Musikperlen – Das ist eine Lüge mit 625 Zeilen (Tauchgang #28)

Die längst überfällige 28. Ausgabe des Musikperlentauchers widme ich der Schweiz, die seit den Anfängen der Szene ein musikalisches Nischendasein fristet und meist im Schatten des restlichen europäischen Kontinents steht.  Durch eine E-Mail aus dem Hause mital-U, einem unabhängigen Platten-Label aus der Schweiz, wurde ich zu einem Tauchgang in einen kalten und tiefschwarzen Bergsee eingeladen. Erstaunliches und skurriles, was da zu Tage gefördert wurde! Genug Gründe um daraus einen Tauchgang zu machen, den man vergisst viel zu schnell, was man an Gutem aus der Schweiz bekommen hat, oder, wie man in der Schweiz sagt: „Z’Gfräsna – z’Vergäsna“.

The Vyllies – Whispers in the Shadow

Der Name der Band ist eine Ableitung von ‚Víly‘, weibliche Naturgeister aus der slawischen Mythologie. In den slawischen Volkserzählungen handelt es sich dabei um junge Frauen, die vor ihrer Hochzeit gestorben sind. Von Lebenslust getrieben, verlassen sie nachts ihre Gräber, um an Wegkreuzungen zu tanzen. Sollten sie dabei eines Lebenden habhaft werden, so tanzen sie so lange und wild mit ihm, bis dieser tot umfällt.1 Universität Lausanne, 1983. Ilona Prism, Ursula Nun, Manue Moan entschließen sich, ihr Studium zugunsten einer musikalischen Karriere an den Nagel zu hängen und gründen „The Vyllies“. Es folgen EPs und letztendlich 3 Alben, die einige Achtungserfolge auch außerhalb der Schweiz erzielen konnten. Trotz einer sehr erfolgreichen Europa Tournee 1987 trennten sich die Wege der drei Frauen im Laufe des Jahres 1988.

Mittageisen – Automaten

Der Name der Band beruht auf einer gleichnamigen Fotomontage des Künstlers John Heartfield aus dem Jahre 1934, dessen Arbeiten sich häufig gegen das nationalsozialistische Deutschland richteten. Von Bruno W, der heute das Plattenlabel mital-U betreibt und mit die E-Mail schrieb, gründete Mittageisen nach verschiedenen Punk-Aktivität 1981. Durch ihren Darkwave, der vor allem durch die „expressiven“ Texte glänzte, hagelte es es positiven Kritiken. Nach einem turbulenten Musiker-Karussell veröffentlichte die Band das erfolgreiche Stück „Automaten“, durch das die Band sich in zahlreiche Playlists europäischer DJs gespielt wurde. 1994 veredelte man seinen eigenen Erfolg Posthum (die Band löste sich 1986 wieder auf) mit einem Musikvideo.

Grauzone – Film 2

Bekannt und verkannt durch das Stück „Eisbär“ wurden Grauzone oftmals in einem Kontext genannt, der ihrer Musik nicht gerecht wurde. 1980 von Martin Eicher und Marco Repetto gegründet. Ihr 1981 erschienenes Album „Grauzone“ ist bis heute eine der prägendsten Eindrücke der Band geblieben, denn bereits 1982 löste sich Grauzone nach nicht einmal zehn Konzerten, vier Singles und einem Album wieder auf. Das einzige offizielle Musikvideo zu dem Stück „Film 2“ entstand 1982 durch Martin und Stephan Eicher, kurz nachdem Marco Repetto ausgestiegen war. Damals unbeachtet, heute ein Stückchen Kult aus der Schweiz.

