Angriffe mit K.o.-Tropfen gehören leider auch in der Gothic-Szene zu einer immer größer werdenden Gefahr. Seit man in den schwarzen Clubs wieder uneingeschränkt feiern kann, unzählige Konzerte und Festivals stattfinden, nimmt auch wieder die Zahl der Meldungen zu, in denen überwiegend Frauen nach solchen Veranstaltungen über Lähmungserscheinungen in den Beinen, Übelkeit, Sprachstörungen und Gedächtnisverlust klagen. Typische Symptome nach der Einnahme sogenannter K.-o.-Tropfen. Die Anzahl der Fälle und Berichte hat seit dem Wegfall aller Corona-Beschränkungen sprunghaft zugenommen. Anlass genug, das Thema aufzugreifen und mit Hilfe einer Ärztin der Suchtmedizinischen Ambulanz die Wirkungsweise zu beleuchten.
Auch in der Gothic-Szene machen Berichte von Betroffenen die Runde, erst jüngst berichtete eine Besucherin eines Boy Harsher Konzerts im Leipziger Werk II in den sozialen Medien: „Ich bin am Dienstag […] über ein durchgängig beaufsichtigtes Getränk gedrugged worden und so in die Notaufnahme vom St. Elisabeth Krankenhaus gekommen, wo sich herausstellte, dass ich nicht das einzige Opfer an diesem Abend war.“
Auf dem diesjährigen Gothic-Pogo Festival im Rahmen des WGT 2022 kam es zu Zwischenfällen, die den Veranstalter zu dieser Warnung drängten: „Liebe Pogo People, leider wurden wir dies Wochenende zwei mal auf K.-o.-Tropfen Vorfälle aufmerksam. Daher möchten euch bitten, eure Getränke nicht unbeaufsichtigt zu lassen und bitte auf euch und eure Mitfeiernden achtzugeben. Leider können wir nie ganz ausschließen, dass Menschen solche Substanzen mit auf die Party bringen. Wir geben natürlich unser Bestes, euch ein schönes Erlebnis zu ermöglichen.“
Die Sängerin Alison Lewis (auch bekannt unter ihrem Künstlernamen „Zoe Zanias“) der Band Linea Aspera berichtete von einem Angriff in der Berliner Discothek „Berghain“, allerdings mit einer Nadel. Vermutlich ein Fall von „Needle Spiking“, einer besonders skrupellosen und gefährlichen Form.
Needle Spiking – Eine besonders perfide Steigerung
Vor allem in Großbritannien macht zu Zeit der Begriff „Needle Spiking“ die Runde, bei dem den Opfern die Substanzen mithilfe einer Spritze unbemerkt verabreicht werden. Im Gedränge oder beim ausgelassenen Feiern verspüren viele Leute einen Einstich am Rücken oder am Bein kaum.
Eine 19-jährige Studentin berichtet dem Guardian beispielsweise, sie sei mit keinerlei Erinnerung an einen Abend im Nachtklub „Pryzm“ in Nottingham aufgewacht. Sie habe keinen Kater gehabt, aber fühlte einen „scharfen, quälenden Schmerz“ in ihrem Bein und konnte nicht gehen, ohne zu hinken. Nachdem sie eine Einstichstelle an ihrem Bein entdeckt hatte, ging sie ins Krankenhaus, um sich untersuchen zu lassen. Jüngst kam es auf Festivals in Reading und Leeds zu ähnlichen Vorfällen.
Seit Ex-Premier Boris Johnson im Oktober letzten Jahres den „Freedom Day“ ausgerufen hat, mit dem alle Beschränkungen der Corona-Pandemie fielen, häufen sich die Fälle. Wie die englische Daily Mail berichten, steigt die Zahl der Fälle seit Oktober 2021 rasant. Wie die Washington Post berichtet, ist das mittlerweile zu einem europäischen Problem geworden, denn auch in Frankreich und Belgien häufen sich Berichte, die ganz ähnliche Vorfälle schildern.
