Bei ARTE Tracks war jüngst ein spannender Beitrag über die „Gothic Renaissance“ die wieder einmal von eine Wiedergeburt des Szene handeln soll. Im Mittelpunkt stand die aktuelle Londoner Szene rund um Parma Ham, die Gothic für sich interpretieren, ausleben und erweitern. Für manche ist das ein Stilbruch ohne inhaltliche Bezüge zu Szene, für andere eine neue und spannende Dekade gruftiger Weiterentwicklung.
Vielen Lesern dürfte Parma Ham kein unbekannter sein, schon 2018 haben wir ihn schon in einem Interview vorgestellt, seit dem ist er zu einer Art Stilikone für „Neo-Gothic“ geworden, wenn man diesen Ableger so nennen möchte. ARTE hat eine Gruppe von jungen Leuten, Künstlern und Fotografen in der britischen Hauptstadt London besucht, um anhand dieser Entwicklung die Wiedergeburt der Szene zu dokumentieren. Funfact: Bereits 1998 hat ARTE schon einmal über die Rückkehr der Gothics berichtet.
Gothic Renaissance? Völliger Unsinn!
Das die Szene gerade jetzt wieder auferstanden sein soll, ist für mich völliger Unsinn, denn die Szene war im Grunde genommen nie wirklich weg oder tot und muss demnach auch nicht wiedergeboren werden. Sie ist nur in den letzten Jahren wieder in den Fokus gerückt, seit dem stilprägende Filme und Serien wieder auf der Mattscheibe zu sehen sind. Wednesday, Beetlejuice und die Neuverfilmung von „The Crow“ sind nur die Spitze des Eisberges. Diese Produktionen haben wieder für einen modischen und zum Teil auch inhaltlichen Trend gesorgt, in dessen Fahrwasser auch die Gothic-Szene wieder verstärkt in den Mainstream geschwappt ist.
Allerdings finde ich die Auswahl der Leute für den Inhalt dieser ARTE-Tracks Sendung sehr gelungen, denn mit dieser neuen Interpretation unserer Subkultur wurde eine neue Dekade der Szene eingeläutet. Ich habe an anderer Stelle bereits von meiner Theorie geschrieben, dass sich die Szene meine Ansicht nach etwa alle 10 Jahre „neu erfindet“ und neue Einflüsse und Interpretationen assimiliert. Der Verbreitungsgrad dieser Doku ist jedenfalls Indikator dafür, dass viele von Euch sie bereits gesehen haben:
Zankapfel der Szene – Kurzzeitiger Trend oder neuer Bestandteil?
In den Kommentarspalten streitet sich die Szene. Einige können sich so gar nicht mit dem Inhalt der Dokumentation identifizieren und halten das für einen Trend von Posern, andere finden, dass die Szene hier nur weiterentwickelt wird. Dass das einigen nicht gefällt, liegt in der Natur der Veränderung. Das ist aber auch nicht weiter tragisch, denn schließlich ist Gothic für einen das, womit man sich einst identifiziert hat. Gruftis aus den 80ern sehen die Szene ein Stückchen anders als Gruftis aus den 90er oder den 00ern. Die Wurzeln der eigenen Szene-Identität sind nun mal festgewachsen. So weit, so theoretisch.
Wirklich neu ist der visuelle Eindruck, über den sich viele echauffieren, allerdings nicht. Aufmerksame Szenefans werden überall Versatzstücke früherer Generationen erkennen, die hier nun gebündelt auf den Körpern der Protagonisten gemischt werden. Haare aus den 80ern, BDSM-Elemente aus den 90ern, Cyber-Einflüsse aus den 00ern, Gender-Bending aus den 10ern. Wobei sich auch diese Elemente wieder untereinander befruchtet haben und auch schon immer irgendwie in der Szene schlummerten. Auch musikalisch ist das alles keine Überraschung, „Techno“ war bereits Ende der 90er auf den Plattentellern schwarzer Clubs zu finden. Woher kommt also die Ablehnung?
Aus den Kommentaren zur Doku, die bei Facebook zu finden sind, möchte ich folgende zitieren:
Es ist für mich eher Sci-Fi-Punk, aber kein Goth und macht für mich kaum das aus, was für mich Goth ist.
„Goth“ ist ein sehr individuelles Zugehörigkeitsgefühl, das vor allem musikalisch und inhaltlich verwurzelt ist. Ich verstehe jeden – wie in diesem Zitat – für den das, was in der Doku zu sehen ist, nicht „sein Gothic“ ist. Auch für mich geht das ein meiner persönlichen Definition vorbei, spricht aber den Leuten aus der Doku in keinster Weise ihre Daseinsberechtigung ab. In einem anderen Kommentar heißt es:
So ganz ehrlich: welche kreative Jugend hat schon Lust es exakt so zu machen wie der angehende Rentertrupp, der den größten Teil der schwarzen Szene in den letzten 10 Jahren auszumachen scheint?
Das ist der Punkt. So funktioniert Abgrenzung oder auch Rebellion und Interpretation. Es eben nicht so zu machen, wie die Leute, die schon waren. Daraus wächst dann wohlmöglich ein eigener Wertekompass von dem, was Gothic für einen ausmacht.
Reduziert man Parma Ham und die Leute aus dem Video nur auf einen Aspekt ihrer Interpretation – also auf die Musik, das Styling oder auch die inhaltliche Agenda, mag die Kritik gerechtfertigt sein. In der Gesamtheit funktioniert die äußerlich und Inhalte Provokation doch letztendlich genauso, wie in jeder Dekade der Szene. Immer ein bisschen krasser, als vorher.
Heute fällt man so schon garnicht mehr auf, insofern kann ich nachvollziehen daß die Ausdrucksformen einfach krasser sein müssen, und – hey, funktioniert ja gut wenn man sich ansieht wie viele sich hier jetzt echauffieren
Dabei liegt die Messlatte für die neuen Gruftis deutlich höher, denn die müssen sich nicht nur vom Mainstream abgrenzen, sondern auch von den Vorgängerversionen der Subkultur, der sich zugehörig fühlen.
