Interview: Young&Cold Festival III – alternative Nische. 100% Handmade.

Das Young&Cold Festival in Augsburg hat in diesem Jahr zum dritten mal stattgefunden. Für mich Anlass genug, für ein längeres Pläuschchen mit drei der Veranstalter über das Event, die Bands, das Selbermachen, „die Szene“ und über ihr eigenes Plattenlabel „Young&Cold Records“ zu halten.

Das ist dieses Jahr das dritte Young & Cold – seid ihr zufrieden mit der Entwicklung, die das Festival gemacht hat?

Marcel: Ja, auf jeden Fall.

Manuel: Daniel und Barbara machen schon seit mehreren Jahren Partys und als sie nach Augsburg gezogen sind, haben sie ihr Event hier in Augsburg aufgebaut und die Location, die Ballonfabrik gefunden. Jetzt mit den Jahren ist Marcel dazu gekommen, dann bin ich dazu gekommen und man hat es jetzt wirklich geschafft in Augsburg. Es ist auch wirklich schwierig hier überhaupt was zu machen und es gibt hier auch keine große Kernszene von Leuten, die sich dafür begeistern und jetzt hat man es auch wirklich geschafft über die Jahre die Party hier am Leben zu halten und auch neue Leute zu begeistern, teilweise auch Leute – ganz normales Partyvolk – die in eine normale schwarze Szenedisco gehen. Ja, wir sind schon zufrieden, dass die Partys auch laufen und dass man einmal im Jahr ein größeres Event hat, bei dem man ein paar mehr Bands einlädt.

Marcel: Für uns auch sehr schön, die Erkenntnis aus dem letzten Jahr: dieses familiäre in der Ballonfabrik zu haben. Letztes Jahr war’s uns zu groß. Dieses Jahr mit 150 Leuten, ist einfach sehr familiär und für uns auch absolut sicher.

Daniel: Das ist richtig. Die Stimmung ist angenehmer, als wenn du hast eine Location hast, die für irgendwas anderes auch ausgelegt ist, für größere Bands und du kleinere Bands spielen lässt. Es spielen hier ja keine, ich sag mal Szenegrößen, oder irgendwelche riesigen Bands, wo man sagt, da braucht man jetzt ein Stadium dafür. Sondern das sind alles kleine Bands, die selbst dort wo sie herkommen ihre lokale Szene haben und da ist genau das hier, das Richtige. Da hat man dann gewisse Möglichkeiten, hier in einem kleinen Rahmen, für gewisse Leute die Musik zu präsentieren. Das ist schon ganz cool.

Was ihr gerade angesprochen hattet, mit dem Familiären, war das auch der Grund warum ihr das Festival wieder auf eine Location konzentriert habt?

Manuel, Daniel und Marcel aus der Gruppe der Young & Cold Veranstalter
Manuel, Daniel und Marcel aus der Gruppe der Young & Cold Veranstalter

Marcel: Es war einer der Gründe für uns, aber auch die finanzieller Sicht. Wir haben letztes Jahr zwei Locations bezahlen müssen, natürlich auch viel mehr Personal dafür gebraucht und wir haben nicht so viele Tickets verkauft, wie wir gerne verkaufen wollten. Wir hätten sechshundert verkaufen müssen, haben aber nur vierhundert verkauft und für uns ist es einfach besser zu kalkulieren mit 150, weil wir einfach wissen, die Leute kommen.

Manuel: Das ist natürlich schade für die Leute, die sagen: ‚okay, wir würde gerne komme‘, aber dass die Tickets limitiert sind, liegt dran, dass die Location eine Auflage vom Ordnungsamt hat, dass maximal 150 Leute reindürfen, deswegen können wir auch nicht mehr Tickets anbieten. Das ist immer blöd. Diese Jahr war es auch so, dass viele ihr Ticket am Schluss dann noch verkauft haben, weil sie dann doch beruflich nicht konnten oder sowas, also wenn man sich wirklich interessiert für das Festival, oder die Bands, dann kriegt man auch ein Ticket. Die, die sich wirklich interessieren, die sind auch das Wochenende alle da.

Sechs Tage Vorverkauf, das ging auch echt schnell.

Marcel: Genau, wir hatten ja noch nicht mal das Line-Up gepostet. Es war nur eine Band online und innerhalb von 169 Stunden waren alle Tickets weg, also das war echt ein riesengroßes Kompliment an uns.

Daniel: Ja, letztes Jahr haben wir einfach mal probiert das Festival auf zwei Locations und Floors zu verteilen – den einen Floor eher elektronisch und den anderen mit Gitarrenmusik und älteren Bands – um wirklich ein breites Spektrum an Musik anzubieten. Wir haben Leute wie den Oppenheimer hergebracht haben, der mit seinem neuen Projekt als Oppenheimer MKII gespielt hat. Das war wirklich so ein Versuch, wo man sagt, du kannst hier mit nicht groß rauskommen, das Spektrum von Leuten ist einfach klein und das kann keine Festivaldimension erreichen. Wenn es größer werden würde, würde es lächerlich werden und vollkommen verwässern, aber wir haben letztes Jahr wirklich probiert, dass wir irgendwie so einen Spagat in der Mitte schaffen, das wir mal wirklich ein ganz breites Spektrum abdecken. Und im Endeffekt, wir haben auch daraus gelernt, dass es familiär da in festen Locations, die auch kleiner sind, wir besser dekorieren können, dass es schöner ist, wenn man da sich auch mehr Mühe geben kann für Dekoration, Merchandise und so weiter.

Vor dem Eingang war die Möglichkeit zum gemütlichen Beisammensitzen geboten und auch für das leibliche Wohl wurde gesorgt.
Gemütliches Reden quatschen, essen und trinken vor dem Eingang.

Manuel: Wir haben uns auch schon angefreundet mit der Location hier, wir machen hier regelmäßig unsere Partys. Wir wissen wie man mit den Leuten hier zusammen arbeitet und so was, das klappt eigentlich ganz gut. Und die Location hier ist auch eigentlich die einzige in Augsburg, die viel Punk anbietet und so. Hier ist eigentlich durchgehend Punk, Metal und Independent. In so einen Schickimicki-Club könntest du sowas gar nicht machen, das passt nicht. Hier draussen hast du den großen Hof, wo man rumsitzen kann an der Feuertonne draußen und sowas. Das ist viel schöner als ein Club, wo du nur reingehen kannst und draußen hast du dann irgendwelchen blöden Securities, die dich beobachten, wenn du rausgehst, das passt nicht. Das muss schon so sein.

Marcel: Für uns auch gut, dadurch das wir ein kleines Festival sind, sind wir nicht auf Sponsoren angewiesen und müssen nicht irgendwelche Bands buchen, die überall spielen und die mit Druck von Labels und Sponsoren. Das heißt wir sind wirklich unabhängig und konnten wie dieses Jahr auch teilweise das Publikum im Vorfeld entscheiden lassen wer spielt.

