Up on the Black Catwalk – Mit Onkel Hagen unterwegs im Modedschungelcamp

Unerträgliche Hitze, Hektik, Gerede, Lachen, Tränen, Chaos, Schweiß und blutige Füße…Oh Goth…ich bin im Modedschungel angekommen. Verdammt und zugenäht im wahrsten Sinne des Wortes.

Wenn man es nach dreißig Jahren im Musikgeschäft zu nichts gebracht hat, wie hart muss erst der Weg sein, um in solche hervorragende Sendungen wie das Dschungelcamp als XYZ Promi zu kommen? Kaum drüber nachgedacht, schon kam das Schicksal in Form von unserer Szenetochter Kathy um die Ecke. Szenetochter? Ja, wenn man keine eigenen Kinder hat, nimmt man sich halt den Kindern gleichaltriger Freunde an, um sie auf den manchmal kurios anmutenden Weg in die schwarze Welt zu begleiten. Und wer hat sonst schon die Addams Familie als Paten?

Kathy machte jedenfalls gerade eine Ausbildung zur Bekleidungstechnischen Assistentin und musste zum Abschluss eine Kollektion für eine Modenschau ihres Jahrgangs entwerfen. Da wir ja nun mal gute Szeneeltern sind, konnten meine bessere Hälfte Nathalie und ich unsere „Kleene“ schon sehr früh vom guten Geschmack überzeugen und ihr Herz für die New Wave- und Grufti-Kultur begeistern. Und so sollte ihre Kollektion auch aussehen. Sie fragte uns, ob wir für sie als Models laufen würden. Wir sagten sofort zu denn das war klar, als Model schafft man es auch ins Fernsehen und in das Dschungelcamp. Danach steht einem dann die Karriere als Schmuckdesigner, DJ oder Ballermann-Sänger auf jeden Fall offen. Und wenn das nicht hilft, muss man halt doch bei Youbbitubbi als oller Grufti sein ganzes Leben offen legen, um zu zeigen, wie geheim das eigentlich alles ist. Und vielleicht nebenbei noch billig produzierte Gothic-Plörren verhökern.

Im Hühnerstall hinter dem Catwalk

Was für ein riesiger Aufwand allerdings hinter so einer Modenschau-Veranstaltung steckt, kann man sich kaum vorstellen wenn man noch nie hinter die Kulissen geschaut hat. Das beschaffen der Materialien alleine verschlang für Kathy schon jede Menge Zeit und vor allem Geld, da sie alles selbst bezahlen musste. So viel zum Thema: „Mach mal `ne Lehre dann verdienste auch was.

Da Schulabschlüsse ja im Normalfall im Sommer stattfinden, hatten wir natürlich auch nicht bedacht, dass es auch warm werden könnte. Und der Wettergott hatte es mal wieder gut gemeint und in der Vorbereitungs-, Anprobe- und Generalprobenphase die Sonne bei 34-36 Grad scheinen lassen. Wenn wir es nicht sowieso schon wären, wir wären echt blass geworden, was ja zu unserm Catwalk auch dazugehörte.

Chaos und freche Models

Hinter dem Laufsteg herrschte reges Treiben das einem Hühnerstall gleich kam. In engen Garderoben stapelten sich Kleidung, Schuhe, Schneiderinnen, Models und was sonst noch alles dazu gehörte. Der einzige männliche Absolvent machte es praktischer und bereitete seine Kollektion direkt auf dem großen, luftigen Flur vor. Was auch ganz gut war, da er sehr viel mit Winterkleidung und Kunstfell arbeitete, ganz zur Freude seiner Models. Aber Schwitzen soll ja gesund sein.

Den ganzen Tag wurde noch genäht, gebügelt, dekoriert, das Laufen geprobt und man half wo man konnte. Kathy hatte sowieso schon 28 Stunden nicht mehr geschlafen, da es noch so viel zu tun gab. Also auch nicht anders als bei großen Modenschauen. Vermutlich entstehen so auch kuriose Trends, die keiner nachvollziehen kann: Model findet Schuhe nicht, tritt in Badelatschen auf, neuer Stil geboren. Kleidungsstück ist viel zu groß, zum umnähen keine Zeit, „Oversize ist jetzt hip“.

