Tief im Wald – Ein Waldromantiker und seine gruftige Tour durch den Naturpark Augsburg

Wenige Kilometer westlich von Augsburg liegt eine faszinierende Naturlandschaft. Diese Landschaft genießt sogar einen gewissen Schutzstatus, denn im Jahr 1988 wurde sie zum Naturpark erklärt. “Naturpark Augsburg – Westliche Wälder“ lautet der offizielle Name dieser Gegend. Und wie der Name es schon andeutet: Waldreichtum ist das besondere Kennzeichen des Parks. Tatsächlich gibt es nur wenig, was die Dominanz des Waldes einschränkt: ein paar kleine Siedlungen, wenige Straßen, einige Wiesen, Bäche und Seen.

Der Park ist ein wahres Eldorado für Waldromantiker. Einsame, unter hohen Bäumen gelegene magische Orte hat der Park viele zu bieten. Manche dieser Orte sind auch deshalb so zauberhaft, weil sie eine interessante kulturgeschichtliche Bedeutung besitzen. Faszinierende Geschichten, Mythen und Geheimnisse sind mit den mächtigen Wäldern westlich von Augsburg verwoben. Auch einige kunsthistorische Bauwerke liegen tief im Wald verborgen. Etwa einsam gelegene Kapellen, die bei näherer Betrachtung eine interessante Geschichte offenbaren.

Doch bei aller Romantik ist auch klar: Die Westlichen Wälder werden wirtschaftlich genutzt, diese Wälder sind keine Urwälder. Letztlich sind die Westlichen Wälder Plantagen. Und trotzdem: Ein Ausflug in den Naturpark Augsburg ist ein wundervolles Erlebnis.

Zu den schönsten Orten des Parks kann man nicht mit dem Auto fahren, sie sind nur mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu erreichen. Es gibt jedoch nur wenige Wege, die speziell für Fußgänger geeignet sind. Pfade sind rar gesät. Wer den Park erkunden möchte, tut dies am besten mit dem Drahtesel. Die gekiesten Forststraßen sind gut zum Radeln geeignet – auch weil sie für Kraftfahrzeuge gesperrt sind. Kopflose Autofahrer sind nicht zu erwarten. Auch von kopflosen Reitern geht keine Gefahr aus, denn diese Westlichen Wälder liegen nicht bei Sleepy Hollow.

Zwei Welten treffen aufeinander

Wenige Kilometer südwestlich von Augsburg liegt die kleine Siedlung Wellenburg. Sie ist ein idealer Ausgangspunkt, um bei einer Radtour den schönsten Teil des Park kennenzulernen. Ich bin immer froh, wenn ich Wellenburg hinter mir gelassen habe, denn dort herrscht zumeist ein ziemlicher Trubel. Kein Wunder: Hier gibt es ein Ausflugslokal, eine Minigolfanlage und einen großen Parkplatz. Das alles zieht die Massen an. Es herrscht Reizüberflutung. Die vielen Lärmquellen werden im Kopf zu einem großen Brei zusammengerührt. Nichts lässt sich genau und strukturiert wahrnehmen. Zum Glück beginnt direkt hinter der Siedlung der Park – und damit der Wald mit all seiner Stille, seinem Zauber und seinen Geheimnissen.

Bei Wellenburg treffen zwei Welten aufeinander. Und das Hinübergleiten in die Welt des Waldes fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Das Eintauchen in das tiefe Grün gleicht einem Erweckungserlebnis. Tatsächlich “erwacht“ hier das Bewusstsein, denn plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich meine Umgebung klar und differenziert wahrnehmen kann: Über mir sorgt der Wind dafür, dass die Blätter in den Baumkronen rauschen. Unter mir, am Ufer eines im Dickicht verborgenen Waldsees, quaken die Frösche. Und quer durch das Geäst der Bäume hallt der sonore Ruf des Kleibers. Alles ist wunderschön angeordnet. Kein Zweifel: Im Wald schärfen sich die Sinne, man lebt intensiver und bewusster.

Gedanken des Waldromantikers Henry David Thoreau

Henry David Thoreau
Henry David Thoreau ist literarische Vater der Waldromantik | B. D. Maxham creator QS:P170,Q34874385, Henry David Thoreau, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Im Idealfall steigert die sinnesschärfende Atmosphäre des Waldes die Erkenntnisfähigkeit. Manche Naturromantiker hoffen sogar darauf, dass das Walderlebnis die wahre Bedeutung des Lebens offenbart. Henry David Thoreau (1817-1862) beschreibt diese Sehnsucht in seinem Buch “Walden. Ein Leben mit der Natur“ (dtv Verlagsgesellschaft, München 1999, Erstausgabe: 1854) mit sehr eindrucksvollen Worten: “Ich bin in den Wald gezogen, weil mir daran lag, bewusst zu leben, es nur mit den wesentlichen Tatsachen des Daseins zu tun zu haben. Ich wollte sehen, ob ich nicht lernen könne, was es zu lernen gibt, um nicht, wenn es ans Sterben ging, die Entdeckung machen zu müssen, nicht gelebt zu haben. Ich wollte kein Leben führen, das eigentlich kein Leben ist, dazu war es mir zu kostbar. Ich wollte intensiv leben, dem Leben alles Mark aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles die Flucht ergreifen würde, was nicht Leben war; wollte mit großem Schwung knapp am Boden mähen, um das Leben in die Ecke zu treiben und es auf die einfachste Formel zurückzubringen.“ (Vermutlich kennen viele Spontis-Leser dieses Zitat. Vielleicht auch deswegen: Im Film „Der Club der toten Dichter“ werden zumindest Teile des Zitats vorgetragen.)

Nachdem ich in den Wald eingetaucht bin, ist mein erstes Ziel die sogenannte Hirschbuche. Der Weg dorthin führt mich durch eine abwechslungsreiche und abgeschiedene Waldlandschaft. Mal geht es eben dahin, mal etwas bergauf oder bergab. Wirklich anstrengend ist das Radeln nicht, extreme Anstiege gibt es keine. Es dauert etwa 25 Minuten, bis ich die Hirschbuche erreicht habe. Tiefer Wald umgibt mich. Es lohnt sich, eine Pause zu machen. Das Klangbild präsentiert sich hier zumeist so, wie es im Wald sein sollte: kein Zivilisationslärm, dafür einige schöne Naturgeräusche und immer wieder – Stille! Man kann Abschalten, seine Gedanken fließen lassen – Kontemplation betreiben.