Ich persönlich finde das alles spannend und großartig. Ich habe keine Lust darauf, die Szene, die immer schon den Mainstream auf eine passive Weise konterkariert hat, als Kopie der Szene wahrzunehmen, in der ich mich durch sie sozialisiert habe. Allerdings gestehe ich jedem zu, „seine Szene“ zu schützen, schließlich ist das ein Refugium nach ganz eigenen Maßstäben und Wertevorstellung. So wie bei Parma Ham und seinen Freunden. Die bringen so ein eigenes Magazin mit Artikeln, Gedichten, Gedanken und vielen Bildern heraus.
Rebellion mit guter Laune?
Eine Sache fand ich allerdings dann doch noch spannend. Wie ich bereits erwähnte, gehören meine Wertvorstellung zu „meiner Szene“. So wie Traurigkeit, Melancholie und ja, Pessimismus. Allerdings sagt Parma Ham am Ende der Dokumentation:
„Ein Punk-Slogan war ’no future und das fühlte viele Leute damals so. Das ist der große Unterschied zu heute. Viele Leute aus meinem Umfeld sind viel optimistischer. Und dieser Optimismus kommt von einer gewissen Vorfreude auf das, was als nächstes kommt, um daraus die Zukunft zu formen.“
Auch wenn ich das nicht so sehe, finde ich das irgendwie spannend. Denn ist das nicht die Gegenrichtung zum aktuellen Mainstream? In den 80ern haben wir uns gegen eine Spaßgesellschaft gestemmt, die alles neonfarben-bunt in Grund und Boden gefeiert hat. Gegen eine Gesellschaft, die angesichts der damaligen Ereignisse und Entwicklungen nicht an ein Ende der Welt geglaubt hat. Heute glauben viele an ein Ende der Welt. Klimawandel, Kriege, Konflikte und Flüchtlingskrisen bestimmen das Weltbild. Der Mainstream ist irgendwie pessimistischer geworden. Ist das neue Refugium dann zwangsläufig der Optimismus? Grenzt man sich durch Optimismus mittlerweile vom Rest der Gesellschaft ab?
Oh Robert…da hast du ja wieder harten Stoff ausgegraben 😅!
Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll meine Gedanken zu ordnen.
Die Frage wo das noch Goth sein soll finde ich mehr als berechtigt. Außer das mit Elementen davon gespielt wird, nehme ich ihn persönlich nicht wahr. Tatsächlich darf man wohl aber nicht aus den Augen verlieren, dass wir inzwischen in einer anderen Zeit angelangt sind und es mit einem anderen Teil der Erde zu tun haben. Für mich kristallisiert sich immer wieder heraus, dass jedes Land…jeder Kontinent seinen eigenen Goth hat. Mein Eindruck ist, dass speziell wir in Deutschland noch sehr am alten Goth festhängen, was ich definitiv begrüße!, und in unserem Äußeren doch sehr gesetzt und geerdet sind. Unser eins will und braucht dieses Auffallen und präsentieren nicht. Wir wollen unsere Ruhe. Zumindest so mein Eindruck.
Warum letztendlich die Szenen der verschiedenen Ländern und Kontinente zusammenschmelzen weiß ich nicht. Womöglich doch einfach nur das das tragen, für manche wohl spielen, mit den Elementen. Und ja gerade im Bezug auf die gezeigten Leute in der Doku, kam mir der Gedanke, ob sie die Schwarze Szene nicht einfach nur dafür missbrauchen um einen Freifahrtschein für’s anders sein zu erhalten, weil sie sich sonst nicht trauen. Ich treibe mich ja nun schon viele Jahre auf unterschiedlichen Portalen und Seiten für die Szene herum, und nicht selten habe ich unter der Rubrik „was bedeutet Gothic für dich“ gelesen „Ich selbst sein zu können“. Sehr oft fing es dann immer an in meinen Kopf zu arbeiten, weil für mich persönlich nicht nachvollziehbar ist, warum man eine Szene braucht, damit man man selber ist. Oder ob die Leute sich einfach nur unglücklich ausgedrückt haben. Meine Auffassung ist, ich bin wie ich bin, mit all meinen Interessen und Vorlieben und Dingen, die mich ansprechen und suche mir dementsprechend die für mich passende Szene. Quasi mein Zuhause.
Um wieder auf die Doku zurück zu kommen, den Leuten scheint es ja auch bewusst darum zu gehen aufzufallen, daher ein weiterer Gedanke, ob sie mit ihrer Optik vll. nicht auch etwas kompensieren wollen. Bzw. bezeichnen sich viele von ihnen ja als Künstler und wie man weiß, sind Künstler in seiner Art und dem Auftreten sehr oft auch extrovertiert. So wirklich kann ich das gesehene tatsächlich nicht einordnen. Aber ich denke, ob wir wollen oder nicht, so langsam müssen wir uns damit arangieren und abfinden, dass solche Erscheinungen parallel zu uns alten, im Vergleich fast schon langweilig daher kommenden, Schwarzkitteln, in der Szene existieren. Und ich denke, dass wir in Deutschland auch noch so manche Veränderung erwarten können – wenn vll. auch nicht so extrem. Bei mir läuft aktuell auch so ein kleines Mädel rum (macht ihr Praktikum), die ich nicht einschätzen kann. Baggy ähnliche Hosen, Hoodie und Sportschuhe – alles in Schwarz und Accessoires, die nach Goth schreien. Ich könnte mir vorstellen, dass auch hier die Kids anfangen werden mit Elementen verschiedener Szenen zu spielen und ihr eigenes kreieren.
Was ich abschließend aber noch zu dem ganzen Text sagen möchte…die Leute können tun was sie wollen, von mir aus auch mit Goth-Elementen spielen, was mir aber immer schleierhaft bleiben wird, warum es immer gleich mit als Goth betitelt wird 🤷🏼♀️🤔.
