Pressespiegel zum 21. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig

Das 21. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig ist vorbei, müde und abgekämpft treten die rund 20.000 internationalen Besucher des Festivals ihre Heimreise an. Je weiter man sich von der Hauptstadt der schwarzen Szene entfernt, desto seltener werden die Reisenden, die ihre müde Augen hinter dicken Sonnenbrillen vor dem grellen Sonnenlicht schützen. Für viele Gothics-Fans ist das WGT ein jährlicher Meilenstein, der die schwarze Szene aus aller Welt zusammenbringt und zeigt, was sich alles dem Begriff Wave-Gotik zugehörig fühlt. Es ist manchmal erstaunlich, wie sehr manche Besucher die Thematik des Treffens verfehlen und das WGT zur Plattform der Selbstdarstellung missbrauchen. Wen wundert es also, dass die Presse genau diesen Eindruck an seine Leser und Zuschauer weitergibt. Wie jedes Jahr, in dem ich das Treffen besucht habe, möchte ich auch dieses mal wieder einen kleinen Einblick in die Berichterstattung geben.

Über weitere und interessante Verweise, die ihr gerne in den Kommentare zum Besten geben könnt, würden ich mich sehr freuen. Es ist schwierig aus der Flut an nahezu gleichen Artikel die Perlen zu fischen.

Fakten: 10 Millionen Euro Umsatz, mehr Hotelbuchungen und weniger Zeltplatzbesucher

Es war ein beeindruckendes Bild, als am Dienstag Morgen die Fahrstühle unseres Hotels unzählige schwarze Gestalten und unfassbar volle Gepäckwagen erbrachen. Für ankommende Besucher sicherlich ein merkwürdiges Bild. Den Eindruck, dass immer mehr Besucher Zeltplatz, Toilettenwagen und Waschplätze gegen ein Hotelzimmer tauschen, konnte auch die Presse bestätigen. Nach Angaben von Holm Retsch, dem Geschäftsführer der DEHOGA, waren die Hotels und Pensionen zu 90% ausgelastet, in den letzten 5 Jahren habe es eine deutliche Tendenz vom Zeltplatz zum Hotel gegeben, was man der „wachsenden Klientel“ des WGT zuschreibt 1. Darüber hinaus geben die Besucher auch deutlich mehr Geld für ein Hotelzimmer aus, für Andreas Schmidt, von der Leipzig Tourist Information, „sei ein Indiz das durchschnittlich gehobenere Alter der Festival-Gäste, die teilweise seit Jahren Stammgäste seien und sich nicht mit dem billigsten Hotelzimmer zufrieden gäben. Zwischen 135 und 150 Euro sollen sie durchschnittlich für ein Zimmer bezahlt haben.2 Das sorgt nach Angaben von Andreas Schmidt für einen Umsatz von 10-12 Millionen Euro, von dem vor allem Taxifahrer, Hoteliers, Restaurant- und Imbissbetreiber profitieren. Neben dem Bachfest und der Leipziger Buchmesse ist das WGT damit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Stadt.

Presse- und Medienstimmen

Die Presse zeigte sich wieder einmal durchwachsen und verfasste Artikel zwischen objektiver Berichterstattung, subjektiven Eindrücken und bedeutungsschwangeren Titelzeilen. Das Interesse an der Großveranstaltung hat jedoch spürbar nachgelassen.  Wäre Montserrat Caballé nicht im Rahmenprogramm vertreten, hätte die FAZ das Treffen womöglich ignoriert. Unter Gothic trifft Sopran findet man dennoch einige bemerkenswerte Zeilen: „Als die weltbekannte Operndiva endlich die Bühne betritt, empfängt sie tosender Applaus. „Ich möchte die Leipziger und alle Gotiker grüßen“, ruft sie unter dem Beifall des Publikums. Und fragt dann: „Sagen Sie mir, was sind Gotiker?“ Eine antwortet ihr: „Schwarze Seele!“ Montserrat Caballé fängt an zu lachen: „Schwarze Seele? Und was wollen Sie dann hier?“ Während ihres Auftritts wird sie immer wieder darauf zurückkommen und ihr Lachen im Zaum halten müssen.“

