Herausstechen ist zu einer schwierigen Disziplin geworden. 2022 hat jede Band die Möglichkeit, sich selbst zu vermarkten. War es in den Vergangenheit scheinbar elitären Musikredaktionen vorbehalten, neue Bands und Musik zu verbreiten, kann das heute jeder selbst bewerkstelligen. Das ist toll, aber auch gleichzeitig unfassbar anstrengend. Cancel Culture, Political Correctness und Wokeness sind die neuen Tretminen der Selbstvermarktung und das Klebeband auf den Mündern kritischer Auseinandersetzungen. Wie also herausstechen, ohne jemanden oder irgendwas zu verletzen? Und wie will man auf sich aufmerksam machen, ohne jemanden oder irgendwas zu pieksen? Ich entziehe mich einer Beantwortung dieser Frage und versuche bei der Formel Goth authentisch zu bleiben. Erlaubt ist, was mich piekst :)
Twin Temple – Let’s Have A Satanic Orgy!
Bevor ich jetzt wieder eine Schublade suche, in die ich „Twin Temple“ einsortieren könnte, bleibe ich bei der passenderen Selbstwahrnehmung der Band, die ihren Stil als „Satanic Doo-Wop“ definiert. Die beiden habe ihrer Bandbeschreibung nach eins zum anderen gebracht: „We’ve always loved rock ‘n’ roll, especially from the golden era of American music, but we’re also Satanists and study the Occult. We both practice magick. It was just a crazy idea– ‘Why can’t you love Roy Orbison and hail Satan at the same time?’“ Das fast schon putzige Video im englischen Original ist übrigens nur für Erwachsene, wie uns Youtube versichert, allerdings zeigt uns die spanische Version, dass das völlig unbegründet ist:
Punktò – Ne Daiktai
Gut, ich bin kein Feingeist und fühle mich durch allzu blumige und überschwängliche Lobeshymnen auf Bands oder Künstler, womit sie von Labels oder Agenturen oft beworben werden, meistens abgeschreckt. Auf jeden Fall war ich skeptisch, ob Jonas Sarkus die Ankündigung seines Projektes „Punktò“ wirklich erfüllen könne. „Das ironische und mystische Bild hat keine Zeitrahmen: Alles passiert jetzt, auch wenn es vor einem halben Jahrhundert hätte passieren können. In diesem eklektischen Akt sehen wir Konflikte dreier verschiedener Organismen, die immer materieller werden. Drei Körper, die immer versuchen, aus dem Zusammenbruch ihrer Beziehungen herauszukommen, aber keine Chance haben, es zu schaffen. Schließlich werden sie zu Monumenten ihrer eigenen Eitelkeit.“ Okay, darf ich das Stück auch einfach gut finden, ohne gleich in Worthülsen zu ertrinken? Tolles, phantasievolles Video, ein fast eingängiger Song mit spannenden Stilbrüchen.
Lefki Symphonia – Me Mia Kravgi/With A Scream
Die aus Athen stammende Post-Punk Band „Lefki Symphonia“ existiert bereits seit 1984 und sollte 1988 die erste griechische Band sein, die mit einem Video bei MTV zu sehen war. Jetzt, nach fast 40 Jahren Bandgeschichte spielen Theodoros Dimitriou (Gesang), Kostas Mihalos (Gitarre), Diogenis Chatzistefanidis (Bass) und Vangelis Tsimplakis (Schlagzeug) immer noch zusammen und wagen sich mit einem neuen Album wieder ins Rampenlicht. Kann man sich gut anhören, haut mich aber auch nicht vom Stuhl. Absolut solide Post-Punk Musik, in der man die Erfahrung der Band heraushört, allerdings fehlt es ein wenig an spannender Frische.
Mängelexemplar – Hej Hej Hej
Da soll noch irgendjemand behaupten, aus Düsseldorf komme keine spannende Musik mehr und die guten Sachen kommen aus Amerika. So ein Unfug! Auch wenn die Band Mängelexemplar genau das in ihrem jüngsten Video „Hej Hej Hej“ selbst behauptet, so dürfte auch dem letzten Hörer nach kurzer Anspielzeit auffallen, dass hier ein ironischer Unterton durch den Raum wabert. Knapp 40 Jahre nach Ratinger Hof, Neuer deutscher Welle, Kraftwerk und Fehlfarben sind die Fußstapfen riesig, die eine Düsseldorfer Synth-Wave-Formation vorfinden, wenn sie selbst im neuen Ratinger Hof auf der Bühne stehen. In einer Mischung aus Unverfrorenheit, Leidenschaft und Tatendrang stellen sich die zwei, die sich bei eine Flasche Wein kennenlernten, dieser Herausforderung und machen einfach. Dabei transportieren sie auf charmante Weise die Düsseldorfer Gene in ein neues Zeitalter. Mit frischen und zeitgemäßen Texten für die eingängige Musik und in sogar 3D/VR für das experimentierfreudige Auge. Das nenne ich mal zeitgemäß!