Daniel: Wir hatten extrem viele Bewerbungen und haben uns entschieden, dass wir dieses Jahr, keine Gitarrenband reinnehmen, also kein Post-Punk oder Deathrock oder sowas. Weil es haben sich extrem viele elektronische Bands beworben. Wir wollen dann demnächst ein eigenes kleines Festival nochmal machen für Gitarren und Post-Punk-Bands, um für die Leute, die sowas gerne hören auch was anzubieten. Das ist dann das Tape-Kontroll-Festival von der DekaDenz aus. Da wollen wir dann extra noch mal gucken, dass wir ausschließlich Gitarrenbands holen. Es gibt viele die sagen, das dieses Wave oder Minimal Zeug ein Trend ist, denn du immer wieder auf Festivals hörst und der auf Partys gespielt wird.

War das der Antrieb das Tape-Control ins Leben zu rufen?

Marcel: Genau.

Manuel: Oder auch allgemein. Das wir uns eben reduziert haben, da war auch der Grundgedanke, dass wir dann das Young&Cold in der kleinen Location wirklich für 150 Leue anbieten, da mehr Energie in Merchandise und Atmosphäre stecken und dann auch finanziell andere Möglichkeiten haben. Mit dem Erlös kann man dann ein zweites Festival aufbauen, ein zweites Event für Gitarrenmusik. Oder das man zwischen durch im Jahr auch mal eine bisschen teurere Band einkauft. Das man das Jahr zwischendrin ein bisschen auffüllen kann. Das ist eigentlich schöner, dass man das mehr am Leben erhält, als wenn man ein Mal im Jahr dann in einer riesen Location was macht, die dann auch atmosphärisch total abflacht und sich von dem eigentlichem Gedanken und alles was mit der Szene eigentlich zu tun hat schon nicht mehr vereinbar ist.

Durch den kleinen Rahmen konnte mehr Energie in Merchandise und Atmosphäre investiert werden.
Durch den kleinen Rahmen konnte mehr Energie in Merchandise und Atmosphäre investiert werden.

Marcel: Und im nächstes Jahr im April feiern wir fünf Jahre von unserer Party Dekadenz und da machen wir auch einen Tag komplett Gitarrenpostpunk-Geschichten am Freitag und am Samstag wieder Minimal, also der Sound der auch auf der Dekadenz läuft und höchst wahrscheinlich auch im Sommer das Tape-Control-Festival. Aber da ist noch nicht ganz klar wo wir das machen, in welcher Location. Wird wahrscheinlich eher in München stattfinden.

Wir haben gerade über die Bands gesprochen und dass ihr viele Bewerbungen hattet. Nach welchen Kriterien wählt ihr die Bands aus, wie werdet ihr euch einig, wen ihr einladet?

Daniel: Die meisten Bands, die wir genommen haben sind eigentlich alte Bekannte. Matthias Schuster zum Beispiel, mit dem habe ich schon ganz oft über Facebook und Whatsapp und damals schon auf MySpace geschrieben – weil mich seine Musik begeistert hat und da habe ich ihn motiviert und gesagt, er könnte doch mit Bal Paré mal wieder spielen. Das ist jetzt am Samstag sein erstes Konzert nach zwanzig Jahren. Er hat damals mit jemand anderem Musik gemacht und hat dann angefangen auf YouTube immer wieder Videos zu posten und neue Musik zu veröffentlichen und hat dann diese zwei Alben rausgebracht und das ist jetzt sein erstes Konzert und das finde ich grandios, wenn jetzt jemand sagt: ja okay, er hat jetzt ewig lange nicht gespielt und hat damals in den 80ern Mukke gemacht und hat jetzt wieder Lust bekommen, da live zu spielen. Das finde ich super und die anderen Bands zu Beispiel Charles Lindbergh n.e.V. die habe ich kennengerlernt vor, ich sag auch mal so fünf Jahren oder sechs hab ich die mal in Frankfurt gesehen und habe denen auch versprochen mal in Augsburg zu spielen, wenn sie Lust haben und jetzt hat sich das dann ergeben. Die anderen Bands zum Beispiel Avon Rim, das sind Freunde aus München. Die haben auch schon mal gespielt auf einer Dekadenz mit einem anderen Projekt, mit Masseneffekt.

Manuel: Und die Elvira und das Projekt Elvira and the Bats, kennen wir eben jetzt auch schon länger oder sind persönlich da verbunden, weil man die auf Festivals trifft, da hat man eh nen persönlichen Kontakt und als der Daniel, die dann gesehen hat, hat sich halt wie so ein familiärer Kreis geschlossen. Wo man sagt, da redet man über eine persönliche Ader und nicht über einen Booking-Manager oder so. Es ist wirklich stark familiär und freundschaftlich wie man sich dann die Leute aussucht, also wir suchen dann nicht irgendwie, die Google-Liste ab nach irgendwelchen Wave-Bands.

Daniel: Zum Beispiel die Solitude fx, die heute spielen, die sind auch eigentlich so ganz bekannte Leute, wo man sagt die kennt man. Marc Schaffer ist eben einer der Leute, die kennt man so aus der Szene und da haben wir die dann einfach gefragt, ob die Bock haben zu spielen und die meisten haben sofort zugesagt. Ohne Bedingungen und es hat dann auch meistens terminlich auch gepasst.

Marcel: Für uns auch noch ganz wichtig, dass die Bands von unserem Label spielen. Das auch die Augsburger Szene präsentiert wird. Es sind jedes Jahr mindestens ein bis zwei Bands von uns vertreten aus dem Label Young&Cold Records und in den ersten zwei Jahren haben wir immer noch im Team entscheiden wer, welche Band spielen sollen, da haben wir noch demokratisch abgestimmt. Dieses Jahr haben wir es eher ein bisschen offen gelassen, da haben wir dann auch drei Bands von den Leute entscheiden lassen. Sind jetzt natürlich auch fast alle die Bands geworden, die wir auch wollten.

Manuel: Aber ich finde das ganz gut, dass man die Leute selber entscheiden lässt. Wir haben das zur Abstimmung gemacht im Internet und hatten dann ein paar Bands vorgeschlagen, wer spielen kann und dann sieht man auch für was die Leute sich interessieren.

Marcel: Wir hatten im vergangenen Jahr 120 Bewerbungen von Bands, das war dann auch ziemlich heftig für uns erst mal rauszufiltern was einigermaßen passt und für dieses Jahr waren es ungefähr 80 Bands. Klar war viel dabei was nicht passt oder auch zu teuer ist.

Ihr hattet es eben bereits angesprochen mit diesem Familiären, oder wenn man es jetzt diesem „Szenegedanke“ nennen würde. Findet ihr das dieser Do-it-yourself Gedanke heutzutage so ein bisschen fehlt?

Marcel: Jein. Es ist schon wieder zu beobachten, in Deutschland vor allen Dingen, dass die kleinen Szenenfestivals wieder im Kommen sind. Minicave, Gotham Sound Festival oder GPP. Es ist schon viel was wieder geboten wird von vielen Leuten, die wir auch kennen, die wirklich viel machen.

