Arbeitsgruppe Lobotomie: Nachjustierung meines Blickwinkels und eine legendäre Liveshow

Über die Münchener Band „Arbeitsgruppe Lobotomie“ habe ich bereits im Jahr 2021
einen Artikel verfasst, und die mir damals gänzlich unbekannte Truppe sehr eindeutig nach meinen persönlichen Maßstäben als aktives Mitglied der schwarzen Szene bewertet. Sehr eindeutig deshalb, da meine Ansichten niemals neutral und objektiv waren und sind, ganz im Gegenteil. Ich vertrete eine Haltung, die im Jahr 2023 innerhalb unserer Subkultur nicht allzu weitverbreitet zu sein scheint, nämlich die kompromisslose Abgrenzung nach Rechtsaußen.

Für mich ist der Mythos des „unpolitischen Gruftis“ spätestens seit den Corona-Jahren hinfällig, unzählige Statements verschiedener namhafter Künstler (wie zum Beispiel von Dero Goi (ehemals Oomph!), Steve Naghavi (And One) und vieler anderer Schwurbelköpfe) kann man nur noch durch aktives Wegschauen oder hirnlosen Konsum ignorieren.

Was hat mich überhaupt zu einer weiteren Betrachtung der Arbeitsgruppe Lobotomie geführt?

Schon vor Längerem habe ich eher zufällig den Frontmann der Band, Bakunin Eisner, persönlich kennengelernt, und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass die Sympathie hier nicht instant da war. Zudem war ihm bei den Ersten unserer Begegnungen nicht sofort klar, dass ich der Verfasser eines Artikels auf Spontis über seine Band war, was mich in die komfortable Lage versetzte, ihm ganz grundsätzlich mal etwas auf den Zahn zu fühlen bezüglich seiner Band, den weiteren Plänen, seiner eigenen Einstellung gegenüber verschiedenster Entwicklungen sowohl innerhalb der Szene als auch generell in der Gesellschaft.

Es stellte sich dabei als positiv heraus, dass sowohl Bakunin als auch die anderen Bandmitglieder weiter vom politisch rechten Spektrum entfernt sind als Nachtmahr von guter Musik, und dass die Arbeitsgruppe Lobotomie innerhalb kürzester Zeit eine aus meiner Sicht bemerkenswerte Weiterentwicklung durchlaufen hat.

Ganz generell kann ich feststellen, dass die optische Aufmachung ihrer digitalen Präsenz immer noch voll umfassend in einem Sepia-Farbton gehalten ist, das muss man nicht mögen, aber so präsentiert die Band sich in einem einheitlichen Image, das mittlerweile auch nicht mehr von Uniformen geprägt ist. Des Weiteren wurden auf ihrem Youtubekanal knapp 30 Videos veröffentlicht, 6 davon sind Videoauskoppelungen aus ihrem aktuellen Album „Unerhört“, und hier steige ich etwas tiefer ein.

Ich wurde in den letzten Jahren (und werde es vermutlich auch nie) kein Freund der „neuen deutschen Härte“ und den sämtlichen daraus abgeleiteten Spielarten dieses Genres, aber eines kann ich ganz klipp und klar beim bloßen Anhören der Songs aus den 6 neueren Videos feststellen:

Die musikalische Qualität hat hier mehrere Sprünge nach vorn gemacht und bewegt sich mittlerweile auf einem wirklich gut produzierten Niveau, von „mittelmäßig“ gibt es hier kein Fünkchen mehr zu hören. Die Instrumentalisierung klingt wie aus einem Guss, die Gitarren klar und knackig, der Gesang sowohl von Bakunin Eisner als auch von Luna Tick fügen sich perfekt in das musikalische Gesamtbild ein. Und auch textlich bemerke ich eine Entwicklung weg von allzu zweideutigen Versen, hin zu intelligenter, klar verständlicher und berechtigter Gesellschaftskritik.