Vorallem passt einfach die optimistische Sichtweise der Welt und deren Zukunft nicht in die allgemeine Goth Szene.
Natürlich sollte man nicht alles Negativ sehen und sich vor der Welt fürchten, aber was mich schon immer an der Szene so angezogen hat war und ist die realistische Betrachtungsweise der Gesellschaft und der heutigen, so wie zukünftigen Zeit.
Die Welt ist kein fröhlicher Regenbogen, wie es uns unsere Eltern und Dysney vorgaukeln wollten, als wir noch klein wahren, sondern ein Zusammenspiel aus vielen, teils tragischen Ereignissen, die vom Menschen, oder der Natur selbst hervorgebracht werden.
Natürlich gibt es auch viele schöne Momente, keine Frage. Aber es gibt eben auch die Dunkelheit.
Wer das nicht mag (und auch mit der Musik wirklich allgemein gar nichts anfangen kann) ist dann leider in der Goth Szene meiner Meinung nach falsch abgebogen, da man sich primär um die dunkle Seite des Lebens und der Menschen beschäftigt.
Man wird da nicht glücklich werden.
Ich war ja eine ganz kurze Zeit Punk, als ich 11 – 12 war. Da habe ich aber auch gemerkt es passt einfach nicht. Bis auf die Toten Hosen und die Ärzte ist die Musik größtenteils leider nicht mein Geschmack (die Sex Pistols hatten noch den ein oder anderen guten Song) und Punk ist vorallem sehr laut, schrill, provokant und extrovertiert, während ich genau das Gegenteil war.
Da gehe ich ja auch nicht hin, ändere komplett die Punk Szene und erwarte dass die anderen gefälligst da mit machen.
Die Doku hat die Spitze des Eisberges dargestellt. Der 08/15 Neo-Goth ist sicherlich weniger auffällig (man diesen ja nicht gezeigt in der Doku), so wie es auch hierzulande üblich ist. Nicht jeder will als Paradiesvogel auffallen. Andererseits sehe ich diese Generation der Anfangsgeneration weit näher als die derzeitige altbackene Generation. Damals hatte man Spaß und hat gefeiert was das Zeug hält. Ihr wisst schon warum. Die Neos (ich nenne sie jetzt mal so salopp) feiern auch, nicht das Ende, sondern die Zukunft. Die bisherigen Goth sind zum größten Teil in den 90ern mit Goth sozialisiert worden und kennen Goth nur so. Sie, also ihr, wissen gar nicht wie die Goth in den 80ern gefeiert haben, oft zusammen mit Punks. Wir hatten damals nix am Hut mit Melancholie und Düsternis und so. Genau das sehe ich jetzt bei den Neos. Ich sehe hier im Club, dass Goth eher zu Elektro tanzen als zu klassischem Goth, von daher ist für mich nicht verwunderlich, dass die Kiddies in der Doku zu Gabber abtanzen. Ein Stein fügt sich ins andere. Wäre die Goth-Szene heute direkt die gleiche wie in den 80ern, wäre der Bruch zu den Neos gar nicht so groß und wesentlich logischer nachvollziehbar.
So wie Robert finde ich die Entwicklung spannend. Im Gegensatz zu den meisten meiner Zeitgenossen bin ich weiterhin für alles Neue zu begeistern, auch wenn ich nicht alles mitmache. Ich finde es einfach spannend wie sich alles so entwickelt. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob diese neue Welle auch tatsächlich auf den Kontinent rüber schwappt. Das weiß man nun mal nie. In England entstehen immer wieder neue Dinge. Die Engländer sind da hyper dynamisch in solchen Dingen und es gibt da immer wieder was neues, das auch schnell wieder verschwindet. Was sich davon hält, kann man nicht vorher wissen und somit auch nicht mit dieser neuen Episode. Wie sagt man hier im Süden? Schaun mer mal.
Im gewissen Maße muss ich Alice bezüglich diesem Thema „Feiern“ schon Recht geben. Ich habe tatsächlich manchmal den Eindruck gehabt, ohne es jetzt als Kritik zu meinen, dass die Szene auch eine gewisse Party- und Feierszene ist. Bei nicht wenigen steht das Tanzen gehen weit oben und die Leute erwecken auch nicht den Eindruck, dass sie zu Tode betrübt sind.
Wenn man allerdings schon den Vergleich zu damals zieht, dann doch bitte komplett. Ja auch damals wurde gefeiert, aber die Leute sahen nicht aus als seien sie gerade von einer Faschingsferien des Städtischen Karnevalclubs gekommen 😂.
An der Stelle ist mir auch etwas schleierhaft, warum man unbedingt versucht diese neue Szene aus dem Beitrag mit der damaligen zu verbinden 🤷🏼♀️.
Ich finde du stellst die Vergangenheit arg vereinfacht dar. Auch wenn ich einigen deiner Punkte durchaus zustimme, würde ich das alles nicht so generalisieren.
Meine Cousine war beispielsweise auch in den 80ern aktiv, hing irgendwo zwischen Punk und Goth mit anderen Punks rum und nahm no future noch sehr ernst. Sie und ihre Freunde waren damals felsenfest davon überzeugt, dass der Kalte Krieg die Lichter bald ausknipsen wird. Ihre damals beste Freundin ging sogar noch weiter, Stichwort „Goldener Schuss“. Friede Freude Eierkuchen und ein bisschen rumpöbeln war eben auch nur ein Teil des Gesamtbildes. Nebst denen, zu denen du scheinbar gehört hast gab es schon auch noch jene die das Leben und die Zukunft ganz und gar nicht rosig sahen und all die Gruselattitüden bierernst nahmen. Diese düstere Sichtweise fand dann in den 90ern ihren Höhepunkt.
Während du die 80er als Zeit des Feierns beschreibst, vergisst du, dass viele diese Ära auch als sehr düster empfanden. Natürlich gab es Partys und Spaß, aber für viele war die Ästhetik des Todes, der Melancholie und der Verzweiflung nicht nur eine Maske, sondern eine Art, mit dem gesellschaftlichen Klima umzugehen.