Manuel: Eigentlich kommt es ja daher, du wohnst in irgendeiner Stadt und da läuft halt einfach deine Mukke nicht. Da kamen halt viele auf die Idee eine Party für Freunde zu machen oder so was und wenn sich das dann halt länger entwickelt… Das war bei uns auch so. Ich bin hier nach Augsburg gezogen und hier gab’s halt nichts in der Richtung. Das nächste war München, wo in die Richtung was lief und da hat man einfach was gemacht und das hat sich halt so weiterentwickelt mit den Partys, mit den Festivals und ich glaube das ist Deutschlandweit auch so vertreten. Ich denke, wenn irgendjemand unzufrieden ist mit Mukke, dann macht er irgendwie was selber.

Marcel: Wir haben vor fünf Jahren ja angefangen mit der Dekadenz, da waren glaube ich dreißig Leute da. Mittlerweile machen wir vier bis fünf Partys im Jahr und es kommen 120-150 Leute zu jeder Party und die kommen echt von überall her. Von Berlin, Hamburg, Schweiz, Österreich kommen die Leute zur Party gefahren.

Daniel: Vor allem das hört sich jetzt wenig an 150, da hast du normalerweise in anderen Clubs viel mehr Leute. Aber wir legen auch sehr viel Wert auf die spezielle Musik. Bei uns laufen nicht die ganze Nacht irgendwelche Tanzflächenfüller oder diese typische 80er Playliste mit den ganzen Klassikern durch. Sondern wir bereden uns als DJs was wir spielen können, was die Leute interessiert. Wo man sagt: ‚Okay, ich kann die ganze Nacht tanzen und ich kenn halt auch nicht jedes Lied‘. Wo was Neues entdeckt.

Von überall kamen sie um gemeinsam das Festival zu zelebrieren
Auch die Gäste haben sich bei der „Dekoration ihrer Selbst“ Mühe gegeben

Manuel: Wir sind alle drei privat Musikliebhaber, die alle eine leicht andere Richtung einschlagen. Deswegen haben wir uns darauf geeinigt, dass wir zu dritt auflegen. Daniel zum Beispiel, der sammelt seit Urzeiten die ganz alten Dachboden Kassetten und digitalisiert die teilweise ganz aufwändig, dass man die auch mal abspielen kann auf einer Party. Da ist der Daniel wirklich ziemlich tief eingetaucht und der Marcel auch, der ist mit Punk ziemlich breit. Mit Gitarrenmusik und Punk kennt der sich auch weitaus besser aus als ich und ich interessiere mich für aktuelle Projekte. Da schau ich dann, dass auch das alte Zeug bedient wird, aber auch aktuelle Projekte. Es ist ja genau wie in den 80ern, es gibt heute auch Leute, die aus dem Boden sprießen und schöne Musik machen und da schau ich, dass das dann auch bedient wird und dann machen wir zu dritt immer einen guten Mix draus und sammeln das Zeug. Der Sound der ist nicht aufgesetzt, sondern das ergibt sich aus dem persönlichem Geschmack von jedem einzelnen hier, was dann für Musik läuft. Das ist nicht irgendwie vorgedacht und hier scheibt auch keiner irgendwelche Playlists, damit es irgendwie kracht den ganzen Abend. Das ist immer intuitiv.

Marcel: Da steht immer ein riesen Vermögen auf der Bühne bei den Partys.

Daniel: Ja, wir nehmen immer extrem viel Zeug mit, wir finden das auch schön. Für mich als DJ, und für die anderen beiden auch, ist es natürlich wunderschön, wenn du mit Vinyl auflegen kannst, weil das hat eine ganz andere Ästhetik aufzulegen. Du hast die Platte gekauft, dann ist es was Handfestes und das dann aufzulegen auf so einen Plattenteller und den Leuten zu präsentieren das finde ich wirklich schön. Ich finde es schade, wenn die Leute die Mukke sammeln – ist auch super – aber wenn man als DJ die Platten zu Hause hat, dann finde ich das eigentlich ganz gut, wenn man die auch mitnimmt auf Partys und dann auflegt.

Jetzt ein bisschen eine übergreifende Frage: Was macht die Subkultur eigentlich für euch aus? Was ist das für euch eigentlich?

Marcel: Ich finde in Augsburg ist die Subkultur ein kreativer Künstlerkreis aus, dreißig Leuten vom harten Kern würde ich mal sagen und es sind alle sehr kreativ musiktechnisch, fotographisch, im Kunsthandwerk tätig, neben ihren Berufen vor allen Dingen auch.

Manuel: Da vereint sich wirklich viel. Daniel, Barbara und ich haben ein Tonstudio hier, wo wir auch selbst Musik machen. Auch Freunde, die selbst keine Instrumente spielen können ihre Stimme dazugeben und zusammen komponieren. Andere aus unserem Freundeskreis und aus dem festen Kern sind auch sehr kreativ. Manche nähen ausgefallene Sachen, manche zeichnen oder machen andere Dinge. Das ist so wie ein ganzes kreatives Kollektiv. In den 80er hat man das als wohl als New-Wave bezeichnet, dieses ganze Zusammenfassende beschrieben und ja, das ist so das Besondere oder der Geist von dem Ganzen. Es gibt Leute hier, die machen wirklich nach dem Berufsleben, einen harten Cut und dann startet ein zweites Leben, was dem Leben wirklich Inhalt gibt und dann ist man nach dem Arbeitstag zehn Stunden noch mit irgendetwas anderem beschäftigt und schaut, dass man da wirklich abschalten kann.

Daniel: Hier in Augsburg sind auch nicht so viele Leute, die sich für diese spezielle Musik, für diesen 80er Wave und die ganzen älteren Bands aus den 80er interessieren, die halt so in die Richtung gehen. Das hat sich dann so ergeben, dass man sich so einen kleinen Freundeskreis hier aufgebaut hat und die meisten, die in unserem Freundeskreis sind, die hören wirklich die Musik und die interessieren sich dafür, oder zumindest auch für ähnliche Musikrichtungen, ob das jetzt Elektro, Rockabilly oder sonst irgendwas ist. Die meisten von dem Freundeskreis hier in Augsburg helfen auch bei der Party mit, die machen die Bar, die machen Kasse, helfen Auf- und Abbauen und das ist eigentlich so eine lebendige Szene hier.

Manuel: Anders würde es auch gar nicht funktionieren, würde es die Party auch nicht geben, wenn hier vier Leute, versuchen das aufzubauen, das würde nicht funktionieren. Das funktioniert wirklich nur durch den lebendigen Freundeskreis, wo jeder ungefragt ineinander greift.

Also für euch ist das quasi dieser familiäre Gedanke?

