„Die in der Hecke sitzt“: Saskia Stöhr über neue Wege der Spiritualität

Eigentlich hatte ich damals vor, Saskia Stöhrs Crowdfunding-Kampagne für ihr geplantes Fotobuch „Die in der Hecke sitzt“, das von neuzeitliche Hexen handelt, vorzustellen. Doch wie das manchmal so ist, kam etwas dazwischen – und ich habe den richtigen Moment verpasst und die Kampagne war (erfolgreich) beendet. Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich stattdessen die Gelegenheit hatte, mit Saskia selbst über ihr Projekt zu sprechen, um vielleicht so einen Fokus auf dieses spannende Thema zu lenken.

Das Thema „Hexen“ fasziniert mich schon lange. In der Vergangenheit habe ich mich immer wieder mit den historischen Hexenverfolgungen beschäftigt, doch das, was heute unter dem Begriff „Hexe“ verstanden wird, ist etwas völlig anderes. Saskias fotografische Annäherung an Frauen, die sich bewusst als Hexen bezeichnen, war für mich Anlass, meine eigene Skepsis gegenüber diesen modernen Beweggründen zu hinterfragen.

Im Interview erzählt Saskia, wie es zu ihrem Projekt kam, wie sie die porträtierten Frauen gefunden hat – und was sie selbst an der heutigen Hexenspiritualität so sehr fasziniert. Ein Einblick in eine Welt zwischen Naturverbundenheit, Selbstbestimmung und spiritueller Praxis, der neugierig macht – und überrascht.

Die in der Hecke sitzt - Cover

Spontis: Wie kommt man eigentlich darauf, ein Fotobuch über neuzeitliche Hexen zu machen?

Saskia: Im privaten Umfeld kam ich vor einigen Jahren das erste mal mit alternativen spirituellen Strömungen in Berührung. Mich hat direkt interessiert, wie Spiritualität abseits der monotheistischen Weltreligionen aussehen kann – woran die Menschen glauben und wie sie dies konkret praktizieren. Also begann ich Literatur über Naturreligionen, Heidentum,
Nordische Mythologie und auch Hexentum zu lesen, Veranstaltungen zu besuchen und
mich weiterzubilden. Die Idee, konkrete Lebensrealitäten und Glaubenswelten von Hexen
zu dokumentieren und fotografisch zu erarbeiten, reifte immer weiter. Ich entschied mich
dafür, das Projekt als Bachelor-Abschlussarbeit anzugehen.

Spontis: Wie hast du die Hexen, die du in deinem Buch vorstellst, eigentlich kennengelernt?

Saskia: Ich habe aktiv durch verschiedene Zugänge nach Protagonistinnen gesucht, die sich als Hexen identifizieren. Über Instagram und die Suche mittels Hashtags habe ich nach
Accounts gesucht, die sich dem Thema widmen und dort Kontakt aufgebaut. Auf der anderen Seite habe ich direkt Autorinnen gesucht, die zum Hexentum publizieren. Eine der Protagonistinnen ist Gründerin eines Hexenzirkels in Berlin, wo ich ebenfalls weitere Frauen kennenlernen und Kontakte knüpfen durfte. Am Ende habe ich mit fünf Frauen zusammen gearbeitet, die möglichst verschiedenen Aspekte des Hexentums in ihrem Alltag ausleben und so einen Einblick in die Vielfalt der spirituellen Vorstellungen und Praxis geben konnten.

Neuzeitliche Hexen

Wie unterscheiden sich nach deinen gemachten Erfahrungen neuzeitliche Hexen vom historisch geprägten Bild?