Unter dem Titel „Erst Gottesdienst, dann Sklavenmarkt“ schreibt die Berliner Zeitung: „Gothic, das Schmuddelkind von Punk, New Wave und Industrial, ist gefragt wie nie: Während unheilige Schlagermusik die Charts erobert, verzaubern junge Künstlerinnen wie Zola Jesus, Austra oder Grimes den musikalischen Underground mit neuen Ansätzen vertonter Daseinsflucht (…) Standortverortung und Selbstverständnis der Goth Culture lassen sich nicht mehr auf ihre Wurzeln in den Achtzigern limitieren. Ob das echte Kreativität ist oder die passive Aufnahme fremder Strömungen und Einflüsse, sei mal dahingestellt. Als sicher kann jedoch nach dem 21. Wave-Gotik-Treffen gelten, dass die schwarze Szene lebt. Von Midlife-Crisis keine Spur.

Die BILD muss nicht weiter kommentiert werden, so reichen die Überschriften diverser Schlagzeilen aus, über den Inhalt der Artikel Bescheid zu wissen. „Sexy Grufti-Schau in der schwarze Messestadt!“ (Link) oder „Ade, WGT! So sexy feierten die Gruftis“ (Link)  sprechen eine deutliche Sprache. Der Inhalt aller Artikel ist eigentlich immer der gleiche. „Schrille Steampunks, ganz viel Lack, Leder und Latex, sexy Gothics in atemberaubenden Korsetts sowie schöne Maids in heißen Mittelalterkostümen„.  Verurteilen darf man die Reduzierung auf diese Sichtweise sicherlich nicht, denn „weniger ist mehr“ schien nicht nur ein Tribut an das heiße Wetter zu sein, sondern auch an die allgemeine Entwicklung der Szene-Oberfläche.

Einige Zeitungen reduzieren das Wave-Gotik-Treffen auf eine reine Bild- oder Videoberichterstattung  und würzen die Inhalte mit einigen auf mich lustlos wirkenden Zeilen. Offenbar hat man es aufgegeben, zu verstehen was in Leipzig passiert und reduziert das Ereignis auf die glänzende Oberfläche. „In der Vorbereitung auf das Wave-Gotik-Treffen essentiell: Schere, Schminke und Stilkamm. Diese drei finsteren Gestalten präsentieren geradezu idealtypisch den Chic der Szene: Barock meets Punk. Er trägt Tolle und zerfetztes T-Shirt, alles in Schwarz-Weiß gehalten. Die Dame in der Mitte lässt unter dem Korsett Spitze hervorblitzen und balanciert auf dem Kopf eine Pyramide aus rosafarbenem Kunsthaar. Und die Dritte im düsteren Bunde kombiniert zur Fratzen-Tasche einen keck seitlich aufsitzenden Mini-Zylinder.“ (sueddeutsche.de) – „Greller Gipfeltreff in Leipzig: Anlässlich des Wave-Gotik-Treffens belagern am Pfingswochenende Tausende von Gothic-Fans die Grünflächen, besuchen Konzerte, Mittelaltermärkte und Friedhöfe.“ (stern.de)

Das schattige und dunkle Plätze zum diesjährigen WGT kein Klischee waren, beweist die LVZ: „Außerdem sucht er gerne mal ein schattiges Plätzchen auf und geht dabei gleich auf ein beliebtes Klischee ein: „Wir sind nicht depressiv. Uns ist nur warm.“ Wenn das alles nicht hilft, bleibt nur noch eins: „Man leidet und hält es einfach aus“, sagt er.“ Sie ist außerdem für eine weitere Erkenntnis zuständig, denn offenbar habe hohe Stiefel ihren Preis: „Sie trägt je nach Wetter lange oder kurze Röcke, dazu bequeme Stiefel ohne Absatz, abends auch mal eine Korsage. „Es gibt Leute, die dopen sich mit Schmerzmitteln, um es auf hohen Absätzen auszuhalten“, hat sie beobachtet. Dafür hat sie null Verständnis.“

Shan Dark

Einen ganz besonderen Ehrenplatz bekommt die hübsche Rothaarige aus Mainz, die es durch eine glückliche Fügung in zahlreiche Artikel der nationalen Presse geschafft hat. Für mich eine verdiente Anerkennung der Arbeit, die Sie sich mit dem Schwarzen Planeten macht, der in einigen Artikeln, wie dem von Welt-Online, verlinkt ist. Gut gemacht Shan Dark!