Daniel: Genau und das heißt, dass auch das Publikum Teil daran hat, dass es sieht, das alles selbst gemacht ist, das alles nicht perfekt läuft, dass die Leute das nicht beruflich machen, irgendwie hinter der Bar oder Türsteher sind, sondern das sind einfach Leute aus der Szene und die haben dann das Einfühlungsvermögen und auch die akkurate Haltung dem Publikum gegenüber. Die Szene, oder das was dieser Wave- und Gothic- Gedanke in sich hat, die Leute auch so leben zu lassen, wenn die auf der Party sind. Man sieht auch, dass die Leute sich gerne unterhalten, gerne tanzen und da ist keiner der irgendwie meckert, der irgendwie anders denkt. Deswegen ist das super.

Manuel: Hier sind jetzt auch wieder viele Leute aus München und der Umgebung da, die auch Partys veranstalten in Nürnberg mit dem Bunker Syndikat. Das ist das Gleiche. Genauso wie die bei uns heute als Gäste sind, sind wir nächste Woche zum Beispiel irgendwo in Nürnberg. Ganz normal als Gäste und sagen denen Hallo und kaufe da das Bier und tauschen uns aus, reden mit denen und mich freut das jedes Mal, wenn ich die Leute dann sehe und ich stoße nicht nur mit dem Bier an und sag so jetzt betrinkt man sich, sondern ich rede mit den Leuten wirklich sehr lange und tausche mich aus, weil mir das Zwischenmenschliche wichtig ist.

Daniel: Ja, auf jeden Fall. Dieses Wave Zeug, das hat ganz viel miteinander reden, sich austauschen und so was. Das ist nicht nur auf Party gehen, sich irgendwelche Mukke anhören, die langweilig ist, bisschen tanzen und sich betrinken, sondern es hat etwas ganz familiäres. So wie Wohnzimmer, wo man sich bei Freunden trifft oder so was. Es ist ein Treffen im Endeffekt. So kann man es beschreiben und da gehört halt Musik dazu, Bands, Merchandise und so Zeug, wo man sagt, man kann dann auch was kaufen von den Bands. Also, das finde ich echt den perfekten Gedanken.

Ihr habt jetzt quasi euer eigenes Umfeld beschrieben oder eure Nische, die ihr euch geschaffen habt. Wenn man jetzt an die ganzen groben Festivals denkt, wo eine Kommerzialisierung oder Ausschlachtung der ganzen Thematik stattgefunden hat. Was würdet ihr euch wünschen, was die Zukunft angeht? Oder was vermisst ihr, wenn ihr auf das große Ganze schaut?

Marcel: Also ich finde, es gibt sehr, sehr gibt viele große Festivals. Zu viele und die machen sich gegenseitig Konkurrenz. Konkurrenz auch in dem Sinne, weil jedes Jahr die gleichen Bands spielen. Das ist jedes Jahr das gleiche Line-Up, die gleichen „Headliner-Bands“. Finde ich sehr unkreativ und langweilig und auch die extrem überteuerten Ticketpreise. Wenn ich mir die Preise anschaue, das ist einfach nicht normal, weil die Bands tatsächlich eigentlich nicht so viel kosten.

Daniel: Oder weil die Bands gar nicht das bekommen, was dann für den Veranstalter rausspringt. Wie gesagt, man schaut sich die großen Festivals an, die verdienen meistens richtig gut dabei und dann werden teilweise Bands auch nicht entsprechend entlohnt.

Marcel: Oder Bands zahlen dafür, dass sie auch einem großen Festival spielen dürfen.

Manuel: Zusätzlich ist es natürlich auch uninteressant für mich auf Festivals zu gehen, wo ich mir eine Band anschaue und in einer riesigen Halle stehe, die so laut ist, dass ich gar keine Ruhe finde, mich mit irgendjemand zu unterhalten. Das finde ich langweilig und dann so riesige Stages mit Bands, die dann irgendwie spielen und du stehst vierzig Meter davon entfernt. Das finde ich unattraktiv. Ich mag am liebsten Festivals, wo die Band spielt und danach ist die Band auf der Tanzfläche oder am Merchandise Stand und du kannst denen hallo sagen. Du kannst mit denen draussen ein Bierchen trinken oder so was. Dich vor der Türe mit den Leuten unterhalten, das finde ich viel schöner, als wenn du irgendwie eine Bands ankuckst, die danach in den Back-Stage-Bereich verschwindet und in den Flieger einsteigt.

Marcel: Genau, bei uns feiern die Bands immer mit auf dem Festival oder auf den Partys, das ist immer richtig schön. Auch für die Gäste, so nahe am Künstler zu sein.

Gibt es noch etwas, was ihr jetzt unbedingt noch los werden wollt?

Manuel: Abseits von dem Festival und den Parties hat jeder einen festen Beruf und eine feste Berufslaufbahn eingeschlagen, wir versuchen da dran zu bleiben und noch nebenbei was zu machen, da sind wir wirklich stark dran, dass man das beibehält. Die Musik hat einen hohen Stellenwert bei uns. Wir haben ein Tonstudio, das wir versuchen aufzubauen, weil wir auch Leute im Freundeskreis haben, die sehr kreativ sind, aber vielleicht nicht selbst komponieren können. Wir haben hier unter dem Namen Young&Cold Records dieses Tonstudio seit gut zwei Jahren und da sollen Bands aus Augsburg gefördert werden. Das sind mittlerweile sechs oder sieben Kleinprojekte, wo man mit Freunden wirklich vollkommen unterschiedliche Musik-Richtungen macht . Was dunkles melancholisches.

Daniel: Ja, ich und der Manu wir bekommen auch oft Anfragen oder Fragen von Freunden, die jetzt auch anfangen Musik machen zu wollen, weil wir beide kennen uns super aus mit diesen Synthesizern aus den 80ern. Wir haben da ganz viel so alte Geräte, auf denen die ganzen Bands früher, die Musik gemacht haben und den Sound den hört man raus. Wir sammeln die Sachen und machen mit denen Musik und wir haben immer wieder auch Fragen von Freunde: ‚Hey ich hab Bock Mukke zu machen und so was‘ und dann sind wir auch meistens dafür: ‚kommt’s vorbei oder so was ins Studio machen wir ein bisschen Mukke zusammen‘ und meistens ergibt sich dann auch was ganz nettes und so was. Irgendwie wie Jam-Sessions oder irgendwelche Solo-Projekte und ich finde das super.

Manuel: In absehbarer Zeit, wollen wir auch, wenn man dann mal dann genug fertiges Material da ist, exklusiv einen ganze Sampler rausbringen. Mit reinen Projekte und kreative Dinge drauf kommen, die in unserem Tonstudio entstanden sind. Das wäre dann mal ein Schritt in die Richtung, dass an so hier was musikalisch, was labelartiges vorantreibt.

Marcel: Einfach mal um die Bands bekannter zu machen und auch dann in ferner Zukunft die Alben zu promoten von den Bands von uns.

