Während der Countdown zum WGT 2025 die Tage herunterzählt und der MDR mit Tipps zum Wave-Gotik-Treffen ein Feuerwerk abbrennt, stellt Orphi in ihrer WGT-Glosse die wirklich wichtigen Fragen des Treffens. Gehen wir der Sache mit der Szene mit einem Augenzwinkern auf den Grund und erkennen zuletzt den seriösen Hintergrund!
Neulich auf Instagram: Ich scrolle durch den Feed und bleibe an einem makellosen, schwarz-weiß gefilterten Reel hängen. Zu sehen ist ein junger Mensch, perfekt geschminkt. Der Eyeliner schärfer als Siouxsie Sioux in den 80ern, das Outfit vermutlich teurer als mein gesamtes WGT-Budget. Hashtags: #darkaesthetic, #coffincore, #spookybabe. In den Kommentaren tobt die Debatte: „Was ist euer Lieblings-Goth-Look?“ Ich möchte schreiben: „Mit Dreck an den Stiefeln auf der Agra nachts um halb drei.“ Aber ich verkneife es mir. Ist ja peinlich, so alt.
Und irgendetwas sagt mir: „Diese Babybat wird vermutlich gar nicht wissen, was das WGT ist. Machen die Veranstalter auch Werbung auf Instagram und TikTok, also Werbung, die über die Liste der Bands hinausgeht? Die lockt nämlich wahrscheinlich keinen Insta-Goth hinterm Ringlicht hervor, denn die meisten Acts kennt ja keiner.
Wie erreichen wir eigentlich die jüngste Generation der Szene? Wahrscheinlich nicht mit Newslettern oder Pressemitteilungen, sondern – bestenfalls – mit gut produzierten Reels, die aussehen, als hätte ein Dämon mit der Foto-App gespielt. Statt „Das WGT 2025 bietet 200 Konzerte in ganz Leipzig“ heißt es: „POV: You’re a baby bat on your first night out“ – und dann kommt 5 Sekunden Musik und irgendjemand räkelt sich perfekt geschminkt zu 5 Sekunden Dosen-Musik oder so. Einen Festivalflyer zu posten, wirkt da ungefähr so sexy wie ein Faxgerät.
@screenshothq Do all goths hate the sun? We hit the cemetery with goth queen @Bèvellystrange to bust some of the biggest myths about goth culture 🦇🖤 #goth #gothtok #gothculture #london #streetinterview
Die Alten – zu denen ich inzwischen wohl selbst gehöre – erinnern sich noch: Damals wurden Flyer noch auf Papier gedruckt, man tauschte Bänder, besuchte Foren, las gedruckte Szenezeitschriften und Blogs. Und heute? Ich weiß es nicht. Ich frage ja nur.
Gerade jetzt wäre eine zeitgemäße Kommunikation wichtig. Die junge Szene gibt es ja. Sie ist da. Sie postet, stylt sich und fühlt. Aber vielleicht weiß sie gar nicht, dass es außerhalb ihres Smartphones eine riesige Subkultur mit Geschichte gibt, die sich seit 30 Jahren zu einem Treffen zusammenfindet, das jährlich rund 20.000 Menschen nach Leipzig lockt. Menschen mit Staub auf den Stiefeln, Geschichten im Gepäck und mitunter Ahnung, wer Siouxsie ist (Spoiler: keine TikTokerin).
Doch wie erreicht man diese neue Generation? TikTok ist flüchtig. Ein Blick, ein Wischen, weiter. Instagram ist eine Plattform zur Selbstinszenierung, aber kein Szenezentrum. Und Discord? Reddit? Eher nicht.
Vielleicht braucht es ganz andere Wege: Szene-Podcasts mit Veranstaltungstipps. Offizielle WGT-Reels mit einem Augenzwinkern. Oder einfach Leute, die den Schritt gehen, auf diesen Plattformen zu kommunizieren, ohne dabei den Szenecharakter zu verlieren. Im deutschsprachigen Raum sind solche „Influencer“ eher Mangelware. Schade. Denn was hilft es, wenn wir alle in der Vergangenheit schwelgen, aber den Anschluss verpassen?
Orphi Eulenforst – impulsiv, pragmatisch, weniger optimistisch! Prädestiniert für den “Hexenfluch”. Orphi ist 1971 vom Himmel gefallen und beschäftigt sich vornehmlich mit den kulturellen Aspekten der Szene. Darüber hinaus macht sie sich als Muse und Gegenpol unbezahlbar.
