Die modische Rebellion der 80er

Immer wieder taucht die Frage auf, warum die Gothics eigentlich schwarz tragen, worin die Ursprünge des Kleidungsstils der Szene liegen und welchen historischen Bezug man zu seiner Kleidung damals fand. Dabei wird in der Regel in die junge Szene der 80er viel mehr interpretiert, als dort eigentlich gewesen ist. Ich möchte einen kleinen Versuch wagen und erklären, warum schwarz damals eben doch nicht nur eine Farbe war, sondern auch ein Statement, auch wenn die Tiefe dieser Haltung bei weitem nicht intensiv war, wie man heute vermutet.

Die 80er waren bunt. Leuchtend grell, erschreckend farbig und Haarsträubend blendend – die nächste Modewelle nach der Modewelle musste immer noch bunter sein als ihr Vorgänger. Muster, Punkte und Farben wurden schamlos kombiniert. Dabei war die Welt um uns herum alles andere als fröhlich bunt, rückblickend hat es den Anschein, als würde schwarz die Spiegelung der Ängste sein, die durch Atomkatastrophen, Umweltverschmutzung und Kriege tagtäglich in den Medien präsent waren. Diese Gefühle waren in den Köpfen der jugendlichen präsent, führten aber nicht zu einer bewussten Entscheidung schwarz zu tragen um der Welt dafür den Spiegel vorzuhalten.

Man wollte einfach anders sein, denn grell und bunt empfanden die meisten von uns als störend. Man wollte auf eine gewisse Art rebellieren, ohne jedoch seinen Protest in offensiver Form unter die Menschen zu tragen, wie es seinerzeit die Punks taten. Man wählte den ästhetischen Aufschrei, die optische Revolution, denn schwarze Kleidung war in den 80er extrem auffällig, vor allem dann, wenn man für seine Kleidung auffällige Formen und Schnitte wählte, das ganze noch mit schwarz gefärbten Haare unterstrich und auch die Haare zum Zwecke der Präsentation toupierte.

Man genoss die Tatsache, verstörend zu wirken. Die Botschaft „Lass mich einfach in Ruhe mit deiner Welt!“ kam an, Arroganz war Mittel zu Zweck. „Vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg wird die Kleiderfarbe Schwarz immer wieder einmal als visuelles Zeichen von Opposition und Distanz gegenüber den Werten der etablierten Gesellschaft benutzt.1

Natürlich eiferte man auch seinen Idolen auf der Bühne nach. Robert Smith wurde zu Stilvorlage einer ganzen Jugendmode, seine melancholischen Texte, die so gar nicht zu einer aufstrebend bunten Welt passten, wirkten erst Jahre später als Identifizierungsgrundlage einer zweiten Generation Gothics, während die, die seinerzeit dabei waren, ihre ganz eigenen Schlüsse daraus zogen. Unaufhaltsam schien die Weiterentwicklung des Stils. Silber war ideales Kontrastmittel zum schwarzen Outfit, ungewöhnliche Epoche wurde interpretiert und gemischt, weiße Schminke verstärkt den Kontrast.

Im Laufe der Jahre wuchsen die Bedeutungen, Neugier auf das, was man selbst darstellte, auf der Bühne sah oder im Radio hörte wurde in die Szene getragen. Mit jeder Generation neuer Gothics wuchs auch eine neue Meinung darüber, warum man sich für schwarz entschieden hat. Nichts von dem lässt sich heute über einen Kamm scheren. Bedeutungsschwangere Erklärungen selbsternannter Experten über das, was der Kleidungsstil über die Szene aussagt, verhallen in den Ohren vieler, die es wissen sollten. Schubladen gibt es in der Szene nicht mehr, ein geteilter Musikgeschmack ist kein Schubfach, in dem auch praktischerweise Weltanschauung oder Persönlichkeit liegen. Die muss man herausfinden, jedes einzelne Mal.

Ich wollte anders sein als das, was ich in den Jugendmagazinen sah, ich war Außenseiter und wollte es auch zeigen, wollte zu denen, die schon so waren, dazugehören. Depeche Mode und insbesondere Martin Gore lieferten meine optischen Grundlagen. Der Gothic Friday vom Januar zeigt, wie unterschiedlich die Beweggründe für „Gothic“ oder die Farbe schwarz sein können. Ich war schon immer gerne allein mit mir, doch Einsamkeit lag mir noch nie – deshalb suchte ich mir Menschen die so waren wie ich. So, wie die Bilder hier zeigen, nein, so wollte ich nie sein.

Doch es gibt auch jugendliche, alles andere als konservative Formen von schwarzer Kleidung – die allerdings auch auf die Konnotationen Askese und Trauer zurückgreifen. Die schwarze Protestkleidung lebt von einer Mixtur aus theatralischer Trauer, edler Askese und der Bürde exklusiven, düsteren Wissen.2 Heute gut zu wissen, damals hatte ich keine Ahnung.

Einzelnachweise

  1. Doris Schmidt, Heinz Janalik – Grufties, Jugendkultur in Schwarz, Schneider Verlag 200, Seite 75[]
  2. Michael Sommer und Thomas Wind: Die Hüllen des Ich – Weinheim und Basel 1988[]
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orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 12 Jahre

Oha… ja ich erinnere mich. In meinem Kopf formen sich Schreckensbilder von Vanilla Hosen, Schulterpolstern, Pastellfarben und grauenvollen Mustern. Ob das damals der Grund für „Schwarz“ war, weiß ich nicht. Aber die Theorie klingt schlüssig.

Ich erinnere mich daran, dass ich die schwarzen Klamotten immer edler und stilvoller fand. Meine persönliche Vorstellung von Ästhetik eben. Außerdem haben die „coolen“ Leute schwarz getragen und nicht Mode-Bunt. Viel mehr Hirn als in letzterer Aussage steckte damals hinter dem Dresscode wohl leider nicht. :-)

tobikult
tobikult(@tobikult)
Vor 12 Jahre

Ich wollte unbedingt ein Netzhemd und Adidas-Allstar! Aber das war bei meinen Erzeugern lange nicht durchzusetzen.

Karnstein
Karnstein(@karnstein)
Vor 12 Jahre

Das früheste Outfit an das ich als Jahrgang 1982 mich erinnern kann, dass selbst gewählt und wohl durchaus nicht GÄNZLICH unmodisch war, waren eine Karottenjeans mit Cowboystiefeln, auf dem Kopf trug ich Vokuhila…
Ich wäre also wohl ein Manta-Fahrer-Clichee gewesen, wenn ich nicht erst in der Grundschule rumgehüpft wäre. Gab’s um 1990 eigentlich schon Manta-Witze? :)

Solitaire
Solitaire (@guest_15268)
Vor 12 Jahre

Also laut Wikipedia gab es 1990 schon das Lied „Manta“ von der Gruppe „Norbert und die Feiglinge“.

Und der Spiegel hat eine Verschwörungstheorie laut der Prosche in den Achtzigern Karl Dall für das Erzählen von Mantawitzen bezahlte!

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