Den größten Pluspunkt kann die Arbeitsgruppe Lobotomie bei der visuellen Umsetzung ihrer neueren Werke verbuchen. Die Videos sind durchgängig
hochwertig, abgedreht und gut anzusehen, stecken teilweise voller absurder (aber nie peinlicher) Ideen und werden auch nicht langweilig, die Band hat in jedem Clip sehr viel Liebe ins Detail gesteckt. Mein persönliches Highlight ist eine Sequenz aus „lebendiges Ersatzteillager“, in der der Frontmann gewaltsam zu einer Art Schlachtbank geführt wird und währenddessen ein Madonna-Shirt trägt, wie geil ist das bitte?!

Abseits der offiziellen Veröffentlichungen war ich als fleißiger Konzertbesucher natürlich sehr auf eine Liveshow der Band gespannt und dazu wurde ich auch eingeladen. Im Vorfeld war mir klar, dass die Band hier die größte Hürde nehmen muss und ich es auch ehrlich hier berichten würde, sollte das Konzert ein Reinfall werden. Da bisher keine Liveaufnahmen existieren, wusste ich null, was mich erwartet, dementsprechend groß war die Neugierde. Und was soll ich sagen: Der Liveauftritt der Arbeitsgruppe Lobotomie in München war, mit einem Wort beschrieben – OUTSTANDING.

Vielleicht fragt sich hier ein Leser, der auch meinen ersten Artikel kennt, ob ich wohl bezahlt wurde, oder an meiner eigenen Lobhudelei ersticke, aber beides ist nicht der Fall. Ohne jede Übertreibung und nach bestem Wissen und Gewissen kann ich sagen, ich habe selten so eine dermaßen geniale Liveshow gesehen und erlebt. Was hier geboten wurde, lässt sich eigentlich kaum wiedergeben. Die Band trat live zu viert auf, mit einem Gitarristen, einem Sänger und einer Sängerin, und einer Tänzerin, die das gesamte Set quasi begleitet. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Bakunin Eisner als Frontmann vor jedem Song in sekundenschnelle das Outfit gewechselt, es gab choreografierte Tanzeinlagen, schwarze Luftballons mit einer Message, und einen „Nazi-Offizier“ in Männer-Reizunterwäsche. Die Jungs und Mädels könnten das eigentlich nur noch toppen, indem sie direkt den Saal in die Luft sprengen, das war wirklich ganz großes Kino, professionell vorgetragen und absolut mitreißend.

In diesem Sinne schaut euch das selber an und lasst euch überraschen!

Nachjustierung des eigenen Blickwinkels

Manchmal wird man eben überrascht, wenn man nicht blind und taub, im Tunnelblick, auf der ewig gleichen Schiene fährt. Dinge ändern sich, Menschen ändern sich, Zeiten ändern sich, alles ist im Wandel. Gerade im Internet werden teils jahrzehntealte Vorwürfe gegen namhafte schwarze Bands reproduziert, die 20 Jahre später einfach lächerlich wirken. Ein Künstler, der in den 90ern in einem Interview für ein XY-Untergrund-Fanzine mal etwas politisch unkorrektes gesagt hat, vielleicht mal eine grenzüberschreitende Bühnenshow, oder Lyrics, Artworks, etc. ablieferte, möglicherweise „aus jugendlichem Leichtsinn“ oder plumper Provokation, darf heute nicht mehr darauf reduziert werden.

Andersherum dagegen verhält es sich ganz ähnlich, wir alle sollten Künstler und Bands, die HEUTE, JETZT, gezielt und in vollem Bewusstsein Lügen und Fakes verbreiten, die hetzen (wogegen auch immer), die irgendeinen pseudospirituellen Müll von sich geben, ganz genau dafür kritisieren. Ein „Starstatus“ darf in der schwarzen Szene kein Freibrief für Fischen im braunen Gewässer sein, auch wenn es mit einem schwarzen Mäntelchen getarnt ist.

Ich halte meinen ersten Artikel zur Arbeitsgruppe Lobotomie genauso für richtig wie meinen jetzigen, die Dinge liegen heute eben anders, und es ist keine Schande seine eigene Meinung zu reflektieren und zu revidieren, und das passende Schlusswort klaue ich hier mal bei einer ehemals sehr populären und kontroversen Gruppe:

Use your brain and think about it

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Agatha
Agatha (@guest_63992)
Vor 8 Monate

Wir waren auch zum Konzert.
Es war nicht das Erste, aber das Beste. Auch hier kann man sagen, dass die Band sich ständig entwickelt. Ich würde mal sagen, um sich ein Bild von etwas zu machen, sollte man immer genau hinschauen. Und hier macht das Spaß.