Leipzig. Shan Dark hat zu Pfingsten immer einen Termin. Sie macht sich alljährlich von Mainz auf den Weg nach Leipzig – zum Wave-Gotik-Treffen (WGT). Schon zum elften Mal ist Shan Dark dabei – und noch immer begeistert. „Es ist einfach das größte, beste Treffen, das es in der Szene gibt“, sagt die 37-Jährige, die im Berufsleben Marketingfachfrau bei einem großen Konzern ist. Nebenher bloggt sie unter ihrem Spitznamen Shan Dark über die Gothicszene. Die 37-Jährige ist eine von vielen Besuchern, die dem WGT seit Jahren die Treue halten.

Bewegte Bilder

Auch ein paar Videos vermitteln einen Eindruck vom WGT, die ich unkommentiert für sich sprechen lassen möchte. Interessant ist dabei, dass gerade die Lokalsender ein sehr interessantes Bild der Szene zeigen und sich neben dem vielfach erwähnten Schaulaufen auch mit dem breiten kulturellen Rahmenangebot befassen.

Kritik

Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Inhalte der etablierten und „großen“ Medien gleichen. Was uns allen klar ist, wird bei der Durchsicht der rund 300 Presse-Meldungen durchschlagend deutlich. Presseagenturen wie die DPA oder REUTERS geben den Ton an und verkaufen ihre Artikel an unzählige Zeitungen und Portale. Wer sich ein differenziertes Bild vom Wave-Gotik-Treffen machen möchte, sollte meiner Ansicht nach die Auflagenstarken Blätter meiden und muss die Nadel im Heuhaufen suchen. Dabei spielt es auch keine Rolle, in welcher qualitativen Liga eine Zeitung spielt, viele verfahren nach dem gleichen Prinzip: Da waren 20.000 offenbar Verrückte in Leipzig, also müssen wir drüber berichten.

Bemühte man sich in der Vergangenheit wenigstens etwas zu verstehen, so wird das WGT heute auf die immer gleichen Attribute reduziert. Das kulturelle Rahmenprogramm wird erwähnt, geht aber neben dem Schaulaufen der Szene-Karnevalisten einfach unter. Dabei wächst gerade dieses Programm von Jahr zu Jahr und stellt so manch andere Veranstaltung in den Schatten. Dabei wäre genau dieses Angebot das Spektakuläre. Der Begriff „Festival“ wird dem WGT nicht gerecht, es lässt sich mit keinem anderen Festival vergleichen und widerspricht dem Eindruck, dass es sich in der Gothic-Szene nur um Musik- und Klamotten drehen würde. Bunte Neo-Puschel, knallige Lack-Outfits, verkleidete Orks und Piraten habe ich auf den besuchten Ausstellungen und Lesungen jedenfalls nicht gesehen.

Das WGT ist wie ein gefülltes Bon-Bon. Man muss die knisternde und glänzende Verpackung entfernen und sich durch die nach Zucker schmeckende Hülle lutschen, bevor man endlich den lang ersehnten Kern schmecken und genießen kann. Zerbeißen hilft nicht, so bleibt nur ein undefinierbarer Geschmacks-Wirr-Warr zurück, den kein Gaumen zuordnen kann.