Saskia: Das historisch geprägte Bild der Hexe ist tief in dem kollektiven Gedächtnis der Menschen Europas verankert. Durch die historischen Hexenverfolgungen, und später auch durch Märchen und Mythen, prägte sich das Bild der bösen, alten Hexen. Sie wandelten als Giftmischerinnen, Seuchen- und Krankheiten bringende Frauen durch die Dörfer und trieben ihr Unheil. Dieses Bild wurde durch verschiedene Aspekte stark geprägt: mit dem Aufstieg des Christentums wurden heidnische Bräuche, Naturglauben und weibliche Magie verteufelt und abgelehnt, während durch das Patriarchat eine Frauenfeindlichkeit reifte, die selbstbestimmte, unabhängige Frauen als Bedrohung wahrnahmen, die es systematisch zu kontrollieren und unterdrücken galt.

Erst die Aufklärung brachte eine allmähliche Abkehr von diesen Vorstellungen. Heutzutage haben Frauen immer noch nicht die gleichen Rechte wie Männer, dennoch hat sich das Gesellschaftsbild doch stark gewandelt. Aspekte, die damals verpönt waren, sind heute akzeptierter. Zum Beispiel Kinderlosigkeit, sexuelle Selbstbestimmtheit, Religionslosigkeit bzw. die christliche Religion abzulehnen, Heilwissen oder auch einfach laut und präsent zu sein. Literatur und Filme haben ebenfalls dazu beigetragen, das Bild der Hexe zu wandeln.

Durch Bücher wie Harry Potter zum Beispiel wird gezeigt, dass Hexen mit ihrer Magie auch Gutes bewirken können. Die Hexen damals wurden von Außenstehenden als solche beschimpft, verurteilt und getötet. Heute eigenen sich Frauen diesen Begriff bewusst wieder an, um für ihre Selbstbestimmung und Rechte einzustehen, sich zu den Werten und Vorstellungen des Hexentums zu bekennen und das Schicksal der Hexen von damals nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn auch heute noch sind Frauen in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft nicht überall sicher oder gleichberechtigt.

Spontis: Wie würdest du die Beweggründe beschreiben, die die Frauen veranlasst haben, Hexen zu werden?

Saskia: Das sind tatsächlich recht unterschiedliche Beweggründe, zumindest bei den Frauen, die ich kennenlernen durfte. Viele verspürten schon immer eine starke Verbindung zur Natur, welches im Hexentum – und auch anderen Naturreligionen – eine große Rolle spielt. Ihnen liegt oft der Animismus zugrunde, also die Welt und alle Lebewesen als beseelt wahrzunehmen. Andere wiederum haben durch einschneidende Lebensereignisse zum Hexentum gefunden, um sich wieder mit sich selbst zu verbinden oder in der Natur einen Raum der Heilung zu finden. Wieder andere hatten in der Jugend ein großes Interesse an Fantasy, Science-Fiction, Harry Potter usw. und kamen dadurch zur magischen Spiritualität. Eine der Protagonistinnen aus meinem Buch beschrieb es so, dass sie die Welt und ihr Umfeld so empfindet, als würde ein Grauschleier über allem liegen und das Hexentum, das sie praktiziert, sei wie ein Lappen, der den Grauschleier fort wischt und sie
wieder die Magie in allen Dingen erkennen lässt.

Spontis: Warum sind es deine Meinung nach hauptsächlich Frauen, die sich für dieses Thema interessieren?

Ich denke, dass es mit den historischen Ereignissen der Hexenverfolgungen zusammenhängt. Bedauerlicherweise war es damals wie auch heutzutage nicht der Fall, dass Frauen die gleichen Rechte und Privilegien wie Männer besitzen und sie dafür kämpfen müssen. Damals wurden die Frauen, die nicht in das von der Gesellschaft geforderten Norm passten, die zu laut waren, sexuell selbstbestimmt waren oder Macht durch Wissen besaßen, verfolgt, bestraft und auch hingerichtet.