Einzelnachweise

  1. Auszug aus der Bandbeschreibung zu „The Vyllies“, die auf mital-u veröffentlicht wurde.[]
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Axel
Axel (@guest_47246)
Vor 11 Jahre

Hach, die Vyllies! <3

Ich hatte mal versucht vor einiger Zeit die drei Damen ausfindig zu machen – für nen Interview der Marke "Was machste eigentlich heute so?", weil ich die alten Alben richtig gut fande und es interessant wäre, was aus denen so geworden ist. Leider ohne Erfolg, aber vielleicht wird es ja irgendwann noch was. Gibt ja immer witzige Zufälle…

Death Disco
Death Disco (@guest_47250)
Vor 11 Jahre

Ja, Schweiz und Österreich waren irgendwie nicht ganz so fruchtbar wie Germoney. Mal ehrlich: wieviele ’80s Wave-Bands aus Österreich kennt ihr? Genau! ;-)

Ich hatte mal eine Liste mit Schweizer Gruppen, von Grauzone bis Vyllies (die Anfänge), von Séance bis Carlos Perón (der Yello-Typ fabrizierte mal knallhartes EBM-Geschredder), von Red Rain Coat bis Nuit d’Octobre (auch die Schweiz kannte Cold Wave), von Spartak bis Panic on the Titanic. Muss die bei Gelegenheit mal raussuchen…

Edit: Ich habe noch diese eigenartige 7-Zoller im Schrank stehen. Sicher eher was für Fans der Young Gods oder Swamp Terrorists. Sollte man aber vielleicht mal am Rande erwähnen.

Axel
Axel (@guest_47252)
Vor 11 Jahre

Auch heute sieht es ja in der Schweiz eher mau aus. Spontan würden mir nur einfallen:
http://www.celldivision.ch/
http://www.dividingline.ch/

Dabei sind Cell Division meiner Ansicht nach gleich einer der besten und kreativsten Dark-Rock-Bands.

Death Disco
Death Disco (@guest_47253)
Vor 11 Jahre

Nicht die beste Qualität. Aber passend zum Thema: Blue China. Ließe sich gut mit The Cure vergleichen.

Axel
Axel (@guest_47254)
Vor 11 Jahre

C’Mon, Death: Cell Division sind ja wohl großartig, verglichen mit dem was heutzutage unter „Dark Rock“ verkauft wird…

Death Disco
Death Disco (@guest_47258)
Vor 11 Jahre

Wenn Du vom Debüt „Dissolve“ redest, dann mag ich noch zustimmen. Das Teil hat ja auch ’nen deutlichen Gothic-/Death-Rock-Einschlag. Danach ging es immer mehr in Richtung Pop-Rock.

Mit Dark Rock à la HIM hat das aber alles irgendwie gar nichts zu tun. Ich meine sogar, dass die vielmehr ’nen Blues-Einfluss haben.

shan_dark
shan_dark (@guest_47261)
Vor 11 Jahre

The Vyllies ist echt ein guter Tipp – extravagant, gute Stimme, Video prima und mystische Story zum Bandnamen. Was will man mehr? Danke fürs Ausbuddeln.

Film 2 ist natürlich BEST und Kult.

@Death Disco: Tatsächlich sind Yello, Carlos Peron und The Young Gods wohl mit die bekanntesten und genialsten Schweizer Bands. Freu mich schon auf TYG dieses Jahr beim BIMFEST in Belgien. Haben immer noch eine sehr gute Show (zuletzt gesehen beim Sinners Day 2011). Ach ja, und die frühen Samael mochte ich auch.

Death Disco
Death Disco (@guest_47262)
Vor 11 Jahre

Ich hatte mich mit keiner Silbe gegen Blues ausgesprochen. Und dass Gitane Demone Blues-Musik wie Sauerstoff inhaliert, ist ja nun kein Geheimnis. Nur „gotisch“ würde ich den Song ganz sicher nicht nennen. Der hat doch eher etwas kabarett-mäßiges an sich, oder inwiefern hat ein Spinett/Cembalo etwas mit Gothic gemein?

Cell Division klingen für mich deshalb uninteressant, weil sie, wie zig-tausend andere Bands, den Standard-Rock-Weg wählen. Trotz diverser „Fremdeinflüsse“ klingen die späteren Sachen einfach uninteressant für mich. Der Goth-Sound machte sie zwar auch nicht wirklich interessanter, aber diesen Sound ist man eben gewohnt und nimmt ihn viel eher an als das Standard-Geschrammel mit Popcharakter.

Denn nichts ist schlimmer, als wenn eine Band stehen bleibt und sich ständig wiederholt.