Dem schließe ich mich durchaus an. Und nein, man muss nicht alles mögen was neu ist. Parmas Outfits empfinde ich auch größtenteils als albern und bei dieser fürchterlichen utzutzutz-Musik möchte ich am liebsten im Strahl kotzen. Die Vielfalt der Szene erlaubt aber gerade diese unterschiedlichen Geschmäcker und Vorlieben. Und selbst wenn die elektronische Musik für mich nichts ist, gibt es genug andere Einflüsse, die mir gefallen.
Das sich international immer mal was tut finde ich allerdings auch spannend. Ob das jetzt lange anhält oder wie ein Strohfeuer nur kurz aufflammt, um dann wieder zu verschwinden sei mal dahin gestellt.
Graphiel, ich kann Dir – wieder einmal – vollumfänglich zustimmen. Die Kalte Krieg-Ära war beileibe nicht schön, der Atom-Unfall in Tschernobyl, der Saure Regen und das Ozon-Loch konnten einem in den 80ern auch schon den rosaroten Blick auf die Zukunft verhageln. Was blieb da übrig? Deprimiert sein – oder feiern gehen, wie beim Totentanz. Das beides hat die Gothic-Szene schon immer vereint. Je nachdem, mit welchen Leuten man sich umgab, überwog das eine oder das andere, oder es war ne ausgewogene Mischung (mal in sich gekehrt sein und Weltschmerz zelebrieren, dann wieder alles durch musizieren und/oder tanzen rauslassen).
Ich hab genug Goths aus den Anfagszeiten kennen gelernt und bin selbst 35 Jahre in der Szene, habe einige Entwicklungen mal wohlwollend, mal ablehnend betrachtet. Letztlich erleben wir musikalisch eigentlich seit einigen Jahren eine echte Retro-Welle, vom Postpunk und Batcave über Synth- und Coldwave, sogar ein paar waschechte neue Gothrock-Gruppen gibt es. Die klingen zum Teil wirklich klasse, auch wenn sie oft optisch nicht mehr eindeutig der Szene zuzuordnen sind.
Man mag die Musik altbacken nennen, aber es sind meist junge Musiker, wie z.B. Whispering Sons oder Kaelan Mikla, die diese Musik für sich entdecken und spannend gestalten. Da ist nichts „tot“.
Was mich hingegen nervt, sind „Goth-„Etikettierungen für etwas, was eigentlich anderen Szenen angehört, sowohl musikalisch als auch optisch sowie inhaltlich. Das war schon beim Cyber und Steampunk so und nun auch bei diesem „Neo-Goth“, der sich mehr an Techno, Rave, Fetisch, Drag Queen und Manga orientiert. Alles, was mit Goth an und für sich nichts zu tun hat. Warum sollte es also „Goth“ sein? „Drag Art Rave“ würde als Betitelung besser passen ;-)
Für mich hat Goth bekanntlich nichts mit Mode oder Erscheinung oder andere Äußerlichkeiten zu tun. Mir geht es um die Musik.
Und da finde ich gerade die letzten Jahre super spannend, nachdem die 2010er mir etwas zu viel in der Post-Punk-Welle waren. Egal ob Dark Jazz, Dark Folk, Dark Indie Rock, Dark Pop oder so ganz altmodische Genres wie Ethereal Wave oder der gute alte Goth-Rock. Wenn ich auf Bandcamp unterwegs bin, finde ich ganz viele unterschiedliche Spielarten, die es vor 10 Jahren so noch nicht in dieser Vielfalt gab.
Wenn gewollt, kann ich ja mal einen Artikel drüber schreiben. ;-)
Ja, schreib mal bitte. ;-)
Wenn Robert einverstanden ist… :D
Ich vermute dein Kommentar zielt auf den Techno ab, den man im Clip wahrnehmen kann, anders krieg ich jetzt sonst keine Verbindung zwischen deiner Aussage und dem Beitrag.
Dass es einige gibt, die mit Goth nix äußerliches verbinden – OK, aber wenn du schon die Musik als wichtigen Punkt erwähnst, darf man fragen, was für dich Goth Musik ausmacht? Welche Punkte da, symbolisch gesprochen, abgehakt werden müssen, damit für dich Musik Goth ist? Einfach nur damit man deinen Gedanken besser verstehen und einordnen kann. 🤔
Das kommt je nach Genre an: Bei Dark Punk sind mir beispielsweise Texte sehr wichtig. Bei Neoklassik, Ethereal Wave oder Dark Folk vor allem eine dunkle Grundatmosphäre, in der ich mich gedanklich verlieren kann.
Bei so traditionellen Genres wie Gothic-Rock entweder der Versuch etwas neues zu wagen, oder wenn man schon auf alten Pfaden unterwegs ist, dann ist mir hier das Songwriting und die Komposition sehr wichtig.
Bei elektronischen Darkwave wiederum eine bestimmte Atmosphäre, die für mich passend ist. Da kann es durchaus auch Elemente von Synthwave oder Synth Pop geben.
Aber vor allem und immer: Authentizität. Wenn mir jemand beispielsweise Techno oder Schlager-Pop als „Goth“ verkaufen will – nur weil er szenisch gekleidet und gestylt ist, finde ich das, naja…
Dafür können aber Musiker, die optisch auf den ersten Blick wenig mit der Szene gemein haben (nicht jeder will halt wie ein Paradiesvogel unterwegs sein), sich auf herrlich dunkle und geradezu melancholische Songs spezialisieren.
Und Letzteres ist mittlerweile auch die Mehrheit, weil auch niemand mehr Musik als Hauptberuf betreibt. Also nicht in Subkulturen. Da muss man dann optisch durchaus auch etwas Rücksicht auf den Brotjob nehmen. Insbesondere in Ländern wie Kanada, Australien – wo es nie eine sonderlich große Gothic-Szene gab. Von so Ländern wie Italien oder die ganzen osteuropäischen Länder ganz zu schweigen.
