„Für immer Punk möchte ich sein, für immer Punk, willst du wirklich immer Hippie bleiben?“ Im Herbst wachsen keine Zitronen. Der Gehsteig ist unter Blättern verborgen und seit rund 100m Fußweg versuche ich krampfhaft, eines der Platanen-Blätter mit den Spitzen meiner Pikes aufzuspießen. Zusammen mit Silvia bin ich an diesem Samstagabend auf dem Weg zum ZAKK in Düsseldorf, um einem ganz besonderen Konzertereignis Gehör zu schenken: Fehlfarben und DAF in einem legendären Doppelkonzert erinnern an wilde Nächte im Ratinger Hof, als der Schweiß von der Decke tropfte und der Gitarrist mit Senf beschmissen wurde. Für immer Punk!
An diesem herbstlich milden Novembertag stehen wir nun vor der Konzerthalle auf der Fichtenstraße, die kurioserweise mit Platanen gesäumt ist und warten auf Einlass. Direkt vor der Tür halten im Minutentakt Taxis und entlassen Menschen jenseits der 50 in die kleine Schlange der Wartenden. Lange Mäntel bedecken umgekrempelte Jeanshosen die in Halbschuhe mit gelber Naht enden, modische Kurzhaarfrisuren die sich mit völliger Haarlosigkeit abwechseln.
In den Armen: Akkurat zusammengebundene Damenhaarschnitte die an der Vorderseite in fröstelnden roten Lippen abschließen während die Beine in Strumpfhosen hochhackigen Schuhe hin- und hertänzeln um die Muskeln zu einer Wärmeproduktion zu animieren.
Ob die wohl hier richtig sind? Ob wir hier richtig sind? „Einmal in die Tasche gucken bitte!“ Bereitwillig öffne ich dem Typ der Einlasskontrolle meine Tasche. „Die Kamera kannst du aber nicht mitnehmen. Die musst du an der Garderobe abgeben oder zurück ins Auto bringen.“ Ein gewisser Klaus ruft aus dem Hintergrund: „Garderobe ist schlecht mit Kameras!“ – Also doch ins Auto. Ich nutze die Gelegenheit des doppelten Fußwegs und versuche wieder, endlich ein Blatt als Trophäe zu erlegen. Vergeblich. Stattdessen vermute ich gemeinsam mit Silvia, dass Punk wohl ein bisschen in die Jahre gekommen ist oder wahlweise, dass es früher viel weniger Kameras gegeben haben muss.
Endlich gewährt man uns Einlass, scannt unsere QR-Code Tickets und entlässt uns in die Räumlichkeiten. Während ich die Stufen zur Konzerthalle erklimme, fällt mir ein Kerl mit einem beschrifteten T-Shirt ins Auge. „Für immer Punk!“ steht da in großen weißen Buchstaben. In den Gläsern seiner Nickelbrille spiegelt sich das Display des Smartphones, während der strubbelige Schopf im Takt der SKA-Musik aus dem Hintergrund auf- und abwippt. Als ich den Herrn, der die 40 sicher auch schon hinter sich gelassen hat, passiere, muss ich unweigerlich an eine Weichspülerwerbung der 80er denken, so penetrant verkünden seine Klamotten die „Aprilfrische“. Und das im Herbst!
Ein Blick durch den noch hellen Saal offenbart Tatsachen. Gnadenlos beleuchten die Scheinwerfer an der Decke die Falten der Gesichter, anstatt sich im Silber der Sicherheitsnadeln zu spiegeln. Dort wo die roten Lichtkegel den Boden treffen, haben sich Lichtungen gebildet, offensichtlich möchte man sie nicht dabei ertappt fühlen, wie man als herausgewachsener Punk seiner Jugend hinterhertrauert. Scheu wartet man im Zwielicht der Beleuchtung auf den Beginn des Konzerts. Ich weiß, dass die Punks da sind – gelegentlich beweisen Motto-Shirts die Liebe zum Ratinger Hof, verspotten das System oder zeugen von den musikalischen Wurzeln in der Düsseldorfer Vergangenheit. Für einen Augenblick komme ich mir jedoch deplatziert vor mit meinen spitzen Schuhen, der engen Kunstlederhose, dem zerrissenen Pulli und dem zahlreichen Silberschmuck. Wie texteten die Goldenen Zitronen so passend: „Solln deine Kinder alle Grufties werden – für immer, für immer Punk!