An der Hirschbuche

Früher muss die Hirschbuche ein sehr großer Baum gewesen sein – heute ist sie eine Ruine. Auch die Ruine ist eindrucksvoll: Ein dicker, mehrere Meter langer Stamm ragt senkrecht aus dem Erdreich empor. Das Relikt des einst mächtigen Baumes wirkt auf mich wie der Rumpf eines riesigen Urzeitfisches. Vermutlich hat sich das Urtier durch die Erde gewühlt, um im Wald nach Luft zu schnappen. Doch trotz der gesunden Waldluft ist das Ungetüm irgendwie zu Tode gekommen. Obgleich das Ungetüm in meiner Phantasie tot erscheint – die Hirschbuche ist nicht wirklich tot, ihr verwitterter Leichnam steckt voller Leben: Moose, Farne und Pilze wachsen auf ihm in großer Zahl.

Waldromantik - Naturpark Augsburg
Die Hirschbuche im Naturpark Augsburg – Das Relikt des einst mächtigen Baumes wirkt wie der Rumpf eines riesigen Urzeitfisches
(c) Stefan Kubon

Wenige Meter von der Hirschbuche entfernt, steht eine relativ junge Buche. Es handelt sich vermutlich um einen Nachfahren der Hirschbuche. Am Stamm des “Kindes“ ist eine kleine Holztafel angebracht. Ein Text und eine Abbildung erinnern an das folgende Ereignis: Angeblich wurde hier im Jahr 1848 das letzte Mal in dieser Gegend ein Hirsch erschossen. Die Hirschbuche trägt ihren Namen also deshalb, weil sie hier schon stand, als direkt neben ihr der besagte Hirsch getötet wurde. Vermutlich war früher die Erinnerungstafel an der Hirschbuche befestigt, aber seit der Baum eine Ruine geworden ist, ist dies wohl nicht mehr möglich.

Naturpark Augsburg - Stefan Kubon
Ein einer jüngeren Buche ist eine Gedenktafel angebracht: „Hier wurde im Jahre 1848 der letzte Hirsch auf einer Jagd geschossen“
(c) Stefan Kubon

Besonders wenn man in den Westlichen Wäldern unterwegs ist, lohnt es sich, an die historische, kulturelle und politische Bedeutung der Jagd zu erinnern: Bekanntlich war es in Deutschland lange Zeit fast ausschließlich dem Adel vorbehalten, das Jagdrecht auszuüben. Im Mittelalter und der Neuzeit sorgte dieses Privileg regelmäßig für soziale Konflikte. Denn auch die nicht-adelige Bevölkerung hatte ein Interesse daran, auf die Jagd zu gehen. Wer kein Adeliger war und dennoch dem Wild nachstellte, beging eine räuberische Straftat: die sogenannte Wilderei. Beim Blick in Johann Theodor Jablonskis “Allgemeines Lexikon der Künste und Wissenschaften“ (Fritsch Verlag, Leipzig 1721) zeigt sich, dass die Wilderei in der Frühen Neuzeit als eine relativ schwere Straftat eingestuft wurde.

„Wilderer, Wild-dieb: einer der wider das Landes fürstliche verbot mit schiessen oder andern vortheilen das wild abfängt und dem gehäge schadenthut Solche werden als diebe und verächter der hohen obrigkeit mit schweren strafen angesehen“

Die nicht-adelige Bevölkerung feierte Wilderer oftmals als Helden – die Sozialromantik blühte: Wilderer galten als Rebellen, die für die Rechte der Benachteiligten stritten. In dieser romantischen Sichtweise ist sicher auch etwas Wahres enthalten. Dennoch sind die Motive der Wilderer komplex gewesen. Die Frage, warum sie auf die Jagd gingen (Hunger, Hass auf den Adel, Freude an der Jagd, Kampf für Gleichheitsrechte usw.), kann nicht allgemeingültig beantworten werden. Umso wichtiger ist es, konkrete Einzelfälle zu beleuchten, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Der Wilderer Matthäus Klostermayr

Die Lebensgeschichte des Wilderers Matthäus Klostermayr (1736-1771) ist eng mit den Westlichen Wäldern verbunden. Denn vor allem hier hatte Klostermayr, der auch “Bayerischer Hiasl“ genannt wurde, sein Jagdrevier – und seinen Zufluchtsort. Beliebt war Klostermayr besonders bei der ärmeren Bevölkerung. Von ihr wurde er als eine Art “bayerischer Robin Hood“ verehrt, also als jemand, der den Reichen etwas wegnimmt und es den Armen gibt.

Matthias Klostermayr
„Matthias Klostermayr war schon zu Lebzeiten berühmt und berüchtigt. Für viele Zeitgenossen aus ärmeren Schichten war er ein Volksheld, obwohl zahlreiche Gewaltverbrechen an Unschuldigen auf sein Konto gingen. Er lebt bis heute in zahlreichen Anekdoten, Liedern und Legenden weiter. Friedrich Schiller soll den Bayerischen Hiasl als Vorbild für den Karl Moor in seinem Stück Die Räuber genommen haben. “ Quelle: Artikel bei Wikipedia

Geboren wurde Klostermayr in Kissing, einem kleinen Dorf wenige Kilometer von Augsburg entfernt. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, war er in jungen Jahren als Jagdgehilfe für den Klerus tätig. Schon früh galt er als Meisterschütze. Weil sich Klostermayr über einen Geistlichen lustig gemacht hatte, verlor er seine Arbeit. Um sein Überleben zu sichern, begann er zu wildern. Bei vielen Bauern war er beliebt, denn das Wild schädigte die Ernte. Andere Wilderer schlossen sich Klostermayr an. Er wurde Anführer einer Bande, die mitunter bis zu 30 Mann zählte.

Die Bande geriet immer mehr ins Visier der Staatsgewalt. Die Lage eskalierte zusehends – und bald beschränkten sich die Rebellen nicht mehr darauf, dem Wild nachzustellen: Sie überfielen Amtsstuben und andere staatliche Einrichtungen. Das erbeutete Geld verteilten die Aufrührer auch an die Armen. Bei den gewalttätigen Zusammenstößen fanden mehrere Wilderer und Staatsvertreter den Tod.

Zauberei? Ein Pakt mit dem Teufel?

