Gedankengut in der Mittelalterszene

Irgendjemand hat mir vor ein paar Tagen die letzte Ausgabe des Karfunkels mitgebracht, einer einschlägigen Mittelalterzeitschrift, die sehr geschichtlich orientiert ist und schon immer mit gut recherchierten Artikel bei mir punkten konnte. Wie es das Schicksal einer Zeitung in meinen Händen so ist, landete auch der Karfunkel auf der Toilette wo er nun immer wieder für Geschäftsabschlüsse eingesetzt wird. So entging mir auch der Leserbrief von Ottmar S. aus Sindelfingen. Darin schreibt es sinngemäß, dass das Mittelalter als solches von einem christlichen Glauben getragenes und geistliches Leben war und die Mittelalterbands ein vorchristliches und unpassendes Liedgut darbieten.

Lieber Ottmar, auch wenn deine Ansicht sicherlich nicht abwegig ist, so stellt sie sich für mich sehr verzerrt dar. Christliche Musik aus dem Mittelalter gibt es selbstverständlich in größerem Umfang als die von Dir genannte unchristliche Musik. Aber warum? Waren es nicht die Geistlichen und Gelehrten die der Schrift mächtig waren und dies als Privileg für sich vereinnahmten? So sind es eben sehr viel mehr geistliche und religiöse Lieder, die den Weg auf Papier gefunden haben und uns als solche überliefert sind. Der einfache Bürger hatte doch gar keine Möglichkeit das Schreiben zu erlernen und selbstverständlich auch keine Zeit, denn er war damit beschäftigt um das tägliche dasein zu kämpfen. So kam es wie es gekommen ist, die Bücher sind voll von christlicher Musik des Mittelalters.

Dies stellt aber meiner Ansicht nach nicht das wirkliche Leben des Mittelalters dar, denn das fand ganz woanders statt. Die Menschen liebten und lieben immer noch die leichte bis deftige Musik, die wohl damals in Tavernen und auf Marktplätzen dargeboten wurde, weil es einfach eine Musik war, die fröhlich war und machte. Und zu Lachen hatten die Menschen im Mittelalter nun wirklich nichts.  Auch der christliche Glaube zu dieser Zeit hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, Du sollst nicht töten war wohl eher als Leitfaden zu sehen, nicht als Regel.

Sicher, die Mittelaltermärkte zeigen einen idealisiertes Bild des Mittelalters, aber was ist so schlimm daran sich die Rosinen herauszupicken? Mir sind tausende Mittelalterclubs und Rollenspieler, mittelalterlichen Handwerker und Gaukler und historische Vereine lieber als so mancher Kegelclub oder Schützenverein. Für einige ist es auch Einstiegsdroge mehr darüber zu erfahren, wie es wirklich einmal gewesen ist. Denn dabei gewesen ist keiner von uns, auch du nicht lieber Ottmar, wir sollten uns deshalb nicht anmaßen darüber zu sinnieren, wobei es sich wirklich um mittelalterliches Gedankengut handelt.

So versuche ich in jeglicher Beziehung ganz aus dem Geist des Mittelalters zu leben. Von Äußerlichkeiten abgesehen, konnte ich leider bisher wenig mittelalterliches Gedankengut in der heutigen Szene entdecken. Der mittelalterliche Mensch lebte weitestgehend aus der Hoffnung auf das ewige Leben und den jüngsten Tag. Dies ist eine Sicht der Dinge, mit der es sich gerade in der heutigen schlimmen Zeit hoffnungsvoll leben lässt. (Ottmar S. in Karfunkel 81)

Abschließend lieber Ottmar möchte ich Dir wünschen, das du den Geist des Mittelalters vollständig aufsaugen und leben kannst. So absurd die Mittelaltermusik von heute auf dich wirkt, so absurd ist dein idealisiert geistliches Bild des Mittelalter für mich, denn das hat mit dem Mittelalter ebenso wenig zu tun.

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Vizioon
Vizioon (@guest_2437)
Vor 14 Jahre

Ich bin zur Zeit zu müde um detailliert darauf einzugehen, aber ich denke, daß der Mensch im Mittelalter in erster Linie in Angst gelebt hat. Sei es um seine Existenz oder um sein „Seelenheil“.