Silvia und ich nutzen die Wartezeit, um uns an der Bar mit Getränken zu versorgen. In einer kleineren Menschentraube warten wir auf den fragenden Blick der Kellnerin. Fasziniert lausche ich den Bestellungen der Leute, die vor mir in der Schlange stehen. „Wasser“, „Limo“, „Kaffee“, „Becks Alkoholfrei“, „Radler“ – Ich muss völlig falsch informiert worden sein! Denn der „Punk“ wurde in zahlreichen Werke subkultureller Forschung völlig anders beschrieben. Während ich lustlos an meiner warmen und von Kohlensäure befreiten Cola nippe frage ich mich, ob ich das nun gut oder schlecht finden soll. Noch bevor ich eine Antwort auf diese bohrende Frage finde, wird es dunkel und die einmarschierenden Bandmitglieder der Fehlfarben werden aufrichtig begrüßt. Das Bild setzt sich fort, ein paar alternde Herren in schwarzen Klamotten machen noch keine Punk-Band. Peter Hein, der mit seinem schlaksigen Körper in einem schlecht sitzenden Anzug und Ringelsocken aussieht wie ein erfolgloser Staubsauger-Vertreter ist der lang ersehnte optische Kontrapunkt. Auch musikalisch geht es endlich zur Sache. Die Drummerin prügelt die deutlich älteren Herren gnadenlos zu musikalischen Höchstleistung, während Peter Hein „einen verkackten Polit-Song nach dem anderen“ ins Mikrophon brüllt und die fast schon störende unpunkige Harmonie an den Instrumenten so herrlich zerreißt. „Keine Atempause Geschichte wird gemacht – Es geht voran!“ Die Mischung zwischen alten Klassikern und neuen Schoten im Disco-Sound ist angenehm vielschichtig während die Fehlfarben deutlich machen, dass sie immer noch genug Pulver im Fass der Gesellschaftskritik haben und nicht zimperlich damit umgehen.
Schon eine ganze Zeit beobachte ich einen Vater mit seinem Sohn, die direkt vor mir stehen und dem Konzert folgen. Da wird gelegentlich erklärt, sporadisch umarmt und gemeinsam applaudiert und doch scheint der Vater mit zunehmender Konzertdauer eine besondere Nervosität zu entwickeln. Als die Fehlfarben ihren Klassiker „Paul ist tot“ anstimmen, gibt es kein Halten mehr. Gemeinsame Freunde fotografieren die beiden hektisch, während ein anderer die zwei während des Stückes filmt. Es stellt sich heraus, das der Vater seinen Sohn nach eben diesem Song benannt hat um ihn nun auf eben diesem legendären Konzert darüber zu informieren, dass es so ist. Noch eine ganze Weile grübele ich darüber nach, ob das angesichts des Textes eine gute oder eine schlechte Wahl gewesen ist.
Mit der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft schwappt nun auch endlich die verloren geblaubte Jugend wie ein Schwall über das Publikum. Aus den braven Familienvätern in ihren weichgespülten Motto-Shirts und den hochgekrempelten Jeans-Hosen brechen die unterdrückten Punks der Vergangenheit. Der kleine Saal entwickelt sich zu einem pogenden Hexenkessel, aufrecht gehaltene Getränkebecher ergießen sich reihenweise über die nächsten Nachbarn, während sich ganz Mutige die Bühne erklimmen um voller Vertrauen ins Publikum zu springen. „Verschwende deine Jugend!“ Gabi Delgado feuert seine ewigen Parolen ins Publikum, während das elektronische Feuerwerk keine Bewegungslosigkeit duldet. Die Trauer um eine verlorene Jugend lässt Frontmann Delgado nicht gelten, wie ein wirrer Prediger hetzt er von einer Seite der Bühne zur anderen, um seine Worte und den auf der Bühne lagernden Getränkevorrat über das Publikum zu ergießen. Und während man mit dem Stück „Der Mussolini“ die Austauschbarkeit der Ideologien zelebriert, fällt im Publikum die letzte Befindlichkeit. Es zeigt sich, wie der Spannungsbogen, den die Fehlfarben mit immer noch kritischen Songs gespannt haben, sich in der energetischen Musik von DAF zu entladen vermag. Das die weichgespülten Klamotten morgen höllisch riechen ist nun völlig egal, das die akkurat zusammengebundenen Haare sich den Kräften der Beschleunigung beugen, spielt keine Rolle und das die Hemden und Blusen nun aus den Hosen rutschen um blanke Bäuche zu enthüllen, wen interessiert es?
Für immer Punk!
