ausländischer Kräfte, die sein Volk manipuliert haben: „Nun läuft die Säuberung. Denken Sie, dass das einfach ist? Da arbeiten bereits Tausende unserer Leute, deren Gehirne für fremdes Geld gewaschen wurden.“

Die Band tauchte unter und organisierte eine Flucht aus ihrem Land. Kurz bevor es endlich so weit sein sollte, stürmte ein schwer bewaffnetes Sondereinsatzkommando die Geburtstags-Feier und inhaftierten die Anwesenden. Seit dem sitzt die festgenommenen Personen in einem berüchtigten Gefängnis fest, das für Folter und Misshandlungen der Insassen bekannt ist. Ihnen drohen 4 Jahre Gefängnis dafür, dass sie auf einem friedlichen Protest Dudelsack gespielt haben!

Auf dem Kanal vom „Dunklen Parabelritter“ Alexander Prinz, der mit der Band befreundet ist, gibt es eine äußerst umfangreiche Zusammenfassung der Ereignisse.

In Deutschland machen immer mehr Menschen aus und um die Mittelalter-Szene Stimmung für mehr Aufmerksamkeit zu dem Thema. Die Band Corvus Corax demonstrierte jüngst lautstark vor der belarussischen Botschaft, wie die Deutsche Welle berichtet:

Fremdscham auf einem neuen Niveau

Die TAZ titelte „Mit Maschinenpistolen gegen Dudelsäcke“ und brachte die Ereignisse für mich auf den Punkt. Allerdings ersticken einzelne Ereignisse wie dieses gerade in einer Lawine unfassbarer Nachrichten. Die Politik stolpert im Wahlgetümmel über ihre eigenen Entscheidungen, während die Situation in Afghanistan außer Kontrolle gerät. Auch die vom Hochwasser betroffenen Gebiete sind weit davon entfernt, als gerettet zu gelten, während immer neue Hiobsbotschaften über klimatischen Veränderungen die Bevölkerung verunsichern und Corona darauf lauert, uns wieder in einen Lockdown zu katapultieren.

Doch halten wir fest. Belarus ist die letzte europäische Diktatur. Präsident Lukaschenko unterdrückt sein Volk auf brutalste Weise, geht mit äußerster Härte gegen Andersdenkende vor und zwingt selbst zivile Flugzeuge im belarussischen Luftraum zu einer Landung, weil sich darin ein regierungskritischen Blogger befand, den man verhaftete.

Und während all dieser Ereignisse laufen in Berlin Menschen über die Straßen, die gegen eine vermeintliche Diktatur protestieren. Menschen, die sich offenbar selbst am wichtigsten sind und Regeln für ein gesundes Miteinander als Einschränkung ihrer Freiheit empfinden.  Ich muss mich jedes mal schämen, wenn ich das sehe. Auf einem ganz neuen Niveau.

Was kann man tun, um der Band Irdorath zu helfen?

Aufmerksamkeit für dieses Thema schaffen. Auch wenn Eurer Aktionismus möglicherweise erschöpft ist, zitiere ich hier den dunklen Parabelritter: „Um ehrlich zu sein, aus einem sicheren Haus in Zentraleuropa kann man sich auch für verschiedene Themen gleichzeitig einsetzen.

Nutzt den Hashtag #freeIrdorath auf Youtube, Facebook oder Twitter und verbreitet Videos und Artikel, die darüber berichten. Ihr könnt auch spenden, wenn ihr wollt. Das Council for Culture, dass sich aus dem Exil um die Belange belarussischer Künstler kümmert, hat eine Spendenaktion gestartet: https://getdonate.org/en/campaign/335 – Das Geld wird dafür benötigt, die inhaftierten Künstler zu versorgen, den Angehörigen zu helfen und wichtigen Support zu organisieren.

Olli Wisdom, Sänger der Band „Specimen“ und Gründer des legendären Batcave gestorben

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Am 23. August berichtete Trancentral TV, das Olli Wisdom, ehemaliger Sänger der Band „Specimen“ und Mitbegründer des legendären Batcave-Club, im Alter von 63 Jahren gestorben ist. Er gehörte zu den Urväter unserer Subkultur und hat die Szene nicht nur musikalisch beeinflusst, sondern mit seinem Club in Soho auch den stilistischen Rahmen für die spätere Gothic-Szene gesteckt. Zuletzt war Olli Wisdom unter dem Künstlernamen „Space Tribe“ in der Psytrance-Szene als DJ und Musiker unterwegs und gründete auch das gleichnamige Klamotten-Label.

Zusammen mit Jon Klein und Kevin Mills gründete Wisdom 1981 die Band Specimen in Bristol, bevor man sich 1982 entschloss, in London einen eigenen Club für ihre Art der Musik zu gründen. In den oberen Stockwerken der geschichtsträchtigen Dean Streat 69 in London eröffneten sie „The Batcave“ und werden gleich zur Hausband, die dort regelmäßig auftritt.

Im vierten Stock des Gebäudes, in dem sich 1925 der Gargoyle-Club gründete, befand sich ein Eingang in Sargform, der in das Batcave führte. Hier tauchte man in die Welt aus Leder, Spitze und Gruselfilm-Requisiten ein, die „gleichzeitig Kino, Kabarett, Theater, Discothek und Live-Club zu sein schien.“ Filmklassikern der „Gothic Ficiton“ und B-Movies aus dem Hause Hammer bildeten den Hintergrund einer gruftigen Nacht, während die Urbands des Gothic-Rock auf der Bühne performten. Schnell gesellen sich auch extravagante Gäste einer Szene dazu, die damals noch keinen Namen hat und so wird das Batcave zum Treffpunkt, an dem sich das Who-is-Who der Gothic-Szene versammelt: Siouxsie Sioux, Robert Smith, Marc Almond, Nick Cave, Vince Clarke oder auch Boy George.