Werter Nachbar
Werter Nachbar (@guest_63996)
Antwort an  Agatha
Vor 8 Monate

Ich habe die Band auch etwas verfolgt. Ich fand den Sound seit dem 2. Album richtig klasse, war aber auch etwas skeptisch zu der Optik der Formation eingestellt. Ich finde es super, dass die den Zeitgeist erkannt haben und ihre Symbolik zu dem hin angepasst haben, was eher das trifft, was sie scheinbar erreichen und ausdrücken wollen. Ich werde mir sie auf jeden Fall auch live ansehen, um mir selber ein Bild zu machen.

Martin
Martin (@guest_64005)
Vor 8 Monate

Das Konzert in München war wirklich atemberaubend! Ich habe bisher keine Musik aus dem Genre gehört bin aber über Bekannte überzeugt worden zum Konzert zu gehen, da Sie meinten die Show ist ein Spektakel was man gesehen haben muss.
Ich würde tatsächlich nicht nur positiv überrascht sondern positiv überrumpelt.

Die Power von Bakunin, die Stimme von Luna und der Charme von Marcus, wirklich großes Kino!
Und dann war da auch noch die professionelle Regina Ballerina die noch einen draufgesetzt hat mit ihrer tänzerischen Untermauerung.
Abgerundet wurden die sozialkritischen teils mit einem Auge zwinkernden Texte durch einen mega Sound und eine sehr aufwendige Bühnenshow.

Bin gespannt was da noch alles kommt!
Ich bin ab jetzt offiziell Fan der AGL!

Martin N.
Martin N. (@guest_64025)
Antwort an  Martin
Vor 7 Monate

Kurze Anmerkung aufgrund einer gewissen Namensähnlichkeit:
Martin != Martin N.
kwt

Robert
Robert(@robert-forst)
Admin
Antwort an  Martin N.
Vor 7 Monate

Ich empfehle: https://www.spontis.de/mitglieder/registrierung/ und Profil mit Avatar anlegen. Völlig kostenlos und werbefrei :-)

Durante
Durante(@durante)
Vor 8 Monate

Ich erinnere mich noch an deinen früheren Artikel (den ich damals gelungen fand), darum: Respekt. Ich finde man sollte grundsätzlich erstmal immer bereit seine Ansichten ggf. zu ändern/korrigieren (WENN es denn einen guten Grund dazu gibt natürlich!). Die meisten Menschen können/wollen das ja partout nicht, unabhängig von sämtlichen Umständen…

Die Musik der Band ist immer noch nicht meins (und wird es wohl nie werden), aber das ist ja Geschmackssache – Die Truppe scheint aber unabhängig davon im Moment jedenfalls nicht unsympathisch zu sein.

Es stellte sich dabei als positiv heraus, dass sowohl Bakunin als auch die anderen Bandmitglieder weiter vom politisch rechten Spektrum entfernt sind als Nachtmahr von guter Musik

Made my day… XD Danke für diesen köstlichen Satz!

Robert
Robert(@robert-forst)
Admin
Antwort an  Durante
Vor 7 Monate

Ja, das sehe ich ganz genauso, deswegen bin ich auch Sevens Wunsch, den Artikel zu veröffentlichen, nachgekommen. Gerade bei statischen Inhalten (wie diese hier im Blog) sollte man gelegentlich die Fakten prüfen.

Dom
Dom (@guest_64358)
Vor 5 Monate

Dein Beitrag zeigt treffend, wie wichtig es ist, unseren Blickwinkel anzupassen und die Vergangenheit nicht starr zu bewerten. Kritik sollte sich auf aktuelle Handlungen konzentrieren, nicht auf vergangene Fehler. Deine Selbstreflexion ist lobenswert und erinnert daran, dass wir alle wachsen und lernen können. „Use your brain and think about it“ – ein passendes Schlusswort.

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