Die Obrigkeit bemühte sich viele Jahre vergeblich, das Treiben der Bande zu beenden. Es entstanden Gerüchte, um sich den Misserfolg des Staates irgendwie erklären zu können. Unter anderem hieß es, Klostermayr würde einen Schutzzauber verwenden. Nur so sei es zu begreifen, dass er seinen Häschern bislang nicht ins Netz gegangen sei. Zum Beispiel wurde behauptet, Klostermayr sei aufgrund der “Passauer Kunst“ vor den Attacken des Staates geschützt. Bei dieser “Kunst“ muss der Schutzsuchende einen mit Zaubersprüchen beschriebenen Zettel verschlucken, damit er Unverwundbarkeit erlangt. Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie der Begriff der “Zauberei“ damals definiert wurde, ist es hilfreich, nochmal auf Johann Theodor Jablonskis Lexikon zurückzugreifen.

Zauberey

Es gab sogar das Gerücht, Klostermayr habe einen Pakt mit Luzifer geschlossen. Deshalb hieß es auch, Klostermayrs Hund sei vom Teufel besessen. Bei alledem wird deutlich: Obwohl zu Lebzeiten Klostermayrs die Ideen der Aufklärung auf dem Vormarsch waren, war der Aberglaube noch weitverbreitet. Bekanntlich fanden damals in Deutschland noch Hexenverfolgungen statt. (Zu diesem Thema gibt es auch auf Spontis einiges zu lesen. Zum Beispiel hier und hier.)

Am 14. Januar 1771 gelang es dem Militär, Klostermayr und seine Mitstreiter im Ort Osterzell aufzuspüren, einzukreisen und nach einem vierstündigen Kampf gefangen zu nehmen. Noch im Januar brachte man die Aufrührer nach Dillingen. Dort wurde ihnen der Prozess gemacht. Am 3. September, dem Geburtstag Klostermayrs, verkündete die Staatsmacht das Urteil: Er und vier seiner Mitstreiter wurden zum Tode verurteilt. Nachdem das Gericht das Urteil gesprochen hatte, soll Klostermayr sinngemäß Folgendes entgegnet haben: “Dem Menschen ist es gesetzt zu sterben und auch von denen, die mich gerichtet haben, wird in 50 Jahren gewiss keiner mehr am Leben sein!“

Exekution Klostermayrs – Schändung des Leichnams

Die Exekution Klostermayrs fand am 6. September statt. Dabei wurde wie folgt verfahren: Er wurde in eine frische Kuhhaut gewickelt und auf ein Holzgestell gelegt. Dann schleifte man ihn mit zwei Pferden zur Richtstätte. Dort wurde er erdrosselt. Daraufhin zertrümmerte man seinen Körper mit einer Radebrechmaschine. Schließlich schlug man dem Leichnam den Kopf ab und vierteilte den übrigen Körper. Der Kopf und ein Viertel des restlichen Körpers wurden in Dillingen zur Schau gestellt. Die übrigen drei Leichenstücke verteilte man auf die Orte Füssen, Oberndorf und Schwabmünchen. Auch hier gab es eine Zurschaustellung der Leichenteile.

Hiesel Hinrichtung 1771
„Nach einem mehrmonatigen Prozess in Dillingen wurde der „Bayrische Hiasl“ zum Tode verurteilt und am 6. September 1771 an der Donaubrücke der Stadt hingerichtet. Angeblich wickelte man den Verurteilten nach der Verlesung der Urteils in eine frische Kuhhaut und schleifte ihn vom Rathaus zur Hinrichtungsstätte. Dort angekommen, soll er die Beichte abgelegt, noch ein Glas Wein getrunken haben und dann gefasst auf das Schafott gestiegen sein. “ Quelle: Artikel über Matthias Klostermayr bei Wikipedia

Der respektlose Umgang mit dem Leichnam Klostermayrs veranschaulicht exemplarisch, wie diskriminierend die Bestattungsregeln auch noch im 18. Jahrhundert waren. Generell war in der Frühen Neuzeit Folgendes üblich: Wer als Mörder hingerichtet wurde, dem wurde ein christliches Begräbnis verweigert. Und hatte ein Mörder nach dem damaligen Rechtsverständnis eine besonders schwere Schuld auf sich geladen, begnügte sich die Obrigkeit nicht damit, seinen Leichnam abseits des Friedhofs begraben zu lassen. In derartigen Fällen ging die Obrigkeit noch einen Schritt weiter: Die Leiche wurde geschändet, indem man sie entstellte bzw. zerstückelte. Der Fall des Matthäus Klostermayr spricht hier eine klare Sprache.

Vielleicht spielte bei der Schändung der sterblichen Überreste Klostermayrs auch noch eine besondere Form des Aberglaubens eine Rolle: Auch im 18. Jahrhundert existierte bisweilen noch die Vorstellung, man könne die Gefahr, dass ein Verbrecher von den Toten aufersteht, minimieren, indem man seine Leiche zerstückelt. Unabhängig von derartigen Überlegungen zur Motivlage der Leichenschändung bleibt festzuhalten: Sicherlich ging es der Obrigkeit bei der Bestrafung Klostermayrs vor allem darum, ein Exempel zu statuieren. Denn in einer Zeit, in der die freiheitlichen Ideen der Aufklärung im Volk immer beliebter wurden, bekam der herrschende Adel zunehmend Angst davor, die Macht zu verlieren.

Der rebellische Geist Klostermayrs überlebte!

Klostermayrs Widerstand gegen die repressive Staatsgewalt geriet nicht in Vergessenheit. Das lag auch daran, dass sein Leben auf verschiedenste Weise von Künstlern verarbeitet wurde. Sogar im Werk Friedrich Schillers soll das Leben Klostermayrs Spuren hinterlassen haben: Angeblich hat sich Schiller bei der Gestaltung der Figur des Karl Moor im Drama “Die Räuber“ (Reclam Verlag, Ditzingen 2009, Erstausgabe: 1781) auch vom Leben Klostermayrs inspirieren lassen. Und auch in unserer Zeit gibt es noch Künstler, die sich mit dem widerständigen Leben Klostermayrs beschäftigen: 1994 haben die TOTEN HOSEN zusammen mit den BIERMÖSL BLOSN das Lied “Da Boarisch Hiasl“ veröffentlicht. Bei dem Stück handelt es sich um eine moderne Variante des Volksliedes “Bayerischer Hiasl“ aus dem Jahr 1763.

Zudem gibt es im Werk des Folkmusik-Projekts FOITNROCK einen Song über das Leben Klostermayrs. Einige Textzeilen sind dem besagten alten Volkslied entnommen. Das Lied “Da Boarische Hiasl“ von FOITNROCK scheint mir der beste musikalische Kommentar zum Thema zu sein. Bei YouTube kann man das Lied in einer Liveversion aus dem Jahr 2014 anhören. Aber Vorsicht! Hier wird im bayerischen Dialekt gesungen – und es wird sogar gejodelt! (Musikkünstler der Schwarzen Szene haben sich meines Wissens noch nicht mit dieser rebellischen und tragischen Figur der deutschen Geschichte beschäftigt.)