Einzelnachweise

  1. Quelle: Leipzig Fernsehen, Bericht vom 29. Mai 2012 – http://www.leipzig-fernsehen.de/default.aspx?ID=5846&showNews=1167523&showSearch=5855[]
  2. Quelle: mephisto 97.6 – Radio für Kopfhörer, das Lokalradio der Universität Leipzig – http://mephisto976.uni-leipzig.de/themen/kultur/beitrag/artikel/20000-wave-gotik-gaeste-kamen-mit-vollen-geldboersen.html[]
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Pitje
Pitje (@guest_21710)
Vor 11 Jahre

Danke, für den informativen Presse-Spiegel. Einen klugen (und frechen) Artikel kann ich noch aus der LVZ beisteuer, Kostprobe:
Im Vollkontakt mit der Besuchermasse ist das Bild deutlich weniger stylish. Es gibt da nämlich auch die mindestens ebenso zahlreiche No-Go-Outfit-Fraktion. Den beim Bücken gern die Arschritze vorzeigenden Dark-Metal-Proll etwa, die Gelegenheits-Gruftie-Trottel mit ihren „Sonne ist albern“-Shirts, die Versandhaus-Cybergothics in „Hose mit vielen Taschen für nur 73,90“ und vor allem Heerscharen von – nennen wir es – nachlässig geschminkten Vollmatronen mit leider bauchfreiem Top. Immerhin: wenigstens die vor gar nicht so langer Zeit noch omnipräsenten Unheilig-Shirts scheinen endgültig im Giftschrank gelandet zu sein.

Hier der Link:
http://web.archive.org/web/20120529001701/http://www.lvz-online.de:80/gestaltete-specials/wave-gotik-treffen-2011/wgt-news/ich-liebe-euch-doch-allle–joerg-augsburg-ueber-ein-paar-simple-regeln-zum-wgt-in-leipzig/r-wgt-news-a-138611.html

mattensan
mattensan (@guest_21711)
Vor 11 Jahre

Ein schöner Überblick über die Presselandschaft und gleichzeitig Anreiz, die genannten Perlen im Heuhaufen zu suchen, deren Berichterstattung mehr bietet als Sensationshascherei und zumindest einige der selbst gesammelten Eindrücke wie sie die LVZ im Link von Pitjes Kommentar beschreibt um tiefere Einblicke aus dem kulturellen Rahmenprogramm ergänzt.
Wobei ich gestehen muss, dass es einem als erstmaligem WGT-Besucher schwer fällt, sich dem Wust der Klischees zu entziehen und etwas tiefer einzutauchen in den Sinn dieses Treffens. Nächstes Jahr kann ich an der Stelle hoffentlich weitermachen.

kleineraupe
kleineraupe (@guest_21718)
Vor 11 Jahre

Ich bin im Fernsehen. Juhu. (1. Video, die Frau, die die Eier schält.) Ich bin im Nachhinein zwar positiv überrascht, dass RTL mal ausnahmsweise keine der sonstigen stümperhaften, mit Klischees gespickten Reportagen gedreht hat. Aber auf die Nerven ist es mir, bzw. uns trotzdem gegangen. Erstens hatten wir keine Wahl, da die Pensionsbetreiberin uns völlig überrumpelt hat und zweitens hatte ich einen Wahnsinnshunger, der durch die Warterei und den neuen Takes ganz und gar nicht kleiner wurde. Ich hoffe innigst, dass das das erste und letzte Mal war.

shan_dark
shan_dark (@guest_21719)
Vor 11 Jahre

Mal wieder eine gelungene Zusammenfassung, Robert – schön poetisch und wahr auch der letzte Satz. Es ist allerdings nicht verwunderlich, dass sich die Beiträge ähneln, weil Szene-Versteher-und-Erklärbär-Artikel bei der Leserschaft der ’normalen‘ Presse ja nicht ankommen oder gutiert werden. Die Artikel müssen im besten Falle das Interesse am Fremden wecken – mit Hinguckern, Fotos und knackigen Schlagzeilen.

