Manche Geschichten beginnen wie ein Witz. In diesem Falle: Treffen sich eine Saarländerin, die damals in Paris wohnte, mit einer Irin, die in Österreich lebt, am Münchner Flughafen, um gemeinsam nach England zu fliegen. Aber ganz ehrlich? Von einem Witz ist diese kleine Geschichte weit entfernt! Lasst mich euch mitnehmen, in meine Vergangenheit und begleitet mich auf eine Reise, die nunmehr 9 Jahre zurückliegt und zu einer Veranstaltung auf der britischen Insel führte, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde.
Mein Name ist übrigens Méli und der meiner irischen Mitreisenden ist Shauna. Das Ziel unserer Reise war nicht wie in den 80er Jahren das Shopping Patchouli-Pilger-Reiseziel London, sondern die 190km von der Metropole entfernte Stadt Bristol. Der Grund: Ein schwarz romantischer Vampir-Literatur-Salon auf einem pittoresken Friedhof namens Arnos Vale mit dem klingenden Namen „Vampyresque„!
Schon Jahre zuvor hat mich Salonnière Ida Bara immer wieder zu ihren stetig zwischen UK und Deutschland wechselnden exklusiven Veranstaltungen eingeladen, doch irgendwas kam leider immer dazwischen. Um ehrlich zu sein, war es meistens das Geld, doch um sich einen Traum zu erfüllen, kann man ja auch so etwas total old school mäßiges machen: Sparen!
Im Sommer 2015, um genauer zu sein, am 16.6.2015 war es dann endlich so weit. Ich stieg in den Zug und fuhr erstmal nach München, wo mich am HBF meine Freundin Shauna, die ich bis dato nur online kannte, bereits erwartete. Es war nicht nur hinsichtlich der ganzen Reise und den geplanten Aktivitäten aufregend, sondern auch, dass wir zwei, die wir uns zuvor im Leben abseits einer Webcam noch nie gesehen hatten, überhaupt nicht wussten, ob das mit „uns“ überhaupt harmoniert oder wir uns schon am ersten Abend einig darüber werden, dass wir nach dem Urlaub getrennte Wege gehen.
Und wie es das Schicksal so wollte, war es nicht nur eine Online-Sympathie, sondern auch im echten Leben waren wir wie Seelenschwestern. Bis heute benenne ich meine Zeit mit Shauna als die beste Zeit in meinem Leben. Denn auch wenn schon vieles nach all den Jahren in der Erinnerung verblasst ist, mein Aufenthalt in Bristol ist so stark verankert, dass ich ihn bis ins kleinste Detail abrufen kann! Da ich mir aber vorgenommen habe, diesen Bericht nicht ganz ausufern zu lassen, nehme ich euch „nur“ gedanklich mit an den Tag des Sommersalons auf den Arnos Vale!
Vampyresque in einer blutroten Robe à l’Anglaise
Und was war das für ein Tag! Er begann etwas holprig und endete in einem Feuerwerk an Glücksgefühlen!
Zum Anlass der Vampyresque hatte ich mir damals schon Monate vorher eine Robe, angelehnt an eine „Robe à l’Anglaise“ des späten 18. Jahrhunderts aus blutroter Seide und schwarzen Taft entworfen, genäht und mit passenden Accessoires (die ich auch großteils selbst gemacht habe) vorbereitet.
An diesem Punkt muss ich sagen, dass ich es zwar liebe solche Kleider anzuziehen, sie aber wirklich ungern an großen Veranstaltungen trage, weil da bin ich dann lieber eher unscheinbar und unentdeckt. Von daher war die Vampyresque mit ihren 25 Teilnehmern die perfekte Gelegenheit sich mal wieder in Schale zu schmeißen.
Voller Freude auf die kommenden Stunden rüschten meine Gefährtin und ich uns in unserer „Halle“ auf. Ich nannte sie jedenfalls so, denn unsere Unterkunft war ein Hostel mitten in Bristol. Ein richtig altes Haus mit einer Deckenhöhe in unserem Zimmer von unglaublichen 4,70m und 8 Betten, was trotz der Größe wirklich gemütlich war. Man muss dazu kurz die Anekdote einfügen, dass als wir ankamen uns die Dame, der das Hostel gehörte fragte, wieso wir für unsere 4 Nächte jeweils einen Überseekoffer mit uns schleppten. Als wir meinten, wir gingen auf eine Vampirveranstaltung meinte sie, dass sie da das perfekte Zimmer für uns Mädels hätte.
Mit meinem Kleid und den dazugehörigen Accessoires war alles in Ordnung, bis auf die Tatsache, dass ich meine Handschuhe vergessen hatte. Nur meine Haare, die ich mir über Nacht extra aufgewickelt hatte, hatten einen berühmten „Bad Hair Day“. Das hat mich kurz genervt, konnte aber die Stimmung und besonders die Vorfreude nicht trüben. Mit einem Taxi fuhren wir also in Richtung Friedhof. Auch hier hat unsere Hostel-Vermieterin wieder mitgedacht und uns ein Großraumtaxi bestellt, wofür ich mit meiner doch recht ausladenden Robe wirklich dankbar war.