Musikperlen – Warum man den Sonntag auch mal im Bett verbringen sollte (Tauchgang #33)

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Black Spider Clan – Keiner Kommt Hier Lebend Raus

Die schwarze Witwe hat viele Namen: Flying Bodies, Radikale Analog Fraktion, Black Spider Clan, Beta Evers oder einfach Brigitte Enzler. Seit den späten 80ern ist sie in der musikalischen Underground-Szene aktiv, begann mit einer Mädchen-Combo und gründete nahezu im selbem Atemzug ihr erstes Platten-Label. Nach dem auflösen ihrer Projekte und einer kurzen Pause zu Beginn der 90er begann sie wieder damit Parties in Augsburg und Umgebung zu organisieren. 2000 gründet sich das Kollektiv Kommando 6, das ein Jahr später auch zu einem Platten-Label mutiert. Als Beta Evers bringt sie noch im selben Jahr einige Stücke heraus, ohne die Hilfe irgendwelcher Produzenten. In der Folge ist sie auch in unzähligen Nebenprojekten aktiv, unter anderem im Black Spider Clan, der mir mit seinem Stück „Keiner kommt hier lebend raus“ (2005) in Erinnerung geblieben ist.

El Deux – Computer-Mädchen

Gibt es eigentliche eine Neue Schweizer Welle? Während sich in Deutschland die musikalische Welle auftürmt und immer neue kuriose Gebilde formt, bleibt es in der Schweiz auch nicht still, aber deutlicher leiser. Mit Grauzone schafft es dann erstmals eine Schweizer Band in die deutschen Charts, 1981 schafft es „Eisbär“ auf Platz 12. Ein Jahr später wagt auch die Formation „El Deux“ den Schritt einer ersten Veröffentlichung und bringen ihre LP „Nur für Mädchen“ heraus, auf der auch der Song „Computer-Mädchen“ erscheint. El Deux, das sind Martin Kraft, Steno Onetz und Kurt Gautschi. Die Welle erfunden haben sie aber nicht, die Schweizer – gut sind sie trotzdem.

Soft Cell – Bedsitter

Auch wenn man nach Marc Almond nicht tauchen muss, so möchte ich doch anlässlich seiner aktuellen Tour auf ihn aufmerksam machen. Ist ja auch mal irgendwie ein populärer Gegenpol zu den beiden völlig unbekannten Perlen die diese Ausgabe des Musikperlentauchers zieren.  Marc ist ein alter Gruftie, so viel steht mal fest, nicht nur weil in der „Church of Satan“ aktiv war und von Anton Szandor LaVeys Bücher fasziniert war, sondern auch wegen seiner musikalischen Ausrichtung. Mit David Ball gründete er Softcell, das Stück „Bedsitter“ wurde 1981 veröffentlicht und erzählt von dem Gefühl, nach einem durchfeierten Samstag den Sonntag im Bett zu verbringen „My only Home!“ – Glücklicherweise sprang der 2004 dem Tod von der Klinge und kann jetzt die Ohren auserwählter mit seinen Songs beglücken. Marc, der stramm auf die 60 zugeht, hat nichts von seinem Charme verloren, auch wenn unter musikalischer Geschmackssache läuft und deutlich poppiger ist, als es seine vermeintliche Szene-Zugehörigkeit vermuten lassen würde.

Pfingstgeflüster 2015 – Treffen der Generationen

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Nein, ich glaube das wird keine Rezension, vielleicht ein Appell. Ich muss nämlich zugeben, dass ich voreingenommen bin, habe ich doch mittlerweile zum fünften mal einen Artikel zum Pfingstgeflüster beigesteuert und einige meiner Freunde sind ebenfalls als Autoren vertreten. Darüber hinaus bewundere Marcus Rietzsch, den Verleger und Erfinder des Pfingstgeflüsters, für seine Leidenschaft und die unermüdliche Arbeit, die er seit 2005 in jede Ausgabe des Pfingstgeflüsters steckt, ohne dabei einen einzigen Cent zu verdienen. Die jährlich erscheinende Zeitschrift ist ein Hommage an das Wave-Gotik-Treffen, eine Würdigung der Stadt Leipzig und ein Geschenk an die Menschen die sich jährlich dort treffen. Artikel, die nicht von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst werden, keine langweiligen und unkritischen Interviews mit Bands und Künstler die in anderen Magazinen auch schon zu lesen sind, kein Werbeblättchen für die Veranstalter des WGT und auch kein Reiseführer für die Stadt Leipzig. Soll mir mal jemand erklären, wie man objektiv über eine solche Herzensangelegenheit schreibt. Nein, das kann keine Rezension mehr werden – es ist bereits ein Appell.

Vielleicht kennt ihr das enttäuschte Gefühl, eine Szene-Zeitschrift mit WGT-Special in den Händen zu halten, die euch mit winzigen Bilderstrecken und einer Aufzählung der auftretenden Bands zum Kauf anmiert hat und sich letztendlich doch als Mogelpackung entpuppt. Ein Kaufimpuls der von dem Gefühl des Festhaltens ausgelöst wird, dem Wunsch, etwas Schönes für immer zu konservieren. Genau aus dem Grund entstand das Pfingstgeflüster, wie mir Marcus in einem Interview bereits verraten hat. Auch 2015 konnte der wieder viele Autoren ins schwarze Boot holen und sie dazu animieren, einen Artikel beizusteuern. Ich freue mich immer wie Bolle, wenn ich die druckfrische Ausgabe in den Händen halten kann und lese, was andere beizusteuern hatten und wie die Besucher aussehen, über die ich geschrieben habe. Denn tatsächlich bekomme ich die meisten der „Besucher“ nur als geschriebenes Wort zu Gesicht.

Pfingstgefluester - Die BesucherDas Pfingstgeflüster wandert durch meinen gesamten Alltag und ist eine Zeit lang ein ständiger Begleiter. Auf dem Schreibtisch, neben der Badewanne, auf dem Nachttisch, in der Küche oder neben dem Sofa. Überall wo ich mir in der Regel ein wenig Ruhe gönne, um dann 1 oder 2 Artikel zu lesen. Anders als im Blog gibt es keine Kommentarfunktion, ich kann mich also nicht mit anderen austauschen, wie ihnen das Magazin gefallen hat, was sie gut und was sie schlecht fanden, worüber sie geschmunzelt haben und was sie nachdenklich gemacht hat, deshalb suche ich bei alle möglichen Gelegenheiten nach dem persönlichen Gespräch. „Hast du das Pfingstgeflüster schon gelesen?

Alle meine Bekannten und Freunde kennen es, keine Frage.  Doch die wenigsten haben es sich bereits bestellt. Dabei schwelgen die meisten in ihren WGT-Erinnerungen, liken und kommentieren immer und immer neue Alben und einzelne Bilder in den sozialen Netzwerken. Die meisten können es kaum erwarten, so die einhellige Meinung, die Reise nach Leipzig wieder anzutreten. Woran liegt es also, dass so wenige Menschen das Magazin bestellen? Ist es zu teuer? Das Pfingstgeflüster kostet 8,9€  plus 1,6€ Versandkosten, nur einen Hauch teurer als eines der einschlägigen Szene-Magazine. 92 Seiten, kaum Werbung, Hochglanzpapier. Nicht wirklich zu teuer. Ich habe neulich rund 17€ für den Versand von ein paar Pikes aus England bezahlt. DAS ist teuer! Ist es vielleicht zu tiefsinnig? Vielleicht schlage ich Marcus für die nächsten Ausgabe eine Top 10 der schlechtesten WGT-Outfits vor. Das zieht bestimmt.