Zurück zur Hirschbuche! Man bedenke: Buchen können bis zu 300 Jahre alt werden. Es ist also möglich, dass die Hirschbuche die Zeit Klostermayrs noch “erlebt“ hat. Sich vorzustellen, dass der Baum bereits hier stand, als die Westlichen Wälder das Jagdrevier und der Zufluchtsort der berühmt-berüchtigten Räuberbande waren, ist faszinierend!

Blick ins Teufelstal und nach Burgwalden

So stimmungsvoll es an der Hirschbuche auch ist: Irgendwann beende ich meine Pause und radle weiter. Zunächst fahre ich in die Richtung des Dorfes Straßberg, also nach Süden. Kurz vor dem Dorf knickt die Wegführung im rechten Winkel nach Westen ab. Nach einem kurzen Anstieg folgt eine lange und steile Abfahrt, sie endet im Anhauser Tal. Hier halte ich an, denn der Blick nach Süden ist famos: Direkt vor mir liegt eine Wiese – und an ihrem Ende, etwa 20 Meter von mir entfernt, steht eine alte, verwitterte Holzhütte am Ufer eines malerischen Teiches. Und es gibt noch mehr Teiche in diesem Talabschnitt! So kann ich meinen Blick über mehrere Wasserflächen hinweg bis zu einer dunklen Nadelwald-Wand gleiten lassen – an dieser geheimnisvoll anmutenden Barriere beginnt das Teufelstal.

Waldromantik - Naturpark Augsburg

Richtet man den Blick nach Norden sieht man ein paar Häuser der kleinen Siedlung Burgwalden. Die Siedlung liegt nur ein paar hundert Meter von mir entfernt. Heute verzichte ich darauf, einen Abstecher nach Burgwalden zu machen – obwohl der Ort sehenswert ist! Wer Burgwalden einen Besuch abstattet, sollte sich jedoch von dem Gedanken verabschieden, dort eine Burg vorzufinden. Zumindest gibt es in dem kleinen Dorf einen Schlossweiher – und darin stand in der Frühen Neuzeit ein Wasserschloss. Damals gab es in dem Ort auch ein Gefängnis und eine Hinrichtungsstätte. Von diesen Herrschaftssymbolen ist heute nichts mehr zu sehen. Allerdings steht in Burgwalden noch eine Kirche aus der Frühen Neuzeit, die von einem kleinen Friedhof umgeben ist.

Nachdem ich die Ausblicke genossen habe, verlasse ich das Anhauser Tal in westlicher Richtung. Dabei strample ich einen steilen Berg hinauf. Der Name des Bergs klingt in etwa so unheilvoll wie der Name des Tals, in das ich kurz zuvor einen Blick geworfen habe, denn ich kämpfe mich gerade den Hang des Galgenbergs empor. Nach einigen anstrengenden Minuten erreiche ich das weite Plateau dieses einsamen Berges. Weil der Hochwald am Rand des Plateaus Lücken aufweist, ergeben sich einige schöne Ausblicke in das dicht bewaldete Umland.

Waldromantik - Naturpark Augsburg

Wie kam der Berg zu seinem schauerlichen Namen? Kathrin Schön geht in ihrem Wanderführer “Rund um Augsburg“ (Bergverlag Rother, München 2015) davon aus, dass hier früher Menschen begraben wurden, die als Straftäter am Galgen hingerichtet worden waren. Doch stand auf diesem Berg tatsächlich auch ein Galgen? Diese Frage lässt sich durch Schöns Aussage nicht eindeutig beantworten. Folgender Gedanke scheint naheliegend: Vermutlich brachte man in der Frühen Neuzeit die Leichen der in Burgwalden hingerichteten Menschen auf den Galgenberg, wo sie dann verscharrt wurden. Denn bekanntlich war für diese Menschen ein Begräbnis auf einem christlichen Friedhof aufgrund der damals herrschenden diskriminierenden Bestattungsregeln nicht vorgesehen.

Vom Galgenberg zur Scheppacher Kapelle  

Der Anstieg auf den Galgenberg war ein mühsamer Wegabschnitt, dafür ist es nun nicht mehr weit bis zu einem besonders magischen Ort des Naturparks. Es handelt sich dabei um eine tief im Wald gelegene Lichtung. Noch eine rasante Abfahrt, dann bin ich dort. Es gibt viele Gründe, warum diese Lichtung ein derart bezaubernder Ort ist. Der wichtigste Grund ist die Abgeschiedenheit des Ortes! Auch weil die Lichtung sehr tief im Wald liegt, ist es hier zumeist still und einsam. Die Abgeschiedenheit ist wie ein Schlüssel. Sie öffnet die Tür zum ganzheitlichen Zauber der Lichtung. Durch die Abgeschiedenheit findet der Geist die nötige Ruhe, damit er all die faszinierenden Einzelelemente dieses Ortes zu einem großen Ganzen zusammenfügen kann. So ist es möglich, dass ein Kunstwerk entsteht, das mehr ist als die Summe seiner Teile.

Obwohl es heute nicht mehr ohne weiteres ersichtlich ist: Auf dieser kleinen Lichtung lebten einst Menschen. Und in der Vergangenheit wurde dieser Ort auch von vielen Menschen besucht – nicht alle waren friedlich gestimmt. Die Kulturdenkmäler, die noch heute auf der Lichtung zu sehen sind, erinnern eindrucksvoll daran, was hier in früherer Zeit geschah. In dieser Hinsicht ist die Scheppacher Kapelle besonders herausragend. Sie ist das Überbleibsel einer Kirche, die im Jahr 1741 erbaut wurde. Bereits 1602 hatte man auf der Lichtung eine Kapelle errichtet, doch im 30-jährigen Krieg wurde sie zerstört. Damals wurde auch ein Gutshof zerstört, der neben der Kapelle stand. Nach dem Krieg wurde der Gutshof wieder aufgebaut. Doch im Jahr 1864 wurde der Hof abgerissen – wegen Ertragslosigkeit. Seitdem ist die Lichtung unbewohnt. Nur die Kapelle erinnert noch an die kleine Siedlung Scheppach.