Hmmmm. Es gibt ja nicht nur Tiktok und Instagram, auch youtube spuckt ne Menge WGT-Filmchen und Playlists aus. Wer googelt, findet auch, denke ich. Gerade in weniger massentauglichen Bereichen/Genres suchen die Leute sich doch kreativ und gezielt ihre Infos zusammen und nie war es so leicht, wie heute, Artikel und Musikbeispiele online zu finden. Da hatten wir es doch früher viel schwerer. Wer nicht gerade ein Zillo oder anderes Indie-Magazin in Reichweite hatte, bekam doch nur über soziale Kontakte und Flyer was mit. Da hat die Jugend von heute es doch leicht. Ein Begriff googeln – und schon tausend Antworten, Bilder, Links….
Das kann ich so unterschreiben. Ich würde diese aufregende „alte“ Zeit aber trotzdem um keinen Preis gegen die „modernen Medien“ eintauschen wollen. Irgendwie musste man sich alles mit mehr Anstrengung „erarbeiten“ und fühlte sich deshalb, sorry für diese Formulierung, vielleicht hin und wieder auch etwas elitärer. 😉
Hey Orphi, so hatte ich das noch gar nicht betrachtet, irgendwie dachte ich da so wie Tanzfledermaus.
Aber du stellst ja auf den Nachwuchs ab. Der ist ja scheinbar visuell anspruchsvoll.
Können da die „Alten“ überhaupt mithalten?
Dann müssen wohl die einheimischen „Altvorderen Gruftis“ mal mit szeneechten Reels anfangen, am besten dieses Pfingsten.
Man könnte ja über die Spontis Filmchen vom WGT sammeln.
Und dann mit den richtigen Stichworten / Hashtags oder wie dieser Kram heißt ins weite Internet hinauswerfen.
Man merkt, ich bin total im Thema „Reel“ drin.
Vielleicht käme was richtig Witziges bei raus. Schon das Thema „Packen“ birgt da bestimmt einiges Potential.
Allerdings würde ich mich z.B. ungern irgendwo drauf räkeln, das gibt mein Rücken zur Zeit nicht her. 😜 Und das mit dem scharfen Eyeliner, das ist auch so ’ne Sache.
Aber ich gelte vielleicht auch nicht mehr als Babybat.
Gut beobachtet, finde ich. Die Jugend googelt übrigens nicht mehr bzw. sehr viel seltener. Sie laden sich die Apps runter, die einen gewünschten Dienst anbieten. Manchmal wird noch chatgpt befragt, aber auch per App. Also die Idee ist schon gut etwas in dem Kosmos anzubieten in dem sich die Babybats befinden.
Hey Orphi, spannendes Thema. Als Generation 2000er sehe ich mich tatsächlich noch immer ein wenig zwischen den Stühlen stehen. Ich bewege mich lang genug unter den traditionellen Grufties früherer Zeiten um mich dort heimisch zu fühlen, kenne aber auch noch die Erfahrungen als Grünschnabel in einer schwarzbunten und vollkommen unübersichtlichen Welt.
Ich glaube du unterschätzt die junge Generation hier ein klein wenig und das möchte ich einfach mal aus meiner eigenen beruflichen, aber auch subkulturellen Perspektive einordnen. Du hast zwar in dem Sinn recht, dass die Aufmerksamkeit bei vielen jungen Menschen nicht über die ersten 15 bis 60 Sekunden hinaus geht, ehe der gnadenlose Wisch auf dem Smartphone kommt, aber dennoch sind viele der jungen Leute welche ich im Bezug auf unsere Subkultur erlebe bemerkenswert gut informiert. Zumindest müsste ich jetzt lügen, wenn ich bezüglich der Exemplare mit denen ich ein paar Worte wechseln konnte etwas anderes behaupten sollte.
Beruflich habe ohnehin viel mit Jugendlichen zu tun und ab und zu entdecke ich dann tatsächlich auch mal ein Exemplar, was man mit Fug und Recht als Szenenachwuchs betiteln kann. An meiner aktuellen Schule habe ich beispielsweise das Vergnügen gehabt mit einer solchen Schülerin plaudern zu können. Optisch wirkt sie jetzt nicht aus wie frisch aus den 80ern gefallen und bei manchen ihrer musikalischen Favoriten würde der ein oder andere alteingesessene Schwarzkittel vermutlich auch mal Ohrenbluten bekommen, doch ist sie für ihr junges Alter besser über die Szenegeschichte und deren Musik informiert als ich auf den ersten Blick vermutet hatte. Ein Besuch beim WGT steht für die bereits auf der Wunschliste, aber mit nicht einmal 18 Jahren reichen dafür halt noch nicht die entsprechenden Mittel. Ihren Einstieg hatte sie übrigens durch Zufall über Spotify bekommen. Beinahe schon wieder ganz klassisch und ohne TikTok: Einfach nur beim zufälligen Durchwühlen von Musik über einen gruftigen Song gestolpert, sich darin widergefunden und ab da weitergeforscht.