Ich glaube, man hat den Bezug zum Haptischen verloren. Magazine sind nichts mehr wert, die meisten Informationen findet man, so glauben die meisten, sowieso im Internet und Bilder kann man eigenen Rechner viel besser betrachten. Ich habe den Eindruck, dass niemand mehr gedruckte Erinnerung zu schätzen weiß, klicken verdrängt blättern. Möglicherweise schmunzelt ihr beim lesen deiser Zeilen, weil ich schreibe, was sowieso schon jeder weiß. Das WGT ist auch ein Kommerzfest, vielleicht betrachten die meisten das Pfingstgeflüster als Teil davon. Wenn ihr micht fragt, ein fataler Trugschluss. Fatal, weil so jede Form von Kreativität und Schaffensdrang daran scheitert, dass niemand dafür bezahlen will. Ein Trugschluss, weil das Magazin von Marcus Rietzsch aus dem schwarzen Herzen kommt  und niemand damit Geld verdienen möchte. Sowas soll es geben.  Das Magazin feiert mit dieser Ausgabe sein 10. Jubiläum, helft dabei, dass es so bleibt. Kauft. Es lohnt sich. Im folgenden die Themen des Heftes, mehr Szene geht nicht.

  • Kampf der Nach-WGT-Melancholie (Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch)
  • Leipzig – Die schwarze Metropole? (Shan Dark)
  • Schicksalsbilder – Nichts ist so wie es scheint (Edith Oxenbauer mit Bildern von Partricia Zschuckelt)
  • Frank the Baptist – Ich bin ein glücklicher Mann (Frank Vollmann)
  • Alltagsmärchen – Gehörnte Unschuld (WGT-Lesungsbeitrag von André Ziegenmeyer)
  • Die Besucher – Treffen der Generationen (von mir)
  • Die Kammer – Karneval der Eigentümlichkeiten (Matthias Ambré)
  • Geliebter Schmerz – Sommerromanze (WGT-Lesungsbeitrag von David Wonschewski)
  • Vinsterwân – Des Dunkels Hoffnung (von Marcus Rietzsch mit Bildern von Lisa Schubert)
  • Hexen – Ein Phänomen zwischen Aberglaube und Abwehr (Auszug aus dem Vortrag von Miriam Blümel)
  • Gespräche mit Goth – Smalltown Boy (WGT-Lesungsbeitrag von Thomas Manegold)
  • Wahre Märchen – Grimm 2.0 (Edith Oxenbauer mit Fotografien von Annie Bertram)
  • 1000 Jahre Leipzig – Im Laufe der Zeit (von Guldhan)
  • Konzertimpressionen (mit Bildern von Andreas Liem, Michael Küper und Marcus Rietzsch)
  • Stille Orte – Jüdische Friedhöfe in Leipzig (von Marcus Rietzsch)
  • Die schwarze Romantik – Melancholie und Todessehnsucht (von Mirja Dahlmann)
  • Grufti Glosse – Das Bessergoth-Dilemma (von Christian von Aster)
  • Museum der bildenden Künste – Mittelalterlicher Totentanz und Erlösungsversprechen (von Sebastian Hainsch)
  • Doppelgänger – Das erste mal (von Black CaT)

 

1990: Robert Smith, der depressivste Mann der DDR

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Am 21. April 1990 wurde Robert Smith, Leadsänger der englischen Band „The Cure“, stolze 31 Jahre alt. Etwa zur gleichen Zeit sind Dokumentarfilmer auf der Suche nach der Stimmung des Umbruchs im wiedervereinigten Deutschland. Die Grenzen der DDR sind offen, die trennende Mauer ist im November 1989 gefallen. Es ist eine Zeit der Freude, der Unsicherheit, der Verwirrung und der Orientierungslosigkeit – denn wirklich daran geglaubt hatte niemand. Doch über Nacht ändert sich die Geschichte. Die DDR zerbricht, die sogenannte „Allianz für Deutschland“ treibt die Wiedervereinigung voran, Neuwahlen stehen bevor, die alte Währung abgeschafft. Irgendwo in diesem Chaos trifft die besagte Filmcrew unter einer Brücke auf eine Gruppe Jugendlicher, die zu den Klängen ihrer Musik und im Nebel des Alkohols den Geburtstag ihres Idols feiern: „Was feiert ihr hier eigentlich? – Robert Smiths Geburtstag!

Theatralisch bewegen sich die Kids zu „Lullaby“, wiegen sich selbst in einen Schlaf. Möglicherweise liegt es aber auch am russischen Wodka, dass man sich so ausgelassen vor der Kamera präsentiert. Robert Smith, so sagen sie, sei der depressivste Mann der DDR! Natürlich korrigiert man sich, denn schließlich weiß man ja, das der aus England kommt. Depression ist für sie das Wissen, dass das Leben irgendwann ein Ende hat und das man selbst nicht mehr wiederkommt. „Wir haben ’ne Band gegründet, die heißt „Die Greifer und die Simulanten“. In den Lieder beschreiben wir, dass man schon tot ist bevor man lebt und dass es absolut scheiße ist wenn man lebt, weil man dann genau weiß, dass man irgendwann stirbt und nicht mehr da ist.

Jugendliche, die nicht wissen, wohin die Reise geht. Der eingegrenzte Lebensweg und die vom Sozialismus vorgegebene Lebensweise sind nicht mehr existent. Alles scheint möglich und doch scheint nichts erreichbar. So treffen sie sich unter einer Brücke, trinken russischen Wodka und lauschen den Klängen ihres Idols. Man fragt sich, was hinter dem Schleier des Alkohols in den Köpfen der Jugendlichen vorgeht, welchen Weg sie gegangen sind und wie ihr Leben nun aussieht.

Vor der Wende haben wir eigentlich gar nicht so schlecht gelebt“ wirft einer der Jugendlichen ein, lediglich die Bonzen der Führung seien das Problem gewesen. Allen voran Erich Honecker, der sich seine Taschen vollgemacht habe und nach Russland geflohen sei: „Ein ehrlicher Honecker wäre astrein gewesen!“ Also lieber doch keine Wende? Kein Zurück mehr. Die Jugendlichen von damals dürften heute etwa 40 Jahre alt sein, ich wäre neugierig, wie es ihnen heute geht.

Die vollständige Dokumentation, die das Leben einiger Bürger während des Umbruchs porträtiert, ist ebenfalls sehr interessant. Gibt es doch einen genaueren Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt derjenigen, für die sich damals alles änderte. Der MDR hat sie im Zuge seiner Sonderreihe „25 Jahre Einheit“ veröffentlicht.