Die Kapelle hat auch als Marienwallfahrtsort eine wichtige Bedeutung. Wegen den Wallfahrten ist es hier in der Vergangenheit mitunter sehr lebendig zugegangen. In einem Text, der im Inneren der Kapelle aushängt, ist zu lesen, dass sich angeblich im Jahr 1931 bei einer Wallfahrt 12000 Pilger auf der Lichtung aufgehalten haben sollen. Dass hier früher ein derartiger Massenauflauf stattgefunden hat – ich kann mir das kaum vorstellen. Ich kenne diesen Platz nur als ruhigen und einsamen Ort.

Ein düsteres Kreuz und eine Bildtafel der Trauer        

Ein anderes wichtiges Element der Lichtung ist ein mächtiges Flurkreuz. Es steht an einer Weggabelung, die sich am Waldrand befindet. Bei dem Kreuz handelt es sich um ein Kruzifix. Die Christusfigur scheint mir sehr groß zu sein, zumindest für ein Flurkreuz. Die Farbe der Figur ist nahezu schwarz. Ihre Gestalt wirkt sehr plastisch. Kein Zweifel: Die Darstellung der Leiden Jesu ist eindrucksvoll – aber eben auch sehr bedrückend.
Naturpark Augsburg - Düsteres Kreuz

Am unteren Ende der Figur ist eine Holztafel befestigt. Ein Bild und ein Text befinden sich darauf. Auf dem Bild ist Maria zu sehen, wie sie ihren toten Sohn im Schoß hält. Der Text ist einem Bibelzitat nachempfunden, das im Alten Testament bei den Klageliedern zu finden ist. Laut meiner Bibelausgabe (Einheitsübersetzung, Herder Verlag, Freiburg 1980) handelt es sich bei der betreffenden Bibelstelle um ein Totenlied. Es lautet: “Ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut doch und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz, den man mir angetan, mit dem der Herr mich geschlagen hat am Tag seines glühenden Zornes.“ (Klgl 1,12) Offenbar ist der Tafeltext eine entschärfte Variante des Zitats aus dem Alten Testaments, denn der Hinweis auf den “glühenden Zorn des Herrn“ fehlt. Warum fehlt dieser Hinweis? Dass jemand aus Versehen die Tafel zu klein konzipiert hat, glaube ich nicht. Vielmehr vermute ich, dass auf die rabiaten Worte bewusst verzichtet wurde, weil eine liebevolle Seele die Tafel gestaltet hat.

Naturpark Augsburg - Totenlied
Ein Totenlied: „Ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut doch und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz, den man mir angetan, mit dem der Herr mich geschlagen hat am Tag seines glühenden Zornes.“

Am verwunschenen Teich    

Naturpark Augsburg - See bei Lichtung
Kein klarer Bergsee, sondern ein verwunschener, braun gefärbter See an der Lichtung im Naturpark Augsburg.
(c) Stefan Kubon

Auf der Lichtung gibt es auch einen Teich. Die Farbe des Wassers ist weder blau noch grün, sie ist braun. Obwohl ich ansonsten eher ein Liebhaber klarer Bergseen bin, empfinde ich die Farbe nicht als störend. In gewisser Weise trägt diese Farbe sogar zur verwunschenen Aura des Teiches bei. Bemerkenswert sind auch noch drei stattliche Eichen, die am Rand des trüben Gewässers stehen.

So viele interessante Ecken diese Lichtung auch haben mag: Am liebsten halte ich mich am verwunschenen Teich und unter den Eichen auf. Dort ist es zumeist sehr still. Wenn man sich Zeit nimmt, sich auf die Bank am Ufer setzt und sich eine Weile ruhig verhält, kann man vielleicht einen Frosch quaken oder eine Eidechse im Laub rascheln hören. Wer in den Himmel blickt, kann zuweilen das mächtige Flugbild des Graureihers bestaunen. Einmal flog ein Reiher so nah an mich heran, dass ich den rhythmischen Klang seines Flügelschlages hören konnte. Und wer im späten Frühling den Uferbewuchs etwas genauer betrachtet, der wird eine besonders schöne Blume bewundern können, denn hier gedeihen sogar Schwertlilien.

Für die Strecke von der Hirschbuche bis zur Lichtung der Scheppacher Kapelle benötigt man 25 Minuten. Das nächste Ziel ist die Hubertuskapelle. Sie ist in 15 Minuten erreichbar. Ich verlasse die Lichtung, indem ich Richtung Norden fahre. Es dauert nicht lange, bis der Weg die Bernhardsschlucht quert. Es geht steil nach unten, schnell habe ich die Talsohle erreicht. Und so steil wie es hinab ging, geht es auch wieder nach oben. Der Anstieg ist nur kurz, aber trotzdem sehr kraftraubend.

Durch die Bernhardsschlucht zur Hubertuskapelle

Nachdem ich die Schlucht hinter mir gelassen habe, führt der Weg längere Zeit fast eben dahin. Gleich am Anfang dieser beschaulichen Etappe sieht man links des Weges eine kleine Holzhütte im Wald stehen. Die Hütte liegt in einem besonders schönen Waldgebiet. Der Hochwald besteht hier vor allem aus mächtigen Buchen. Die dicken Stämme glänzen silbrig im Licht. Der Boden ist mit einem dichten Grasteppich überzogen – seine Farbe: intensivstes Grün. Auf dieser prächtigen Oberfläche funkeln an einigen Stellen die Strahlen der Sonne.

Naturpark Augsburg - Ein einsame Huette
Ob der Waldromantiker Henry David Thoreau in dieser Hütte im Naturpark Augsburg eines seiner eindringlichen Werke verfasst hat?
(c) Stefan Kubon

Ein derartiger Zauberwald eignet sich bestens dafür, der Phantasie freien Lauf zu lassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Henry David Thoreau in der kleinen Hütte sitzt und Schriften über die Schönheit der Natur verfasst. Denkbar ist auch, dass er an einem politischen Text arbeitet. Etwa an einem Text, in dem er die Willkür des Staats verdammt und die Freiheit des Individuums feiert. Da ich gerade die Freiheit genieße, die Natur zu erleben, ist auch dies ein schöner Gedanke.

Irgendwann ist dieser malerische Wegabschnitt zu Ende: Ich erreiche die Dreifaltigkeitstafel, quere die dortige Wegkreuzung und fahre durch Fichtenwälder, die eher eintönig wirken. Doch bald nimmt die Natur wieder eine schöne Gestalt an: Ins Zentrum des Geschehens rückt erneut ein wundervoller Buchenwald. Gleich am Anfang des hübschen Waldes biege ich links ab – und nach 100 Metern habe ich die Hubertuskapelle erreicht. Die Kapelle wurde im 17. Jahrhundert errichtet. Im Lauf der Zeit wurde sie baulich verändert.

