Leonard Nimoy – Er lebte lang und in Frieden

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Er war wohl die interessanteste Figur des gesamten Science-Fiction-Genres: Der Vulkanier Spock. Emotionslos betrachtete er menschliche Stärken und Schwächen auf seine ganz eigene Weise. Heute verstarb der wohl berühmteste aller Vulkanier, der Schauspieler Leonard Nimoy, im Alter von 83 Jahren. Für die meisten Menschen auf diesem Planeten ist Nimoy fest mit der Figur des Spock verbunden, 47 Jahre lang schlüpfte er immer wieder in die Rolle des „grünblütigen und spitzohrigen Hundesohns„, wie Pille sagen würde. Ich bin mir sicher, dass mehr Menschen vor den Bildschirmen und Leinwänden beeinflusste als sonst ein Charakter der Enterprise. Ich lernte Spock bei meiner Oma kennen, als Serienheld der ersten Enterprise-Reihe, der mir nach dem Kindergarten immer mit einem Dany+Sahne serviert wurde, während mein Opa auf seinem Sessel ein Nickerchen machte. Jetzt ist macht auch Leonard Nimoy ein Nickerchen. Für immer. Und selbst dem emotionslosesten Vulkanier dürfte dabei Trauer empfinden.

Redlich versuchte Nimoy in den 70ern sein Image ein wenig zu ändern, seine Autobiografie 1977 titelte er bezeichnenderweise und ein wenig selbstironisch „I Am Not Spock“ denn längst hatte er sich mit seinem Schicksal abgefunden. Er schrieb: „In Spock, I finally found the best of both worlds: to be widely accepted in public approval and yet be able to continue to play the insulated alien through the Vulcan character.“ 1995 gab er schließlich auf und veröffentlichte seine zweite Biografie: „I Am Spock.“ Wie recht er hatte.

Zu seinem Markenzeichen, dem vulkanischen Gruß, kam er 1967 in der Folge „Weltraumfieber“. Er ist an den jüdischen Segen „Birkart Kohanim“ angelehnt und symbolisiert im hebräischen den Buchstaben Shin, welcher der erste des Wortes Shaddai (allmächtig) ist. Die Übersetzung „Lebe lang und in Frieden“ ist indes nicht ganz richtig, denn wörtlich heißt es: „Lebe lang und wachse“ oder auch „Lebe lang und sei erfolgreich“. Er wurde seinem eigenen Wunsch gerecht. Nimoy blieb Spock, mauserte sich zum Regisseur und Produzenten und verkörperte so lange wie niemand sonst in der TV- und Filmgeschichte die gleiche Figur.

2013 zog er sich aus der öffentlich Wahrnehmung zurück. Nachdem dann ein Bild von veröffentlicht wurde, auf dem im Rollstuhl zu sehen war, erklärte er im Februar 2014 über seinen Twitter-Account, dass er an der Lungenerkrankung COPD leidet, obwohl er bereits vor 30 Jahren damit aufgehört hatte. Er appellierte an seine rund 800.000 Follower: „Hört jetzt auf!“ – Leonard Nimoy starb an diesem Freitag Morgen in Los Angeles an den Folgen dieser Erkrankung. Er wurde stolze 83 Jahre alt. Kurz vor seinem Tod twitterte er noch einen sehr prägenden Satz:

A life is like a garden. Perfect moments can be had, but not preserved, except in memory. LLAP

— Leonard Nimoy (@TheRealNimoy) 23. Februar 2015

Welche Beerdigung wird einem Leonard Nimoy gerecht? Natürlich die seiner Figur Spock, die 1982 im Film Star Trek II: Zorn des Khan über die Leinwand flimmerte. Mit dem Satz, den Captain Kirk in seiner Trauerrede sagt, möchte ich mich traurig zurückziehen, um später noch die DVD-Box mit allen Filme zu entstauben: „Von allen Seelen, die mir während meiner Reisen begegnet sind, war er die menschlichste.

Darf ich das hören? Musik im Kreuzfeuer der Ideologien

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Ist es möglich, einen fragwürdigen ideologischen oder politischen Standpunkt eines Musikers zu ignorieren und die Lieder sorgenfrei zu genießen? Der jüngste Fall der Band Funker Vogt zeigt, wie schnell man als Band in einer Ecke landen kann, in die man eigentlich nicht wollte. Zu Recht?

Rein musikalisch habe ich der EBM-Formation „Funker Vogt“ bisher nicht viel Gehör geschenkt, doch als im Dezember 2014 bekannt wurde, dass der umstrittene Sänger Sacha Korn der bis dahin geheim gehaltene Frontmann „Sick Man“ der Band ist, drängte sich die Frage auf, ob dies eine rein musikalische Entscheidung gewesen ist.

In den Stunden nach Bekanntwerden der neuen Besetzung überschlugen sich die Statements und Kommentare in den sozialen Kanälen. Korn, der durch die Veröffentlichungen seiner Songs auf einer CD der NPD und das Covern der deutschen Nationalhyme mit allen Strophen in die Kritik geraten war, spaltete das Lager der Fans.  Auch das Label der Band „Out of Line“ zeigte sich überrascht und macht unmissverständlich klar, dass sie an einer Zusammenarbeit mit Korn nicht interessiert seien. Unter dem Druck der Öffentlichkeit ruderte die Band kurz vor dem Jahreswechsel zurück und trennte sich wieder von Korn.

Dieser aktuelle Fall von Musik zwischen vermeintlichen Ideologien wirft für mich die Frage auf, inwiefern man sich als Hörer einer „umstrittenen“ Band positionieren muss und ob es möglich ist, politischen und ideologischen Hintergründen von Musikern und Künstlern keine Bedeutung zuzumessen. Es geht nicht um die Frage, ob eine Band nun „links“ oder „rechts“ ist, sondern darum, ob man Musik und Band-Hintergrund trennen kann und darf. Muss man aufgrund seiner persönlichen politischen Überzeugung die Tanzfläche verlassen, wenn der DJ Musik von Death in June, Blutharsch oder Fire + Ice auflegt?

Der aktuelle Fall: Funker Vogt provoziert Szene mit neuem Sänger Sascha Korn

Nachdem Jens Kästel die EBM-Formation „Funker Vogt“ im November 2013 verließ, versprach Gerrit Thomas, dass es mit neuem Sänger musikalisch weitergehen würde. Mitte 2014 war es dann so weit: Noch mit Sturmhauben verhüllt, zeigte sich Funker Vogt in neuer Formation auf offiziellen Bildern . Den neuen Sänger nannte man „Sick Man“, um – so die Band auf ihrem Facebook Profil – den Fokus auf die Musik zu lenken. Als am 12. Dezember dann ein neues Video mit dem Titel „Sick man“ erschien, dauerte es nicht lange, bis der Sänger als Sascha Korn identifiziert wurde. Seitdem steht der neue Sänger im Fokus, denn Korn machte in der Vergangenheit durch immer neue Schlagzeilen von sich reden.

Sacha Korn
Auf seiner Internetseite gibt sich Korn kämpferisch und bezeichnet sich als „100% politisch Unkorrekt“:

2011 war Korn in der Kritik, weil einige seiner Lieder auf der „Schulhof-CD“ der NPD erschienen. Er erklärte damals, sein kanadisches Management habe die Titel ohne sein Wissen an die Partei abgegeben und untersagte zukünftige Weitergaben an politische Parteien. Durch die Veröffentlichung wurde der Verfassungsschutz Brandenburgs auf den Sänger aufmerksam, der ihn im damaligen Verfassungsschutzbericht als „rechtsextremen Liedermacher“ aufführte. Korn klagte gegen diesen Eintrag und erreichte, dass sein Name aus dem Bericht entfernt wurde. 2012 erscheint „Das Lied der Deutschen“, eine Coverversion der deutschen Nationalhymne mit allen drei Strophen der ursprünglichen Version. Obwohl nicht offiziell verboten, streicht der Handel die Veröffentlichung aus ihrem Angebot, das daraufhin auch nicht den Verkaufscharts erscheint. Diese Provokation sorgt vor allem bei Magazinen aus dem rechten Milieu für Interesse. Interviews für umstrittene Publikationen wie „Blaue Narzisse“, „Zuerst!“ oder auch „Hier & Jetzt“ stellen Korn in das Kreuzfeuer zwischen linken und rechten Ideologien. Das „Netz-gegen-Nazis“ kritisiert Korn, weil auf seiner Facebook-Seite „völkische und rechtsextreme Aussagen macht und anderen Facebook-Mitgliedern mit rechtsextremer Gesinnung eine Plattform bietet“ (Quelle: Wikipedia)

Das Echo der Öffentlichkeit folgte innerhalb weniger Stunden. Das Label Out of Line, das ebenfalls nicht in die Verpflichtung von Sascha Korn eingeweiht wurde, reagiert in einer Erklärung: „[…] Wir warten nun auf ein Statement des Managements bezüglich dieser Personalie. An einer Zusammenarbeit mit Herrn Korn sind wir nicht interessiert.„. In einem kurzen Statement distanziert sich die Band von jeglichen politischen Orientierungen: „no politics just music“ ist bei Facebook zu lesen, man erklärt aber zunächst nicht die „Geheimhaltungstaktik“.  Auch der Sonic-Seducer stimmt mit ein und kündigt an, die Berichterstattung über die Band einzustellen: „Sonic Seducer wird selbstverständlich von einer Berichterstattung über Funker Vogt bis auf weiteres komplett Abstand nehmen.