Fundierte Hintergründe zu K.-o.-Tropfen
Da es in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke zu vielen Vermutung und Gerüchten rund um das Thema K.-o.-Tropfen kommt, will ich das Thema beleuchten und Leser für dieses Problem sensibilisieren. Da ich selbst auch keine entsprechende Qualifikation besitze und vermutlich ebenfalls mit gefährlichem Halbwissen glänzen würde, habe ich mich mit der Ärztin Bindhu Makil-Kirnapci unterhalten. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und arbeitet in der suchtmedizinischen Ambulanz der LWL-Klinik Dortmund.
Spontis: Was sind K.-o.- Tropfen?
Bindhu Makil-Kirnapci: „K.o.- Tropfen“ ist zwar ein sehr verbreiteter Begriff, aber tatsächlich gibt es nicht die eine Substanz mit der Bezeichnung „K.o.-Tropfen“. Der Begriff ist vielmehr eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine ganze Reihe verschiedener Präparate, die im Rahmen von Straftaten eingesetzt werden, um das Opfer gefügig zu machen. Dazu zählen unter anderem Benzodiazepine, Neuroleptika, Anticholinergika, aber auch Anästhetika und sogenannte Party-Drogen, wie zum Beispiel GBL (Gamma-Butyrolacton) und GBH (Gammahydroxybuttersäure), besser bekannt unter der Bezeichnung „Liquid Ecstasy“.
Ein Teil der Substanzen wird regulär als Beruhigungsmittel, Narkosemittel oder als Schlafmittel und zu anderen Zwecken im medizinischen Bereich eingesetzt. In der Regel sind diese Präparate rezeptpflichtig, unterliegen teilweise auch dem Betäubungsmittelgesetz. Da die Bandbreite sehr groß ist, gibt es entsprechend unterschiedliche Darreichungsformen – Flüssigkeit, Tabletten, Pulver. Denkbar ist auch, dass verschiedene Substanzen gemischt werden, um die von den Täterkreisen gewünschten Effekte zu erzielen. Die Substanzen haben unterschiedliche Halbwertszeiten, Abbauwege und Wirkweisen.
Die Täter verwenden typischerweise farb- und geruchslose Substanzen, die sie dem Opfer in einem unbeobachteten Moment ins Getränk oder ins Essen mischen. Auch bewusst konsumierten Drogen können entsprechende Substanzen zugefügt werden. In den Medien wurde in letzter Zeit auch immer wieder über eine heimliche Injektion der besagten Substanzen berichtet (Needle Spiking).
Spontis: Was machen diese Substanzen mit den Opfern?
Bindhu Makil-Kirnapci: Die Abkürzung „K.o.“- steht für „Knock-Out“ und versinnbildlicht, dass die Einnahme die Person im wahrsten Sinne des Wortes „umhaut“. Sie hat keine Kontrolle mehr über sich selbst und ist schutzlos ihrem Umfeld ausgeliefert. Anfängliche Anzeichen einer Einnahme von K.o.-Tropfen können sein: Euphorie, Entspannung, Enthemmung, aber auch Schläfrigkeit, Übelkeit, Schwindel, Erbrechen.
Häufig wird auch das Gedächtnis beeinträchtigt. Es tritt eine sogenannte anterograde Amnesie auf. In solch einem Fall werden neue Gedächtnisinhalte nach der Einnahme der K.o.- Tropfen für einen gewissen Zeitraum nicht im Langzeitgedächtnis abgespeichert und das Opfer erinnert sich nicht mehr an das Geschehene, hat sozusagen einen Filmriss. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen kann zu unvorhergesehenen Wechselwirkungen und zur Verstärkung der Symptomatik führen.
Prinzipiell gilt: Sollte man sich plötzlich unwohl fühlen, unter Schwindel, Übelkeit, Müdigkeit u.a. nicht erklärbaren Symptomen leiden, sollte man zum Arzt gehen. Dazu ist das Opfer selbst manchmal nicht mehr in der Lage, sodass es wichtig ist, dass andere helfen, wenn sich der Allgemeinzustand einer Person plötzlich verschlechtert, oder sie sich auffällig verhält.
Spontis: Welchen Gefahren ist das Opfer durch die K.-o.-Tropfen ausgesetzt?