Das mag richtig sein. Und ich muss auch gerade tierisch grinsen, weil ich mir vor ’ner knappen Woche drei Enya-Alben am Stück anhörte und permanent dachte, es wäre ein und dieselbe Platte. Ich will ja nicht behaupten, dass die Ex-Clannad-Chanteuse nur Mist abliefert, da sind gute Sachen wie Athair Ar Neamh (mein momentaner Favorit), Lothlórien oder Caribbean Blue dabei… Aber so offenkundig ist mir Selbstkopie eben noch nicht untergekommen.

Wie auch immer, der Weg aus dieser Misere geht meistens in die Hose, weil sich die Bands oft auf Pfade begeben, auf denen sie sich nicht wirklich auskennen oder die mehr und mehr in Richtung Popmusik tendieren. Dann kommt eben nur halbgares Zeug dabei heraus, dass es Jahre zuvor schon x-mal besser gab. Crossover auf Teufel komm raus? Nein danke.

Bestes Beispiel ist Project Pitchfork und deren peinlicher Versuch, in den 90ern Funk-/Breakbeats, also Sachen wie Big Beat oder Drum & Bass, zu integrieren. Wird bei Pitchfork immer scheiße klingen, weil sie keine Erfahrung auf dem Gebiet haben. Ein britischer Drum-&-Bass- oder Trip-Hop-Tüftler hingegen versteht sein Handwerk, weiß Rhythmik und Jazz-Elemente zu verknüpfen, ohne dass es störend wirkt. Aber das alles gab es zig Jahre zuvor schon. Und jeder Versuch einer jüngeren Band, diesen Weg einzuschlagen, um „innovativ“ zu wirken, ist zum Scheitern verurteilt. Die alte Hörerschaft will’s nicht hören. Und die Hörerschaft des neu integrierten Stils braucht das Zeug nicht, weil der Markt damit bereits seit Ewigkeiten überflutet ist und sich Zugpferde wie Prodigy, Photek oder Omni Trio etabliert haben, die das nun mal besser können. Kein Mensch vermisst halbgare Mixturen.

Axel
Axel (@guest_47266)
Vor 11 Jahre

Popmusik muss persé ja auch nicht unbedingt schlecht sein. Der begriff heißt ja nur, dass es sich um populäre Musik handelt. Demzufolgen waren beispielsweise auch die Vyllies Popmusik (immerhin liefen die im Radio und im TV!).

Aber ich weiß natürlich was Du meinst. Da ist Enya sogar noch eine von den guten. Hör dir mal Schandmaul, In Extremo und wie der ganze Kram sich nennt an. Jeder Platte klingt absolut gleich. Keine Überraschungen – nix, niente, nada. Da klingt auch jeder Song absolut gleich. Enya hat ja gelegentlich dahingehend noch etwas Abwechslung zu bieten. Wobei natürlich ihre VÖs nie an alte Clannad-Zeiten ankommen mögen, das ist klar.

Aber hör Dir mal sowas wie Kilimanjaro Darkjazz Ensemble an: http://www.youtube.com/watch?v=g77zujZVnuU

Diese Mischung aus Ambient, Trip Hop und Jazz Elementen finde ich durchaus innovativ. Ist quasi eine Weiterentwicklung von dem was der legendäre John Zorn seit den 90ern zelebriert: http://www.youtube.com/watch?v=dF5tidRij1g

Diese innovativen Spielereien mit den verschiedensten Genres finde ich saumäßig spannend. Natürlich muss man dann von den Genres selbst auch Ahnung haben. Beispielsweise geht mir das vollkommen auf den Senkel, dass jede 2. Drittklassige Metalkapelle meint „wir integrieren mal Klassik, weil’s cool ist“ – das klingt IMMER wie eine miese Nightwish Kopie. Bisher kenne ich nur eine einzige Band, die es wirklich geschafft hat Metal und Klassik zu verbinden, dass es gut ist. Das sind Molllust. Einfach weil deren Bandmitglieder einmal aus dem metal, aber eben auch aus der Klassik kommen. Und das merkt man sehr deutlich.