Die Bandmitglieder – die erklären von den „hohen Wellen“ völlig überrascht zu sein – sehen sich genötigt, Stellung zu beziehen. Da sich der anschließende Text auf eben diese Statements bezieht, erlaube ich mir an dieser Stelle ein etwas ausführlicheres Zitat:

Gerrit Thomas schreibt: „Jedenfalls sahen wir die Stimmung um seine Person eher als engstirnig und eingefahren an, anstatt als objektiv und tolerant. Da wir eigentlich eher darauf aus sind, nicht zu konfrontieren, wollten wir so wenig, wie möglich davon preisgeben, denn dass einige Sacha nur zu gern in eine Ecke stecken wollen, um uns in dem Zusammenhang zu schädigen, war uns von vornherein auch klar. […] Es tut uns wirklich leid, dass unser Management und unsere Plattenfirma unbewusst in die Sache mit hinein gezogen wurden, da wir nicht wirklich mit solchen Reaktionen gerechnet haben, sollte die wahre Identität von Sick Man herauskommen. Aber auch Euch wollten wir nicht darüber informieren, eben aus den oben genannten Gründen. Denn letztendlich kann es völlig egal sein, wer bei uns singt, ob er Sascha Korn oder Fritz Brause heißt, oder eben Sick Man! Das spielt überhaupt keine Rolle, da wir in unseren Texten keinerlei Ideologie oder Ähnliches verbreiten oder irgendwas verherrlichen oder gar gegen irgendwen aufhetzen – so, wie es mit uns gerade von anderen Seiten her gemacht wird!

Sacha Korn bezieht auch Stellung: „Ja, ich habe eine patriotische Einstellung und liebe meine Heimat, meine Familie, meine Freunde. Aber die meisten haben ja schon begriffen, dass das noch keinen „Rechten“ aus jemandem macht […]

Am 30. Dezember 2014 rudert die Band zurück. Auf FB veröffentlichen sie ein Statement: „Dass die Sache um unsere aktuelle Besetzung so große Wellen schlagen wird, ist der Grund dafür, jetzt getrennte Wege zu gehen. Wir wollen alle in Ruhe unserer Arbeit nachgehen, was unter diesem Dauerfeuer einfach unmöglich ist. Die Konsequenz daraus ist es, einen klaren Schnitt zu machen und diesen hier auch bekannt zu geben.

Und täglich grüßt das Murmeltier

Broschüre der Geister Bremen, die 1998 die Szene dazu zwingt, Stellung zu beziehen.
Broschüre der Geister Bremen, die 1998 die Szene dazu zwingt, Stellung zu beziehen.

Die Szene kennt das Problem. Seit Anfang der 90er Jahre die Musikrichtung „Neofolk“ in der schwarzen Szene Platz findet, hagelt es Kritik. Bereits 1992 sagt die Band Death in June einen Auftritt zu einem „Dark X-Mas Festival“ nach einem Streit mit der Band „Das Ich“ ab. 1998 sorgten die „Geister Bremen“ mit ihrer Broschüre „Die Geister die ich rief“ für Wirbel, weitere Broschüren, die zu den Wave-Gotik-Treffen in Leipzig erscheinen, sorgen für weiteren Zündstoff.  2003 sagen die Veranstalter des Bochumer „Zwischenfall“ ein CD-Release-Party der Band Ostare ab, weil es zu massive Protesten der ortsansässigen Antifa-Verbände kommt. Das 2007 erscheinende Buch „Looking for Europe“ klärt vieles auf, kann jedoch die Brisanz des Thema nicht mildern. Seit Beginn der 90er Jahre stehen viele Bands des Genre „Neofolk“ in der Kritik, werden analysiert und ideologisch eingeordnet und auch das WGT rückt seitdem immer wieder in Kreuzfeuer politischer Ideologien. Sei es wegen der auftretenden Bands aus eben diesem Genre, oder auch wegen der Gestaltung der Eintrittskarten. Die Liste von Ereignissen lässt sich wohl beliebig erweitern.

Daas dieses Thema seit nunmehr 25 Jahren immer noch für Diskussionsstoff sorgt, ist Indiz dafür, wie schwer es zu sein scheint, selbst einen klaren Standpunkt zu beziehen. Die beiden auf Spontis erschienen Artikel „Herr Urbach, der Sonic Seducer und der Nationalismus“ und „Von der Reichsmark zu Eintrittskarte“ aus dem Jahr 2014 gehören zu den am häufigsten kommentierten.

Fragen über Fragen

Kann man die Musik einfach so in den Vordergrund stellen? Wie glaubhaft macht sich eine Band, die schreibt, sie würde in ihren Texten keine Ideologien verbreiten, wenn sie andererseits einen Sänger ins Rampenlicht stellt, der sich so zielstrebig im Kreuzfeuer der Ideologien bewegt?

Jeder von uns lässt sich doch aufgrund seiner Meinungen, Ansichten und Weltanschauungen irgendwie einordnen. Die meisten gehen sogar wählen und geben mit ihrem Kreuz auch eine Art Bekenntnis zu einer Partei ab, mit der sich sich am ehesten identifizieren können. Die meisten Szenemitglieder der schwarzen Szene – so behaupte ich jedenfalls – sind traditionell im linken Spektrum zu finden und haben wenig übrig für rechte Ideen und Parteien. Das gilt auch sicherlich für die meisten Künstler, die in Bands „Gothic“ mit der musikalischen Grundlage versorgen. Mit der zunehmenden Präsenz von Bands, deren Mitglieder sich in rechten Spektrum der politischen Orientierung wiederfinden, kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Reibungspunkten innerhalb der Szene. Wie wichtig ist denn diese politische Orientierung der Musiker, wenn die Musik völlig losgelöst davon agiert? Und: Wird die Musik schlechter, wenn man über die Hintergründe der Band aufgeklärt wird?

Der ein oder andere kennt das vielleicht. Da tanzt du ahnungslos zu sphärischen Klängen einer dir unbekannten Band, lässt dich von Klang und Atmosphäre tragen. Erst später erfährst du, dass Blood Axis und Sonne Hagal deinen Abend versüßt haben. Vielleicht interessierst du Dich für eine der Bands, postest begeistert das Lied des letzten Abends in deinem Facebook-Profil und ehe du dich versiehst, landest du im Spannungsfeld zwischen Runen-Symbolik, bedeutungsschwangeren Hintergründen und Meinungen deiner Freunde in sozialen Netzwerken. Und dabei wählst du die Linken, hast neulich gegen einen Pegida-Marsch demonstriert und auf deiner Tasche wirft ein skizzierte Grufti mit Teller ein Hakenkreuz in einen Mülleimer. Und nun? Passt das zusammen?

Politisches Bewusstsein

Meine Meinung? Eine unpolitische Szene setzt ein politisches Bewusstsein voraus. Klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Wäre ich in der Stimmung gewesen, hätte ich auch getanzt. Am nächsten Tag hätte ich mich informiert (um mehr von der Band zu hören) und mich mit den Vorwürfen beschäftigt und sie mit meiner politischen Meinung abgeglichen. Ist vielleicht ein wenig Arbeit, macht aber Sinn, denn nur Wissen macht immun gegen (vermeintliche) Beeinflussung. Es ist keine Option, unreflektiert durch die Musiklandschaft zu reisen, vor allem nicht in unserer „tiefgründigen“ Szene. Ich bin gegen Nazis, Rassismus und falschen Nationalismus, im Falle der oben genannten Bands fällt mein Urteil eindeutig aus: Ich finde die Musiker doof, ihre politische Einstellung falsch, ihre nebulösen Stellungnahmen hirnrissig und ihre Weltanschauung passt mir überhaupt nicht. Ich mag jedoch die Musik und den einen oder anderen polarisierenden Inhalt finde ich anregend, mich mal wieder von meiner Weltanschauung zu überzeugen.

Es ist ebenfalls keine Lösung, sich über die ständigen Wiederholungen zu echauffieren. Etwas als unpolitisch zu erhalten, erfordert aufmerksame Beobachter, die mögliche Einflüsse identifizieren und ansprechen, egal aus welcher Richtung. Wieder und wieder. Dazu gehört auch ein eigener politischer Standpunkt (und nicht zwingend eine politische Orientierung), denn die Szene muss unpolitisch bleiben, DU nicht.

Die schwarze Szene – als Kind des Punk – provoziert gerne und seit den 80ern mit immer neuen Ausdrucksformen. Reichten früher weiß geschminkte Gesichter, schwarze Klamotten und umgedrehte Kreuze, scheinen neuerdings Uniformen neues Stilmittel der Provokateure zu sein, die damit nicht nur nach außen hin provozieren, sondern auch die Szene selbst.

