Liebes Tagebuch, „Hello darkness, my old friend – i’ve come to talk to you again“ sind die ersten beiden Zeilen aus Simon & Garfunkels zeitlosem Klassiker „Sound of Silence„, den ich jetzt mal einfach zum allgemeinbekannten Kulturgut zähle, auch wenn die Band so gar nicht meinem Geschmack zähle. Allerdings liegt in den ersten beiden Zeilen des Textes eine aktuell beruhigende Sehnsucht nach Abgrenzung, zu der ich mich sehr hingezogen fühle.
Unsere Szene, die ich hier einmal mit der Dunkelheit aus dem genannten Song gleichsetze, ist ausgehungert. Mangels kulturellen, musikalischen und freizeitfüllenden Angeboten mit eindeutiger Gothic-Attitüde scheinen wir in einer Art Stasis zu verharren und darauf zu warten, dass ein großer Tropfen Patchouli unsere Blüten wieder zum Blühen bringt. Die Flucht ins Internet führt allerdings auch immer weniger zur gewünschte Abgrenzung, im Gegenteil.
Frustration, Wut, Hass und sonstige negative Emotionen beherrschen viele Inhalte – und vor allem die Kommentare – des Netzes. Nicht zuletzt, weil gerade die sozialen Netzwerke das bewusst fördern und verwenden, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Das geht nicht mir, an unserer Szene und schon gar nicht am Mainstream vorbei. Mir ist es ein Bedürfnis dagegen aufzubegehren, mich zu wehren und die Fahne in den Wind zu stellen.
Jetzt, liebes Tagebuch, hätte ich Dich als Stimme der Vernunft, mal wieder aufschlagen sollen. Ich wusste es aber mal wieder besser, nahm ein aktuell populäres Ereignis zu dem Thema und begehrte auf. Ich war mir sicher, in meiner schwarzen Community gibt es unzählige Leute, mit denen ich mich liebend gerne über das Thema ausgetauscht hätte.
Allerdings hatte ich mich an einem aktuellen Ereignis vergriffen, das schon seit Jahren auf toxischem Boden gedeiht. Ich lockte damit Menschen an, die eben nicht zur viel beschworenen Dunkelheit gehören und mit dieser tollen Community soviel zu tun haben, wie die jüngste Platte von Unheilig mit Gothic. Die Folgen dieser Entscheidung waren deutlich und selbst eingebrockt. Neben unzähligen Kommentaren, die nichts mit meinem Aufbegehren und meinen Gedanken zu tun hatten, erhielt ich auch zahlreichen E-Mails mit mehr oder weniger haarsträubendem Inhalt. In den nächsten Stunden reifte unter Zuhilfenahme des geliebten Ehe-Gruftis ein Entschluss.
Liebes Tagebuch, ich muss Dinge wie verbale Gewalt nicht ansprechen, keine Fahne in den Wind halten und auch nicht aufbegehren, weil sie hier in der kuscheligen Dunkelheit dieser Community nicht existent sind. Ich muss hier niemanden überzeugen, weil wir im Grunde genommen ganz ähnliche Ansichten haben, eben so, wie es in einer Szene – und vor allem in unserer – eben ist. Und die, die nicht zu Szene gehören und offenkundig eine völlig andere Einstellung haben, muss ich nicht überzeugen. Die wollen auch gar nicht überzeugt werden, sondern meist einfach nur ihre vergifteten Gedanken sähen.
I’ve come to talk with you again
Deshalb habe ich mich entschlossen, wieder mehr Abgrenzung zu leben. Keine populären Empörungspferde mehr reiten, nicht meine politischen Ansicht verbreiten und keine weltverbesserische Attitüde leben. Denn im Grunde renne ich hier in unserer Szene hauptsächlich offene Türen ein. Das macht keinen Sinn. Die Türen der breiten Masse interessieren mich im Grunde genommen gar nicht und mir nur für ein paar Klicks Unrat auf die Fußmatte der virtuellen Haustür zu holen, sehe ich gar nicht mehr ein.
In Zukunft konzentriere ich mich wieder mehr darauf unsere Szene mit Daseins-Berechtigung zu versorgen und mit Dingen zu unterhalten, die zu unserer Lebenseinstellung passen. Auch wenn das bedeutet, dass es im Zeichen der Pandemie vielleicht ein bisschen weniger Inhalt bieten kann. Der Kommentarbereich hier im Blog soll in Zukunft stärker moderiert werden, nicht weil ich Zensur unbequemer Ansichten ausüben möchte, sondern vielmehr einen wirklich fruchtbaren Diskurs zu generieren. Ich möchte abseits der toxischen Kommentarspalten sozialer Netzwerke wieder ein Refugium des Zuhörens bieten. Das geht leider nicht, wenn ich jedem ein Forum biete, seinen geistigen Müll abzuladen.
Du wirst jetzt sicherlich einwenden wollen, mein liebes Tagebuch, dass ich bisher stets selbst dafür verantwortlich war, das Portal in die „bunte“ Welt geöffnet zu haben. Du hast recht, aber das versuche ich jetzt sein zu lassen.
Liebes Tagebuch, ich freue mich schon darauf der schwarzen Gemeinschaft, die es sich hier auf unserer Wiese gemütlich gemacht hat, alsbald ein Magazin zuzuschicken, dass vor Inhalten und Abgrenzung nur so tropft. In den kommenden Tagen geht es los.
Hey und was ich dir noch schreiben wollte, liebe Szene der kuscheligen Dunkelheit, die Menschen da draußen sind mir weitestgehend und darüber hinaus noch unfassbar egal. Ich wünsche mir, ihr versteht mich ein bisschen und seht es mir nach, dass ich schon wieder einen Artikel löschen musste. Gelegentlich muss ich mich wohl selbst betrügen, um zu fühlen, wie wichtig es ist, ehrlich zu mir selbst zu sein.