Heute haben wir mehr Möglichkeiten unsere Rechte laut und offen zu fordern, doch dies ist nicht in allen Regionen der Welt der Fall und auch hier müssen wir Frauen uns immer noch vor Gewalt und Übergriffen fürchten. Ich denke, dass hauptsächlich Frauen den Weg der Hexe gehen, um ein selbstbestimmtes Leben im Einklang mit sich selbst zu führen und sich die Macht des Begriffes der Hexe zurückzuholen. Das Hexentum hat etwas Feministisches, etwas Wildes und Befreiendes, das sich sittlichen Vorstellungen, wie eine Frau zu sein hat, entzieht.

Neuzeitliche Hexen

Spontis: Was hat dich Rückblickend an der modernen Hexerei besonders fasziniert?

Saskia: Am meisten hat mich an der modernen Hexerei beeindruckt, dass sie so frei,
undogmatisch und selbstbestimmt ist. Es gibt keine Regeln, es gibt kein Richtig oder
Falsch – Hauptsache es tut dir gut und schadet niemandem. Die Praxis, sowie Rituale oder
das Feiern der Jahreskreisfeste werden bedürfnisorientiert ausgeübt und individuell
gestaltet, je nachdem was die Person oder die Gruppe eben grade wünschen oder
benötigen.

Spontis: Welche Pläne hast du für die Zukunft, welchen spannendem Thema oder welche dokumentierwürdige Motive würdest du gerne kennenlernen oder einfangen?

Saskia: Ich hoffe mit meiner Fotografie weiterhin in Hannover Fuß fassen zu können und nebenbei weitere, freie Projekte verwirklichen zu können. Spiritualität und Mystik sind Themenbereiche, die unfassbar viel umfassen und mich immerzu fasziniert haben. Gerne  würde ich weitere Bereiche dieser Themenfelder beleuchten und kennenlernen – wie zum Beispiel die magisch-düsteren Perchtenläufe in Österreich, aber auch lokale Folklore. Auf der anderen Seite beschäftige ich mich auch viel mit meiner Heimat Ostfriesland und plane die Traditionen und Bräuche zu dokumentieren oder auch die überaus unterschätze Tee-Kultur, die die Engländer locker in den Schatten stellt, zu thematisieren und erforschen.

Des Weiteren plane ich eine Kollaboration mit einem weiteren Fotografen zur visuellen Aufarbeitung prähistorischer Glaubensvorstellungen im Harz, die sich in der Landschaft in Form von Megalithgräbern oder Kultstätten verewigt haben.

Wer ist Saskia Stöhr und wo bekomme ich das Buch?

Saskia Stöhr ist Fotografin aus Leidenschaft – und das schon seit ihrer Jugend. Aufgewachsen in Ostfriesland, hielt sie mit zwölf Jahren zum ersten Mal eine Kamera in der Hand – und ließ sie seitdem nicht mehr los. Nach ihrer Ausbildung zur Portraitfotografin zog es sie nach Hannover, wo sie „Fotojournalismus & Dokumentarfotografie“ studierte.

Heute arbeitet sie freiberuflich in der Region und verbindet in ihren Projekten dokumentarisches Erzählen mit einem feinen Gespür für persönliche Geschichten. Ihre Bilder sind nah an den Menschen, sensibel, ehrlich – und oft tiefgründiger, als es der erste Blick vermuten lässt.

Das 144-seitige Buch ist beim Verlag Kettler erschienen und kostet dort 35€ (zzgl. Versand). Man kann es auch über Saskia Stöhrs Homepage bestellen und dort sogar zusätzlich die Videointerviews mit den Protagonistinnen bekommen.

Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.

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John Doe
John Doe(@arno-siess)
Vor 3 Stunden

Mit dem Thema „Hexen“ werde ich persönlich eher nicht so warm.
Ich glaube, dass ich ein zu rationaler Mensch für Esoterik und Spiritualität bin. 😉
Ich habe mich auch nicht vor Jahren von der Kirche abgewendet, nur um mir etwas Neues in dieser Richtung zu suchen.
Was natürlich nichts mit der Qualität oder Ästhetik der gezeigten Bilder zu tun hat, das ist ein Kapitel für sich…

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Antwort an  John Doe
Vor 2 Stunden

Das geht mir genauso, ich hatte nur noch etwas gezögert, ob und wie ich hier dazu was schreibe.
Ich bin sehr naturverbunden, aber ohne darin etwas Spitituelles, größeres zu sehen. An höhere Mächte/Wesen hab ich noch nie glauben können, für mich ist der Mensch allein für sein Leben verantwortlich und kann nicht durch Rituale oder ähnliches Einfluss darauf nehmen.