Auch die musikalische Landschaft der Szene gleicht einem Minenfeld. Überall lauern Inhalte, Weltanschauungen und Stilmittel, die mit der eigenen Überzeugung kollidieren können. Die unfassbare Breite an Musikstilen und Tiefe der Texte macht es schwierig zwischen „gut“ und „böse“ zu unterscheiden.

Funker Vogt kann sich glücklich schätzen. Die haben Fans, die ansprechen, was sie stört und die der Band Gelegenheit geben, zu reagieren. Ob es richtig war, dass die Band und Sacha Korn wieder getrennte Wege gehen, weiß ich nicht. Korn ist eine provokative Person, die – so denke ich – genau weiß, was sie tut. Auch wenn der Aufmerksamkeitszuwachs immens gewesen ist, letztendlich ist das sicherlich auch eine wirtschaftliche Entscheidung gewesen, ohne ihn weiterzumachen.

Es bleibt spannend und fordernd. Mitglied der schwarzen Subkultur zu sein heißt eben nicht, sich hinzusetzen und stumpf zu konsumieren – denn davon wollten wir uns einst distanzieren.

Death is their Destiny – King’s Road von 1978 – 1981

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Kings Road, Chelsea from 1978 to 1981 i was there nearly every Saturday to film the Punks and perhaps buy some clothes. I became know as „Captain Zip“, i was named that by Helen Berenger because my clothes wil becoming very „zippy“ during that period.

In der Woche arbeitet Phil Munnoch als Texter für eine Werbeagentur im Zentrum Londons. Doch seine wahre Leidenschaft, die er vor seinen Arbeitskollegen verbirgt, gilt dem Punk, der die britische Hauptstadt etwa 1977 erreicht und ihn nachhaltig infiziert. Mit dem Ende jedes Arbeitstages wechselt Munnoch Anzug und Krawatte gegen Bondage-Hosen, Hundehalsband und seine mit Aufnähern und Buttons übersäte Jacke und verwandelt sich zu „Captain Zip“. Fast jeden Abend hängt er auf der King’s Road mit anderen Punks zusammen und genießt das Gefühl von Freiheit, Rebellion und den Geschmack des Abenteuers, während er sich von den Lautsprechern der zahlreichen Läden mit Punk-Musik beschallen lässt. Manning ist deutlich älter als die meisten Kids, die sich hier herumtreiben und er hat einen entscheidenden Vorteil: Er besitzt eine 8mm Film-Kamera und fühlt, dass er Teil von etwas ganz besonderem ist. So macht er sich der junge Filmemacher an einigen Samstagen zwischen 1978 und 1981 auf, Punks auf der King’s Road zu filmen.

Als „Captain Zip“ erhält er authentische Einblicke in das Leben der Jugendlichen, denn er ist kein Außenstehender der in etwas hineinblickt, sondern einfach nur ein Punk mit einer Kamera. Touristen bezahlten bereits 1978 rund 10 Pence für ein Bild mit den „verrückten“ Punks, 1982 waren es bereits 2 Pfund. Für die Jugendlichen war es die lang ersehnte Form des Protestes gegen das Establishment, sie wollten schocken, provozieren und ihrem Mitmenschen ihre Tabus unter die Nase reiben. In einem Artikel zu Munnoch heißt es: „The truth is punk meant different things to different people (it still does). For some it was the music; for others it was all about the look; wild vibrant colour, the narrow tight trousers in stark opposition to the wide flares and seventies flamboyance that went before. Something else as well, real punks wouldn’t wear denim; the black leather, shiny plastics safety pins and zips, were all part of an anti-fashion attitude.

Für eine die Home Movie Roadshow des BBC besuchte man Munnoch 2010, der sich immer noch sehr fasziniert zeigt, dass er damals mit der Kamera akzeptiert wurde. Während sich Fernsehteams aus aller Welt auf die Bands seiner Zeit stürzten, filmte Captain Zip die Punks:

(via Dangerous Minds)

Ruhe in Glamour – Sänger Steve Strange gestorben

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Vor seinem Nachtclub, dem Blitz in Covent Garden, wedelte Gründer und Türsteher Steve Strange die Puderquaste in der Hand. Nur wer „weird an wonderful“ genug war, erhielt Einlass. Ende der 70er Jahre gründet er zusammen mit seinem Mitbewohner Rusty Egan den legendären Club, der alsbald zum Schmelztiegel der auffälligsten aller Jugendkulturen wurde, den „New Romantics“. Aus dem Mut zur Hässlichkeit, den der Punk vorlebte, wurde die Liebe zur Selbstdarstellung. Boy George, der im Blitz an der Garderobe arbeitete, nahm die Mäntel derer entgegen, die später Musikgeschichte schrieben. Spandau Ballet, Ultravox, Sigue Sigue Sputnik, Dead or Alive, King und Hot Gossip – Gäste und „Blitz Kids“ die den Stadtteil in London von 1979-1980 belagerten.

Strange gründete seine eigene Band „Visage“ und landete 1981 mit „Fade to Grey“ den größten Hit, der bis heute untrennbar mit dieser Zeit verbunden ist. Doch die Band der Extrovertierten löste sich auf, Midge Ure und Billy Currie gingen ihre eigenen Wege. Mitte der 80er, Visage hatte sich mittlerweile vollständig aufgelöst, machte Strange „seinen größten Fehler“, wie er später einmal sagte. Er nahm Heroin und wurde abhängig. Er erholte sich nie wieder. Nicht persönlich und auch nicht äußerlich. Ende der 90ern verhaftete man ihn wegen eines Ladendiebstahls, als er seinem Neffen eine Teletubby-Figur stehlen wollte.

2004 ein kurzer Lichtblick. Im Zuge der Retrowelle findet sich Visage wieder zusammen und tritt auf 80er Jahre Partys auf. Die Stilikone verkommt zur Attraktion der Feier-Kultur. Sein Herz blieb in der Vergangenheit. Ende 2014 wurde er in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert, jedoch ohne weitere Befunde wieder entlassen. Mitte dieser Woche verstarb Steve Strange im Alter von 55 Jahren im ägyptischen Scharm el-Scheich an einem Herzinfarkt.

https://www.youtube.com/watch?v=Utjd76czUgI

Dialekt entschlüsselt, Video gefunden: Goths in den 80ern Reloaded

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Im September letzten Jahres zog ich ein Video über englische junge Goths in den frühen 80ern durch den Kakao. Bitterböse schrieb ich: „Gibt es eine Szene mit äußerlich erkennbarer “Individualität”, gibt es auch Mitläufer. (Poser) Die haben mit der Musik nichts zu tun, sehen lediglich so aus als ob und fühlen sich zwischen den ganzen bösen “Goths” vielleicht ein bisschen besonders. Die meisten von ihnen verschwinden nach ein paar Jahren und wollen auch später tunlichst nicht mehr an ihre “Jugendsünden” erinnert werden. […] Wenn man so möchte, sind die ganzen “Karnevalisten”, “Schauläufer” und “Verkleideten” über die sich die Szene so manches mal ganz trefflich echauffiert, ein Teil der selben. Und das schon seit seiner Geburt.
Etwas vorschnell geschossen, denn gleich in den Kommentaren wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich wohl weniger verstanden hatte, als ich hoffte. Ein intensiver englischer Akzent aus der Gegend um Leeds machte meine Überzeugung, Englisch zu verstehen mit einem mal zunichte.

Seit dem hat sich einiges getan. Leser Saturin machte mich in den Kommentaren auf einen den ursprünglichen Film „The Height of Goth“ (Achtung, Geo und Gema-Fucked) aufmerksam, aus dem dieser kleine Ausschnitt stammt und über den der Guardian bereits 2012 berichtete. Dabei handelt es sich um einen Amateur-Film, der 1984 in einem alternativen Nachtclub Namens „Xclusiv“ in Batley, West Yorkshire gedreht wurde. Es war wohl die Idee der beiden Club-Besitzer Annie und Peter Swallow ein Video über ihr Publikum zu drehen, um später Kopien auf VHS Kassetten für 2 britische Pfund an selbige zu verkaufen.