Ursprünglich reagierte die englische Musikpresse sehr gut auf unsere Pläne, hatte im Vorfeld bereits über uns berichtet, und als wir aufmachten, war der Laden voll. An unserem ersten Abend war die Schlange vor der Tür ca. zweihundert Meter lang und diese Schlange gehörte von nun an als fester Bestandteil zur Szene. Olli Wisdom im Buch von Dave Thompson „Schattenwelt – Helden und Legenden des Gothic Rock“ – Seite 180

Es dauerte nicht lange, da wurde das Batcave auch Geburtsstätte für die ersten Bands aus der Szene. Alien Sex Fiend hatten am 1. Dezember 1982 ihren ersten Auftritt im Batcave, 1986 begeisterten sie bereits im Vorprogramm von Alice Cooper das ganze Land. Mit dem Jahreswechsel 1983 zog das Batcave bereits in größere Räumlichkeiten und wechselte danach noch drei weitere Male. Mit dem Erfolg eigener Compilations begann man im Juni 1983 auf Tournee zu gehen. Specimen und Alien Sex Fiend luden die gesamte Club-Einrichtung in Transporter und veranstalteten in vielen weiteren Städten Batcave-Partys.

Olli Wisdom hat, wenn man so möchte, den Geist der Szene über das ganze Land verteilt. 1983 drückte Gothic den Stempel in das subkulturelle Gedächtnis späterer Generationen. Eine „wilde Verherrlichung von Fantasie und Magie, von Schönheit und Eleganz„, von der „nur wenige, die mit der Szene in dieser Zeit in Kontakt kamen, unberührt blieben„, wie Dave Thompson in seinem Buch „Schattenwelt – Helden und Legenden des Gothic Rock“ schrieb.

In den nachfolgenden Jahren verkommt das Batcave allerdings zur Touristenattraktion. Irgendwann bleiben die Besucher aus, 1985 schrumpft das Batcave wieder in seine ursprünglichen Räumlichkeiten der Dean Street, bevor es in der Mitte des Jahres endgültig seinen Sarg schließt. Die Band „Specimen“ um Olli Wisdom trennt sich kurze Zeit danach.

(vielen Dank an Mick Mercer für alle Bilder in diesem Artikel)

Wisdom geht 1988 auf Reisen nach Thailand und Indien und entdeckt den Ort Goa für sich, wo er tief in psychedelische Musik eintaucht. Er beginnt als DJ aufzulegen und gründet zusammen mit seinem Bruder Miki das Klamotten-Label „Space Tribe“, das mit seinen quietschbunten Designs den Style der Zeit auf den Kopf trifft. 1995 zieht er nach Australien, beginnt selber Musik zu machen und ein Plattenlabel zu gründen.

Obwohl er sich nicht wieder für die schwarze Seite des Lebens entschieden hat, ist er seinen Prinzipien treu geblieben. Er blieb kreativ und produktiv und brachte nicht nur Gothic auf den Weg, sondern begleitete auch Psytrance mit seiner Energie. Ein Nachruf aus dieser Szene macht deutlich, dass er auch dort Spuren hinterlassen hat.

Auf der Suche nach den Wurzeln einer Szene ist Olli Wisdom möglicherweise in Vergessenheit geraten, sein Fußabdruck, den er 1982 hinterließ, ist jedoch die wichtigste Spur, die die Gothic-Szene in den Geschichtsbüchern hinterlassen dürfte.

Die Umstände seines frühen Todes sind nicht bekannt. Er hinterlässt eine 25-jährige Tochter, seine Familie und viele Freunde aus den unterschiedlichsten Umfeldern. RIP Olli Wisdom.

Olli Wisdom

Aus vor 10 Jahren: So erinnern sich Besucher an die Kult-Disco Zwischenfall

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Heute vor 10 Jahren, am 18. August 2011, endete für viele Gruftis aus dem Ruhrgebiet eine Ära. Ein Feuer oberhalb der legendären Diskothek Zwischenfall zerstöre das Gebäude fast vollständig. Was nicht im Feuer verbrannte, wurde durch den Löschwassereinsatz völlig zerstört. „Die wahre Brandursache wissen bis heute nur die wenigsten„, verrät Norbert Kurtz, der ehemalige Betreiber der Bochumer Club-Legende gegenüber der WAZ. „Im Zwischenfall hat es gar nicht gebrannt. Das war oben drüber. Dort hat eine Frau gebügelt, wurde über das offene Fenster nach unten gerufen und hat das heiße Bügeleisen abgestellt. Das ist dann aber wohl hingefallen.

Das Gebäude an der Ecke Alte Bahnhofstraße/Ümmiger Straße wurde 2016 abgerissen. Feuer und vor allem das Löschwasser hatten das Gebäude völlig zerstört. Die Löscharbeiten dauerten die ganze Nacht, da immer wieder Schwelbrände entdeckt wurden. Technik, Einrichtung und gelagertes Material wurden dabei völlig unbrauchbar gemacht. An gleicher Stelle entstehen zurzeit 36 neue Wohnungen und Einkaufsmöglichkeiten. Ein Neubau der abgebrannten Diskothek, die fest in den Stadtteil integriert war, ist offensichtlich nie geplant gewesen.