Tjaha, die „glückliche Fügung“ war auch für mich wirklich überraschend – zumindest, dass ich mehrfach in dem Artikel prominent erwähnt wurde. Ich hab da einer Freundin, die im Gegensatz zu mir ihr Journalistikstudium abgeschlossen hat und mit der ich mich am FR abend im Schauspielhaus zu „Love is colder than death“ eigentlich treffen wollte, am SA früh per Telefon am Frühstückstisch ein paar Fragen beantwortet. Aber bei ihr konnte ich mir auch sicher sein, dass da nix aus dem Zusammenhang gerissen und vor allem korrekt zitiert wird. Auch den Punkt, dass es kein Festival ist, was auf einem abgezäunten Gelände stattfindet, sondern in die STadt integriert ist, hat sie erwähnt.
Zu unbekannten Journalisten habe ich wenig bis gar kein Vertrauen und denen hätte ich auch kein Interview gegeben. Stellenweise war der Text zwar mit gruseligen Bildern „garniert“, aber die bildliche Gestaltung lag dann im Ermessen jeder Redaktion, die den dpa-Artikel aufgegriffen hat.

Einer der nachdenkenswertesten Sätze kam in der letzten Reportage vom MDR-Rundfunkorchester Chef Howard Arman: „Ich finde, es verbindet sich sehr viel hier.“ – die alte Geschichte der Stadt Leizig, die künstlerischen Darbietungen, neue Kultur und an diesem Pfingstwochenende eben auch viele Menschen, die solche kulturellen Veranstaltungen auch zu schätzen wissen. Die Tierpräparator-Ausstellung, die wir im Naturkunde-Museum besucht haben, war ja auch nicht Teil des Veranstaltungsprogrammes, aber die hatten durch das WGT wohl auch einige Besucher mehr. So profitiert man gegenseitig.

Marcus
Marcus (@guest_21725)
Vor 11 Jahre

Dummerweise bin ich einem Link zu einer Pro7-Sendung gefolgt. Allein schon die Basis des Beitrags – Festival-Battle: Wave-Gotik-Treffen vs. Neon-Splash – ist erschreckend schwachsinnig. Doch die Kommentare stehen dem in nichts nach:

„Combichrist sind die Stars der Gothic-Szene.“

„Die Gothic-Festival-Besucher leben ihr Motto: Gesehen und gesehen werden.“

„Gothics essen am liebsten ayurvedische Gemüsepfanne.“

Für alle masochistisch Veranlagten:
https://www.prosieben.de/tv/taff/playlists/playlist-ganze-folgen-taff
Der Betrag beginnt bei etwa 10 Minuten.

Pitje
Pitje (@guest_21752)
Vor 11 Jahre

Aus journalistischer Sicht finde ich die Gegenüberstellung der beiden gänzlich unterschiedlichen Festivals eigentlich ganz originell.
Und auch, wenns weh tut: Für einen Großteil der Szene sind Combichrist nunmal die Stars. Und mit der Feststellung, dass es für viele ums „Sehen und Gesehen werden“ geht, hat die Reporterin doch recht. Wers nicht glaubt, sollte mal nachmittags übers Agra-Gelände schlendern – so, wie es Pro7 getan hat.

Marcus
Marcus (@guest_21756)
Vor 11 Jahre

Dass Combichrist für einen Großteil die Stars der Szene sind, möchte ich dann doch bezweifeln. Zumindest kenne ich keine einzige Person, die zu diesem Großteil zu rechnen wäre. Aber womöglich kenne ich innerhalb der Szene nur Minderheiten?

Ich glaube auch nicht, dass die Mehrheit ein Motto des Sehen-und-gesehen-werdens auslebt. Sicherlich ist es unbestritten, dass sich dieses Bild auf dem Agra-Gelände zwangsläufig ergibt. Aber dies für die Masse der WGT-Besucher zu verallgemeinern, finde ich falsch. Besucht man andere Orte, erschließt sich ein vollkommen anderes Bild: Vielfältig interessierte Menschen, denen es um andere Dinge als Schaulaufen geht. Im Übrigen handelt es sich dabei nicht um eine kleine und überschaubare Gruppe, wie beispielsweise der Ansturm auf die Ausstellung im Stasimuseum gezeigt hat.