Die Kapelle ist nach Hubertus von Lüttich benannt, der vermutlich von 655 bis 727 lebte. Weil Hubertus ein großer Wohltäter gewesen sein soll, wird er in der Katholischen Kirche als Heiliger verehrt. Er war angeblich Bischof von Maastricht und Lüttich. Zuvor soll er als Einsiedler im Wald gelebt haben. Es heißt, er habe sich dorthin zurückgezogen, nachdem seine Frau gestorben war.

Naturpark Augsburg - Hubertuskapelle
Nach der Erscheinung eines Kruzifixes im Geweih eines gejagten Hirsches ließ sich Hubertus angeblich taufen, schwor der Jagd ab und wurde vom leidenschaftlichen Jäger zum Nichtjäger.
(c) Stefan Kubon

Waldromantik - Naturpark Augsburg

Der heilige Hirsch der Hubertuslegende

Verwoben mit der historischen Figur des Hubertus von Lüttich ist die Hubertuslegende. Sie ist seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar. Zum Wesen von Legenden gehört, dass ihr Inhalt eher variabel ist. Die Hubertuslegende bildet hier keine Ausnahme. Trotzdem gibt es gewisse Kernelemente der Legende, die sehr häufig verwendet werden. Zum Beispiel diese: Hubertus geht an einem Karfreitag in den Wald, um zu jagen – obwohl die Jagd an einem so hohen christlichen Feiertag eine schwere Sünde ist. Als Hubertus einen mächtigen Hirsch erspäht, will er ihn zunächst erschießen, aber dann sieht er, dass sich im Geweih des Hirsches ein hell leuchtendes Kreuz befindet. Zudem hört Hubertus eine Stimme, die folgende Worte spricht: “Hubertus, ich bin dein Erlöser! Warum willst du mich töten?“ Daraufhin erkennt Hubertus, dass sein Treiben sündhaft war. Er verzichtet von nun an darauf, auf die Jagd zu gehen und führt ein vorbildliches christliches Leben.

In unserer heutigen Zeit ist die Hubertuslegende auch ein Politikum geworden. Tatsächlich berufen sich verschiedene Interessengruppen auf die Legende, um die Richtigkeit der eigenen Gesinnung zu unterstreichen. Bekanntlich sehen die Jäger in Hubertus ihren Schutzpatron. Die Legende wird von den Jägern nämlich nicht so interpretiert, dass jede Form der Jagd verboten werden sollte. Vielmehr versteht die Jägerschaft die Legende so, dass man die Jagd verantwortungsvoll bzw. maßvoll betreiben sollte. Tier- und Naturschützer sehen in dieser Deutung zumeist einen Missbrauch der Legende. In Umweltschutzkreisen wird die Legende gerne so verstanden: Die Menschen sollten darauf verzichten, Tiere zu jagen und die Natur auszubeuten.

Hubertus von Luettich
Hubertus von Lüttich (französisch Hubert de Liège; * um 655 in Toulouse; † 30. Mai 727 der Überlieferung nach im heutigen Tervuren bei Brüssel, Belgien) war Bischof von Maastricht und Lüttich. Er wird in der katholischen Kirche als Heiliger verehrt. Sein Gedenktag ist der 3. November. (Quelle: Wikipedia)

Es ist übrigens sehr interessant, über die kulturhistorischen Ursprünge der Gestalt des heiligen Hirsches in der Hubertuslegende nachzudenken. Wolf-Dieter Storl hat dies in seinem Buch “Ich bin ein Teil des Waldes“ (Kosmos Verlag, Stuttgart 2003) getan. Der Kulturanthropologe schreibt Folgendes: “Das Motiv vom heiligen Hirsch ist hierzulande uralt, es ist keltisch und sogar vorkeltisch. Es ist das Bild des Cernunnos, des geweihtragenden Urgottes der Europäer; das edle Tier galt einst als die Sonne auf Erden, als Gefährte der Erdgöttin. So verwurzelt war das Bild des Sonnenhirsches in der Seele des Volkes, dass man ihn nach der Bekehrung zum Christentum als eine Offenbarung Christi deutete. Hubertus, der Jäger, ist kein anderer als der umgewandelte schwarze Gott der Unterwelt, der den Sonnenhirsch jagt und in den trüben kalten Novembertagen erlegt.“

Der keltische Gott Cernunnos und die Hubertuslegende

Cernunnos
Der keltische Gott Cernunnos als Darstellung in einer Silberschale
Nationalmuseet, Gundestrupkedlen- 00054 (cropped), CC BY-SA 3.0

Sicher: Die Vorstellung, im heiligen Hirsch der Hubertuslegende eine Reinkarnation des keltischen Gottes Cernunnos zu sehen, besitzt eine gewisse Plausibilität. Trotzdem kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Vorstellung tatsächlich der Wahrheit entspricht. Das liegt vor allem daran, dass sich die Erforschung der Kultur der Kelten generell schwierig gestaltet. Wirklich aussagekräftige Quellen zu dieser Kultur gibt es nur wenige. Dass diese Kultur der europäischen Frühgeschichte in vielerlei Hinsicht noch immer ein großes Rätsel ist, zeigt sich auch, wenn man den Wikipedia-Artikel zum keltischen Gott Cernunnos betrachtet. Aufgrund der dürftigen Quellenlage kann der Artikel verständlicherweise nur wenige gesicherte Fakten präsentieren.

Durch den Artikel zeigt sich: Letztlich ist es nur eine Vermutung, dass es eine keltische Gottheit mit dem Namen Cernunnos gab. Zudem wird vermutet, dass Cernunnos ein Gott der Natur, der Tiere oder der Fruchtbarkeit war. Die Wortbedeutung von Cernunnos soll “der Gehörnte“ sein. Schließlich veranschaulicht der Artikel, dass es tatsächlich archäologische Funde gibt, die auf die Existenz eines “Hirsch-“ oder “Geweihgottes“ bei den Kelten hindeuten.

In anderen Artikeln zum Thema Cernunnos wird immer wieder auf Folgendes hingewiesen: Vermutlich hat das Christentum die Gestalt des “Gehörnten“ in ein negatives Symbol umgewandelt. Tatsächlich entspricht die christliche Gestalt des Teufels mit den zwei Hörnern in gewisser Weise den archäologischen Fundstücken, die mit dem vermuteten keltischen Gott Cernunnos in Verbindung gebracht werden. Nach dieser Deutung bemühte sich das Christentum, Cernunnos als etwas absolut Böses darzustellen, um so das “Heidentum“ der keltischen Naturreligion besonders wirkungsvoll bekämpfen zu können.