Interessant fand ich, dass sich doch einige Leute, die dort mitmachten, den Subkulturen verschrieben haben. Hippi-Alternativ war als Modethema genau so angesagt wie Ethno und Patchwork. Besonders lobenswert war auch die Einstellung der Teilnehmer zum Thema Nachhaltigkeit in der Kleidungsindustrie. Das Thema wird immer wichtiger und ich würde mich freuen, wenn es das in der schwarzen Szene auch häufiger geben würde. Vieles, was da so bei großen Gothic-Versandhäusern angeboten wird, ist von schlechter Qualität und wird bestimmt nicht unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt.

Ich frage mich immer, warum Leute nicht zu einem echten alten Gehrock für 50,- Euro aus dem Second Hand Laden greifen. Da wird lieber eine überteuerte Polyestersamtjacke gekauft, die weder passt noch edel aussieht. Und meistens als Krönung der Vampirverkleidung noch einen Fünf-Euro-Plastezylinder obendrauf, um die totale geschmackliche Entgleisung perfekt zu machen.

Sorry ich schweife ab und das endet meistens nicht gut.

Wer uns nicht anlächelt, wir gebissen und muss für immer leben

Die ganze Schau ging etwa 60 Minuten und dann kamen zum Schluss die Einzelkollektionen von Kathy und dem jungen, wirklich sehr talentierten Herren.

Fünf Models waren wir an der Zahl, die sich in komplett sommeruntaugliche, aber total schöne Outfits quetschten. Auf dem Weg zum Laufsteg lächelten uns alle freundlich an, denn sie wussten: wenn sie es nicht tun, werden sie von uns in den Hals gebissen und müssen für immer leben. (Nee, war nur Spass)

Trotz Konkurrenz war es wirklich ein tolles miteinander. Man half sich, gab sich Tips und tröstete sich, wenn die Nerven am Boden lagen. Ich glaube nicht, dass es in der Profi-Mode-Welt so nett zugeht.

Und was gibt es Schöneres als wenn ein junges Model zu einem sagt: „Boah, Sie sehen aus wie Edward mit den Scherenhänden.“ Bei einem Altersunterschied von 30 Jahren hört anscheinend sogar das versöhnliche Du auf. Aber Johnny Depp wird ja auch nicht jünger.

La Kritz heißt nun das Label unseres Szenesprößlings, einen Namen, den ich mir einst im tiefen Keller meines Schlosses für sie ausgedacht habe. Das prangte dann auch in großen Lettern über dem Laufsteg. Es gab viel Applaus und Jubelrufe und nicht nur von der Verwandtschaft und Freunden.

Kathy La Kritz

Als Krönung kamen zum Schluss alle Absolventinnen in Abendkleidung auf die Bühne und eine überragte sie alle. Die wahre Königin der Nacht. In ihrem komplett selbstgenähten Kleid stolzierte sie über den Catwalk, als wenn es nie was anderes in ihrem Leben geben würde. Ein Kleid das auch schon so vor dreißig Jahren hätte existieren können ohne aber dabei veraltet und angestaubt zu wirken. Die Leute waren platt und der Applaus war riesig.

So fühlt es sich also an, wenn man auf seine Blagen stolz ist. Auch, wenn es nicht die eigenen sind. Man merkt wie tief Kathy im Wave-Gothic-Indie Bereich verankert ist und doch lässt sie immer wieder neue Trends und Stile einfließen. Hauptsache nicht wie alle anderen, Hauptsache anders.

Ich hoffe, dass Kathy mit ihren jungen 20 Jahren den eingeschlagenen Weg weiter voller Ehrgeiz bestreitet und vielleicht irgendwann der Name „Kathy La Kritz“ (Sweet like Candy, Black like Death) in Gruftikreisen für Qualität, Nachhaltigkeit und Individualität steht. Der Markt ist bestimmt da und die Käufer, die für Qualität etwas mehr bezahlen wollen, bestimmt auch.

Ein Sumpf aus Schuhen

In diesem Sinne Augen auf beim Kleidungskauf!

Übrigens hat mir der Modedschungel, bestehend aus Irrwegen hinter der Bühne, alles verschlingenden Kleiderbergen, Sümpfen aus Schuhen und tausenden Gerüchen zwischen Parfüm, Haarspray und diversen Körperausdünstungen bei 36 Grad vollkommen gereicht.

Das war mein persönliches Dschungelcamp.

Und jetzt kann ich es fühlen: „ICH BIN KEIN STAR – HOLT MICH HIER RAUS“

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