Eine Weile später stolpere ich über einen Artikel von Patrick Torsney, der das für das 2-stündige Ursprungsvideo verantwortlich zeigt und es bei YouTube hochlud. „Es war 1984, ich war 18 Jahre alt und in einer Band“ beginnt er seinen Artikel, der die Geschichte des Videos erzählt:

We were a bit Bauhaus, a bit Killing Joke, a bit crazy. I couldn’t afford an instrument so I was the singer. I wasn’t a very good singer, but we were a band. We used to go to the Xclusiv nightclub at the weekend. It was down by the railway station in Batley, the town where we lived in West Yorkshire. For sentimental reasons Annie (or could have been Ann) and Pete Swallow, the couple who ran the nightclub, got someone to make a video to capture a typical night at the club. VHS cassettes of the final film were sold for £2 to regulars. I think there were 50 copies in total, but can’t be sure. I never bought one, £2 was a stretch, there were bigger priorities. I was there that night along with the rest of the band, my sister (Nancy) and even a couple of my old flames (Karen and Michelle). If I remember it right it was actually filmed on a Sunday night (with ridiculously bright lights!) so as not to disturb the usual Fridays and Saturdays. It was a ticket only affair for the regulars, although some interlopers did make it in too. Over the years those cassettes eventually got recorded over, broken, lost or thrown away. Everyone forgot. Some 30 years later I’m living in London and by sheer fluke we came across one of the cassettes (this is a bizarre story in itself, but for another time). It was trashed. Mildewed. Beyond junk. My brother worked his magic, rescued it to digital and gave it to me as a gift. I put it on YouTube

Etwa einen Monat später erhielt ich einen recht dicken Brief von Silvia aus Bonn, die sich doch tatsächlich die Mühe gemacht hatte den kurzen Ausschnitt des Films zu übersetzen, ihn auf Schreibmaschine (!) zu tippen und mir zuzuschicken. Ja, sowas gibt es noch. Also Schreibmaschinen und Fleiß. Auch sie bedauert in ihrem Anschreiben, dass einige der Protagonisten so „schlecht weggekommen sind“, was ich aber letztendlich – wenn auch notdürftig – mit mangelnden Sprachkenntnissen entschuldigen kann. (Und mit schlechter Recherche, die aber nicht zu entschuldigen ist) Hier also nocheinmal das Video und das dazugehörigen Transskript:

Teil 1 – YM = Young Man, YW = Young Woman, R = Reporter

R: and yours (name)
Deborah: Deborah L.
R: alright, are you both working or unemployed or what?
Young Man: well I am working
R: you’re working, where do you work?
YM: believe it or not, I’m a nurse.
R: you’re a nurse, where?
YM: Dewsbury
R: What basically does that involve?
YM: well, I’m still training at the moment, so I work about anything in different hospitals in Dewsbury, I’m in Casualties at the moment.
R: yeah, are you working (schaut zu jungen Frau)
YW: well, I’m a part time Student and I’m unemployed besides that, I’m doing some A-levels.
R: yeah, okay. Where do you get your hair done, do you get it done specially in any special places or do you do it yourself or what?
YW: we do it ourselves.
YM: I’ve got a friend who cuts my hair.
R: and what about your clothes, do you have to buy them at any special shop, would you go to a certain shop or…?
YW: I make my own clothes.
R: and what about you?
YM: wll, you get some made and you just look around for whatever you fancy.
R: so what, you just basically buy what you see, if you see, you don’t go anywhere special to buy your clothes or whatever?
YM: no, not really, jumble sales (Trödelmärkte) are pretty good.
YW: second hand shops
R: so you go to a lot of jumble sales and second hand shops to pick up that style of clothing?
YM: yeah, Oxfam is alright.
R: Oxfam? (lacht herablassend) … and what sort of music do… whats your favourite type of music, what’s your favourite records?
YM: I don’t know really, it’s quite vast really…
R: yeah, can you just give us one or two?
YM: well, I like Glenn Miller… I like that sound (überlegt) and Cabaret Voltaire.
R: you say you like Glenn Miller, it’s a bit out of date really, isn’t it? What makes you go for that style of music?
YM: I don’t know, it’s kind of good, it inspires you…
R: you think it’s good music, it’s got a melody to it… to be quite honest with you, I don’t know a lot about that kind of music as far as I can go, most of it hasn’t got a melody to it at all not much of… you know, whatever I like but… I suppose that’s sort of completely different from a lot of the stuff he plays (bezieht sich auf den DJ, dessen Markenzeichen es wohl ist, in diesem Club ab und zu Glenn Miller zu spielen, wie sich aus dem weiteren Zusammenhang ergibt)
YM: well, it’s just whatever gets you, what you like, I don’t know, you just like it.
R: and what about you, what’s your favourite records, you’re favourite style of music?
YW: basically, what they play in here is quite good, it’s why I like Glenn Miller, it’s nice to listen to and dance to.
R: and what do you think about it when he plays stuff like, you know „The Monkey’s Theme„?
YW: it’s good fun isn’t it, it’s nice to dance to and it’s a change.
R: I think it’s brightening the scenery up a little bit – you know, creates more of a party atmosphere, more than anything.
YM: yeah, you can’t just do one style of music, it’s no good at all.
R: ah, quite alright, thanks a lot.
YM: thank you.

Teil 2 – TU = Tussi, R = Reporter

R: and you work as a reporter you say, where is that for?
TU: The Dewsbury Reporter
R: right, now your hair is not as bad as the last two, where do you get your outfits from?
TU: (Tussi grinst selbstgefällig) mainly in Leeds but sometimes I just shop around take whatever takes my fancy
R: and you go to any special shops?
TU: not particularly, no. I’m not really bothered about which shops I go, at all.
R: the other two said, they get a lot of stuff off jumble sales and Oxfam shops, do you get anything from there?
TU: ah, no, I try not to… but I say if something takes my fancy at a second hand stall, I buy something. I like doing second hand stalls actually.
R: yeah, okay. Let’s go on to the dancing. What sort of records do you like to dance to?
TU: oh, I absolutely love David Bowie, he’s my favourite, but I like T-Rex, Cockney Rebell, all the older sort of artists.
R: what’s your favourite Bowie single, cause I like Bowie myself.
TU: well, my favourite one to dance to is „Amsterdam“ but I like his current single „Blue Jean“ especially.
R: and where did you learn to dance like this, it’s fairly good.
TU: a lot of people ask me that, I just taught myself. I just went for a few jazz dancing lessons at Leeds, but I didn’t keep that on for very long. I just make it up standing in front of the mirror dancing, watching myself.
R: well it does look very affected you know.
TU: well, people commented on it but I just go out to enjoy myself get on the dance floor, I just lose myself in the music.
R: I suppose that’s why, yeah okay. Anything else about what records you like, what sort of music?
TU: well, I like something I can. Well I love miming, well it’s not really miming, I just love something I can move well to. And I like a lot of the disco records as well, I like a good beat.
R: I suppose a lot of your dancing is a lot of mime, especially to some of the David Bowie records.
TU: oh, yeah, most of it is, I love miming and getting on down there.
R: and you acutally took a couple of dancing lessons?
TU: well, when I was little I took ballet lessons, that’s a very long time ago. So I did Jazz lessons, jazz classes at. I think ist was at the Yorkshire Dance Company in Leeds, they thought me quite a few thing, it comes in handy for Blue Jean: „jazzin for Blue Jean“.
R: I can imagine, okay, alright, thanks ever so much.
TU: thanks a lot, bye.

Teil 3 – MI = Michelle, JO = John, NA = Nancy, R = Reporter

R: and do you work or … unemployed or what?
MI: I go to College, I just failed.
JO: unemployed
NA: I just failed.
R: alright now. I’ve asked the other people I’ve Interviewd, could you tell me about your clothes, your style of dress, where do get the clothes from?
MI: mostly second hand places and stuff and mostly I’m making myself.
R: some of the others said, they get from Oxfam shops and jumble sales, is that right?
MI: it’s the most original places there is four our sort of clothes.
R: is that the same with you?
JO: yeah, I buy dresses and cut them and just do anything with them.
R: you acutally buy dresses and … yeah alright … and your outfit is a bit unusual to say the least.
NA: yeah, I made it of a sheet off her bed.
R: you made it ouf of a bedsheet? yeah, okay. And your hairstyles, do you do them yourselves or do you get them specially done?
MI: well, I went to a hait dresser and the didn’t cut it how I liked it so I just did it my own way.
R: they didn’t cut it how you wanted it to be cut so you spiked it up like that?
MI: yeah.
R: and what about you?
JO: well, I worked at that hairdressers. I didn’t do it, I got sacked the morning she got in to get her hair done.
R: it wasn’t you who cut her hair was it?
JO: I would have done a better job, then the other woman did.
R: yeah, okay. What about you?
NA: he was supposed to do my hair but he got sacked so she did it and it was awful, so I had to do it myself.
R: so you used to work at the hairdressers and you got sacked because you cut her hair badly?
JO: I was sacked the morning when these two were coming in to get their hair done, I was gonna do it but she (the boss) sacked me so she did it and was messin‘ it.
R: so you got your hair cut how you didn’t want it to be cut…? Okay. What sort of music do you like? Obviously you like this sort of alternative style of music but in particular, could you sort of make it a bit more specific?
MI: The Smiths mainly and Echo and the Bunnymaen, stuff like that, no particular taste, just absolutely all.
JO: well I like Alien Sex Fiend
NA: Stranglers, Soft Cell, things like that…
R: couple of the others told me they like Glenn Miller, what do you think, I know it’s about 30 years out of date but, what do you actually think?
MI: (deutet auf NA) she drags me up to the dance floor, I don’t like it at all.
JO: no, I don’t like it, doesn’t agree with me at all, it’s just terrible, it really is.
R: okay, thanks ever so much.

Der Vollständigkeit halber poste ich auch den 2-Stunden-Epos. Der aber leider nicht wirklich anzuschauen ist, da er – wie bereits erwähnt – im Copyright und GEMA Geschwurbsel untergeht und entsprechend gesperrt ist. Aber die Zeiten ändern sich und sicherlich findet sich jemand, der das Video entsprechend der „Vorschriften“ ändert und zur Verfügung stellt. Ich halte euch natürlich auf dem Laufenden.