Ebenfalls im Briefkasten landete „Crows on Wires – Not up„, was mich aber zu dieser fortgeschrittenen Stunde des Musikhörens überhaupt nicht abholt und auch sonst eher dahinplätschert ohne einen Eindruck zu hinterlassen. Auch das Video unterstreicht den Song leider nicht.
Ganz frisch wollte „Antiage – Insania“ noch ein Video einschicken, dass ich mir ebenfalls angesehen habe. Bedauerlicherweise nicht mein Geschmack. Ich finde es zu poppig, zu gefällig und das Arrangement eher unvorteilhaft.
Hallo!
crows on wires – geniale Sache!
Die sind 80s as f*ck!
Unbedingt „this is not“ hören.
Ok, die Werbung vor dem Song nervt, aber irgendwo muss das Geld ja herkommen ;-)
Bei f*cebk habe ich ein einen Link zu einem Interview mit der Sängerin gefunden.
@crows: lasst euch von der Kritik von Spontis nicht unterkriegen, wahrscheinlich hat Robert eure anderen Lieder nicht angehört.
Ihr habt mit mir einen neuen Hörer gewonnen.
Grüße aus den 80ern,
#@R!
Man darf meine Kritik nicht zwangsläufig so werten, dass etwas „schlecht“ oder „nicht gut genug“ ist, es entspricht einfach nur nicht meinem Geschmack. Ich veröffentliche diese Tipps trotzdem, damit vielleicht Leser*innen wie Du, sie mit ihrem Geschmack abgleichen und möglicherweise etwas Schönes entdecken und mir dann widersprechen :)
ANTIAGE hätten schon allein wegen dem Keyboard zum Umschnallen eine bessere Kritik verdient!
Tranx-X hatten 1983 sowas bei „living on video“. Ich hatte ein Poster von denen in meinem Zimmer hängen.
Ok, das war vor der großen deutschen Waver-Welle – aber das ist der Sound, der uns zu dem gemacht hat, was wir geworden sind – oder?
Greetings vom #@R!
Also wenn ein Umschnall-Keyboard deinen subjektiven Musikgeschmack beeinflusst habe ich hier noch einen ultimativen Musik-Tipp für Dich:
https://www.youtube.com/watch?v=oiI0uU7i2i8
Großes Lob für die sprachliche Vielfalt bei den Musikvorstellungen! Muss mich nochmal durchhören, aber beim ersten Durchlauf hat sich ‚hej hej hej’ schon mal als sehr ohrwurmwürdig herausgestellt : )
Ist mir tatsächlich erst durch Deinen Kommentar aufgefallen, dass wir hier 4 Sprachen am Start haben! Ein Beweis dafür, dass Musik eine universeller Nenner ist und uns alle verbindet? Ich finde fremdsprachliche Musik tanzbarer, weil ich dann nicht ein Stück meiner Koordination opfern muss, um auf den Text zu lauschen :D Obwohl das bei meiner stacksigen Tanz-Performance wohl keinen großen Unterschied macht.
Hahaha, das ist sehr gut nachvollziehbar :D
Ich würde es so beschreiben: mein Faible für Musik in Sprachen die ich nicht verstehe kommt u.a. daher, das der Text losgelöst von seiner Bedeutung zur Musik selbst wird, mit ihr verschmilzt. Dadurch kann man noch tiefer eintauchen. Es wird mehr ein Gefühl als eine „Message“ transportiert. Nichtsdestotrotz weiẞ ich gute Texte zu schätzen ; )
Auch wenn Lefki Symphonia nicht ganz so gut bei dir weg kommt, hat es sich bei mir in den Gehörgang gefräst. Die Wunde eitert und blutet gar gräßlich und ist aufnahmebereit für meeeeehr!!!
Erinnert mich irgendwie in seiner Individualität an „She Past Away“.
Du solltest zum Ohrenarzt. Nicht wegen deines Musikgeschmacks, sondern wegen der bösen Wunde. Wenn das ’ne Blutvergiftung gibt, verlieren wir Dich noch gar grässliche Bands oder sogar an Helene Fischer! .)
Mängelexemplar leiten gerade die neue NDW ein: Die Neue Düsseldorfer Welle! Einfach eine wunderbare Band mit wunderbaren Gastsängern ;-)