Gründung 1984 – Das Zwischenfall in der Rock-Disco Appel

Der Club, den Norbert Kurtz 1984 zusammen mit DJ und Autor Klaus Märkert gründete, hat sich über die Jahre einen über die Region bekannten Ruf erarbeitet. Als die vorherige Rock-Disco „Appel“, die in den Räumlichkeiten ansässig war, einen neuen Pächter suchte, wurde die Idee geboren, so Märkert in einem Interview mit Orphi Eulenforst: „Im Sommer 1985 fragte mich der Norbert, ob ich Lust hätte mit ihm dort einzusteigen, weil der Pächter würde aufhören und er könnte den Laden übernehmen. […] Für uns war klar, dass wir die New Wave und Dark Wave Schiene fahren wollten, denn das war unser Ding.“ Allerdings war da noch kein Name gefunden, kurze und prägnante Namen wie „X“ oder „Exit“ gingen aus einem simplen Grund nicht.

Der Grafiker, der diesen Entwurf gemacht hatte, der brauchte für seine Vorlage einen längeren Namen. Da kannten wir diese Minimal-Elektronik Band „Zwischenfall“ mit ihrer ersten EP „Millionen und Flucht“, die uns sehr gut gefiel und das ist dann irgendwie hängengeblieben.

Die erste Zeit lockt das Zwischenfall gemischtes Publikum an. Heimatlose Rocker, die ihr Appel suchten, vereinzelte New Waver aus der Umgebung. Mund-zu-Mund-Propaganda und gelegentliche Anzeigen im Zillo benötigen einige Zeit, um immer schwärzeres Publikum anzulocken. Als der bekannte Szene-Treff „Memphis“ in Dortmund 1986 schließt, strömen viele heimatlose Gruftis nach Bochum. Mit vielen Live-Konzerten lockt man auch Publikum von weiter her nach Bochum. Skinny Puppy, The Klinik, The Chameleons, Charles De Gaulle oder auch Green Day – bevor sie berühmt waren. Klaus Märkert ist der Auftritt von „Pink Turns Blue“ in einem eiskalten Winter 1988 besonders in Erinnerung geblieben, denn die haben seiner Meinung nach „Linderung“ für die gequälten schwarzen Seelen gebracht, deren einstige Idole Ende der 80er immer weiter dem Poser-Metal verfallen waren. „Das Konzert war dark, düster und melancholisch und brachte eine sehr atmosphärische Stimmung.

Erinnerungen an ein Szene-Wohnzimmer

Für die meisten Besucher wurde ein Besuch im „Zwischenfall“ mehr als ein netter Abend unter Gleichgesinnten. Für sie war es ein Ort der völligen Freiheit, in der sie so sein konnten, wie sie wollten und wo jeder jeden wie selbstverständlich akzeptierte. Und so kamen sie immer wieder und hielten Norbert Kurtz, der das Zwischenfall von Anfang bis zu seinem abrupten Ende geführt hat, auch nach dem Brand die Treue und besuchen regelmäßig die Veranstaltung im Bahnhof Langendreer. Allerdings, und darin sind sich alle einig, so einen Laden wie das Zwischenfall wird es nicht wieder geben.

Sandra aus Köln ist zum ersten Mal Mitte der 90er ins „Zwischenfall“ gekommen. Nach einem ersten vorsichtigen Besuch konnte sie jedoch bald nicht mehr genug bekommen und fand, die Öffnungszeiten waren viel zu knapp bemessen: „Ab Mitte der 90er war ich im Zwischenfall. Ich erinnere mich noch genau, als ich das erste mal dort war. Ein Traum! Alle Leute sahen so cool aus mit ihren Iros und Tellern. Hier wollte ich hin, hier wollte ich bleiben. Fast jedes Wochenende war ich dann dort, denn das Zwischenfall blieb einzigartig. Die Leute, die Musik, die Location. Ich war jedes Mal den Tränen nahe, wenn es nach rund 5 Stunden wieder vorbei war.

Zwischenfall Gruppe
Für einen Schriftsteller, der über die schwarze Szene ein Buch schreiben wollte, entstand dieses Foto. Manuela und Seelenschwester Kara sind unten zu sehen.

Auch Manuela aus Witten hat das „Zwischenfall“ Ende der 80er-Jahre für sich entdeckt. Für sie und ihre „Seelenschwester“ Kara, wie sie ihren Freund Björn liebevoll nennt, ein absolutes Wochenhighlight und so stylte man sich gemeinsam bereits am Samstag-Nachmittag, bevor es dann abends losging. „Wir waren immer das gleiche Trüppchen, welches auch im Fall stets zusammen blieb. Mit der S-Bahn fuhren wir von Dortmund, wo wir uns alle trafen, bis nach Bochum-Langendreer und meistens traf man während der Fahrt auch weitere dunkle Freunde, die sich zu einem gesellten. Der erste Gang, nachdem man bei Nobbi den Eintritt bezahlt hatte, war erst mal runter zur Garderobe, um alles loszuwerden, was beim Tanzen störte, anschließend in die Toilette, um sich noch mal aufzufeinen.