Auch mein erster Eindruck: Mit der Gothic Szene im klassischen Sinne hat es nix zu tun. Für mich ist Gothic eine Szene die stark mit der entsprechenden Musik verknüpft ist. In der Gothic Szene ist es eben hauptsächlich Gothic Rock, Post Punk und Wave. Und musikalische Genre lassen sich ganz gut nach bestimmten Parametern zuordnen. Strengenommen ist alles andere nicht Gothic!
Dennoch, wenn wir von schwarzer Szene sprechen ist das nochmal etwas anders, weiter, vielfältiger. Da gibt es ja zig mehr Genre, die mal mehr, mal weniger Bestandteil des Ganzen sind.
Und ob es uns gefällt oder nicht, es gibt nunmal viele Fusionen die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben. Mit Metal oder Techno z.B..
Ich kann überhaupt nichts mit Metal anfangen und genausowenig mit der ganzen Cyber-Sache. Aber vor allem letzteres scheint gerade bei vielen Jüngeren einen starken Eindruck hinterlassen zu haben.
Technoide Klänge sind bei jungen Leuten eben total normal und alltäglich geworden, so wie die Rockmusik für die vorherigen Generationen. Man denke dran, selbst „harmloser“ Rock war für die Eltern/Großeltern Generation der Jugendlichen in den 50er 60er und auch noch 70er Jahren totaler Krach. So ähnlich ist das heute vermutlich mit Techno. Eine Szene die viele Facetten hat, von totalem Mainstream á la Scooter, bis zu sehr undergroundigen Formen.
Die in der Doku gezeigte Clique ist definitv eine Truppe von spannenden Kreativen und ich finde es schon beeindruckend was die auf die Beine stellen. Das sie den Begriff Gothic für sich aufgreifen und nutzen, so fürchte ich, kann man da nicht viel dran machen. Sollen sie doch ihre eigene Definition davon verwirklichen. Ich denke diese Künstler haben generell einen speziellen Blick auf die Dinge. Zum einen ist das eine Generationenfrage, zum anderen neigen sehr kreative Menschen sowieso dazu alles auf den Kopf zu stellen und sich starren Strukturen zu widersetzen.
Paradiesvögel und Selbstdarsteller gabs übrigens schon von Anbeginn an in der Szene. Die braucht es auch, vor allem wenn der Großteil der Szeneleute eher introvertiert ist.
Und natürlich wird auch diese Clique und Partyreihe seine Spuren in der schwarzen Szene hinterlassen. Dagegensteuern und Meckern hilft da wohl auch nicht viel.
Ich denke, der Kern der Gothic Szene bleibt trotzdem erhalten, weil sie ja eben schon allein musikalisch determiniert ist. Und ungerührt dessen das seit Jahren, Jahrzehnten das vermeintliche Ende prophezeit wird und einige Menschen eine verwaschene Definition verbreiten. Also alles halb so wild ; )
Ob die Baby Bats von heute eher den traditionellen Gothic Begriff und die Musik übernehmen oder sich mehr von neueren Spielarten angesprochen fühlen, liegt schlicht nicht in unseren Händen. Ich find das alles sehr spannend! Meine persönliche Sozialisation in die Szene und meine Auffassung von Gothic wird durch neue Strömungen und Sichtweisen nicht gefährdet, sondern höchstens ergänzt! Ein bisschen mehr Gelassenheit kann nie schaden.
Einspruch! ;-)
Hier verweise ich auf Acts wie The Vyllies, Cocteau Twins, This Mortal Coil (überhaupt vieles was damals bei 4AD veröffentlicht wurde), Dead Can Dance, In The Nursery etc. die die Szene-Musik der 80er Jahre genauso prägten wie Siouxsie & The Banshees, The Cure & Co.
In den 90ern gab es dann so Sachen wie Stoa, Chandeen, Miranda Sex Garden, Dargaard, Love Is Colder Than Death, Rajna (allgemein alles aus dem damaligen Prikosnovenie-Katalog!) u.ä. die eher neoklassische Werke im Repertoire hatten.
Gerade diese Acts waren schon sehr, sehr eng mit der Gothic-Szene verwoben IMO.
Ja, die Label 4AD und Hyperium haben schon einige gute Acts gehabt damals!
Da hast du mich falsch verstanden. Natùrlich sind die bands die du aufgezåhlt hast bedeutend fùr die szene, gerade eine band wie dead can dance hat mich in den 90ern sehr geprägt! Mir ging es lediglich um eine strikte genrebezeichnung, wenn man denn ganz pingelig sein wùrde. Damit wollte ich eben zum ausdruck bringen, das die grenzen durchaus dehbar sind, wenn man es nicht so genau nimmt.
Absolut Zustimmung. Es ist die Jugend die eine Szene beleben und überhaupt erzeugen. Es sind die Alten, die immer alles beim alten lassen wollen. Die Zukunft gestaltet aber die Jugend und das ist auch ihr Recht. Wir können da nur zuschauen. Es ist vielleicht nur ein Sturm im Wasserglas, oder eine neue Spielart des Goth. Das entscheiden sie und nicht wir alten Granny-Goth und Grand Pa-Goth.
Was ich bei Arte Tracks jetzt sehen konnte, trifft mein Gefühl von Gothic so gar nicht: – Laut, schrill, extrovertiert wurden jetzt auch schon viele Gedanken dazu geäußert, denen ich zustimmen kann. Dennoch können andere vielleicht genau auf diese Weise Dunkelheit feiern und dann sollen sie das gerne auch so tun. Meine emotionale Gestricktheit ist ja kein Maßstab für andere.