Teufel und heiliger Hirsch – zwei Relikte von Cernunnos?

Bekanntlich kamen bei der Entstehung der Symbolsprache des Christentums mitunter sehr verschiedene Rezeptionsmethoden zum Einsatz. Vielleicht ist Cernunnos sogar ein Beispiel dafür, wie ein und dieselbe Gestalt durch zwei vollkommen verschiedene Methoden in die Symbolsprache des Christentums aufgenommen wurde. Es ist ja wirklich möglich, dass Cernunnos auf positive Weise in die Hubertuslegende integriert wurde. Und ebenso möglich ist es, dass Cernunnos auf negative Weise rezipiert wurde, indem das Christentum aus ihm die Schreckensgestalt des Teufels mit den zwei Hörnern gemacht hat.

New Model Army Shirt
Ein Bandshirt von New Model Army erinnert möglicherweise in seiner Gestaltung an den keltischen Gott Cernunnos.

Zumindest Teile der Schwarzen Szene scheinen von Cernunnos fasziniert zu sein. Mehrere Künstler haben sich mit dieser mysteriösen keltischen Gottheit beschäftigt. Es gibt einige Songs, die nach Cernunnos benannt sind. Die Lieder von SAVA und FAITH AND THE MUSE gefallen mir am besten.

Bemerkenswert ist auch, dass auf einem NEW MODEL ARMY-T-Shirt eine Gestalt abgebildet ist, die an Cernunnos erinnert.

Zurück zur Hubertuskapelle! An der Kapelle endet ein Kreuzweg. Seine Stationen weisen auf die sieben Todsünden hin. Wer den steilen Weg hinabfährt, erreicht in wenigen Minuten das sehenswerte Kloster Oberschönenfeld. Es wurde bereits im Jahr 1211 gegründet. Im 30-jährigen Krieg wurden Teile des Klosters zerstört. Die heutige Anlage ist im Barockstil gehalten, sie entstand vor allem zwischen 1718 und 1721.

Das nächste Ziel ist der Engelshof, man benötigt etwa 15 Minuten bis dorthin. Der landwirtschaftlich genutzte Hof liegt auf einer großen Lichtung, die von tiefen Wäldern umgeben ist. Man gelangt zu der Lichtung, indem man das Kloster in südöstlicher Richtung verlässt. Zunächst radle ich einen steilen Berg hinauf, dann geht es kurzzeitig eben dahin. Es folgt eine rasante Abfahrt – und plötzlich habe ich die riesige Lichtung erreicht. Dort, wo heute der Engelshof steht, stand in der Frühen Neuzeit ein kleines Schloss. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, doch ein Teil des Erdgeschosses des heutigen Anwesens soll noch aus den Grundmauern des früheren Schlosses bestehen. Verschwunden ist auch eine Kapelle, die von 1613 bis 1834 auf der Lichtung stand.

Weidelandschaft - Naturpark Augsburg

Der perfekte Ort für eine Sonnenfinsternis

Wegen ihrer Größe und Abgeschiedenheit ist die Lichtung des Engelshofs ein sehr eindrucksvoller Ort. Für mich hat die Lichtung auch eine ganz besondere Bedeutung, denn ich habe dort die Sonnenfinsternis vom 11. August 1999 erlebt. Die Augsburger Gegend hatte damals das Glück in der Totalitätszone zu liegen. Das heißt, in dieser Gegend wurde die Sonne vom Mond für etwa zwei Minuten vollständig bedeckt. Die Lichtung des Engelshofs war der perfekte Ort, um das phantastische Schauspiel bewundern zu können. Dank der Weitläufigkeit der Lichtung konnte man sehr gut beobachten, wie der Kernschatten des Mondes über das Land wanderte. Als es dunkel wurde, hörten nicht nur die Vögel auf zu zwitschern – auch die Rinder auf der Weide wurden ganz still. Die Luft kühlte sich rapide ab. Mitten am Tag war es Nacht geworden! Hier – fernab des Eklipse-Rummels in der Augsburger Innenstadt – entfaltete sich der urtümliche Zauber dieser seltsamen Verdunklung auf besonders intensive Weise.

In dieser großartigen Umgebung fiel es mir leicht, darüber nachzudenken, was für ein magisches Ereignis eine Sonnenfinsternis für die Menschen früherer Epochen gewesen sein muss. Ich konnte mir gut vorstellen, dass eine Eklipse in voraufklärerischen Zeiten mitunter als ein sehr furchterregendes Phänomen wahrgenommen wurde. Sogar in unserer vermeintlich aufgeklärten westlichen Gesellschaft hat die Eklipse Angst erzeugt: Auch bei der Verdunklung vom 11. August 1999 befürchteten Menschen, dass der Weltuntergang beginnt. Wobei damals die Angst vor der Apokalypse auch noch durch den bevorstehenden Beginn des neuen Jahrtausends befeuert wurde.

In meinem Fotoarchiv habe ich ein Bild der Sonnenfinsternis entdeckt. Die Aufnahme ist sicherlich keine fotographische Meisterleistung. Trotzdem ist sie eine schöne Erinnerung.

Sonnenfinsternis - Naturpark Augsburg

Nachdem ich mich an der herrlichen Weite der Lichtung sattgesehen habe, radle ich nach Nordosten. Es dauert nur wenige Minuten, bis ich das Anhauser Tal erreicht habe. Ich folge dem malerischen Tal nordwärts. Nach 10 Minuten biege ich nach Osten ins Wolfteltal ab. Weitere 10 Minuten benötige ich, um eine Anhöhe zu erklimmen. Anschließend fahre ich 5 Minuten fast eben dahin. Dann geht es noch einige Minuten bergab, bis der Startpunkt der Radtour erreicht ist: Wellenburg.

Ein Ausflug in den Naturpark Augsburg lohnt sich zu jeder Jahreszeit: Im Frühling ist die Vielfalt der Farben und Formen der Natur überwältigend. An heißen Sommertagen sorgen die Wälder für angenehme Temperaturen. Im Herbst kann man die Laubfärbung bewundern, auch zum Pilze sammeln ist der Park bestens geeignet. In klaren Winternächten ist der Sternenhimmel zauberhaft, denn die Lichtverschmutzung hält sich in diesem dünnbesiedelten Gebiet in Grenzen. Und der schaurig-schöne Ruf des Waldkauzes hallt in der kalten Jahreszeit besonders häufig durch die Nacht.