Das Zwischenfall war für Manuela ein Platz, um sich auszutauschen, neue Menschen kennenzulernen und natürlich, um zu tanzen. Wenn oben auf der Tanzfläche das Lieblingslied läutete, war auf der Treppe hektisches Gedränge. Über seine persönlichen Gegenstände und Klamotten, die man an der Garderobe oder an der Bar gelassen hatte, machte man sich keinen Kopf. „Im Fall kannte jeder jeden, alles war so familiär. Es war ein Ort, wo ich mich absolut sicher, akzeptiert und wie zu Hause fühlte.“

Zwischenfall

„Wir waren immer bis zum letzten Song da, denn die erste Bahn kam sonntags erst so gegen 6 Uhr morgens. Da wir aber mit all unseren Freunden auch immer zurückfuhren, hatten wir viel Zeit, die Nacht Revue passieren zu lassen und Pläne für das nächste Wochenende zu schmieden.“

Ins gelobte Land kam Kitty aus Dortmund, die als frisch gebackene 18-jährige 1989 zum ersten Mal im Zwischenfall aufschlug. „Ich ging zur Schule, war im Tanzkurs und mein Tanzpartner, selbst nur etwas „schwarz angehaucht“, wollte mir diese besondere Disco zeigen.“ Für die Schülerin, die bis zu diesem Zeitpunkt mit Duran Duran, Depeche Mode, The Cure und der Neuen Deutschen Welle aufgewachsen war, wurde das Zwischenfall eine Offenbarung. „Ich betrat eine unbekannte Welt und war fasziniert und gleichzeitig etwas eingeschüchtert, weil ich so „normal“ aussah. Menschen in langen, wallenden Gewändern, Samt und Spitze, Rüschenhemden, Umhänge, viel Schmuck, toupierte Haare, Türme und Teller. Ich wusste: Da will ich dazu gehören.

Von 1989 bis Ende der 90er-Jahre ist sie fast jeden Samstag in Bochum. Anfangs noch mit der Bahn, später mit dem eigenen Auto. Sie lernte eine Menge Leute kennen, die sie geprägt und inspiriert haben. Aus der Neugier einer 18-Jährigen wuchs neben einer andauernden Szenezugehörigkeit auch Toleranz gegenüber sexuellen Vorlieben, Lebensweisen und Genderzugehörigkeiten. Es gab nichts, was im Zwischenfall nicht nebeneinander und miteinander existieren konnte. Was geblieben ist, sind Erinnerungen:

Es gab die schönsten, interessantesten und unterschiedlichsten Menschen dort. Den divenhaften Marcel, der die tollsten Glitzerfummel und Perücken trug, oder im Piratenoutfit erschien, den schönen Markus mit den langen roten Haaren in Lackhose und Rüschenhemd, den meine Freundin und ich heimlich anhimmelten. Die Waver mit Stoffhosen und Pikes, die drei Schritte vor, drei Schritte zurück tanzten. Die Frau mit den fast bodenlangen Haaren, die immer am Geländer oberhalb der Treppe stand und wohl meine erste Inspiration zum Haare züchten war.

Die zarte Gitti, die den höchsten Turm von allen hatte. Den „Tittenmann“ im glänzenden Spandexanzug mit den großen, künstlichen Brüsten. Den Billy Idol-Imitator, der auf der Tanzfläche zur Musik seines Lieblingssängers eine perfekte Performance ablieferte. Den älteren Ledertypen mit der Schirmmütze, der unten an der Bar saß. Die schöne Sabine mit dem Witwenspitz und den romantischen Samtklamotten, die für mich der Inbegriff einer gruftigen Schönheit war.

Oder auch Jörg aus Holland, der immer auf dem Damenklo auf einem Stuhl saß und gewissen „Geschäften“ nachging. Überhaupt, das berühmte Damenklo! Mann, Frau und Divers gingen dort ein und aus, zogen den Lidstrich nach, richteten die Frisur oder verschwanden zu zweit in einer der Kabinen. Was diese Wände alles zu erzählen hätten!

Das Ende vom Zwischenfall ist das Ende einer Clubkultur

Obwohl es immer wieder Bestrebungen gibt, schwarze Diskotheken zu etablieren, bleibt es häufig bei kurzzeitigen Veranstaltungen oder einem enorm breiten Musikprogramm. Wäre ein Zwischenfall, so wie es damals war, heute überhaupt noch möglich? Klaus Märkert erzählt dazu:

Da müsste sich aber schon ganz schön was verändern. So wie man es beobachten kann, wird die Szene eher kleiner als größer und daher haben es Clubs, die diese Musik spielen, es sowieso immer schwerer den Laden vollzukriegen. Da ist es sehr unwahrscheinlich, einen erfolgreichen Club dieser Art zu etablieren. Das würde nur gehen, wenn man so viel Geld im Rücken hätte, dass man überhaupt nicht darauf angewiesen wäre, von den Einnahmen zu leben. Als eine Art Hobby sozusagen, indem man interessante Konzerte und ein abwechslungsreiches Musikprogramm dieses Genres bringt. Ein langer Atem ist wichtig, dass man es mal verkraften kann, wenn es ein paar Abende eben nicht läuft. Dann mag das noch funktionieren.

Das Ende vom Zwischenfall war auch das Ende einer dunklen Clubkultur, die sich immer weniger lohnt, weil die Szene schrumpft und sich die Gemeinschaft ein Stück weit in virtuelle Welten verlagert. Dazu kommen immer neue Regelungen und Bestimmungen, die einen Neubau zu einem schwarzen Club mit Krankenhaus-Atmosphäre machen und letztendlich auch eine Pandemie, die das Nachtleben sowieso seit 2 Jahren vernichtet hat. Es bleibt abzuwarten, ob auf derart verbrannter Erde wieder ein Gothic-Baum wachsen wird.