Irmin
Irmin (@guest_21761)
Vor 11 Jahre

Ich vertrete ja die These, dass ein Großteil aller Journalisten nur zwei Arten kennt, um über jedwede Subkultur zu berichten – und den Begriff „Subkultur“ kann man dabei durchaus sehr weit fassen. Nicht nur das, beide Arten der Berichterstattung geschehen auch aus der gleichen Perspektive heraus, einer Art „Zooperspektive“: Der Journalist begibt sich in ein Territorium, in dem er bequem Exotik aus der ganzen Welt betrachten kann und sich auch ohne jedwedes weitere Wissen über die „Ausstellungsstücke“ so seine Gedanken machen kann, wie denn wohl die Welt dieser exotischen Wesen funktioniert.

Der feine Unterschied zwischen den beiden Versionen ist die Frage, ob man diese Exotik als gefährlich einstuft oder nicht. Immerhin, über diesen Punkt scheint man bei der Gothic-Szene hinaus, zumindest hab ich in den letzten Jahren nicht mehr allzu viel über Satanismus und andere okkulte Dinge im Zusammenhang mit der Szene gelesen. Das spart man sich dann für „Jeder Videospieler ist potenzieller Amokläufer“ und „Jeder Fußballfan ist ein Gewaltverbrecher“ auf ;-)

Daher bin ich der Meinung, dass man kaum darauf hoffen darf, in der Tagespresse halbwegs vernünftige Artikel lesen zu dürfen. Wie du ja schon selbst sagst, Robert: Man muss die Nadel im Heuhaufen finden. Da das alles aber nichts Neues ist, nehme ich das Gros der Berichte einfach belustigt zur Kenntnis. Auch, wenn meine Beschreibung der Perspektive der meisten Journalisten vielleicht etwas frustriert oder verbittert klingt, das ist sie gar nicht so sehr. Zumindest nicht, weil dadurch ein falscher Eindruck entstehen könnte. Vielmehr ist es so, dass ich mich frage, warum Journalisten durchaus angesehener Zeitungen es nicht besser hinbekommen – und daran angeschlossen, ob das wohl in Bereichen, in denen ich mich weniger gut auskenne, auch so ist und was das dann über die Berichterstattung über viele andere Themen aussagen würde.

Für die guten Berichte und um mehr über das WGT dieses Jahr zu erfahren, habe ich ja unter anderem diesen Blog hier. Hoffentlich schaffe ich es nächstes Jahr auch endlich mal nach Leipzig (bzw. ich schaffe es, ein paar Leute davon zu überzeugen, dass wir hinfahren sollten), denn Erfahrung aus erster Hand ist natürlich immer noch das Beste ;-)

@Marcus/Pitje: Ich stimme euch beiden ein Stück weit zu. Wie schon einer meiner Freunde zu mir sagte, als ich mich über jemanden ausließ, der hauptsächlich Mainstream-Metal hört: „Irgendwer muss die ja hören, sonst wären sie nicht Mainstream“. Genauso trifft das ja hier zu. Auch ich kenne außer besagter Person niemanden persönlich, der Mainstream-Metal hört und überhaupt niemanden, der mit Combichrist, Blutengel oder ASP (um jetzt mal noch ein paar andere Namen zu nennen) irgendetwas anfangen kann. Trotzdem muss es diese Leute ja geben, sonst wären die Genannten nicht so erfolgreich. Genau wie beim Thema „schwarzer Karneval“ ist es wohl ganz einfach so, dass die Szene eben keine homogene Masse von Leuten mit identischen Interessen ist, sondern viel diversifizierter. Von daher sind platte Aussagen wie die Zitate aus dem Pro7-Bericht natürlich nicht für die gesamte Szene zutreffend, für einen Teil aber eben schon. Und gerade der Sehen-und-gesehen-werden-Teil ist eben auffällig und damit präsent für Fotografen und Journalisten. Ich möchte aber auch gar keine Wertung über Combichristhörer und, nun ja, sehr ausgeschmückte Menschen am Agra-Gelände abgeben. Nicht, dass noch jemand damit um die Ecke kommt, das sei nicht „trve“ genug ;-)

shan_dark
shan_dark (@guest_21777)
Vor 11 Jahre

Dieser Artikel hier https://www.lvz.de/Region/Oschatz ist zwar nicht gerade der Überflieger, aber mit etwas mehr Mühe entstanden als die meisten anderen und er hat ein aus meiner Sicht sehr wichtiges Zitat:

„Subkulturen leben ein Stück weit vom Unverstandensein durch die Mehrheit, jahrzehntelange Anfeindungen haben der Gruft-Szene nie schaden können. Ein permanenter Massenzuspruch jedoch würde sehr schnell an die Substanz gehen.“

Stimmt. Es ist schon genug Massenzuspruch vorhanden – wenn die uns jetzt auch noch alle ‚verstehen‘, noch dazu in der Presse, dann wäre das irwie unheimlich.