2002: Der Rheinische Merkur über das WGT in Leipzig – „Eine schleichende Bewegung“

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Düstere Gestalten wecken Assoziationen: Sind es Satanisten? Oder Nazis? Ganz falsch sind die Vorwürfe nicht, ganz richtig jedoch auch nicht.“ 2002 beschäftigt sich der rheinische Merkur – eine christlich konservative Zeitung, die seit 2010 nicht mehr herausgegeben wird – mit der Grufti-Szene und untertitelt den Beitrag: „Der Popstrom erfasst irgendwann jeden: Was sich einst als Untergrundkultur formierte, ist heute kommerzialisiert und zersplittert.“ Das machte mich neugierig, titelte die Zeitung doch bereits vor 13 Jahren von dem, was man der Szene seit dem nahezu jährlich vorwirft. Es geht um das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, das 2002 rund 15.000 nach Leipzig lockte. Erstaunlich kritisch, sachlich und reflektiert setzt sich Autor Andreas Bromba mit den Gruftis auseinander und beschreibt die Szene zur Jahrtausendwende.

Festivals wie das in Leipzig sind eine große Grufti-Melkmaschine. Alles kostet extra. Oder ist so teuer wie das ICE-Bordrestaurant. Zwei „schwarze“ Jungs aus Schweden in Netzhemd und knöchellangen Männerröcken warten geduldig am Imbissstand in einer der großen Messehallen. Sie entscheiden sich für „Pasta mit Tomatensoße“. Der Imbiss-Mitarbeiter klatscht eine große Kelle Nudeln auf den Teller und kippt rote Flüssigkeit darüber. Die Nudel ersaufen. „Macht dreifuffzig.“ Die Schweden zahlen klaglos und schleichen zurück an ihren Tisch. Und überhaupt – schleichen. In den großen Messehallen des Agra-Geländes schleichen die schwarzen Grüppchen aneinander vorbei. Vom Schmuckstand zum CD-Stand, weiter zum Klamottenstand, anschließend Bücher, Weihrauch und Fotos gucken. So richtig Stimmung will nicht aufkommen. Außerdem hagelt es Verbote: Keine Würstchen auf dem Zeltplatz, Durchgang verboten, keine Getränke mitnehmen, hinten anstellen, keine Fotoapparate, Taschen herzeigen, Kofferraum öffnen. Kahlköpfige Ordner setzen rabiat jede Anordnung durch. […] Eigentlich ist alles verboten, nur Geldausgeben nicht.

Und tatsächlich. Viel verändert hat sich offensichtlich nicht in den letzten 13 Jahren. Nun ja, eigentlich muss ich eingestehen, dass sich sehr viel verändert hat, zum negativen. Mittlerweile ist ganz Leipzig eine schwarze Messehalle. Jeder Einzelhändler versucht seinen Teil vom Kuchen einzustreichen. Die Gruftis bringen Geld nach Leipzig, viel Geld. 4,2 Millionen Euro waren es 2013. Wir sind schon lange nichts mehr fremdes und eigenartiges, dass sich Bürger und Händler der Stadt nicht erklären konnten. Heute sind wir eine Attraktion.

Ein älteres Ehepaar aus der thüringischen Provinz schielt auf eine „Dame in Schwarz“. Es gibt was zu sehen: hochhackige spitze Schuhe, Netzstrumpfhose, darüber schwarzer Minirock. Recht luftig. Oben Lack-Top. Die Haare sind schwarze dazwischen rosa Strähnen. Die Blicke wandern rauf und runter, plötzlich bleiben sie kleben: da – ein Totenkopf an einer Halskette. Also doch – Satanisten! Die Frau guckt unter ihrem runden Urlauberhut ihren Mann vielsagend an. Er nickt zur Bestätigung. Das Fernsehen hat recht, Gruftis sind Satanisten. „Die sind an ihrem schlechten Image selbst schuld.“ DJ Ralf sieht das so. „Viele sind einfach verbohrt“. Also vor einigen Monaten das junge Ehepaar Ruda wegen Mordes – nach angeblich satanischen Ritualen – verurteilt worden war, kamen viele Gruftis angereist und verkündeten vor Kameras: „Das sind unsere Helden!“ Ach, die schwarze Szene.

Im Folgenden schildert Bromba, wo die Wurzeln der Szene liegen und wie die Gruftis begannen, die äußere Rebellion der Punks in eine innere Rebellion zu transformieren. Mitte der 80er dann der Höhepunkt, bis mit dem Fall der Mauer neuer Schwung in die Szene kommt und neue Musikrichtungen, wie beispielsweise die „Neue deutsche Todeskunst“ in die Szene drängen.

Nun ist es aber eine andere Szene, die erwacht. Es ist keine relativ geschlossene Gruppe mehr. Ein gemeinsames politisches Anliegen gibt es nicht. Der allgemein Stil-Mischmasch der Neunziger erfasst auch die ehemalige Dark-Wave-Szene. Gruppen wie Death in June aus England, benannt nach der Liquidierung der SA-Führung im Sommer 1934, verbreiten germanische Mythologie und NS-Symbolik unter den jetzt eher unpolitischen „Schwarzen“. Bald darauf sind es Ministry und Rammstein, die die Szene umkrempeln: schnelle, harte Gitarren-Rythmen – Musik wie aus dem Presslufthammer. Ende der neunziger Jahre tritt das französische Projekt „Die Form“ eine Sadomaso-Lawine los: Ein Mann mit schwarzem Ledermantel und Gasmaske betritt die Konzertbühne. Eine als Krankenschwester verkleidete Frau kommt hinzu, zieht sich aus, räkelt sich auf einem OP-Tisch. […] Das Publikum ist baff. Nach dem ersten erstaunen greift ein Teil der Gruftis den neuen Trend auf, umgekehrt finden SM-Anhänger ihren Weg in die Clubs der Gotik-Szene.

Ein undurchsichtiges Gebilde aus Stilen und Einflüssen bildet heute die „schwarze Szene“. Längst ist es unmöglich geworden allgemein für die „Gothics“ zu sprechen. Von der ursprünglich „Trauer“ und der Provokation christlich-symbolischer Werte ist nicht viel geblieben. Immer mehr Stile und Musikrichtungen suchen ihr zu Hause in der Szene, das WGT kann die Bandbreite kaum noch darstellen, geschweige denn differenzieren. Der Zusammenhalt, den die DDR-Bürger nach dem Fall der Mauer in die Szene brachten, ist verbraucht. Die Mitte der Ellbogen-Gesellschaft ist auch bei den Gothics angekommen. Diskussionen um Toleranz und Intoleranz bestimmten das Szene-Leben.

Und so wundert es mich auch nicht, dass das Fazit von damals auch heute noch gilt: „Das Festival in Leipzig ist zu Ende. 15.000 gehen, 100.000 turnen weiter. Das Massenspektakel zeigt: Die äußere Schale dieser Jugendkultur ist für viele wichtiger geworden als deren Inhalt. Im Jahr 2002 ist „Schwarz“ nicht mehr gleich „Schwarz“. Die heutige schwarze Szene ist wie ein offenes Haus mit vielen Wohnungen, deren Bewohner sich zwar grüßen, ansonsten aber nicht viel miteinander zu tun haben.

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Neulich im Kopfhörer: Ist das einfach nur Trash oder schon wieder Kunst?

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Musikzeitschriften sind manchmal ganz schön abgehoben. Verkopfte Redakteure, die wohl lieber mit Poetry Slam berühmt geworden wären ,sitzen nun vor den Bildschirmen und versuchen Bands mit möglichst tiefsinnigen Zeilen zu einer Kunstform zu erheben, die sie möglicherweise nicht sind. Auf der anderen Seite findet man dann in nicht ganz so abgehobenen Zeitschriften (und deren Online-Präsenz) möglichst seichte und unkritische Band-Interviews, von denen man sich sicher ist, sie in ähnlicher Form schon irgendwo gelesen zu haben. Als ich mich für diesen Beitrag über die Bands, deren Videos hier zu sehen sind, informierte, drängte sich dieser Gedanke förmlich auf. Außerdem hatte ich wieder mal Lust meine unqualifizierten Kommentare in die Welt zu blasen.

Trash oder Kunst? Ich weiß nicht, ob ihr das kennt: Beim nachhören, durchhören und anklicken von unbekannter Musik hat man schnell ein Gefühl dafür, ob es einem gefällt oder auch nicht. Es gibt aber auch Stücke, bei denen ist man sich permanent unsicher, ob man es nun gut oder schlecht findet – oder ob man es gut oder schlecht finden darf. Waviges und völlig behämmertes Discogedudel und trotzdem wippt der Fuß? Spontaner Bewegungsdrang zu melancholischen Tanzeinlagen werden vom einsetzenden Gesang oder Text abrupt gedämpft? Ist das Stück nun einfacher musikalischer Müll (nachfolgend „Trash“ gennant) oder irgendeine Kunstform die sich mir nicht erschließt?