So war das Feuer im Zwischenfall vielleicht ein böses Omen für das Ende einer Ära der Clubkultur. Kämpfer vom Art of Dark in Köln hat übrigens auch ein Omen gesehen und sich einen Comic, anlässlich des 10-jährigen „Gedenktages“, aus dem Handgelenk geschüttelt:

Verrat bei The Cure? Bassist Simon Gallup verlässt die Band nach fast 40 Jahren

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Simon Gallup hat am vergangenen Samstag angekündigt, nicht mehr mit „The Cure“ spielen zu wollen. In einem Post auf seiner Facebook-Seite schrieb der Bassist: „Mit etwas schwerem Herzen bin ich nicht mehr länger ein Mitglied von The Cure. Ich wünsche allen noch viel Glück.“ Gallup (61) war nach Michael Dempsey von 1979 bis 1982 und später von 1985 bis 2021 bei The Cure und war neben Robert Smith eine wichtige Konstante in der Besetzung der Band. Für viele ist die Art und Weise, wie er den Bass spielt, „der Pulsschlag“ der Band.

https://www.facebook.com/simon.gallup.9277/posts/392551212300934

Ein offizielles Statement der Band oder von Robert Smith zum Ausstieg des langjährigen Mitglieds gab es bislang noch nicht. Roger O’Donnell, Keyboarder der Band, hat in einem Kommentar geschrieben: „Ein Freund hat mir gerade erzählt, dass sie Lol gesehen haben, wie er im Guitar Centre einen Bass kauft????“ Gemeint ist Laurence „Lol“ Tolhurst, der bis 1989 Schlagzeug in der Band gespielt hat. Der zynische Kommentar kam nicht bei allen Fans gut an.

„Ich habe einfach genug vom Verrat“

Auf eine Frage in den Kommentaren zu Gallups Posting, ob der Musiker gesundheitlich angeschlagen sei, antwortete er: „Mir geht es gut… ich habe einfach genug vom Verrat.“ Was damit gemeint ist, ließ er allerdings offen.

Seinen Twitter-Account, auf dem es bis vor Kurzem noch recht harmonisch zuging, hat er zwischenzeitlich gelöscht.

Für die Band ist das ein herber Schlag, wenn man einem Interview, das der NME 2019 mit Robert Smith führte, glaubt. Denn für den war Gallup eine wichtige Bezugsperson: „Für mich war Simon immer das Herz der Liveband und er war immer mein bester Freund. Es ist seltsam, dass er im Laufe der Jahre und Jahrzehnte oft übersehen wurde.“ Smith führt weiter aus: „Wir hatten im Laufe der Jahre einige schwierige Zeiten, aber wir haben es geschafft, eine sehr starke Freundschaft zu pflegen, die aus dieser gemeinsamen Erfahrung als Teenager entstanden ist. Wenn man solche Freunde hat, besonders für so lange, würde es etwas wirklich Außergewöhnliches brauchen, bis diese Freundschaft zerbricht.“

Möglicherweise ist das jüngste Cure-Album, das bald erscheinen soll, doch eine Spur zu emotional und hat das Freundschaftsverhältnis belastet. Vor ein paar Wochen orakelte Smith, es könnte das letzte Album von „The Cure“ werden. Ob die beiden Ereignisse allerdings in Zusammenhang zu bringen sind, bleibt fraglich.

Spontis-Magazin 2021: Jetzt wird es mit den Inhalten gefüllt! – Update #2

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Liebe Leser, ich wollte Euch kurz auf den neuesten Stand in Sachen Spontis-Magazin bringen, denn die meisten Inhalte habe ich über die letzten Wochen eingesammelt. Jetzt macht sich Orphi daran, die Inhalte zu sichten und redaktionell zu bearbeiten.

Bisher haben sich 150 Leute für ein Magazin angemeldet, viele haben sich auch an der Finanzierung beteiligt. Jetzt beginnen wir damit, die 48 leeren Seiten des Magazins mit Inhalt zu füllen. Die Resonanz auf die geplante Themenreihe und die Gastbeiträge, die in dem Spontis-Magazin ihren Platz finden soll, war großartig. Mit dabei sind Bruno Kramm (Das Ich), Thomas Thyssen (DJ, Musikjournalist), Klaus Märkert (Autor), Batcave Design, Grevina Patrizia, Nina vom Minicave-Festival, Suzie und Matthias vom Owls ‚N‘ Bats Festival und Hagen Hoffmann (Musiker und Button-Gott). Und natürlich gibt es auch wieder ein Gruft-Orakel in der Spezial-Ausgabe von Alana Abendroth.

Spontis Family Button 2021Dank der tollen Unterstützung in Höhe von aktuell 2098,13€ sind die Produktions- und Versandkosten des Magazins vollständig gedeckt, die Buttons sind bereits gefertigt worden und auch die beliebten Stoffbeutel sind wieder dabei. Die geplante Auflage für das Magazin beträgt 250 Stück, was sich natürlich aber noch nach oben korrigieren kann, wenn mehr Leute noch Interesse an einem Magazin zeigen.

Hagen hat wieder seiner Kreativität freien Lauf gelassen und den diesjährigen Button entworfen. Symbolisch ist er jedenfalls mehrschichtig, soll ja die Fledermaus der Träger des Coronavirus sein, das uns in seiner mutierten Variante seit 2 Jahren terrorisiert. Gleichzeitig ist das Tier allerdings auch so eine Art Maskottchen der schwarzen Szene und ganz nebenbei auch noch sehr interessante und spannende Tiere, wie die beiden Doktoren vom Schemenkabinett in vielen Beiträgen zusammengetragen haben.

Für das Fertigstellen des Magazins sind jetzt 4 Wochen eingeplant, dann soll das Ergebnis in den Druck gehen, sodass es – wie versprochen – noch im September in die Post gehen kann. Ich freue mich sehr und bin auf das Endergebnis sehr gespannt.