Bindhu Makil-Kirnapci: Durch eine Überdosis oder eine Verkettung unglücklicher Umstände kann Lebensgefahr bestehen. Erbrochenes kann zum Beispiel bei bewusstseinsgetrübten Personen in die Lunge gelangen und die Atemwege blockieren. Eine Fahrtauglichkeit ist nicht mehr gegeben. Es kann zu Stürzen, Verletzungen, Unfällen und lebensbedrohlichen Komplikationen, wie einem Atemstillstand, kommen. Ist Spritzenbesteck, das beim Needle-Spiking eingesetzt wird, nicht steril und wird gar mehrfach eingesetzt, sind Infektionen denkbar.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle über ihr selbstbestimmtes Handeln, können Opfer von Eigentumsdelikten und/oder sexualisierter Gewalt werden, mit all den entsprechenden Konsequenzen bis hin zur Infektion mit Geschlechtskrankheiten. Menschen, die Opfer körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt werden, können eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.
Spontis: Wie ist es Ihrer Meinung nach zu erklären, dass Täter offensichtlich problemlos an solche Substanzen kommen?
Bindhu Makil-Kirnapci: Ein Teil der genannten Substanzen wird regulär und sinnvoll im medizinischen Bereich eingesetzt, zum Beispiel als Beruhigungsmittel, Narkosemittel, oder als Schlafmittel und im Rahmen weiterer Indikationen. Diese Präparate sind rezeptpflichtig, unterliegen teilweise auch dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG) und damit strengen Beschränkungen. Leider ist es so, dass man auf dem Schwarzmarkt nahezu jede Substanz für einen entsprechenden Preis kaufen kann.
Spontis: Kann man sich vor der Wirkung oder der Einnahme dieser Substanzen schützen?
Bindhu Makil-Kirnapci: Tatsächlich werden auf dem Markt Tests – zum Beispiel als Armband – angeboten, die versprechen, Getränke auf K.o.- Tropfen testen zu können. Ein Produkt, das ich mir genauer angeschaut habe, verweist darauf, dass auf GHB getestet wird (Liquid Ecstasy). Die anderen Substanzen, die ebenfalls als K.o.-Tropfen eingesetzt werden können, werden nicht getestet. Diese Tests können also nur einen sehr begrenzten Schutz bieten.
Bei Intoxikationen mit bestimmten Substanzen gibt es die Möglichkeit, ärztlich ein Gegenmittel zu verabreichen. Da die Opfer von K.o.-Tropfen in der Regel nicht wissen, welche Substanzen sie gegen ihren Willen konsumiert haben, ist die Einnahme von Gegenmitteln auf eigene Faust praktisch nicht umsetzbar.
Generell ist zu empfehlen, Getränke und Speisen nicht unbeobachtet zu lassen. Von fremden Personen sollte man keine offenen Getränke annehmen.
Spontis: Was sollten Opfer tun, wenn sie vermuten, dass sie K.-o.- Tropfen verabreicht bekommen haben?
Bindhu Makil-Kirnapci: Sie sollten sich in der Notaufnahme eines Krankenhauses vorstellen. Dort können alle Maßnahmen, die aus medizinischer Sicht erforderlich sind, eingeleitet werden. Besteht der Verdacht auf sexuellen Missbrauch, werden entsprechende gynäkologische Untersuchungen durchgeführt und Verletzungen dokumentiert. Gegebenenfalls benötigen die Opfer auch psychologische Unterstützung. Darüber hinaus ist eine Rücksprache mit der Polizei zu empfehlen.
Die Organisation der „Weiße Ring“ bietet täglich von 7-22 Uhr die Möglichkeit der telefonischen Kontaktaufnahme – bundesweit, kostenfrei und anonym. Unter der Nummer 116 006 können sich Opfer melden und beraten lassen. Zudem gibt es in vielen Städten Frauenberatungsstellen, die Opfern ihre Hilfe anbieten.
Fazit: Gegenseitige Achtsamkeit kann lebenswichtig sein
Lasst Getränke in der Diskothek niemals unbeaufsichtigt und nehmt keine offenen Getränke von Unbekannten an. Passt gegenseitig auf Euch auf und achtet darauf, ob sich jemand plötzlich komisch benimmt und beschriebene Symptome aufweist. Fühlt ihr euch merkwürdig, bittet das Personal, Freunde und Bekannte um Hilfe und ruft im Zweifel immer mit der 112 den Rettungsdienst. Test-Streifen und Test-Armbändern vermitteln häufig ein falsches Schutzgefühl.