Die Band „Easter“ erschien mir neulich mit ihrem Stück „Alien Babies“ im Kopfhörer. Sehr interessante Musik, wirklich gelungen. Aber was ist das denn bitte für ein Text? „I see mushrooms being born out of shrimps –  i look at your jaw its dancing with me; your jaw at the disco is all i see; to faraway to touch it but too close to really try; looking at your jaw im so happy i could die.“ Auf der verzweifelten Suche nach einer Meinung stolperte ich dann über die Zeitschrift Spex die über die Band schrieb: „Ihre Musik ist klanggewordene Zersetzung und gedämpfte Ekstase, Midtsæters Vortrag einer Zeitlupenversion einer verlebten Realität unterkühlt und beinahe stoisch.“ (womit sich hier auch der Kreis zu meinen unqualifizierten Gedanken vom Beginn des Beitrags schließt) – Genau! (Hä?) Stück Nummer 1 zu dem ich in der Disco tanze und mich dabei frage: Trash oder Kunst?

Zuhause versuche ich mir gerade einen Sampler zu basteln. Während das Intro vom Stück „Tanz mit deinem Gefühl“ (Schlageralarm?) der Band „Das Präparat“ läuft, finde ich beim entsprechenden Label Dark Dimensions folgende Beschreibung der Band: „befaßt sich textlich mit: Operationen, Krankheiten, Mißbrauch und Mißständen unserer Gesellschaft, aber auch mit Liebe, Haß etc. „Das Präparat“ vereinen verschiedene Musikstile der „Schwarzen Szene“ wie: Dark Wave, Gothic, Minimal, New Wave, Industrial, Klassik… zu etwas Neuem und versuchen so den alternativen Musikmarkt etwas aufzumischen.“ Aha. Grundskepsis. bei einer Band, in der sich die Mitglieder „Dr. Hyde“ und „Nachtschwester K.“ muss einfach erlaubt sein. Klingt wie Welle:Erdball und den elektronischen Grundtenor, ja, ist nicht schlecht. Aber ist das nicht alles Schlager? Stück Nummer 2, das ich mir anhöre aber verbiete darauf zu tanzen, wirft abermals die Frage auf: Trash oder Kunst?

Bei der Eingangs erwähnte Frage spielt natürlich auch die persönliche Befindlichkeit eine entscheidende Rolle. Das Stück „Smalltown Boy“ ist so ein Stück Musik, von dem ich nie eine Cover-Version dulden würde. Dachte ich eigentlich, bis Terror Bird es sich zur Brust nahm. Genug gute Gründe, mich mal durch die Band zu klicken. Selbst gewähltes Genre: „Nu New Romantics“ (Hä?) Ich bleibe beim Stück Nummer 3, „She kissed me and i fell ill“ hängen. Klingt wie süß-saure Sauce. Dürfte vom Namen her auch nicht schmecken, tut sie aber trotzdem. Sinkt sie nun schief oder nicht? Muss das so? Ist das eine Lene Lovich Anleihe? Die Frau kann singen, jedenfalls für 2:48, denn dann ist das völlig merkwürdige Video und der Song vorbei. Ein Lied, das man in der Disco vermutlich nicht betanzen könnte wirft erneut die Frage auf: Trash oder Kunst?

Trash oder Kunst. Vielleicht könnte es auch Trash und Kunst heißen, schließlich liegt beides nicht so weit auseinander – wie die „Fettecke“ (1986) von Joseph Beuys beweist. Aber darf man denn nur alles zu Kunst machen weil es Musikredakteure wortreich beschreiben? Und ist es keine Kunst mehr, wenn es klingt wie eines düstere Version von Helene Fischer? Kunst liegt im Auge des Betrachters, Trash im Ohr des Zuhörers. Und: Muss ich mir die Frage überhaupt stellen?
Interessieren würde mich an dieser Stelle: Was sind eure musikalischen Unsicherheiten, welche Stücke wurden als dunkle Geheimnisse in den Tiefen der Festplatte vergraben? Bei welchen Stück bewegt sich fasst unbewusst eines eurer Körperteile? Und da man sich für drei Stücken oben nicht wirklich schämen muss, gehe ich mit guten Beispiel voran und offenbare ein wirklich dunkles Geheimnis (nicht klicken!).

Buch-Tipp: Das Postpunk Projekt – Some wear leather some wear lace

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Die Musik-Stile, die nach der Explosion des Punks die Welt überfluteten und für eine nie dagewesene Fülle von Jugendszenen sorgten, sind erforscht. Unzählige Bücher sind seit dem erschienen, die die Entwicklung auf schwarzen Bühnen detailreich beschreiben und analysieren. Doch was geschah vor den Bühnen? Wieso sahen die Fans der einschlägigen Bands aus, wie sie aussahen? Mit Beginn der 80er Jahre erscheinen unzählige Szenen mit eigenem Style auf der Bildfläche und geben den Außenstehenden Rätsel auf. In London, dem subkulturellen Schmelztiegel dieser Zeit nannte man sie „New Romantics“, „Blitzkids“, „Punks“, „New Wavers“ oder auch „The Bats“. Der Style der Bühnen wurde offensichtlich kopiert, verändert und weiterentwickelt.

Heute, 35 Jahre später, werden Bilder von damals frenetisch gefeiert – junge Punks, Waver, Grufties oder New Waver, die auf diesen Aufnahmen zu sehen sind, werden zu Stilikonen erhoben. Das Buch „Some wear leather some wear lace“ ist eine umfangreiche Sammlung dieser alten Bilder, die für das „Worldwide Compendium of Postpunk and Goth“ in Zusammenhang gesetzt und mit Interviews und Texten bereichert werden.

Kim und Val aus den USA - 1983
Kim und Val aus den USA – 1983

Die beiden Autorinnen Andi Harriman und Marloes Bontje lernen sich 2012 über Tumblr und die gemeinsame Begeisterung für diese alten Bilder kennen – beide sind glühende Anhänger diese Ära und sammeln akribisch alte Aufnahmen aus der Zeit zwischen 1980 bis 1990. Irgendwann keimt der Gedanke, ein Buch daraus zu machen. Der Hintergrund: Andi und Marloes halten die Clubs für die Heimat der Szene, denn hier feiern die Selbstdarsteller ihre Outfits. Sie recherchieren unzählige alte Aufnahmen von den Leuten, die damals dabei gewesen sind und finden bei Fotografen, die seinerzeit in der Club-Szene unterwegs gewesen sind, viele seltene Aufnahmen. Im März 2013 starten sie das Postpunk Project und sammeln das nötige Geld, ihre Idee in gedruckte Form zu bringen, über eine Crowdfunding-Kampagne. Im September 2014 ist es endlich soweit – die ersten Bücher sind gedruckt und verkaufen sich in Windeseile. Kurz vor Weihnachten kam auch ich in den Genuss, ein Exemplar bei Tee und Kerzenlicht zu inhalieren.

Inhalt

Es erscheint mutig und gleichzeitig sehr spannend, die Szene anhand ihrer Protagonisten und nicht anhand der musikalischen Grundlage zu betrachten. Das oberflächliche Motto „be cool, dress to impress and do-it yourself“ scheint auf den ersten Blick nicht die richtige Zusammenfassung einer Szene zu sein, die sich zu gerne die Liebe zu Literatur und Interesse für dunkle Künste auf die schwarzen Fahnen schreibt. Doch der erste Blick trügt, denn genau dieses Motto hat die Gothic-Szene aus der Taufe gehoben. Was man auf der Bühne sah, wurde kopiert und weiterentwickelt, Stars wie David Bowie inspirierten mit ihrem Style unzählige Jugendliche mit dem Wunsch, „besonders“ zu sein. Die Stimmung und die Inhalte der Musik wurden in Style umgesetzt, frei nach dem Motto „Everyday is Halloween“ schmückten man sich mit Kreuzen und Totenköpfen und mischte Hammer-Horror Ästhetik mit Einflüssen der Punks und New Romantics.

Für ihr Buch haben Andi und Marloes unzählige Quellen recherchiert und sich mit den Menschen, die damals zur Szene gehörten, auseinandergesetzt. „Qualitativ hochwertige Bilder aus den 1980er Jahren zu sammeln, war keine leichte Aufgabe. Auf zehn Anfragen kam höchstens mal eine Antwort zurück; es gab also viele Sackgassen. Wenn plötzlich ein tolles Foto zu uns kam, war das tatsächlich wie ein kleines Wunder.„, so Andi in einem Interview mit dem Magazin Unter.Ton.

In den Interviews wird deutlich, wie unterschwellig die Musik und die Texte die Hörer beeinflussen, „the atmosphere, the melodies and the obscured melancholy made it attractive to us, it was like someone heard the music in our minds„. Die jungen Leute stellen nach, was Bands vormachen und beginnen, sich ihre eigene Welt zu schaffen. Das Buch beschreibt dabei die Entwicklung in verschiedenen Ländern und zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Begreifen dieser neuen Szene. 1982 – so das Buch – beginnt die Differenzierung. Die Szene wird schwärzer und beginnt sich zu verändern. Mit der Eröffnung des „Batcave“ wird schnell deutlich, dass die schwarzen Gestalten, die so aussehen wie tote Punks, ihre eigene Szene kreieren und leben. 1985 erreicht die Bewegung ihren Höhepunkt, wird kommerziell immer intensiver aufgegriffen und vermarktet, während die ersten damit anfangen, die schwarze Hülle ihrer Jugend zurückzulassen. Das erste Kapitel endet abrupt, so wie die Szene – irgendwo zwischen 1987 und 1989. Wenn man dann den Interviewpartner diese zeitliche Einschätzung glaubt. Für die Jugendlichen, die zu dieser Zeit in die Szene stoßen, ist es immer noch die Entdeckung einer unbekannten schwarzen Welt.