Vampyresque auf dem Friedhof
Endlich angekommen wurde uns ein herzliches Willkommen zuteil und wir hatten kurz Zeit um uns einander vorzustellen. Die Gäste waren sowohl aus Deutschland wie auch aus England und ich hatte das Glück, schon einige der Anwesenden im Vorfeld durchs Internet gesprochen zu haben. Bevor wir in der Lage waren uns fest zu quatschen, ging es auch schon los: Mit einer Führung über die viktorianische Anlage und ihren Grabmalen und Gruften. Dabei wurde viel Wissenswertes an geschichtlichen Hintergründen vermittelt, gleichwohl auch interessante Informationen über die Kunsthistorik und Symbolik der Grabmale an sich.
Zurück am Treffpunkt gab es dann eine weitere Überraschung: Ein kleiner, schnuckeliger Trailer stand da. Mit veganen Cupcakes, Kaffee und heißer Schokolade. Während wir genüsslich diese Nettigkeiten genossen, kam eine Trauerkutsche gezogen von zwei rassigen, schwarzen Pferdeschönheiten auf uns zu getrabt. Was ein Anblick! Die majestätischen Tiere mit ihrem opulenten Kopfschmuck, der elegante Kutscher in seiner an die viktorianische Zeit erinnernde Kleidung und die gläserne, mit goldenem Prunk verzierte Kammer auf Rädern.
Es war einfach wunderschön anzusehen.
Alle Salongäste durften Erinnerungsfotos vor diesem Gefährt machen. Außerdem wurde der ganze Tag durch eine Fotografin begleitet, welche sowohl „auf Aufruf“, aber auch zu passenden Anlässen Momentaufnahmen eingefangen hat. Leider bin ich mir ihres Namens wegen nicht mehr so sicher (Kelly J. Photography?!) und da ich keine Bildrechte an den Fotos besitze, zeige ich euch als visuelle Unterstützung meiner Worte nur die von mir eigens (wahlweise auch von Shauna nach meinen Anweisungen) angefertigten Schnappschüsse.
Nachdem die Fotos im Kasten und wir frisch gestärkt waren, führte uns Ida in die Grabkapelle, welche festlich geschmückt war. Da standen lange Tafeln mit opulenten Blumengestecken, Kerzenleuchter, edel wirkenden Tellern, Besteck und Servietten, die einem mit ihrem Antlitz so blendeten, dass man getrost über die Klappstühle hinwegsehen konnte, die die Lokalität uns zur Verfügung gestellt hatte.
Bevor es aber erneut zum nächsten kulinarischen Highlight kam, las uns unsere Gastgeberin höchst selbst noch einen Part aus „Der kleine Vampir“ vor. Denn was wäre ein literarischer Salon, ohne auch nur einmal offiziell Vampir Schriftstücke mit einzubringen?
Um ehrlich zu sein, verlässt mich an dieser Stelle etwas die Erinnerung, da ich Idas Worten zwar lauschte, der Tag aber mit so vielen Reizen und Ereignissen gespickt war, dass ich mich an das, was eigentlich den Salon ausmacht, am wenigsten erinnere. Ich bin mir sicher, dass sie noch aus einem anderen Buch etwas vorgelesen hat, nichtsdestotrotz bleibt meine Erinnerung an dieser Stelle einfach geprägt von dem, was danach geschah.
Nach einer erneuten Pause kündigte unser Salonoberhaupt einen unserer Gäste an: Den amerikanischen Violinisten Paul Mercer. Übersee bekannt als Musiker des berühmten „Endless Night – New Orleans Vampire Ball“ welcher uns 30min lang in eine andere Welt entführte.
Bis heute habe ich noch ein kleines Andenken an ihn: Einen hölzernen Wirbel seiner Violine. Diesen halte ich in Ehren, denn immer, wenn ich mein Schmuckkästchen öffne und ihn sehe, bin ich sofort wieder mental in der kleinen Kapelle und erinnere mich daran, wie seine melancholische Melodie mich mit auf eine wundervolle musikalische Reise genommen hat.
Kaum war der Zauber verflogen, stand auch schon die nächste Aktivität an! Wie das so ist bei Mikro-Veranstaltungen: Man legt auch gerne mal selbst Hand an. Die Tische, Stühle, das Geschirr, die Blumen, alles musste weichen, damit wir genug Platz hatten, um unserer nächsten Aktivität nachzukommen: Einer Tanzstunde im Menuett-Tanz. Angeleitet durch zwei Seniorinnen, die ihren Spaß hatten, uns teilweise ziemlich unbegabten Schülerin (mich einbegriffen) innerhalb einer Stunde das Menuett nach „Tanz der Vampire“ beizubringen.