Irmin
Irmin (@guest_21804)
Vor 11 Jahre

@shan_dark: Nun ja, auf der einen Seite sicherlich richtig, dieses Zitat. Etwas Abneigung vonseiten der Masse hilft dabei, die Szene von innen heraus zu stärken, sie zusammenzuhalten und auch präziser zu umreißen. Von daher ist Massenzuspruch natürlich kein gewünschtes Ziel – auch wenn ich meine, dass es diesbezüglich schon mal „schlimmer“ war, als es aktuell ist.

Allerdings hat ein generelles Verständnis ja nicht unbedingt etwas mit Zuspruch zu tun – umgekehrt vielleicht schon, „was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“. Ich denke schon, dass man zumindest die grundlegenden Interessen der Gothic-Szene verstehen kann, ohne sie zu teilen. Dass man nicht versteht, wieso jemand bspw. von der Atmosphäre von Friedhöfen (mal so als plakatives Beispiel – ob das jetzt auf jeden Szeneangehörigen zutrifft, sei mal dahingestellt) fasziniert ist, geschenkt. Das muss gar nicht jeder verstehen. Aber dass diese Faszination existiert und man nicht nur Karneval an Pfingsten feiert, sollte meiner bescheidenen Meinung nach eigentlich recht einfach zu erfahren sein.

Na gut. Ich sollte wohl die Presse einfach Presse sein lassen… ;)

@Robert:

Ich glaube, dass die Presse es sich nicht mehr leisten kann wirklich gute Artikel zu schreiben, denn dazu gehört ein wenig Mühe und Arbeit.

Die Frage ist halt dann, wozu ich die Presse noch brauche, wenn sie genau das, was ihr Alleinstellungsmerkmal ist, nicht mehr kann. Selbstverständlich erwarte auch ich keine Artikel, die die Szene detailliert beschreibt und erklärt, in welcher Weise beispielsweise Neofolk in die Schwarze Szene einzuordnen ist. Ich verlange auch von keinem Journalisten, dass er z. B. :OTWATM: kennt. Wobei beides natürlich nicht falsch wäre ;) Einfach mal einen Artikel, der zumindest etwas durch die Fassade hindurch blickt. Wie du es selbst schreibst, die MDR-Berichte sind ein schönes Beispiel dafür. Das als Standardberichterstattung, das wäre doch was.

Amalia
Amalia (@guest_22160)
Vor 11 Jahre
Rosa Chalybeia
Rosa Chalybeia (@guest_22344)
Vor 11 Jahre

Bin noch über einen Artikel gestolpert den ich auch wirklich gut finde:

Und das mag zwar nicht primär zum WGT geschrieben sein, aber ist dennoch bezeichnend, da hier etwas thematisiert wird was man an allen Ecken und Enden hört und vielleicht schonmal selbst erlebt haben mag:

Marcus
Marcus (@guest_22375)
Vor 11 Jahre

Ich glaube, dass die Presse es sich nicht mehr leisten kann wirklich gute Artikel zu schreiben, denn dazu gehört ein wenig Mühe und Arbeit.

Durchaus. Auch in vielen anderen Bereichen setzt ein gutes Ergebnis Mühe und Arbeit voraus. Darf man dies als Leser (oder Zuhörer oder Zuschauer) nicht erwarten? Muss ich mich bei jedem Artikel, bei jeder Reportage fragen, ob hier ordentlich recherchiert wurde oder man sich nicht die entsprechende Mühe gemacht hat? Entweder macht man es richtig oder man lässt es bleiben!

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