Konna
Konna (@guest_2445)
Vor 14 Jahre

Guter Artikel, Robert. Vor allem den Punkt mit der Kirche möchte ich mit einem (sinngemäßen) Zitat meines Mittelalter-Dozenten unterstützen:

Weil wir aus dem Mittelalter fast ausschließlich Zeugnisse durch die Kirche haben, die sich natürlich hauptsächlich auch mit Dingen beschäftigte, die die Kirche betrafen, haben wir vom Mittelalter ein kirchlicheres Bild, als es womöglich tatsächlich gewesen ist.

Ist ja eigentlich ganz logisch. Aber wir müssen eben davon ausgehen, dass es auch vieles abseits von dem gab, was überliefert worden ist.

Das waren jetzt meine 2 Historiker-Cents dazu. ;)

stoffel
stoffel (@guest_2491)
Vor 14 Jahre

Sehr gut geschrieben Robert :)

Ich bin mir sicher das Ottmar sowie viele andere Menschen die Märkte nicht besuchen würden wenn dort Zustände wie „damals“ herrschen würden … keine Kanalisation, Unmengen an Müll & Ratten, Hygiene gleich Null, etc. Und wie Du schon geschrieben hast, was ist Schlimm daran sich die Rosinen herauszupicken? Nüscht.

Vizioon
Vizioon (@guest_2536)
Vor 14 Jahre

@Robert: Vielleicht doch, denn es diente dem Seelenheil. Ich denke, daß die damalige Situation aus heutiger Sicht kaum nachzuvollziehen ist. Tatsächlich war es wahrscheinlich viel schlimmer, als man es sich heutzutage vorstellen kann. Gleiches denke ich auch in Richtung „Rosinen herauspicken“. Das erinnert mich an „Autobahn bauen“ im Dritten Reich. Das kann an sich gut sein, aber im Zusammenhang?

Vizioon
Vizioon (@guest_2645)
Vor 14 Jahre

Ich gebe zu, der Vergleich hinkt. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß das Mittelalter nicht nur fröhliche Mittelalter-Märkte (wie heutzutage) waren. Ich habe auch gar nichts dagegen, sich die Rosinen herauszupicken, allein weil ich das Mittelalter so auch schöner finden würde, aber es entsteht ab und an der Eindruck, alles im Mittelalter wäre eitel Sonnenschein, und ich persönlich ziehe heute (mit dem Vorteil sehr angenehmer Mittelaltermärkte) vor.

von Karnstein
von Karnstein(@karnstein)
Vor 14 Jahre

Hier muss ich dir leider partiell widersprechen ^^
Zwar war es natürlich der Klerus, der vor allen anderen lesen und schreiben konnte. Aber nicht selten hat der Adel seine Sprösslinge ins Kloster geschickt, wo sie diese Fähigkeiten sowie auch verschiedene andere Künste und Wissenschaften erlernten – in der Regel wurde ihnen dann lediglich die Priesterweihe nicht abgenommen und sie kehrten wieder zurück in ihr weltliches Leben.

Des weiteren war es im hohen und vor allem späten Mittelalter insbesondere das Bürgertum (also die städtische Oberschicht) die über eine entsprechende Bildung verfügte, da sich in der Stadt als modernem Gebilde viele Domschulen, Kathedralschulen und später auch private Schulen und Universitäten bildeten, wo auch z.B. der Sohn eines Kaufmanns Latein und Lesen lernen konnte.

Auf der anderen Seite halte ich es für annähernd unwiderlegbar, dass einige geistliche Schreiber in Klosterscriptorien zwar schreiben konnten, aber nicht lesen. Sie malten die Buchstaben als geometrische Gebilde von den Vorlagen ab, und bauten so teils Schreibfehler ein, die nie entstanden wären, wenn sie verstanden hätten, was sie schreiben (z.B. „n“ statt „ri“.

Und so konnten wohl viele der weltlichen „Minnesänger“ (die wohl allesamt aus Adel und Bürgertum stammten) selbst ihre Werke niederschreiben. Und so nimmt es dann auch nicht Wunder, dass gerade auch dieser Bereich (also Minnelieder, Sangsprüche und auch deutschsprachige geistliche Lieder [der Klerus schrieb Latein]) ausgesprochen gut belegt ist.
Allein schon die Lieder des bekannten Walthers von der Vogelweide sind in 37 verschiedenen Handschriften und Fragmenten überliefert, wenn ich das gerade richtig zähle.

EDIT: Achja, und Hexenverbrennung gab’s im Mittelalter nicht – das gab’s erst in der frühen Neuzeit. Bis zur Renaissance hat man lediglich Ketzer verbrannt ;)

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