Während der Countdown zum WGT 2025 die Tage herunterzählt und der MDR mit Tipps zum Wave-Gotik-Treffen ein Feuerwerk abbrennt, stellt Orphi in ihrer WGT-Glosse die wirklich wichtigen Fragen des Treffens. Gehen wir der Sache mit der Szene mit einem Augenzwinkern auf den Grund und erkennen zuletzt den seriösen Hintergrund!
Es ist ein soziales Minenfeld im Schattenreich: Man sieht sich. Man erkennt sich. Man steht voreinander und dann stellt sich die große Frage, die schon Generationen von Gruftis, Batcavern und EBM-Veteranen beschäftigt hat: Wie begrüßt man sich?
Die Hand geben? Unmöglich! Das ist viel zu förmlich. Außerdem bleibt man womöglich mit den Ringen im Netzhemd des Gegenübers hängen. Und es dauert ewig, bis man das Desinfektionsgel aus der Tasche gekramt hat. In Menschenmassen will sich niemand mit irgendetwas anstecken.
Umarmen? Vielleicht. Aber auch gefährlich. Denn der/die andere trägt womöglich eine Korsage aus Draht, Rüschen mit Reichweite oder einen Kopfschmuck aus Hirschgeweih und Lampenteilen. Außerdem schwitzt man. Immer. Ein kurzer Kontakt kann da schon zu kläglichem Kleben führen. Und wehe, man kommt an die Haare! Die Haare sind das Wichtigste! Das weiß doch jeder!
Also bleibt nur das Nicken. Das legendäre, leicht unterkühlte Szene-Nicken. Dezent. Kurz. Eindeutig. Augenkontakt für 0,8 Sekunden, leichtes Anheben des Kinns – als wollte man sagen: „Ich sehe dich. Ich respektiere dich. Lass uns beide so tun, als wären wir nicht überfordert vom sozialen Kontakt.“ Manchmal ist es auch ein Hochziehen der Augenbraue – die Deluxe-Version des Nickens für Fortgeschrittene. Aber Vorsicht: Ein zu freundliches Nicken wird schnell als Anfänger-Signal gewertet. Ein zu distanziertes Nicken als Arroganz. Ein zu langes als Flirt. Ein zu kurzes … nun, das war dann vielleicht doch nur ein Zucken.
Noch unangenehmer ist es, wenn man sich vielleicht sogar kennt. Vom letzten WGT. Oder von Instagram. Aber erinnert sich der andere noch? Reicht das für ein „Hey“? Oder riskiert man, angesprochen zu werden mit: „Ah! Du bist doch… äh… du hattest doch dieses Kleid… oder warst du das mit dem …“ Und dann kramt man innerlich in den Tiefen der Nickname- und Realnamen-Kisten, in denen man längst den Überblick verloren hat.
In der Unsicherheit wird oft einfach geschwiegen. Würdevoll. Man läuft aneinander vorbei wie Raubkatzen im selben Revier. Und doch – wenn sich zwei echte Schattenfreunde begegnen, dann kann die Fassade bröckeln. Dann wird gekreischt, gedrückt, gelacht.

Der Grufti-Gruß ist eine Kunstform. Er bewegt sich zwischen zu viel und zu wenig, zwischen stilvoller Distanz und echter Nähe. Manchmal ist es ein Nicken. Manchmal ist es ein Schweigen. Und manchmal ein Lachen, das heller klingt, als man es sich selbst zugesteht. Und wie begrüßt ihr euch?
Orphi Eulenforst – impulsiv, pragmatisch, weniger optimistisch! Prädestiniert für den “Hexenfluch”. Orphi ist 1971 vom Himmel gefallen und beschäftigt sich vornehmlich mit den kulturellen Aspekten der Szene. Darüber hinaus macht sie sich als Muse und Gegenpol unbezahlbar.
Ein Text, der zum Schmunzeln einlädt – herrlich!
„Und wie begrüßt ihr euch?“
Menschen, die ich schon persönlich und länger kenne, werden tatsächlich umarmt. Ohne Desinfektionsmittel und ohne Probleme durch Geweihe und Reifrock 😅.