Für mich ist das, was ich jetzt in dem Beitrag über die Gothic Rennaisance in diesem Beitrag mitbekommen habe eher Kunst, Kunst der Selbstdarstellung die ich bestaunen kann, die ich auch zum Teil sehr kreativ finde, die aber nichts mit meinen eigenen Gefühlen zu tun hat. Das heißt, ich bleibe interessierter Beobachter, fühle mich aber gar nicht als Teil davon. Interessant fand ich in den in der Arte Tracks Sendung mehrfach erwähnten Bezug zu transhumanistischen Ideen. Ich habe schon in verschiedenen Gruppen die verschiedenen Abstufungen Mensch-Maschine diskutiert mit jeweils völlig anderen Ergebnissen. Aber so spannend das sein kann, es liegt für mich weitestgehend außerhalb von Gothic. Ich sage weitestgehend, denn irgendwo hat die Aufhebung der Grenzen Mensch-Maschine oder Mensch-künstlich erzeugte Kreatur wieder etwas gruseliges, dystopisches , das dann doch irgendwo passt. Ganz so einfach finde ich das mit den Grenzlinien: „Was passt zu meiner Vorstellung von Goth?“ also gar nicht.
Das sehe ich allerdings anders. In unserer Gesellschaft ist zwar „Mimimi“ sehr verbreitet, aber wenn es wirklich ans Eingemachte geht, verschließt doch die Mainstreamgesellschaft nach wie vor die Augen. Stichwort Klimawandel: Die meisten verdrängen doch, dass wir oder unsere Kinder gute Chancen haben zu ertrinken, zu verdursten oder zu verbrennen, weil wir den Planeten einfach gnadenlos überfordert haben. Thema Tod, Vergänglichkeit: Da zeigt für mich gerade der Artikel über Trauer und KI, wie Menschen verzweifelt versuchen, die Endgültigkeit des Todes zu verdrängen. Goth sein. bedeutet für mich aber, genau diesen Dingen ins Auge sehen zu können. Und was junge Menschen angeht, so habe ich gerade wieder heute mit zweien ein Gespräch gehabt, das unter die Haut ging. Falscher Optimismus und Verdrängung wäre hier nur Hohn gewesen. Ich bin der Meinung, dass es immer noch junge Menschen gibt, die eine vor Optimismus strotzende Gesellschaft eher kritisch sehen und denen die Ursprungsszene oder Erwachsene, die sich daran orientieren, näher stehen als die schrill wirkenden Paradiesvögel aus London. Aber wie schon einmal gesagt, viele verschiedene Wege führen durch die Dunkelheit und welchen man schlussendlich einschlägt, ist eine höchst individuelle Angelegenheit und sollte meiner Meinung nach einfach akzeptiert werden.
Die Goth waren in den 80ern auch bunte und schwarze Paradiesvögel. Damals fielen sie extrem auf, so wie auch Punker. Wir hatten viel gemeinsam die Punker und wir. Die Masse war aber eher zwar punkig schwarz, dunkel oder auch normalfarbig, aber nicht schrill aufgedonnert. Das sind immer nur einige wenige, die schrill aus der Masse heraus stechen und das taten sie damals schon. Das sind die, die man gerne fotografiert, die Bilder die man über die Jahrzehnte aufbewahrt und die das Bild nach vielen Jahrzehnten prägen, weil man die anderen Bilder nicht mehr hat, weil langweilig. Heute interessiert das niemanden, wenn da dunkle Gestalten daher kommen. Ist heute alles normal. Erst wenn man sich nen Krähennest aufsetzt und sich hellweiß schminkt, dann fällt man etwas auf, aber sonst, sind Normal-Goth heute unauffällig normal. Die Doku hat auch nur diese schrillen Gestalten aufgenommen. Die Masse dahinter hat die Doku nicht erfasst und das fand ich schade. Nach 40 Jahren wird man diese Doku aus der Kiste holen und dann sagen, so waren die Goth der 2020er Jahre. Die anderen, die die Szene tatsächlich prägen, die wird man in 40 Jahren vergessen haben.
Bei dem Punkt wollte ich nochmal nachhaken…
„Die Goth waren in den 80ern auch bunte und schwarze Paradiesvögel.“
Die 80er hab ich in Windeln erlebt und kenne quasi nur Bilder. Aber ich dachte immer, dass die Paradiesvögel, eher die New Romantics waren? 🤔
Leugnen, dass die Schwarzen auch auffielen mag ich gar nicht, aber ich habe den Eindruck, die haben da andere Mittel genutzt. Nicht diese „Hier bin ich“-Erscheinung wie zum Beispiel Boy George 🤔.
Ich vermute mal, Alice meint eher die Blitzkid- und Batcave-Szene der frühen 80er. Die waren zum Teil recht schrill, allerdings gab es damals noch gar nicht das Etikett „Goth“, das kam erst ca. Mitte/Ende der 80er auf. Außerdem wurden Szenemitglieder anfangs eher als Waver, Gruftis, Fraggles oder Ghouls bezeichnet, Goth/Gothic wurde als Begriff erst später verwendet.
Ah ok! Danke…ja das ist mir tatsächlich nicht so geläufig.
hier mal ein paar Fotos dazu:
https://www.messynessychic.com/2021/04/30/meet-the-london-club-kids-who-made-punk-go-pop/
Oh ja, das waren echt Paradiesvögel… :D
Aber wie Tanzfledermaus schon geschrieben hat, meinte ich eher die, naja, Underground Szene. So hieß das damals im allgemeinen, weil die einzelnen Sub-Szenen darin noch keinen Namen hatten. Die New Romantics waren die Paradiesvögel der New Wave Szene, obwohl die in dieser Szene auch sehr umstritten waren. Und die anderen, waren die Paradiesvögel der Underground Szene. Die einen waren hübsch (ja echt, waren wirklich tolle Sachen was die gemacht haben), die anderen eher provokativ. Wobei die New Romatics durchaus auch mit ihrer Ansrogynität provoziert haben. Es hat schon etwas gedauert bis das punkig provokative raus war und eher ein modisches Statement gesetzt wurde, um sich dann vom Rest abzuheben. Im Laufe der 80er war Punk dann aber wirklich tot, bis auf kleine Reste. Und die kleinen Reste haben dann neue Akzente gesetzt und haben aus dem Post-Punk geschöpft und in den 90ern Punk wieder aufleben lassen. Nur so nebenbei. Aber da gingen wir schon lange grundverschiedene Wege und die Goth haben ihren eigenen Stil gefunden, um sich von allen anderen abzuheben, wie wir ja alle wissen.