Pikes
Stille Zeitzeugen der Postpunk-Ära. Für das extra Kapitel über die Pikes wurden einige Models zu Andi Harriman gebracht um sich dort ablichten zu lassen.

Sehr interessant wird es dann mit Beginn des zweiten Kapitels „A new form of beauty“, denn hier versuchen Andi und Marloes den Kern ihrer Gedanken zu ergründen. Was war der Beweggrund für die Jugendlichen sich dieser Form der Provokation zu bedienen? Welche Einflüsse und Vorlagen dienten zur Entwicklung des Stereotyp „Goth“? Ich möchte dem Buch nicht vorweggreifen, es ist einfach fesselnd, sich durch die Erinnerung der Leute zu lesen, die „damals“ dabei waren. Vieles von dem, was heute vielleicht als „Mythos“ durch die Szene geistert oder in den Köpfen der Veteranen idealisiert wird sieht man nach der Lektüre des Buchs viel entspannter. Schade, dass das Buch sich an dieser Stelle nicht intensiver mit den Menschen und ihren Erinnerungen von damals auseinandersetzt.

Fakt ist, das die Szene schon immer ein Sammelbecken für Menschen war, für die ihr äußeres ein Teil der Identifikationgrundlage bildet. Man machte das Gefühl ein „Freak“ zu sein zum Gleichstellungsmerkmal, die Gothic-Szene bildete für viele den Rahmen sich selbst auszuprobieren und seine „dunkle“ Attitüde auszuleben. Die Suche nach sich selbst machte auch vor der biologischen Identität nicht halt, die Szene war auch Heimat für androgyne und geschlechtslose Wesen, die mit den äußerlichen Unterscheidungsmerkmalen brachen und das Spiel mit den Rollen zum Style erhoben. Die Bilder und Texte in diesem Buch scheinen genau das zu bestätigen.

Fazit

Ich habe ein ganzes Regal mit Büchern, die sich mit „Gothic“ beschäftigen, doch nie hatte ich das Gefühl alles über die Subkultur zu wissen, immer blieb ein Gefühl: „Es fehlt was.“ So wunderte ich mich vor ein paar Jahren nicht, dass meine fixe Idee – ein Buch über die Szene zu schreiben – bei einem renommierten Verleger abgeschmettert wurde. Worüber sollte ich auch schreiben? Es gibt unzählige Werke die versuchen „Gothic“ zu erklären, die alle möglichen Musikrichtungen aufgreifen oder erklären und es gibt Bücher die relativieren, was in den Köpfen der „Gesellschaft“ vor sich geht, wenn mal wieder von den „Gothics“ die Rede ist.

Die Atmosphäre war immer schon wichtig. Kim und Val zeigen wie man sich inszenierte (1983)
Die Atmosphäre war immer schon wichtig. Kim und Val zeigen wie man sich inszenierte (1983)

In gewisser Weise füllen Andi Herriman und Marloes Bontje eine Lücke und zwar die der Authentizität. Echte Bilder und Erinnerungen von Menschen, die „dabei“ waren – Erinnerung die den eigenen Blick auf die Szene erweitern oder ernüchtern und die Ansichten bestätigen oder widersprechen – nicht mehr und nicht weniger. So war mir beispielsweise sehr neu, wie alt die ganze Genderdiskussion ist und wie präsent sie damals schon gewesen ist. So schreibt Jez Smith: „I was accepted and there were others like me who shared similar tastes in music and aesthetics … It didn’t matter if you identified as [being] straight, bi or gay … As long as you were genuine and accepting, you were generally welcome.“ Darüber hinaus war es auch sehr „erschreckend“ wie wenig man sich zu Beginn mit Inhalten von Musik und Performance auseinandergesetzt hat. Vielleicht haben wir alle ein bisschen vergessen wie es ist, jugendlich zu sein.

Das Buch offenbart keine umwerfenden Erkenntnisse und die beiden Autorinnen haben sich auch nicht in tiefschürfenden Überlegungen oder Thesen verloren, „Some wear leather some wear lace“ ist vielmehr ein Abbild einer Dekade, in der das geboren wurden, was wir heute „Gothic“ nennen. Unzählige und großartige Aufnahmen vermitteln Zeitgeist und Geschmack einer Generation auf die wir heute neidisch zurückblicken. Rückblicke die von der eigenen Sinnsuche erzählen, die vom Wunsch berichten, irgendwo dazuzugehören und offen zugeben, dass es ein Bedürfnis war auch als „Freak“ unter anderen Anerkennung zu finden.

Authentische Gedanken aus jener Zeit haben Seltenheitswert, viele haben verdrängt, was damals war: „Ihre Gothic-Vergangenheit hat für die meisten heute einfach keine Priorität mehr. Obwohl viele Anfangs noch Interesse an dem Projekt zeigten und uns mit Material aus ihren Beständen unterstützen wollten, hat es am Ende oft doch nicht geklappt.(Marloes Bontje im Interview mit Unter.Ton) Vielleicht weil sie für ihre eigene Belanglosigkeit schämen („Be cool and dressed to impress“) und sich lieber im mystifizierenden und idealisierten Bildern und Geschichten anderer flüchten um sich nicht zum Spott eines neuen Umfelds zu machen.

  • Das Buch umfasst 216 faszinierende Seiten mit teilweise beeindruckenden Bilder kommt im handlichen Format daher. Die Projekt-Seite Postpunkproject.com bietet zahlreiche Zusatzinformationen und Bilder.
  • Erhältlich ist es für etwa 33€ direkt beim Verleger Intellect Books (England) oder auch bei Book Depository und Amazon
  • Die Autorin Marloes Bontje unterhält weiterhin ihren Bilder-Blog bei Tumblr während Andi Harriman sich auch noch als DJ und Radiomoderatorin versucht.
  • Weitere Rezensionen und ein umfassendes Interview mit den Autorinnen gibts bei Unter.Ton

 

Spontis Wochenschau #12/2014

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Als ein Wetterbericht vor Weihnachten prophezeite, dass es in den frühen Morgenstunden schneien würde, bin ich extra früher aufgestanden um das lang ersehnte Schauspiel zu verfolgen. Schnee um sechs Uhr am Morgen ist ein leises Ereignis. Die Stille der Stadt ist beeindruckend, nur der Wind drückt gegen die Fenster und krabbelt durch die Ritzen ins Inneren um als Säuseln am Gehör zu zerschellen. Weiß, sagt man, ist die Farbe der Unschuld, der Reinheit und der Unsterblichkeit – und unsere Natur verkörpert das Meiste davon. Der Mensch macht aus dem Schnee dann letztendlich eine grau-schwarze Masse, die in Rinnsteinen darauf wartet endlich im Gulli verschwinden zu dürfen – ganz so, wie er es mit der Natur und seinesgleichen macht. Doch kurz nach sechs ist die Welt noch in Ordnung, bis ich mich in den gesammelten Nachrichtenstrom begebe, um die letzte Wochenschau für dieses Jahr zu verfassen. Eine Mischung, die genauso grau erscheint, wie der Schneematsch und zwischen dem absurdem, schrecklichen und schönen auf dieser Welt ständig die Farbe wechselt. Im Spiegel steht ein Artikel über das Lesen, denn wir lesen – so der Spiegel – immer mehr und müssen neue Möglichkeiten erarbeiten, wie wir noch mehr Text in noch kürzerer Zeit lesen, um der steigenden Informationsflut gerecht zu werden. Was der Artikel jedoch verschweigt ist die Frage, wie wir mit dem ganzen Matsch dieser Welt umgehen sollen.