Erschöpft und glücklich verlassen wir das ZAKK. Auf dem Weg zum Auto verschone ich das Laub mit allzu infantilen Attacken, meine Beine sind schwer. Morgen ist Sonntag. Genug Zeit die körperlichen Wunden zu versorgen, sich von der Anstrengung zu erholen und endlich das Fiepen aus den Ohren zu bekommen. Doch ob die Zeit auch reicht die seelischen Krater zu füllen? Wann überspielt der Alltag, die Verantwortung und die Befindlichkeiten wieder das Gefühl „Punk“ zu sein? Das Eintauchen in die Erinnerung an eine unbeschwerte und jugendliche Zeit ist immer gefährlich, ständig droht das Schwert der Resignation zuzuschlagen und das Leben in Belanglosigkeit zu zerschmettern. Machen wir uns nicht vor, liebes Tagebuch. Für die Meisten bleibt Punk eine Erinnerung, ein Wegbegleiter und vielleicht auch ein Richtungsgeber. Manchmal auch nur eine Modeerscheinung, hat die Westwood ja schon damals eindrucksvoll vorgemacht. Für immer Punk? Womöglich eine Illusion. Für die Ü40-jährigen Punks und Grufties, die damals durch gelebte Andersartigkeit aneckten bleibt Punk nichts weiter als eine Alltagsflucht. Für die Meisten der Anwesenden an diesem Abend scheinen die Weichen des Lebens längst gestellt, die Route scheint vorhersehbar, eingegrenzt, geregelt, sortiert. Punk? Eine Jugendsünde. Wie der Vater, der seinem Sohn zeigte, woher sein Name stammte. Für beide eine schöne Erinnerung. Nicht mehr.
Und dennoch: Der Geschmack des Punk schwängert den Mund mit der Süße des Lebens. Wer weiß, vielleicht ist ein Abend gelebter Jugendlichkeit die Keimzelle für Gedanken und Veränderungen? Vielleicht sind solche Abende der Rostlöser auf den Weichen des Lebens.
Ein schöner und auch nachdenklich stimmender Konzertbericht. Was ist Punk? Ist es Anarchie? Parolen á la „ACAB“? Aussichtslosigkeit? Alkoholkonsum bis zum Umfallen? Oder ist es ein Hinterfragen der Obrigkeiten? Ein Einstehen für eigene Ideale? Gesellschaftskritik und eine gewisse Wut hervorgehend aus den vielen Ungerechtigkeiten, die sich tagtäglich ereignen? Vielleicht ist es aber auch einfach nur eine Musikrichtung…
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich gestern bei EA80 – wir fuhren in Mönchengladbach an den Eingang vorbei (Sind das die Gäste für EA80?, fragte ich mich). Hab ganze drei Iro-Träger zwischen 250 Leuten in der kleinen vollgestopften Halle gesehen, ansonsten zum großen Teil optisch völlig normale Leute. Nach dem Einlass durften wir nicht mehr vor die Tür. Die Garderobe wies mich an zum Rauchen doch bitte in den ausgewiesenen Bereich (eine kleine Stahltreppe draußen im Kalten, wo sich das rauchende Volk dicht an dicht drängt) zu gehen. Später, wo der Bereich voll war stellten sich die Gäste nun doch in den Garderobenbereich zu schmökern – wo sollen die vielen Raucher denn hin?….
Der erste Track war Fort von Krank und ich muss sagen – in den 2 Stunden gab es doch ordentlich was auf die Ohren – ohne Vorband ohne Schnick schnack – hinkommen: 2 Stunden Krach und dann wieder Abzug nach Haus, war schlussendlich doch ganz geil.
Nur gabs zwischendurch anscheinend die eine oder andere Gitarrenpanne wo ich mich fragte: Was das jetzt echt oder inszeniert.
Naja, Show muss sein!
Ich muss hinzufügen – der Band wurde anscheinend letzte Nacht das Equipment gestohlen, da in den Veranstaltungssaal eingebrochen wurde.
Nähere Infos:
https://www.facebook.com/events/1465899840340030/permalink/1490395931223754/
@Marcus: Punk ist für mich in erste Linie eine Bewegung, die sich nicht nur im Tanz, sondern auch in der Lebenseinstellung äußert. Etwas machen, anstatt nur vor der Bühne zu stehen und zu lauschen was andere denken und tun würden. Für immer Punk? Mit steigendem Alter sinkt die Bereitschaft zur Bewegung, Stillstand wird das neue Credo der Wohlstandgesellschaft. Vermutlich ein unausweichlicher Prozess für dessen Überwindung mit jedem Lebensjahr mehr Energie nötig wird.
@Schwarzkittel: EA80 in Mönchengladbach – wie konnte ich das nur verpassen? Immerhin ist Dein Erfahrungsbericht die Bestätigung meiner Eindrücke. Und Gitarrenpannen bei eine Punk-Band sind immer ein Teil der Show :-) Das muss so sein, hätte sich Peter Hein nicht häufiger versungen, wäre es womöglich auch langweilig geworden.
Scheiße ist allerdings die Sache mit dem Equipment, da hoffe ich doch, dass sich die unterbemittelten Hirnis bald finden und die Sachen zurückgeben. So was ist echt doof und trübt das Erlebnis doch erheblich.