Familienfeindlichkeit in der „Schwarzen Musikszene“ grenzt Zugewanderte aus

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Hallo Mitglieder, bevor ich dieses Stück Blog-Geschichte in den Papierkorb verfrachte, stelle ich es lieber hier rein. Ein ziemlich „verrückter“ Vorwurf, der so absurd war, dass ich mich entschlossen habe, diesem Blödsinn keine öffentliche Plattform zu bieten. Ich habe erst gedacht, man will mich verkohlen, aber offensichtlich war es dem Herrn ernst damit. Viel Spaß beim schmökern ;)

Familienfeindlichkeit in der ‚Schwarzen Musikszene‘ grenzt Zugewanderte aus : goth (reddit.com)

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Sehr geehrter Herr Forst,

Danke für Ihre Antwort auf die Pressemitteilung „Familienfeindlichkeit in der ‚Schwarzen Musikszene‘ grenzt Zugewanderte aus“, die keinen Satirecharakter hat, sondern als gesellschaftspolitische Stellungnahme gemeint ist. In Zeiten von Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten à la Baerbock und Laschet erscheint eine Trennung von Realität und Satire ohnehin kaum noch sinnvoll.

Ihre vielen sehr lesenswerten Artikel auf Spontis zeigen deutlich, dass auch Sie das gesellschaftliche Umfeld der Schwarzen Szene reflektieren, weshalb ich Ihnen Ihre Ratlosigkeit bezüglich der Pressemitteilung nicht abnehme – nichts für ungut! Sollte Ihnen die Thematik rund um Demografie und Migration zu ‚heikel‘ sein, kann ich dies allerdings gut verstehen. Selbst größere Medienhäuser tun sich damit schwer, wie ich in den letzten Tagen erfahren musste.

Noch kurz zu meiner Person: Ich habe Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre ‚Abortive Gasp‘ gemanagt und halte die Entwicklungen ihrer Musiker-Biografien sowie verschiedene Statements der Bandmitglieder für ebenso symptomatisch wie auch potentiell interessant für die heutige Schwarze Szene. Eindrücke wie diese haben mich zur Gründung der Initiative ‚Subkultur & Integration‘ bewogen.

Für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung. Fühlen Sie sich frei, die Pressemitteilung ganz oder in Teilen für ‚Spontis‘ zu übernehmen und Ihren Besuchern als Diskussionsgrundlage anzubieten.

DG, Ludo Kamberlein

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PRESSEMITTEILUNG

Familienfeindlichkeit in der ‚Schwarzen Musikszene‘ grenzt Zugewanderte aus

(Berlin, 20. April 2021:)

Der sich ganz überwiegend als unbegründet herausgestellt habende Nazi-Verdacht gegen Darkwaver und Goths verhallt langsam, da steht seit jüngster Zeit ein neuer ernster Vorwurf im Raum: Die häufig zur Schau gestellte Familien- und Kinderfeindlichkeit der Schwarzen Subkultur, die nach wie vor besonders in der Bundesrepublik viele Anhänger hat, grenzt Zugewanderte und Geflüchtete aus.

Es liegt nahe, dass sich ein musikalisch und ästhetisch der Todessehnsucht und dem Einzelgängertum verschrieben habendes Milieu mit der Präsenz von Kindern, die gemeinhin für Lebensbejahung und enge soziale Bindungen stehen, seine Probleme hat.

Ich kann das nicht nachvollziehen. Meiner Erfahrung nach gibt es mit der Präsenz von Kindern innerhalb der schwarzen Szene keine Probleme. Im Gegenteil. Das Wave-Gotik-Treffen beispielsweise, das zu einem der größten Treffen der schwarzen Szene weltweit gehört, bietet Betreuungsdienste für Kinder an und bei vielen Tagesaktivitäten nehmen Gothics ihre Kinder einfach mit. Sicher, nach Einbruch der Dunkelheit und in den dunklen Tanztempel der Szene, in denen die Szene sich und ihre Musik zelebrieren, sind Kinder selten zu sehen. Das könnte natürlich auch an der fortgeschrittenen Uhrzeit liegen, zu denen Kinder üblicherweise im Bett liegen. Aber das ist nur ein vage Vermutung.

Übrigens bedeutet musikalische und ästhetische Todessehnsucht, wenn es die überhaupt gibt, nicht, das wir alle nach dem Tod streben. Im Gegenteil. Die meisten Gothics sind sehr Lebensbejahend und sind durchaus in der Lage, enge soziale Bindungen einzugehen.

Die Thematisierung von Kinderlosigkeit geht häufig Hand in Hand mit Feminismuskritik oder gar Homophobie. Deshalb sollte sie nur erfolgen, wenn handfeste empirische Anhaltspunkte oder besser noch statistisches Material vorliegen, was gegenwärtig nicht der Fall ist.

Ich verstehe kein Wort. Sind wir jetzt auch Anti-Feministen und homophob? Oder sind nur die kinderlosen Gothics so? Abgesehen von der merkwürdigen Formulierung möchte ich vorweggreifen: Gothics sind keine Feminismuskritiker und auch nicht homophob. Im Gegenteil.

Dennoch zieht das Thema brisante Fragen nach sich, wie etwa die mangelnde Integrationsbereitschaft der Schwarzen Musikszene für muslimische Migrantinnen und Migranten, für die traditionelle Familienwerte eine größere Rolle spielen als für Autochthone.