Cholo Goth – Wie die PRAYERS eine neue Subkultur erschaffen

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Grundsätzlich bin ich ja skeptisch, wenn neue schwarze Trends oder Musikrichtungen aus dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten zu uns schwappen. Das amerikanische Verständnis von „Gothic“ entspricht nicht im Entferntesten meiner Auffassung dieser Subkultur, Gothic Kreuzfahrten oder Gothic-Treffen in Disneyland sind nur die gefühlten Spitzen des Eisbergs.

So ähnlich ging es mir auch, als ich mich mit der aus San Diego stammenden Band PRAYERS beschäftigte, dessen Sänger Leafar Seyer (ein Anagramm seiner bürgerlichen Namens Rafael Reyes) von sich behauptet, der erste „Cholo Goth“ zu sein. Musikalisch wirkt die Band wie eine Kreuzung aus Depeche Mode und Snoop Dogg, die sich in ihren Texten mit dem Leben zwischen Gang-Alltag und der innerlichen Qual des Sängers und Autors Seyer auseinandersetzt. Ihr ahnt es bereits, die Neugier gewann das Duell gegen die Skepsis und je mehr ich mich mit der Band und ihrer Musik beschäftige, umso interessanter scheint es zu werden.

Die Videos der Band runden die Sache dann nur noch ab und verwirren zunächst, denn die Mixturen aus Friedhof, Gang-Gehabe, Grufties und tiefergelegten Pick-Ups zusammen mit der visuellen Erscheinung der Band sorgen für die üblichen Schubladen. Ich bin gespannt, ob die Band mit ihrem Gang-Gehabe und der eigenwilligen musikalischen Mischung bei uns auf neugierige Ohren stößt und was unsere Leser von der neuen Subkultur „Cholo Goth“ halten.

Cholo Goth: Kriminelle lateinamerikanische Grufties?

Cholos, so informierte ich mich, nennt man in den Vereinigten Staaten Kriminelle oder Gangster lateinamerikanischer Abstammung. Und Sänger Leafar passt wahrlich meisterlich in diesen Stereotypen. Der inzwischen 40-Jährige ist wegen Überfalls mehrfach vorbestraft und gilt in den USA als sogenannter „2-Striker“, jede weitere Straftat führt unweigerlich zu einem längeren Aufenthalt hinter Gittern. Als Teenager wird er Mitglied einer Gang und eröffnet 1994 zusammen mit seinem Vater San Diegos erstes vegetarische mexikanische Restaurant. Als sein Vater stirbt, übergibt es das Lokal an seinen jüngeren Bruder. Leafar verkraftet den Tod seines Vaters nicht und stürzt sich nach längerer Abstinenz wieder in die Sucht und wird straffällig. Als er 2010 für ein halbes Jahr einsitzt, beginnt er nachzudenken. Er schreibt den Roman „Living Dangerously“ und wird 2010 auch musikalisch aktiv und gründet dann 2013 zusammen mit Dave Parley, der die gleichen mexikanischen Wurzeln wie Leafar hat, die Band PRAYERS.

2014 wird Ian Astbury, Lead-Sänger der Band „The Cult„, auf die Musik der PRAYERS aufmerksam und nimmt sie als Vorband mit auf ihre Tournee. „Cholo Goth“ ist für Astbury die „Speerspitze einer musikalischen Revolution“, wie Leafar in einem Interview mit The Fix verrät:

Ian Astbury (lead vocalist for The Cult) said that it’s „the forefront of the music revolution.“ Cholo goth breaks stereotypes and it’s also my salvation. It’s music for outcasts, like myself. It’s rebellious and forgiving. We are here to shatter societal preconceptions!

Inzwischen scheint Leafar geläutert, hat Drogen und Alkohol abgeschworen und erscheint den meisten, die ihn schon länger kennen, wie ein Wirbelwind der Kreativität. Das spiegelt sich auch in den Werken der Band, denn hier tobt er sich nicht nur musikalisch aus, sondern ist auch für Design verantwortlich. Von Bauhaus, Christian Death, New Order und Joy Division kommt die Musik, die ihn in seiner Jugend beeinflusst. Er wächst mit ihr auf, ohne die Möglichkeit zu erhalten, selber welche zu kreieren, denn Cholos tragen Waffen, keine Instrumente. Er ist ein durch und durch sperriger Charakter, liebt seine eigene Isolation auch innerhalb der Gang-Gemeinschaft: „My homies still like to crack jokes when they get drunk. But that’s okay—I clown them on their weight or whatever the fuck I feel fit to clown them on. I’m a grown man and I know that what I represent is a lot bigger than what other people have lived or will even get to experience in their fucking life. Perfect example: I’ve only been doing music for three years. I’ve only been doing Prayers for 14 months. And a lot of people that didn’t wanna fuck with me in this city, who thought I was a poser, who thought I was fuckin’ joke—not only do they try to be like me now, they try to belittle me by saying, “Oh, hard work pays off.” I say, “No, motherfucker. It’s not hard work. It’s because I’m fuckin’ special.

Für die meisten von uns bleibt das wohl eine schwer zu verdauende Mischung, wenn ein 40-jähriger Gangster-Goth mit mexikanischen Wurzeln das verkörpern möchte, was wir uns im Laufe der Jahre als „Gothic“ zurechtgelegt haben. Was mir zunächst als Cocktail erschien, bei dem sich die Bestandteil partout nicht mischen lassen wollen, ergibt auf eine bizarre Art und Weise Sinn. Gothic ist das, was wir daraus machen und so sind die Musik und die Ästhetik Katalysatoren für die eigenen Emotionen und Empfindung. Die sind natürlich geprägt vom Umfeld, in dem man aufwächst und das war bei den PRAYERS sicher kein leichtes. Und dennoch findet Leafar Ausdruck in seiner Musik und seinem Style und verarbeitet sein Leben in der Gang, seinen Selbstmordversuch oder auch den Tod des Vaters auf seine eigene Art, ohne die eigenen Wurzeln zu leugnen. In der Tat, auf seine ganz eigene Weise fasziniert mich das.

Ob die PRAYERS in der Lage sind, „Cholo Goth“ als Subkultur zu platzieren, halte ich für fraglich, das scheint aber auch nicht das Ziel zu sein. In der Welt aus Schubladen haben sie sich ihre eigene Schublade beschriftet, biedern sich keinem existierenden Stil an und machen ihr eigenes Ding.

Noisey, dem musikalischen Ableger von VICE erzählt Leafar: „This life has many faces. I’m like a diamond. There’s different cuts to me—gang life, music, art—all the things that make Leafar Seyer, without having to be disloyal to one or the other. The cholos have a hard time accepting me because of the part of me that’s gothic. The death-rockers and the goth kids have a hard time accepting me because I’m a cholo. So I have to find my own reality.“ In einer kleinen Dokumentation nehmen die sich dann der Band und dem „Cholo Goth Movement“ an.