Waldromantik - Naturpark Augsburg

Der Naturpark Augsburg besitzt eine starke spirituelle Strahlkraft!  

Immer wieder zeigt sich: Der Naturpark Augsburg fasziniert. Warum ist das so? Es gibt sicher viele Erklärungen dafür, die wichtigste ist vermutlich diese: Wer in die Wälder eintaucht, begibt sich auf eine spirituelle Reise, bei der sich die Sehnsucht des Menschen nach Sinnstiftung auf tiefgründige Weise offenbart. Dabei wird das Wissen über die Wege und Irrwege menschlicher Sinnsuche (Religion, Aberglaube, Aufklärung usw.) sehr eindrucksvoll erweitert. Der Erkenntnisgewinn betrifft die rationale und die emotionale Ebene des Bewusstseins.

Leben und Tod, Liebe und Hass, Freiheit und Unfreiheit. Über die Bedeutung dieser existenziellen Begriffe des menschlichen Seins in Ruhe nachzudenken – das fällt im Naturpark Augsburg relativ leicht. Tatsächlich ist es so: Die Wälder besitzen eine starke spirituelle Strahlkraft – und in dieser faszinierenden Umgebung lässt sich die Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes erheblich steigern.

Henry David Thoreau hat darauf hingewiesen: Wälder sind geeignete Orte, um die Sinne zu schärfen und bewusst zu leben! Diese Aussage scheint offenbar auch in Bezug auf die Westlichen Wälder richtig zu sein. Schön, dass es derartige Kraftorte noch gibt – leider verringert sich die Anzahl dieser Orte wegen der weltweit zunehmenden Naturzerstörung ständig. Daher sollte klar sein: Der Schutz des Waldes ist wichtiger denn je!

Musiktipp aus Augsburg: WALDEN

Aus Augsburg stammt übrigens ein Musikprojekt, das nach dem bekanntesten Werk Thoreaus benannt ist. Danijel Zambo lautet der Name des Musikers, der mit seinem Projekt WALDEN regelmäßig wundervolle akustische Gitarrenmusik veröffentlicht. Es handelt sich um Instrumental-Stücke, denen eine meditative Aura innewohnt. Die Musik driftet aber nicht ins Formlose ab, sie weist einprägsame Strukturen auf. Besonders die Lieder der EPs “Samhain“ und “Mantra“ sind sehr gelungen. Wobei mir als Einstieg in das WALDEN-Werk die “Mantra“-EP am geeignetsten erscheint. Hier kann man die EP anhören.

Literaturliste
  • Die Bibel, Einheitsübersetzung, Herder Verlag, Freiburg 1980
  • Manfred Böckl: König der Wildschützen. Das abenteuerliche Leben des Matthäus Klostermayr, genannt Bayerischer Hiasl, Historischer Roman, SüdOst Verlag, Regenstauf 2016
  • Julia Butterfly Hill: Die Botschaft der Baumfrau, Riemann Verlag, 2. Auflage, Pößneck 2000, (Titel der Originalausgabe: The Legacy of Luna, erstmals veröffentlicht: 2000)
  • Johann Theodor Jablonski: Allgemeines Lexikon der Künste und Wissenschaften, Fritsch Verlag, Leipzig 1721
  • Doris Laudert: Mythos Baum. Was Bäume uns Menschen bedeuten. Geschichte. Brauchtum. 30 Baumporträts, BLV Verlagsgesellschaft, 2., durchgesehene Auflage, München 1999, (erstmals veröffentlicht: 1999)
  • Jean Markale: Die Druiden. Gesellschaft und Götter der Kelten, Goldmann Verlag, 3. Auflage, München 1991, (Titel der Originalausgabe: Le Druidisme – Traditions et Dieux des Celtes, erstmals veröffentlicht: 1985)
  • Markus Mauthe und Thomas Henningsen: Europas wilde Wälder. Ein Buch von Greenpeace zur internationalen Kampagne zum Schutz der Wälder, Knesebeck Verlag, München 2011
  • Markus Mauthe und Thomas Henningsen: Planet der Wälder. Die grünen Paradise der Erde, Bucher Verlag, München 2007
  • Siegfried P. Rupprecht: Eine Kapelle entfaltet Magie mitten im Wald. Die Scheppacher Kapelle gilt als Kraft- und Wallfahrtsort im “Rauhen Forst“, in: Rätselhafte Orte, 55 Sagen & Mythen unserer Heimat, Presse-Druck- und Verlags-GmbH, Augsburg 2017, S. 66-67
  • Frank Schäfer: Henry David Thoreau. Waldgänger und Rebell. Eine Biographie, Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
  • Friedrich Schiller: Die Räuber, Reclam Verlag, Ditzingen 2009, (erstmals veröffentlicht: 1781)
  • Kathrin Schön: Rund um Augsburg – mit Westlichen Wäldern, Wittelsbacher Land und Ammersee, Bergverlag Rother, München 2015
  • Wolf-Dieter Storl: Ich bin ein Teil des Waldes. “Der Schamane aus dem Allgäu“ erzählt sein Leben, Kosmos Verlag, Stuttgart 2003
  • Henry David Thoreau: Ãœber die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Civil Disobedience. Ein Essay. Zweisprachige Ausgabe, Diogenes Verlag, Zürich 2004, (Titel der Originalausgabe: The Resistance to Civil Government, erstmals veröffentlicht: 1849)
  • Henry David Thoreau: Walden. Ein Leben mit der Natur, dtv Verlagsgesellschaft, 12. Auflage, München 2017, (Titel der Originalausgabe: Walden; or, Life in the Woods, erstmals veröffentlicht: 1854)
  • Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume. Was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt, Ludwig Verlag, 24. Auflage, München 2015 (erstmals veröffentlicht: 2015)
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Alsuna
Alsuna (@guest_58498)
Vor 5 Jahre

Ein sehr, sehr schöner Artikel. Der Engelshof hat ja gerade wegen gesundheitlichen Gründen der Eigentümer für immer (?) geschlossen.
Wir wohnen seit 9 Jahren in einem Dorf in den westlichen Wäldern und finden es immer wieder schön dort spazieren zu gehen..auch wenn sich für meinen Geländerollstuhl nicht alle Wege eignen.

„Abbr a gscheite Brotzeit, nach dem Spazirgang, des brauchts fei immr..vielleicht an wurschtsalad..woisch!“

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