Wie man jetzt auf mangelnde Integrationsbereitschaft kommt, erschließt sich mir nicht. Weil muslimische Migrantinnen und Migranten angeblich traditionellere Familienwerte schätzen, lassen wir sie nicht in unsere Szene? Und überhaupt, was sind überhaupt die traditionelleren Familienwerte der Muslime? Ich denke, diese „Werte“ von denen der Autor spricht, finden sich in vielen Gesellschaften, Kulturen oder religiösen Gemeinschaften – wenn wir schon die Muslime heranziehen müssen. Der Szene sind die Familienwerte oder religiösen Zugehörigkeiten völlig egal.

Kanzeln sich Darkwaver und Goths mit ihrer impliziten Ablehnung von Kindern und Familie unbewusst oder bewusst gegen islamische Lebenswelten ab, die seit einiger Zeit in Verbindung mit einer mitfühlenderen Flüchtlingspolitik in der Bundesrepublik an Bedeutung gewinnen ? Dies wäre ein Indiz für mangelnde Integrationsfähigkeit und ein ernstzunehmendes Problem, das der Diskussion bedarf.

Einen von vielen empirischen Belegen für die unterstellte Kinderfeindlichkeit der Schwarzen Subkultur bietet die Hamburger Band Abortive Gasp – angefangen bei ihrer drastischen Namensgebung: Der antinatalistisch anmutende Bandname ist eine deutliche Provokation für Angehörige traditionell kinderreicher Kulturkreise, auch wenn eine dezidierte Festlegung der Band auf ‚pro oder contra Abtreibung ‚ bislang ausblieb.

Musikalisch im Bereich des ‚Electro Industrial Rock‘ angesiedelt ließen die Mitglieder um Tim Paal und Harry Luehr seit Gründung in den Achtziger Jahren keine Zweifel an der Ablehnung familiärer Werte erkennen, was sich in Songtiteln wie ‚Sororicide‘ (Schwestermord), ‚Church Is Empty‘ und entsprechend offensiven Texten manifestierte. Die mittlerweile über fünfzig Lebensjahre zählenden Mitglieder von Abortive Gasp verwirklichen auch im Privatleben bis heute einen Hedonismus, der mit dem Zeugen und Großziehen von Kindern unvereinbar ist. Hierbei wird auf Karriere, Haustiere oder Promiskuität als Kindersubstitut gesetzt, womit man sich nahtlos in die typischerweise nachwuchsarme Alltagswelt der Darkwave-Subkultur einpasst.

Noch vor nicht langer Zeit waren die meisten westlichen Gesellschaften offen für künstlerische Tabubrüche – also auch in der Musik und dort besonders in der Sparte ‚Industrial Rock‘. Provokateuren wie Marilyn Manson (‚Antichrist Superstar‘) oder Skinny Puppy (‚Inquisition‘) wurde häufig sogar eine subversiv-progressive Wirkung zugeschrieben.

Heute ist die Öffentlichkeit dank des ‚MeToo‘-Engagements, der ‚Woke‘-Bewegung und der ‚Cancel Culture‘ aufgeklärter und duldet vor religiösen Gefühlen keinen Halt machende kreative Entgleisungen nur noch bei makellosem politischen Leumund. Dies wurde jüngst deutlich als dem Industrial-Rocker Brian Hugh Warner alias ‚Marilyn Manson ‚ von seiner Plattenfirma nach publik gewordenen Belästigungsvorwürfen die Zusammenarbeit gekündigt wurde und manche Beobachter diese Entscheidung auch in Verbindung mit früheren religionskritischen Ausfällen des Sängers brachten, die die rasch wachsende Hispano-Gemeinde in den USA in ihren Gefühlen verletzt haben könnte.

Die Schwarze Musikszene in Deutschland sollte sich die Vorgänge in den Vereinigten Staaten vor Augen halten und mehr Konzepte zur Integration muslimischer Bands und Fans anbieten, um Migranten und Geflüchtete in ihrer Subkultur nicht zu marginalisieren. Die Veröffentlichung und Vermarktung religions-, familien- und kinderfeindlicher Inhalte ist hierbei nicht zielführend. Sie nährt eher noch den Verdacht, Vielfalt nur als Lippenbekenntnis zu sehen und mit unnötigen Provokationen Menschen des islamischen Kulturkreises aus der eigenen Sphäre fernzuhalten.

Es muss nicht der über dem Tanztempel aufgehängte Schweinekopf sein – auch unsensible Musik von Bands, die Abtreibungsphantasien verbreiten, kann nichtwillkommenen Menschen den Zugang zur Schwarzen Subkultur unmöglich machen.

Musiker, Bands, Magazine, Clubs und Festivals der Goth- und Darkwave-Szene sind aufgerufen, sich darüber bewusst zu werden, für welche politische Haltung sie stehen und wie sie Diversität glaubhaft leben wollen. Wenn schon nicht in Farbe, dann zumindest in schwarz und vielen verschiedenen Grautönen.

Die INITIATIVE ‚SUBKULTUR & INTEGRATION‘ entstand im Umfeld der ‚Musik ohne Zwang‘-Bewegung des alternativen Berliner Kunsthauses Tacheles und bringt sich mit Aktionen und Anregungen in die Bundeskulturpolitik ein. Sie hat als Ziel die Erhaltung musikkultureller Vielfalt und möchte insbesondere subkulturell beheimatete Veranstalter, Labels und Künstler für einen offenen Ideenaustausch gewinnen. Hierbei richtet sie besonderes Augenmerk auf die Gefahr des Missbrauchs der Kunstfreiheit, um Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus und religiöse Intoleranz zu verbreiten.