Ganz ehrlich, war jetzt nicht mein liebster Veranstaltungspunkt, aber hey, zumindest kann ich sagen, dass ich mal in einer kleinen Trauerkapelle unter Anleitung den „Tanz der Vampire“ gemimt hab 😂.
Zum Abschluss sammelten wir uns noch einmal unterm Nachthimmel und dort erhielten wir einen sehr interessanten Vortrag über die auf dem Arnos Vale beheimateten Fledermäuse.
Nun war es aber schon so spät, dass es für Shauna und mich kritisch wurde ein Taxi zu finden, dass uns zurück in unser Hostel brachte. Zum Glück hatte der Busfahrer des extra angemieteten Busses, der einen Großteil der Gesellschaft nach Bath fuhr, Mitleid mit uns beiden Krautvampiren und hat uns gemeinsam mit unserer Friedhofsclique zu unserem Hostel gebracht, wo wir nach dem Abrüschen erstmal selig in unser Bett gefallen sind.
Die weiteren zwei Tage in England waren gefüllt mit Freundschaft, Kultur und Entdeckung. Mit Momenten für die Ewigkeit, für die es aber jetzt nicht die Zeit und schon gar nicht der Ort ist darüber zu schreiben. Infolge der Vampyresque 2015 hatte ich noch zwei Mal danach die Chance einen Salon in Deutschland zu besuchen. Beide Veranstaltungen waren auch wunderschön, doch die für mich erste Vampyresque wird für mich unvergessen und unvergleichlich bleiben.
Ich hoffe jedenfalls, dass euch mein Erlebnis ein wenig Freude beim Lesen bereitet und euch die wenigen Bilder ein klitzekleines bisschen die Magie des Ortes vermitteln können. Vielleicht fühlt der ein oder andere sich auch ermutigt, selbst einmal Teil dieser wundervollen Veranstaltung zu werden oder etwas Ähnliches zu organisieren! Alles Liebe, eure Méli.
Vor ein paar Tagen hatte ich bei Facebook dazu aufgerufen, die Szene und auch diesen Blog mitzugestalten. Mit Erinnerungen, Texten, Bildern und Geschichten. Mir ist aufgefallen, dass nach einem sehr heißen Sommer 2024 wahnsinnig viele von diesen Erinnerungen an Festivals, Konzerten oder die eigene Vergangenheit, die damals in Fanzines und Magazinen gelandet sind, bei Facebook als Anekdote im Nirvana verschwinden, weil Algorithmen und Freundeslisten nur zeigen, was sie zeigen sollen.
Méli hat sehr schnell zur Tastatur gegriffen und eine tolle Erinnerung aus der jüngeren Vergangenheit geteilt und mir damit eine Veranstaltung näher gebracht, die ich überhaupt noch nicht kannte. Das finde ich ganz großartig und hoffe, dass einige ihrem Beispiel folgen werden, Denn die Szene ist vielfältiger als ich sie je darstellen könnte!
Ich finde den Gedanken, uns an deinem Blog mitwirken zu lassen einfach toll. Du hast uns soviele Themen zur Verfügung gestellt, über die wir hier bisher diskutieren konnten, jetzt können wir dir mal etwas zurück geben 🙂.
Was für eine phantastische Reise zu einer ungewöhnlichen Veranstaltung! Vielen Dank fürs Mitnehmen! Die selbstgenähte Robe mit den Accessoires nötigt mir großen Respekt ab. Blutrot in dieser Kombination mit Schwarz schafft eine wundervolle düstere Ästhetik, finde ich. Passend dazu die eleganten Friesen vor der Trauerkutsche. Dieser Anblick lässt mein Herz gleich höher schlagen. Insgesamt ist der Bericht über diese Reise so anschaulich geschrieben, dass man sich auch das, wovon ohne Fotos erzählt wurde, sehr gut vor dem eigenen inneren Auge vorstellen kann. Von der Ankunft im Hostel, über die festlich geschmückte Grabkapelle bis hin zur Menuette Tanzstunde, bei der ich mich wahrscheinlich auch schwer getan hätte. Ebenfalls gut vorstellen konnte ich mir die Aufregung vor der ersten Begegnung mit der Online-Freundin. Wie schön, dass daraus reale Sympathie geworden ist!
Ganz großes Kino diese Robe. Und eine nette Geschichte, da extra nach UK zu fliegen, wegen ner Veranstaltung mit nur 25 Leuten. Irgend wie cool. Ich mag die Engländer wegen ihrer coolness bei, für Normalos, schrägen Leuten (ich sehe mich nicht als schräg, aber andere tun das wohl). Die haben eh viele schräge Sachen im Lande, dass für sie alles normal ist und recht locker auf alle mögliche Leute reagieren. Da könnte sich Deutschland ne Scheibe Lockerheit von abschneiden.
Bin gespannt ob noch mehr solch netter Berichte kommen.