Was ich an „heidnischen“ Kulten jedoch schön finde, ist dass sehr achtsam mit der Natur umgegangen wird und der Bezug zu den Jahreszeiten viel bedeutet. Also das, was unsere Umgebung eigentlich ausmacht, wir aber durch Rückzug in Städte und klimatisierte Gebäude oft an Bodenhaftung weder verlieren. Also eine gewisse „Erdung“ stattfindet.

Letzte Bearbeitung Vor 2 Stunden von Tanzfledermaus
John Doe
John Doe(@arno-siess)
Antwort an  Tanzfledermaus
Vor 2 Stunden

Das macht Sinn… 😉

Maren
Maren(@maren)
Antwort an  Tanzfledermaus
Vor 47 Minuten

Soweit dass ich mein Leben (oder das anderer) durch das Praktizieren von Ritualen beeinflussen könnte will ich auch nicht gehen. Trotzdem finde ich, dass einem gewisse Orte in der Natur besondere Gefühle der Verbundenheit vermitteln können. Die Stimmung dort und das Gefühl ist ein anderes als außerhalb dieses Ortes. Man kann dort Ruhe finden, Energie tanken, seinen Kummer lindern… und denken! Irgendwie hat das für mich schon etwas Spirituelles, auch wenn das jetzt vielleicht albern klingt.

Maren
Maren(@maren)
Vor 1 Stunde

Hexen faszinieren mich ebenfalls schon sehr lange. Genau genommen seit meiner Kindheit. Und sie hatten von je her meine Sympathie, so dass mein Großvater für mich einen Reisigbesen gebunden hat, damit ich mit demselben durch die Nacht fliegen könnte… Im Studium erwarb ich dann einen meiner Scheine in einem Seminar: „Die Frau als als Hexe und Zauberin“. Dabei wurde auch das historische Hexenbild angesprochen, auch in Zusammenhang mit männlichem Neid auf die Frau als Heilerin. Saskias Buch über die neuzeitlichen Hexen wäre damals vermutlich der perfekte Baustein für diesen Kurs gewesen.
Auch moderne Hexerei ist ja im Film (absichtlich?!?) schon manchmal recht abstrus dargestellt worden. Dies wurde beispielsweise von der Wicca praktizierenden Patricia Kennealy (Jimmys Geliebte) unter anderem am Doorsfilm kritisiert.
Ich bin jedenfalls neugierig auf das Buch von Saskia, dass ich mir jetzt als Sommerlektüre bestellt habe. Vielen Dank für dieses tolle Interview, Robert!

Graphiel
Graphiel(@graphiel)
Vor 22 Minuten

Die einzige Variante von Hexenkunst, die mich je abholen konnte war die, welche Terry Pratchett in seinen Werken behandelte. Aber diese Art Hexerei die beispielsweise eine Esme Wetterwachs benutzte, basierte in großen Teilen auch weit mehr auf bewusst angewandter Psychologie, sowie Naturarznei gegen kleine Wehwechen, als auf sonderlich spirituellen Überzeugungen der Anwenderinnen.

Oder anders gesagt: Solange es keinen ernsthaften Schaden anrichtet und es den Beteiligten Personen gut tut, kann etwas „Hexerei“ sicherlich ganz gut und schön sein. Unterm Strich bin ich aber auch zu wenig empfänglich für sowas, sodass beispielsweise Flüche und andere Spielereien für mich weitgehend esoterischer Unfug bleiben werden, der mich komplett kalt lässt.

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