  • Irak: Milizen steinigen Emos oder stürzen sie von Dächern | Welt
    Was falsch verstandener Glaube auch 2014 noch anrichten kann, zeigt ein Blick in den Irak. Ich habe keine Ahnung, worauf sich die dortige Regierung in ihrem Wahn stützt, doch die Folgen für die dortige Subkultur einiger Jugendliche ist fatal: „Das irakische Innenministerium brandmarkte das Emo-Phänomen vor wenigen Wochen offiziell als „Satanismus“ und lieferte damit den religiösen Extremisten eine Art Lizenz zur Verfolgung der Emo-Jugend. Seither jagen schiitische Milizen und Todesschwadronen die Emo-Jugendlichen systematisch und mit äußerster Brutalität.“ Die irakische Verfassung, die seit nunmehr 10 Jahren gilt, ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht. Auszug: „Der Irak ist laut Verfassungstext eine multi-ethnische und multi-religiöse parlamentarische Republik, die sich zur Demokratie, zum Pluralismus und zum Föderalismus bekennt. Im Text verankert sind die Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sowie die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten.
  • Christian Industrial – Pure. Industrial. Goodness | WTF
    Herbst 2004. „Lanthanum“ registriert die Domain christianindustrial.net und fängt an sie mit Inhalt zu füllen. Blöd nur, dass er vergessen hat Gott vorher zu fragen (Joshua 9:1-27) und daraufhin seine Festplatte den Dienst verweigerte und alle Daten ins Jenseits schickte. Selbst Schuld. Im Februar 2005 hatte er dann endlich die Eingebung. Er betete, bat höflich um Führung und Segnung, diskutierte mit seiner Frau und besuchte seinen Vater. Jetzt war er sich sicher, was Gott wollte. Im März konnte er endlich mit seiner Seite ans Netz gehen: „Well, Actually this is more of a who I am. Christian Industrial currently constists of myself. I am known as „Lanthanum“. The mission of this site is to provide a high profile Christian presence in the Industrial Music community. I plan to accomplish this by providing high quality streaming audio as well as a low bandwidth mirror. The reason for this is, I love Industrial music.“ Seid ihr bereit für christlichen Industrial? Dann nur zu, lasst euch missionieren. (Danke an Mone vom Rabenhorst)
  • Zwei Zimmer, Küche, Sarg | mephisto 97.6
    Ich habe mich damals mehr mit meiner Subkultur und was dahinter steht auseinandergesetzt. Ich hab den Eindruck das passiert heute eher weniger und die jungen Leute machen es eher, weil es cool ist.“ Das sagt Angel-Marlene Gilmore, die in Leipzig lebt und sie als „perfekte“ Stadt für die schwarze Subkultur hält. Es gibt eben Dinge, die ändern sich nicht – so wie die Menschen, die schwarze Klamotten für cool halten – und Dinge die im stetigen Wandel sind, so war Leipzig noch vor einer Weile ein sehr unentspannter Ort für Mitglieder einer Subkultur. Redakteurin Ulrike Bielle berichtet in einem 4:10 langen Radio-Beitrag über die 32-jährige Wahl-Leipzigerin, die einen Sarg ihr Eigen nennt, in dem sie auch schon geschlafen hat.
  • Wildes Sexleben: Mozart lässt in BILD die Peitsche knallen! | Sonic Seducer
    Ich finde, der Kerl wird immer peinlicher. Nicht, dass er behauptet, die Gothic-Szene erfunden zu haben, jetzt redet er auch über sein und das Sexleben einiger Kollegen: „Mozart spricht dort über ausschweifende Parties mit Ville Valo (HIM) beim M’Era Luna in Hildesheim. „Am nächsten Morgen konnte Ville nicht zur Pressekonferenz erscheinen. Angeblich hatte er eine schmerzhafte Dauererektion“, lässt Mozart sich zitieren. Mit Falco teilte sich der Frontmann von Umbra et Imago in den Neunzigerjahren eine Blondine für eine Nacht und mit Boxerin Regina Halmich verband ihn „mehr als nur eine musikalische Freundschaft“, lässt er sich entlocken.“ Warten wir ab, in ein paar Jahren erklärt er die Szene bestimmt für tot und wendet sich anderen Projekten zu. Traurig wäre ich nicht.
  • Depeche Mode in der DDR: „Beim vierten Lied bekam ich keine Luft mehr“ | Einestages
    Für einige Jugendliche hatte der 7. März 1988 eine ganz besondere Bedeutung, denn da traten Depeche Mode in DDR auf und beeinflussten das Leben der Menschen vor der Bühne nachhaltig. Ich glaube es gibt kein Konzert, über das so emotional berichtet wird, wie dieses – vielleicht weil es tatsächlich etwas ganz besonderes war: „Nach dem vierten Lied bekam ich keine Luft mehr. Ich schaffte es gerade noch, etwas weiter nach hinten zu gelangen, ohne zusammenzubrechen. Plötzlich bemerkte ich das süße Mädchen neben mir; auch sie schien vollkommen atemlos zu sein. Wir schauten uns lange in die Augen, lauschten der Musik und nahmen uns zärtlich in die Arme. Bald umarmten wir uns immer inniger und sangen gemeinsam die Lieder unserer Helden aus dem Radio. Bei einer Ballade zog sie mich plötzlich zu sich hinüber und gab mir den wärmsten und schönsten Kuss meines gesamten DDR-Lebens. Nach dem Konzert sahen wir uns nie wieder. People Are People!“
  • 2014: A subjective Year in Horror | The Gothic Imagination
    Ein paar Einblicke in die Independent-Horror-Szene nördlich des Ärmel-Kanals gibt der Blog „The Gothic Imagination“ der von schottischen Universität Stirling betrieben wird und schon eine ganze Weile mit ausgezeichneten Beiträgen rund um den Begriff „Gothic“ aufwartet. So auch dieser Beitrag der mir einerseits wieder Lust auf anständigen Horror gemacht hat und zum anderen aufzeigt, dass nicht alles was dort in den Kinos zu sehen ist, auch hier zu sehen sein wird. „If there has been one formal quality that unites the year’s best horror films, it is the return of colour: bright, aggressive, joyful colour. Coincidence or conscious movement, 2014 saw a number of filmmakers seemingly drunk on the legacy of Dario Argento’s 1977 masterpiece, Suspiria. This connection to Italian horror is made explicit in the neo-gialli that are captivating horror audiences in fresh, original ways. Hélène Cattet and Bruno Forzani’s luscious and perverse The Strange Color of Your Body’s Tears lies at one end of this spectrum, while at the other you can find Astron 6’s recent loving homage to the subgenre, The Editor.
  • Die lesbischen Vampire der Hammer-Filme | Dangerous Minds
    Oha! Diese Überschrift bringt den Blog nach vorne, ganz sicher. Ganz so, wie es sich die Hammer-Studios in den 70ern gedacht hatten, als sie Vampire-Filme, Horror und Porno zu einer B-Movie Suppe vermischten und an das begierige, durch die sexuelle Revolution stimulierte, Publikum zu bringen. Auch Herr von Karnstein war mit von der Partie: „With all the hubbub about sexy vampires these days, courtesy of Twilight, True Bloodand The Vampire Diaries, it’s time to take a short stroll down memory lane to the “golden age” of vampire lesbian cinema with Hammer’s so-called “Karnstein Trilogy.”“ So und jetzt noch schnell ein Bild, damit die Klickzahlen steif steil nach oben gehen.
  • Skinny Puppy fordern Geld für das Spielen ihrer Musik in Guantánamo | msnbc
    Weil ihre Musik angeblich bei den Folterungen im Gefangenenlager Guantánamo gespielt wurde, verlangte die Band von der US-Amerikanischen Regierung 666.000 Dollar Gebühr. Die Welt schreibt dazu: „Eine überparteiliche Kommission hatte im April 2013 schwere Vorwürfe gegen die US-Regierung erhoben. Terrorverdächtige seien gefoltert oder mit grausamen, unmenschlichen Praktiken verhört worden. Dazu habe auch die Dauerberieselung mit Musik gehört.“ Mit dabei, so jedenfalls die Gerüchte, Skinny Puppy.
  • The Way we were | Vimeo
    Punk und New Wave zwischen 1976 und 1978. Irgendwo dazwischen wurde es dann düster: „Channel 4 UK programme first broadcast circa 1984 / 1985-ish. Hosted by the late Tony Wilson, it’s a compilation of performances by bands taken from his previous TV shows in the late 70’s, such as So It Goes. Includes Sex Pistols, Clash, Buzzcocks, Iggy Pop, The Fall, Elvis Costello, Blondie, Penetration, Wreckless Eric, Ian Dury, Tom Robinson, Magazine, John Cooper Clarke, XTC and Joy Division – many of them making their TV debuts.

Mein schaurig schönes Tagebuch – Episode 6: Frohes neues Jahr!

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Screeshot Feuerwerk LondonFrohes neues Jahr! Schuld an diesem Debakel sind natürlich wieder einmal die Römer, die sich 156 v.Chr. dazu entschlossen, in ihrem julianischen Kalender (nach Julius Caesar) den 1. Januar als Beginn des neuen Jahres festzulegen. Später kam dann der gregorianische Kalender (nach Papst Gregor) und hat die fehlerhaft Beta-Version der Römer abgelöst. Bla bla. Frohes neues Jahr!
Vor dem neuen Jahr ist Silvester (schon wieder ein Papst) und den habe ich persönlich völlig ungewöhnlich verbracht. Auf dem Land und ohne Feuerwerk. Wer mich kennt weiß, dass ich ein latenter Pyromane bin. Mit 9 brannte mein Fuß, mit 12 mein Knie und mit 14 bin ich in einer mit einem Plastikfass, an dem wir damals Feuerwerk als Raketenantrieb montierten, einen Abhang runtergerollt. Mit 15 habe ich dann mein erster Feuerwerk abgebrannt und bin (bis auf ein kurzzeitiges Aufbäumen von Moral, die dann 1 oder 2 mal die Überhand gewann) konstant dabei geblieben, sinnlos Geld in die Luft zu schießen. Kommt mir jetzt nicht mir rationellen Argumenten gegen Feuerwerk, ich kenne sie alle. Ist in etwa so, wie mit dem Rauchen. Man weiß das es schlecht ist, tut es aber trotzdem.