Ansonsten ein „Hi“ ohne jeglichen Körperkontakt. Und ganz unbekannte werden beim vorbeilaufen nicht gegrüßt. Es sei denn jemand lächelt, dann wird natürlich zurück gelächelt 😁
Was für ein wundervoll ironischer Text! Ich kann mir ebenfalls das Grinsen nicht verkneifen. Und da ich mich vor noch nicht allzu langer Zeit überhaupt erst aus dem Wald in die Gesellschaft anderer Schatten begeben habe, sind die Hinweise, wie man sich in diesem sozialen Minenfeld bewegt, um so wichtiger. Aber ich hatte immerhin schon eine gute Trainingsmöglichkeit am Arbeitsplatz mit einem Kollegen und Vorgesetzten. Wir spürten, dass wir irgendwie ähnlich ticken. Sympathie und Achtung war vorhanden. Bevor wir aber überhaupt erstmal mit dem unterkühlten Nicken anfangen konnten, waren Ignorieren und eiskalte Blicke angesagt :“Wage es nicht, mich anzusprechen! (außer wenn dienstliche Belange es erfordern). Sich zur selben Zeit in Pausen im großen Teamraum aufzuhalten war eine wahre Herausforderung. Ironischerweise fiel beiden von uns anscheinend der soziale Umgang mit anderen, mit denen wir diese Schnittmenge nicht teilten, leichter. Zur gegenseitigen Offenbarung kam es dann Schritt für Schritt über dunkle, morbide Kunstwerke…aber abseits der Öffentlichkeit. In der Umgebung von mehreren anderen Leuten hat sich für uns beide das hier so trefflich beschriebene unterkühlte Szenenicken – unbemerkt von anderen Anwesenden – bewährt:
In unserem Falle ergänzt durch: „Mit dir verbindet mich mehr, als mit den anderen hier im Raum. Ich möchte nicht, dass du denkst ich ignoriere dich.“ Das reicht auch völlig. Alleine auf dem Flur auch mal ein freundliches Nicken. Umarmung? Unwahrscheinlich.
Ich grüße auch schwarze Personen auf dem Gehweg (wenn man mal jemanden eindeutig begegnet), mit halben Lächeln (einen Mundwinkel dezent nach oben) und hallo. Hat sich bewährt, funtioniert auch im stehen. Sonst geb ich eigentlich noch recht oft die Hand. Umärmeln kann ich machen, muß aber auch nicht unbedingt sein und schon garnicht jeden.
Wie man sich auf dem WGT begrüßt weiß ich (noch) nicht, aber wohl wie man sich bei uns in der Gegend zu begrüßen pflegt:
Ganz vorne dabei ist neben dem scheinbaren „ignorieren“ das höfliche, aber nicht zu übertriebene Lächeln. Zumindest wenn man sich das erste mal über den Weg läuft. Wer sich für besonders extrovertiert hält fügt dem vielleicht noch ein dezentes Nicken hinzu.
Dieses Ritual kann sich manchmal auch über einen längeren Zeitraum erstrecken, soweit man sich denn öfters als nur ein einziges mal über den Weg läuft und es kann sich auch bis in die Clubs fortsetzen. Kenner unter uns zelebrieren dieses Ritual auch mal über mehrere Jahre. Ungeduld ist hier also der völlig falsche Ratgeber.
(Jetzt echt kein Scherz: Einer meiner liebsten Bekanntschaften und ich stellten bei einem gemeinsamen Bier mal fest, dass wir eigentlich schon mehrere Jahre zuvor regelmäßig auf der Tanzfläche nebeneinander her spazierten (Totengräber) und fragten uns dann wieso wir eigentlich nicht schon früher ins Gespräch gekommen sind.)
Ein guter Einstieg in das erste Gespräch ist auch stets die Raucherecke. Auch wenn man selber Nichtraucher ist und sich nur kurz abkühlen möchte, so kann ein „Mist… Haste mal Feuer?“ des Gegenübers bereits das ein oder andere Eis brechen. Ist man Raucher: Gern selbst danach fragen. Dieser Startschuss eignet sich fast immer um anschließende Konversationen über das tolle Bandshirt des Gesprächspartners, oder den Musikgeschmack einzuleiten. Bauen sich dabei Sympathien auf, so kann dies dazu führen dass beim nächsten Treffen bereits eine freundschaftliche Umarmung erfolgt. – Diese (auch kein Scherz) ist bei uns unter einander näher bekannten Gruftis gang und gebe.
Vor ganz vielen Monden, also wirklich viele Monde, da hat man sich verbeugt, mit dem Arm so einen geschweiften Halbkreis absolviert, Damen haben nen kurzen oder langen, je nach Gegenüber, Hofknicks gemacht usw. Alles ohne Berührung, ohne Arroganz, Ignoranz, aber deutlich erkennbarer Gruß. Müsste man wieder einführen… ;-)
Kann mich daran erinnern :-).
Herzliche Umarmung, immer, auch bei Fremden, es sei denn, sie signalisieren mit ihrer Körpersprache o.ä., dass sie das nicht möchten. Ich fühle mich auf der Gothic Pogo einfach zuhause, und alle Menschen dort sind mindestens für diese paar Tage im Jahr meine Freunde, Brüder, Schwestern und alles dazwischen, im Geiste, und so behandeln wir uns auch <3