Während der Countdown zum WGT 2025 die Tage herunterzählt und der MDR mit Tipps zum Wave-Gotik-Treffen ein Feuerwerk abbrennt, stellt Orphi in ihrer WGT-Glosse die wirklich wichtigen Fragen des Treffens. Gehen wir der Sache mit der Szene mit einem Augenzwinkern auf den Grund und erkennen zuletzt den seriösen Hintergrund!
Es ist ein Klassiker des WGT-Alltags: Du gehst in den Supermarkt. Die Blicke der „normalen“ Kundschaft? Eine Mischung aus Staunen, Skepsis und stiller Panik. Eine ältere Dame sagt: „Ach, die sehen aber hübsch aus – wie aus dem Fernsehen!“ Innerlich hoffst du, dass sie „Interview mit einem Vampir“ meint und nicht „Wicked„. Du, in Plateaustiefeln und mit hochgeschlossenem Kragen, greifst nach einer Packung Hafermilch. Der Mann mit dem luftigen Hawaiihemd und den Sandalen ohne Socken mustert dich, als wärst du gerade einer Parallelwelt entstiegen.
Egal, wen kümmert schon der Mainstream? Man ist schließlich nicht hier, um denen zu gefallen. Man ist hier, weil man Klopapier braucht. Und kaltes Wasser. Vielleicht auch ein bisschen Obst. In voller Montur schiebt man den Wagen durch die Regalreihen, weil man entweder direkt vom Konzert kommt oder weil man auf dem WGT nie nicht in voller Montur ist. Die Netzstrümpfe sind leicht verrutscht und die Lippenfarbe nicht mehr ganz präzise. Aber es geht. Und dann passiert es: Du siehst sie. Einen anderen. Eine andere. Welche von uns…
Nicht draußen, im Club, im Schatten, wo wir hingehören und glänzen. Sondern unter der grellen LED-Beleuchtung in Gang 4, zwischen H-Milch und Apfelsaft. Die Begegnung ist elektrisch – nicht, weil man sich kennt, sondern weil man sich erkennt. Man mustert sich kurz, ein inneres Protokoll wird abgerufen: True oder nicht true? Metal oder Melancholie? Blutengel oder Clan of Xymox?
Dann die große Frage: Sagt man etwas? Die Szene ist ja bekanntlich nicht für ihre Kommunikationsfreude bekannt. Wir haben gelernt: Blick senken, Arroganz an, unterkühlt und kontrolliert wirken. Gefühle ja, aber bitte nur auf der Bühne oder in Gedichtform. „Hallo“ zu sagen im Supermarkt fühlt sich wie eine Grenzüberschreitung an.
Und doch … manchmal passiert es. Ein Nicken. Ein kaum sichtbares Lächeln. Ein gehauchtes „Schönes WGT noch“ irgendwo zwischen Tiefkühlpizza und Bio-Müsli. Es fühlt sich an, als würde die Realität sich mit der Brechstange Zugang zu deinem dunklen Königreich verschaffen. Bei einigen regt sich bei Begegnungen auch gar nichts. Vielleicht ist das ein Stilmittel. Vielleicht liegt es an der Hitze. Vielleicht ist man in ihrer Welt einfach nur ein Poser. Wer weiß das schon?
Man geht wieder auseinander. Vielleicht sieht man sich abends im Täubchenthal. Vielleicht auch nie wieder. Aber für einen kurzen Moment war man sich nah – inmitten von Leergut, Sonderangeboten und Whitney Houston aus scheppernden Lautsprechern. Wer es schafft, im Neonlicht der Realität würdevoll eine Gurke zu kaufen, ohne sich dabei infrage zu stellen, hat das WGT verstanden.
Orphi Eulenforst – impulsiv, pragmatisch, weniger optimistisch! Prädestiniert für den “Hexenfluch”. Orphi ist 1971 vom Himmel gefallen und beschäftigt sich vornehmlich mit den kulturellen Aspekten der Szene. Darüber hinaus macht sie sich als Muse und Gegenpol unbezahlbar.
Orphi, you made my Day :-D
Wenn ich am Donnerstag den Norma am S-Bhf Stötteritz heimsuche, werde ich Deine Glosse im Hinterkopf haben. Gothics sind da vermutlich seltener anzutreffen als im Stadtzentrum, auch wenn ich da schon ab und an welche gesichtet habe in den letzten Jahren, die ich da immer zum WGT verbracht habe (nicht auf dem Bahnhof, sondern wir mieten uns da immer eine Wohnung).
Wenn man zeltet ist das anders, hehe. :)
Da ist der Rewe in der Nähe der Agra der erste Anlaufpunkt, dort decken sich quasi alle ein und es sind gefühlt mehr Schwarze drinnen, als Stinos. xD
Wunderbarer Text! Ich werde ihn in den nächsten Tagen im Hinterkopf behalten! (und abfeiern)
Ja, nicht nur derText ist klasse, auch das Bild dazu, die Blicke sprechen Bände :-D
Das Bild ist richtig klasse! Genau wie Du sagst mit diesen Blicken! Und es bedarf einer guten Vorstellungskraft und Präzesion für die Umsetzung, um das so hinzubekommen. Und der Text hat mir auch den Abend angenehm gemacht!
Zitat: „Man geht wieder auseinander. Vielleicht sieht man sich abends im Täubchenthal. Vielleicht auch nie wieder. Aber für einen kurzen Moment war man sich nah – inmitten von Leergut (…)“
Oder, WGT ein Jahr später ist die Trauung :-))).
Ein wundervoller Text! Danke dafür – und ein schönes WGT :-)