 

Formel Goth: Eine unmögliche Brücke zwischen Billy Idol und Italo-Disco

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Nicht jeder kann sich mit meinem Musikgeschmack anfreunden. Bei jedem Nischenliebhaber, der sein Seelenheil in einer noch so obskuren Musikrichtung findet, ecke ich an. Dem Grufti bin ich elektronisch, dem EBMler zu melodiös, dem Metaller zu poppig, dem Mittelalter-Fan zu rockig und meinem Ehegrufti zu 80er. Dabei kennen die meisten noch nicht mal mein Interesse an Witch-House, Tekk, Ambient oder Jungle! Bei Menschen, bei denen ich dank sommerlicher Temperaturen mit heruntergelassener Auto-Scheibe vorbeifahre, ernte ich verstörte Blicke. Auch die Kopfhörer, die ich auf dem Fahrrad trage, während ich über Feldwege zur Arbeit düse, verstecken meine Leidenschaft nicht, weil ich häufig aus Versehen mitsinge. Natürlich häufig falsch, womit ich dann wieder bei den Nischenliebhabern anecke und vor allem laut, womit ich wieder verstörte Blicke ernte. Du hast es echt schwer als Musikkonsument!

Nuovo Testamento – The Searcher

Das neue Testament, wie sich die Band aus Bologna in Italien nennt, könnte man jetzt ungestraft in den Elektro-Pop Himmel einordnen, ohne dass sie sich allzu effektiv gegen diesen Vereinnahmung werden könnten. Für mich klingen Andrea Mantione, Giacomo Zatti und Chelsey Crowley aber schwer nach Italo-Disco. Ihr wisst schon, Baltimora, Righeira, Gazebo und Raf an der Mittelmeer-Küste. Ich erinnere ich an den kaputten Autoscooter, den ich an der italienische Adria in einer lauen Sommernacht 1985 bestieg und erst 4 Stunden später verließ. War kaputt das Ding und ging einfach nicht mehr aus. Da dudelte genau dieser Sound aus den Lautsprechern. Danach gab es noch in Gummi-Bade-Sandalen Makkaroni mit Tomatensoße und der Urlaub war perfekt.

Das Das – Stromlinienstadt

Ihr habt die 80er-Jahre verpasst und ärgert euch maßlos? Kein Problem. „Das Das“ springt mit ihrem Album „Leben in Bildschirmen“ in die Bresche und gibt euch die Möglichkeit mit frischer Musik tief in das minimalistische Sound-Gefühl dieser Zeit abzutauchen. Gesanglich liegt Cosey Mueller irgendwo zwischen Bettina Köster und Gudrun Gut (beide von Malaria!), während Jo Schwund die immer schrägen Synthiesounds zu den stets metronomisch hämmernden Beats beisteuert. Und ja, ein Video gibts zu Stromlinienstadt nicht. Dass es dann trotzdem hier in der Formel Goth landet, ist der Tatsache geschuldet, dass ich Das Das gerade sehr mag. Auch ziemlich Ideal (ja, eine Anspielung) klingt „Wartezimmer“, denn hier mischt sich schraddelnder Gitarren-Sound in die Synthie-Teppiche. Im Youtube-Kanal der Band gibt es noch mehr Stoff. Herrlich.

Sacred Hearts – Glamour Girls

Heute wird bei Spontis auch aktive Nachwuchsförderung betrieben. Die blutjunge Band „Sacred Hearts“ aus Brisbane (Australien), fühlen sich von Großmeisterin Siouxsie, The Cocteau Twins und The Cure beeinflusst. June (Gesang), Josie (Gitarre) und Isabella (Bass) klingen gar nicht mal so schlecht und machen im heimischen Wohnzimmer gar keine schlechte Figur, wenn sie sich so eingrooven. Den Track könnt ihr euch bei Bandcamp besorgen, da klingt er auch bisschen weniger nach Wohnung. Aber so ist eben viel spannender und authentischer. Wie sie einfach vor dem Weinregal loslegen :)

https://youtu.be/059uKkJFOIU

Акт самоубийства – Скубут

Da habt ihr den Salat! Buchstabensalat wie diesen verwendet man hauptsächlich in Russland, aus dem auch die folgende Band stammt, die man wohl mit „Taucher“ übersetzten könnte, während das Stück auf den Namen „Selbstmordakt“ hört. Gothic auf Russisch klingt fast so ein wenig wie „She Past Away“, während Lebanon Hanover musikalisch Pate gestanden haben. Dafür gibt es noch ein Video vom Friedhof für eine fast perfekte Doomer-Stimmung. Alles nicht sonderlich einfallsreich, aber stimmungsvoll.

Billy Idol – Bitter Taste

Junge, Junge! Wenn ich mal mit 66, nach einem Leben, das gefühlt für zwei gereicht hätte, noch so aussehe, habe ich gewonnen. Zieht euch mal die Figur bei diesem Auftritt rein! Aber hier soll es nicht um Äußerlichkeiten gehen und eigentlich ist er ja auch kein Grufti, sondern Rocker und ein bisschen Punk. Nichtsdestotrotz hat sich Billy auch in der Formel Goth einen Ehrenplatz ergattert. Der Track „Bitter Taste“, den er mitten in der Pandemie fertiggestellt hat, erzählt von seinem Motorradunfall, bei dem der Sänger 1990 fast sein Leben ließ. Gegenüber dem Rolling Stone sagt er: „I think everyone has been feeling more reflective (during the pandemic). So, it seemed quite logical and natural to write something about my motorcycle accident,” Idol said in a statement.“ Ein Idol war Billy für mich allerdings nie, eher ein Stück Vergangenheit, das ohne Peinlichkeit in der Neuzeit angekommen ist. Irgendwie. Großartig.