Vieles wurde hier schon gesagt, manchem stimme ich zu, Anderem nicht. Ich möchte trotzdem ein paar Gedanken beisteuern.
„Für mich ist das nicht Gothic!“ Ich glaube, für „Gothic“ gab es noch nie die eine, für immer gültige Definition, Gothic ist für jeden eine individuelle Interpretation. Das fängt schon bei den Ursprüngen des Wortes „Gothic“ an, das ja eigentlich einfach nur für etwas Rohes, Andersartiges, „Barbarisches“ stand, aber mit dem Entstehen der Szene immer wieder erweitert und neu interpretiert wurde.
Bei den musikalischen Ursprüngen ging es darum, aus den gewohnten Bildern und Themen des Punk auszubrechen, der anstößig und unangepasst sein wollte, sich aber nicht weiter entwickelte. Post Punk und später Gothic Rock suchten dagegen eher die Schönheit im Unvollkommenen, Individuellen und Andersartigen, was aber nicht immer mit Traurigkeit gleich zu setzen war. Der Bezug zur Düsternis und Horror ergab sich dabei eher nebenbei als Interpretation der Fans. Wo Punk extrovertiert und zerstörerisch war, wurde Gothic eher introvertiert und reflektierend, durchaus auch rebellisch in seiner Kritik an der Gesellschaft, aber ohne die destruktiven Tendenzen des Punk, dabei trotzdem in seinen Extremen immer so „fremd“, dass es dem Mainstream wie eine Invasion von Barbaren vorkam.
Das Streben nach indiviuellen Schönheit, der Hedonismus und auch das Ausgelassene und durchaus Fröhliche waren schon immer Teil der Szene und der Interpretation der Individuen unterworfen. Mit den gesellschaftlichen Bedingungen der 80er entfaltete sich dies in eine eher düstere Richtung, die eine Sehnsucht nach den schöneren Aspekten des 18. und 19. Jahrhunderts enthielt. Es ging also um Eskapismus und die Suche nach Schönheit bei gleichzeitiger Kritik, Akzeptanz und Annahme des Unvermeidlichen. Das bedeutete aber auch immer, dass sich die Szene und ihre Definition später mit den gesellschaftlichen Bedingnungen wandelte (was bekanntlich der Grund ist, weshalb sie überhaupt noch existiert).
Die Zugehörigkeit von Akteuren wie Param Ham zur Szene ist in meinen Augen daher auch kein Gegensatz zum angestrebten Individualismus und Herausstechen aus der Masse, denn die Szene bietet einen Raum in das akzeptiert wird und wo man sicher vor Anfeindungen ist, und andererseits ist ja auch genau dieser Indivualismus in die Gene der Szene eingeschrieben, er trägt zur Erweiterung und Erneuerung bei.
Ich finde, die im Video gezeigten Individuen passen durchaus in diese Interpretation des Gothic. Das zeigt Parma Ham sehr gut, indem er sich und seine Kunst einerseits als Kritik an der Konsumgesellschaft sieht, andererseits aber auch sagt: „Es geht einfach darum gut auszusehen […] und das ist meine Version davon“. Also auch hier wieder die Suche nach einer individuellen Definition von Schönheit im Anderartigen, basierend auf einer düsteren Zukunftsvision (er nennt unter Anderem das Thema Transhumanismus, also das Erweitern und Überschreiten der Grenzen menschlicher Existenz mit technischen Mitteln, was aber auch schon Grundlage von Mary Shelleys „Frankenstein “ ist, einer der Gothic Novels schlechthin, die ja auch in der Szene eine große Rolle spielen).
Ich glaube, Vieles von dem Ablehnenden, was hier gesagt wurde, basiert ein wenig auf der Angst, dass die Szene irgendwann so anders wird, das man selbst sich nicht mehr als dazu gehörig akzeptieren kann. Es ist eine Form von Gatekeeping, das aber den Wandel der Szene langfristig nicht verhindern wird.
Natürlich kann man sich fragen, was neuere Entwicklungen wie Steampunk mit dem Gothic-Teil der Szene zu tun hat (mich überzeugt das auch nicht besonders), aber letztlich glaube ich, dass es eine Menge (auch personeller) Überschneidungen und viel weniger Unterschiede in der Grundtendenz gibt, als man vielleicht auf den ersten Blick sieht.
„Ich glaube, Vieles von dem Ablehnenden, was hier gesagt wurde, basiert ein wenig auf der Angst, dass die Szene irgendwann so anders wird, das man selbst sich nicht mehr als dazu gehörig akzeptieren kann. “
Ich kann jetzt nur meine Ansicht zu sagen, aber ich persönlich kann mich schon länger nicht mehr mit der Szene identifizieren, wie sie jetzt ist. Meine Ablehnung hat also weniger mit Angst zu tun. Vielmehr ist es eher Unverständnis im Sinne von „nicht begreifen“ können. Mein damaliger Beweggrund, die Szene als mein Daheim anzusehen, war zum Beispiel, dass ich mich nie mit den Trends von Mode und was In ist identifizieren konnte, genauso dieses streben nach höher, schneller, weiter…das teuerste und beste von allem, welches vorallem in der Stinogesellschaft gelebt wird. Die Szene war für mich immer fernab davon. Heute gibt es x Influencer, deren Leben sich gefühlt nur um Mode dreht. Da wird hier ein Paket von Killstar aufgerissen und da wird dort vor der Kamera sich angekleidet. Und das wöchentlich bis täglich. Ich kann niemanden verübeln, wenn die Szene ihm inzwischen fremd ist oder die Person sich gegen weitere Einflüsse ausspricht. Das hat was von, wenn jemand zu dir Heim kommt und deine komplette Wohnung umräumt. Man nimmt das neue automatisch irgendwann nicht mehr als seins war…zumindest ist das bei mir so.