Ähnliches kann ich auch über einige junge Leute sagen, die ein klein wenig älter sind als die besagte Schülerin und die trotzdem bei uns auch in den kleinen Locations unterwegs sind. Vor einer Weile hatten ein befreundeter Gruftie (80er Generation) und ich mal die Gelegenheit mit denen ins Gespräch zu kommen. Finde sowas ja immer total spannend, Auch hier gilt: Sie sind sicher keine Abziehbilder der 80er und der Reflex sagte auch bei mir erstmal „Bestimmt wieder so TikTokgrufties“, aber Pustekuchen. Am Ende war das einfach nur ein bereicherndes Gespräch für alle Beteiligten.
Meinen persönlichen Erfahrungen nach erreicht man die jüngere Generation nach wie vor am besten im direkten Kontakt. Youtube, TikTok und Co. mögen zum anteasern ja ganz gut und schön sein, aber wenn man sich als Creator mal die durchschnittliche Ansehzeit für Videos so anschaut, dann stellt man leider recht schnell fest, dass die meisten Leute bereits nach den ersten 1-2 Minuten weiterscrollen. Wenn du es darin nicht schaffst deine Zuschauer irgendwie abzuholen, dann kannst du es im Grunde vergessen.
Daher bleibe ich dabei: Das direkte Gespräch mit der jungen Generation ist immer noch am ertragreichsten. Hier und da muss man vielleicht ein wenig die Zähne zusammenbeißen, wenn von besonders neumodischen musikalischen Strömungen geschwärmt wird, aber solange man es schafft dies erst einmal auszublenden und die Leute so anzunehmen wie sie sind kann man viel erreichen und vielleicht auch den ein oder anderen Ankerpunkt setzen.
Danke für den interessanten Einblick in Deine Erfahrungen mit dem Szenenachwuchs! Ich staune auch übrigens immer wieder beim WGT, wie viele junge Leute da mit ihren gruftigen Eltern sind, und selbst eindeutig gruftig unterwegs sind. Es heißt ja immer, dass die Jugend sich gern von den Eltern abgrenzt und ihr eigenes Ding macht, aber wie viele Generationen gerade in unserer Szene gemeinsam anzutreffen sind, finde ich enorm überraschend und spannend!
Das gibt es bei uns auch oft auf den Konzerten zu sehen. Letztes Jahr kamen beispielsweise Reptyle zu ihrem 25 jährigen Bandjubiläum „nach Hause“ und brachten ein paar Gäste mit eindeutig traditionellem Einschlag mit. Da fand dann ein regelrechtes Treffen der Generationen statt, zumal sich auch der ursprüngliche Frontmann die Ehre gab und ein paar Songs performte. Quasi ein Build up für die ganze gruftige Familie, wenn man so will. Fand ich auch unglaublich spannend und schön anzusehen.
Niemand versteht Gen-Z. LOL.
Wir werben auf FB (voll Boomer) und Insta und erreichen durchaus unser übliches und unübliches Publikum, allerdings nicht mehr die Gen-Z. Diese sind echt schwer zu packen. Für Tik-Tok fehlt uns dann doch der Zugang und das Verständnis. Aber ich denke, die finden ihre eigenen Wege und ihre eigene Form sich zu treffen, zu organisieren, was gemeinsam zu machen. Das WGT kennt jeder, auch Nicht-Goth. Es ist unmöglich dieses nicht zu kennen. Wenn sie den Weg dort hin nicht finden, dann hat es seine Gründe, aber hat eher weniger mit Aufmerksamkeit und Werbung und bestimmte Kanäle zu tun. Vielleicht ist es ihnen zu teuer, entspricht nicht ihrer Life/Party-Ballance oder sonst was. Sie kommen schon noch mit der Zeit, wenn sie ihrer Gen-Z entwachsen sind…
Vielleicht sind ihnen da auch einfach insgesamt zu viele ältere Leute unterwegs *hust* . Manchmal fühl ich mich mit meinen 50 Lenzen absolut uralt, aber wenn ich mir dann viele andere in meinem Alter so anschaue, vor allem außerhalb der Szene, die total altbacken daherkommen, denke ich mir manchmal, dass es wohl doch nicht so schlimm ist (zumal ich häufig für jünger gehalten werde).
Ja vielleicht hast Du auch recht. Früher habe ich mich ja auch ungern dort rum getummelt wo zu viele alte Leute waren. Vielleicht machen sie aber auch ihr eigenes Ding und wir bekommen es nicht mit? Vielleicht aber wollen wir gerne, dass es Nachwuchs gibt und verstehen nicht, dass der Nachwuchs ihr eigenes Ding macht, halt anders als wir. Da merkt man, dass man alt ist… Ach… das renkt sich alles noch ein… ;-)