Ich finde es halt derzeit schade, dass viele Bans wirklich nur noch au Nummer Sicher gehen. Dass die Hörer scheinbar auch nicht sonderlich offen für Experimente sind. Und genau das ist derzeit in der schwarzen Szene extrem. Naja, was heißt derzeit. Eigentlich seit 13 Jahren ist das nun schon so. Und da muss man sich ja nicht wundern, dass „die Szene“ nur noch ein hellschwarzes Konglomerat aus wahlweise Einfallslosigkeit, den immergleichen Themen oder sexueller Fäkalsprache (so auf drittklassigen Hip Hop Niveau) darstellt.
Und deswegen finde ich ja beispielsweise Cell Division so erfrischend. Auch wenn es zugegeben schon recht mainstreamiger Pop-Rock ist. Aber hey, ich wurde musikalisch mit Bon Jovi, Guns ’n‘ Roses, Scorpions, Roxette, R.E.M. und solche Geschichten sozialisiert – was willste erwarten ;-) :D Mir ist guter Pop-Rock mit vielen verschiedenen Einflüssen – dafür aber auch erkennbare Spielfreude – lieber, als 80% dessen was ich sonst so überall höre(n muss).

Achja, zum Thema schweizer Band: Krokus Rules!
(Ja ja, da lacht mein altes Glam Metal Herz :D – Zumindestens im Hard Rock und Metalbereich ist die Schweiz recht gut dabei. Immerhin…)

Karnstein
Karnstein(@karnstein)
Vor 11 Jahre

Grauzone ist und bleibt eine meiner absoluten Lieblingsbands! Schräger kann New Wave kaum sein.
Und auch „Automaten“ lief bei mir schon häufig – andere Songs von Mittageisen konnten es mir bislang aber nicht wirklich antun… Von den Vyllies hatte ich vorher noch nie was gehört, gefällt mir aber auch – ziemlich gothic.

Eine andere schweizer Band, die mir noch im Gehörgang geblieben ist kenne ich von dem „Swiss Wave“-Sampler durch den auch Grauzone bekannt wurden (und den ich voller Stolz auf Vinyl besitze) – und zwar „Liliput“ (später „Kleenex“). Ob das noch Punk ist oder schon Wave muss wohl jeder selbst entscheiden – mir gefällt’s:

Ian von Nierenstein
Ian von Nierenstein (@guest_47301)
Vor 11 Jahre

Auch wenn sie heute überall spielen und schier omnipräsent sind: Ich mag The Beauty Of Gemina. Für mich eine der wenigen Bands, die auch von der „offiziellen“ Szene gehört werden und noch tatsächlich Goth-Elemente in der Musik haben. Im Übrigen auch eine schweizer Band.

Saturin
Saturin (@guest_47361)
Vor 11 Jahre

Beauty of Gemina wollte ich auch grad als aktuelle Schweizer Band nennen. Die finde ich totz ihrer Omnipräsenz gar nicht so schlecht. Und die lassen ironischerweise gerade den Blues in ihre Musik hinein. Das aktuelle Album heißt „Iscariot Blues“ – ich weiß nur nicht, wie es klingt.
Letztes Jahr hatten die Diary of Dreams auf ihrer Akustik-Tour supportet, und spielten etwas, was der Sänger als „spooky Texas-Blues“ oder so ähnlich ankündigte – und es war in der Tat ein sehr staubiger Mix aus Goth, Blues und (ja!) Country. Leider mochte ich es nicht so sehr – typisch konservativer Gote ;)

NorthernNephilim
NorthernNephilim (@guest_47403)
Vor 11 Jahre

mir persönlich gefällt das neue Material auf Iscariot Blues ganz gut, auf die letzten beiden Gigs wo Songs von den neuen Album schon mit bei waren die fand ich recht gut. Das ganez alte Material ist mir stellenweise zu elektronisch …

robertianjim
robertianjim (@guest_48010)
Vor 11 Jahre

Was mir bei der Schweiz immer einfällt – neben den natürlich sehr wichtigen Yello, Grauzone (+Stephan Eicher) und den Vyllies ist dieses schicke One Hit Wonder Touch El Arab – muhammar. Unglaublich erfrischender, tanzbarer New Wave, den man gut in einer Minimal-Runde spielen kann (danke an dieser Stelle an die Shockwave Jungs, denen ich die Entdeckung verdanke ;) )

Axel
Axel (@guest_48019)
Vor 11 Jahre

Ganz frisch: ein Interview mit Manue Moan von The Vyllies. Juhu! Hat endlich geklappt! :-)

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