Nachtrag: letztendlich macht man dann einfach sein Ding für sich. 🤷🏼♀️
Ja, diese Auspackorgien auf YT gehen mir komplett auf den Geist. Aber soll jeder seinen Spaß. Meiner ist es jedenfalls nicht.
Interessant finde ich Deinen Einstieg in die Szene. Mode spielte schon immer eine Rolle in der Szene. Zuerst um aufzufallen, um anzuecken. Das funktionierte in den 80ern noch ganz gut. Mode war schon immer eine Protestform gegenüber der Gesellschaft. Damit konnte man schon immer aufregen und schockieren. Mit Mode grenzt man sich als Jugendliche von anderen Szenen ab. Neben der Musik als Hauptträger der Szene ist es auch die Mode die damit einher geht. Die Neo-Gothics müssen heute noch schriller sein als wir es damals im Verhältnis waren, weil heute weit mehr toleriert wird als damals. Die Mode der Goth hat sich von Anfang der 80er bis heute erheblich verändert. Sie hat sich seit Mitte der 90er bis heute weniger verändert als von Ende 70er bis Ende 80er. So meine Beobachtung, mein Gefühl. Du bist in eine Zeit eingestiegen, als alles schon modisch erstarrt war. Und genau diese Starre brechen die jungen Neo-Goth nun auf. Es ist zumindest spannend.
Alice, meine ablehnende Haltung gegen die Modewelt und Trends der Stinos hat nur einen Teil meiner Beweggründe ausgemacht, aber um die und meinen „Einstieg“ soll es hier ja nicht gehen 😉🙂.
Davon ab gibt es in meinen Augen schon einen Unterschied zwischen „Ich nutze Kleidung um ein Statement zu setzen bzw. eine Zugehörigkeit nach Außen zu tragen“ und Kleidung als Prestigeobjekt zu nutzen und Leute entsprechend abzuwerten. Und genau darum, wie es quasi auch in meinem Text steht,
„….genauso dieses streben nach höher, schneller, weiter…das teuerste und beste von allem, welches vorallem in der Stinogesellschaft gelebt wird“
ging es mir immer.
„Es ist eine Form von Gatekeeping, das aber den Wandel der Szene langfristig nicht verhindern wird.“
Hier bin ich wieder musikalisch und entgegne: Ich kenne das wirklich von keiner anderen Szene, dass man ein Label auf Dinge draufklebt, die nichts damit zu tun haben. Und ich bin da bekanntlich auch alles andere als ausgrenzend. Gerade das Gatekeeping, das vor 10 Jahren oder so noch viel verbreiteter waren, habe ich immer abgelehnt. Und wer meine Arbeit kennt, der weiß, dass meine Interpretation sehr ausgedehent, weitläufig und auch inkludierend ist.
Jedoch finde ich es wichtig bestimmte inhaltliche Boxen trotzdem intakt zu lassen. Nehmen wir den Begriff Post-Punk, der in den letzten Jahren so dermaßen inflationär verwendet wurde, dass er schlicht gar keine Bedeutung mehr hat. Ähnlich ist es mit Gothic, das bereits in den 90ern komplett zweckentfremdet wurde. Klassisches Beispiel: Man hat Flyer für Gothic-Partys gesehen und wenn man dann mal da war, gab es nur lauten stampfenden Techno – am besten noch mit frauenfeindlichen sowie sexualisierten Lyrics, der einen das Hirn zerschreddert hat lassen und wo man nur die Flucht antreten musste.
Sowas ist dann einfach der Sache nicht dienlich. Für die Künstler nicht und für die Fans jeweiliger Spielarten eben auch nicht.
Das Problem was ich in Social Media und allgemein der heutigen Medienlandschaft sehe, dass solche krassen Beispiele dann die Runde machen, während zumeist introvertierte Musiker, die schlicht introvertierte Musik machen, komplett untergehen. Da die Medienlandschaft auf lauten Krawall aus ist. Das finde ich auch sehr, sehr, sehr schade.
Ist Goth Music wirklich immer introvertiert? Vieles von den Sisters klingt ganz und gar nicht introvertiert, wie auch vieles aus dem Goth Rock der 90er. Die schreien ihr Ding regelrecht heraus. Dieses Introvertierte ist ja auch so ein Ding, dass sich erst so in der zweiten Hälfte der 80er herausgebildet hat. Da gab es beides, den introvertierten, wie auch den extrovertierten. Heute habe ich eher das Gefühl, dass es nur noch um Introvertiertheit geht, was es ursprünglich gar nicht war. Weil sich viele aufregen, dass so manche etwas schriller sind, rege ich mich auf, dass es nur noch um introvertierte Emo Themen geht, was für mich aus der ersten Generation nicht so das primäre Thema ist.
Was Post-Punk angeht, so muss ich Dir Recht geben. Gerade in der Goth Szene wird der Begriff regelrecht verramscht für Stile in denen ich keinerlei Post-Punk sehe. Das Thema hatten wir ja auch an anderer Stelle schon.
Black Alice Das habe ich nicht gesagt. Es gibt seit einigen Jahren auch ne kleine Dark-Punk-Welle, die natürlich nicht introvertiert ist. Auch Dark Carbaret ist alles andere als introvertiert.
Mein Take war jedoch, dass eben introvertierte Musiker und ihre Kunst kaum noch wahrgenommen werden. Darum geht es mir. ^^
Naja, Goth ist einfach eine schöne Möglichkeit mit Themen wie beispielsweise Depressionen oder Existenzängste umzugehen. Das hat dann natürlich auch eine therapeutische Wirkung.
Ich denke, gerade musikalisch gibt es derzeit viele spannende inhaltliche und stilistische Strömungen, die jedoch medial nur unzureichend dargestellt werden.