Radio: Kult um den Totenkopf – Der Tod ist unser Gefährte

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Das Radio ist ein unterschätztes Medium, ebenso wie der Totenkopf. Verdammt zur Berieselung unserer Sinne fristen die meisten Radios ein trauriges Dasein in Autoradioschächten, verkümmern als Radiowecker zum schlimmsten Geräusch-Erzeuger der Morgens oder versuchen das Blubbern und Zischen der Kochtöpfe als Küchenradios zu überspielen. Glücklicherweise haben Internet, und die Renaissance des Walkman in Form von Handys und Mp3-Playern dafür gesorgt, dass sich einige wenige wieder ein wenig Zeit nehmen zuzuhören. So machte mich Todesrodler Jan auf eine Sendung des Deutschlandfunks aufmerksam, die sich mit der Gothic-Szene auseinandergesetzt hat. „Vom Subversiven zum Mainstream“ beschäftigt sich mit dem Symbol des Totenkopfes, das einst als Mahnung vor dem Tod galt, und nun zum Fashion-Symbol geworden ist.

Eine Sendung, die auch mich zum Nachdenken brachte. Es ist Fakt, dass Totenköpfe, Skelette und Gebeine niemanden mehr erschrecken, genau wie viele andere Symbole – die vom Mainstream aufgesaugt wurden – auch. Es stellt sich die Frage, wie die Symbole der Abgrenzung heute aussehen? Schwarze Klamotten reichen nicht, soviel ist schon mal klar, heute müssen schwere Geschütze aufgefahren werden, um sich seine Abgrenzung zu erhalten.

Anlass zur Sendung gibt eine Ausstellung im Kassler Museum für Sepulkralkultur, die sich im sogenannten „Sepulkralkaufhaus – Buy now die later“ mit der Tatsache auseinandersetzt, dass die Symbole für Tod und Vergänglichkeit mittlerweile zu Fashion-Elemente geworden sind. Auch die Gothic-Szene hat darunter zu leiden, denn mit die Symbole, die einst der Abgrenzung dienten, sind nun Bestandteil des Mainstreams. Ulrike Neurath, die Kuratorin der Ausstellung, gegenüber dem Deutschlandfunk:

Die Todesmotive tauchen seit einigen Jahren in unserer Alltagswelt auf. Es ist so, dass wir die Todesmotive im Grunde genommen konsumieren. Und wenn man etwas konsumiert, dann passiert das am ehesten in einem Kaufhaus in einer Shopping-Mall. Und deswegen lag es nahe, diese Ausstellung wie ein Kaufhaus zu inszenieren. […] Allen voran die Punkszene, beziehungsweise die sich daraus speisende Gothic-Punk-Szene, die ja eine Affinität, eine Nähe zum Morbiden entwickelt hat und sich dann natürlich auch mit entsprechenden Attributen, mit bestimmten Symbolen umgeben und geschmückt hat. Und der Hintergrund war, sich einmal von einer oberflächlichen Bürgerlichkeit, sich vom Establishment abzugrenzen und natürlich auch eine gewisse Lebenseinstellung und ein bestimmtes Lebensgefühl darüber zu signalisieren.

Auch wenn die Sendung aufgrund ihrer Machart ein wenig steif und trocken daherkommt, ist der Inhalt interessant und inspiriert zu Fragen an sich selbst. Ihr solltet euch die 8:25 nehmen und dann kommentieren, wie eure Gedanken dazu aussehen.

Beitrag leider nicht mehr verfügbar.

Besonders die Gothic-Szene begreift den Tod nicht als Feind, sondern eher als Gefährten.

Leider ist von diesem Geist viel verloren gegangen, denn genau wie die Symbole der Abgrenzung hat es auch die Szene der Abgrenzung ein Stück weit in den Mainstream geschafft. Allenfalls gelten wir als Freaks oder werden gar belächelt, was in Zeiten, in denen man schwarze Strampler mit Totenkopfsymbolen kaufen kann, nicht wirklich verwunderlich ist. Womit grenzen wir uns heute ab? Damit, dass wir selbst bei 30 Grad in langen schwarzen Gewändern aus Lack und Latex durch die Sonne waten, durch das Verwischen von geschlechtlicher Identität oder durch Symbole und Element der Naziästhetik?

Die „alten“ Gruftis distanzieren häufig sich vom Abgrenzungsverhalten des Nachwuchses und werden damit vielleicht selbst ein Teil des Mainstreams. Eigentlich ein bisschen verlogen. Früher hat ein umgedrehtes Kreuz, Totenkopfsymbole, auffällige Haare oder weiße Schminke dazu verwendet, sich abzugrenzen. Heute gehören Sidecut und Undercut längst zum Standard von Ilses Haarsalon, umgedrehte Kreuze kauft man bei H&M und Totenkopfsymbole sind einfach nur noch niedlich. Ist es nicht verlogen dem Szene-Nachwuchs die heutigen Mittel der Abgrenzung madig zu machen? Sind wir die Instanz die zu bestimmen hat, wo die Grenzen der Provokation liegen? Ich bin neugierig, wie ihr das seht.

Gothic Castle – Schwarze Klangdarbietung in historischer Kulisse

Gothic CastleBei meiner Recherche für den Underground-Festival-Guide musste ich feststellen, das kleiner Parties und Festivals gar nicht so rar sind, wie man gerne annehmen mag. Nicht nur das, oftmals wird auch noch ein liebevolles schwarzes Drumherum-Programm geboten. Nachdem auch hier kritisch über das Amphi-Festival berichtet und kontrovers diskutiert wurde, soll nun auf genau so eine Veranstaltung verwiesen werden: Das Gothic Castle am 29. August 2015.

Spontis Wochenschau #04/2015

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Schon bemerkt? Im Dunkeltanz, dem schwarzen Tanzpalastführer (ob das jetzt besser klingt als Clubguide?) ist ordentlich was los. Bei der jüngsten Aktualisierung habe ich 12 Clubs entfernt, die nun geschlossen sind oder ein anderes Musikprogramm bevorzugen. Ob es sich dabei um Großraum-Diskos handelt, von deren Sterben „Die Welt“ berichtet, will ich nicht beurteilen, doch die im Artikel angesprochene Ausgehmüdigkeit kann ich nachvollziehen. Nicht nur bei mir selbst, sondern auch in meinem Umfeld. Wir verbringen mehr Zeit mit der Arbeit, beschäftigen uns mit dem Computer, Fernseher oder Spielekonsolen und treffen ganz nebenbei den gesamten Freundeskreis in sozialen Netzwerken. „Warum sollte man auch zum Musik hören in eine Disco gehen? Da spielen die sowieso nicht die Musik die ich hören will.“ Während man in den Kulttempeln der Jugend Musik neugierig entdeckte, penetriert man heute den DJ mit seinen Wünschen. Der beste DJ heißt heute Spotify oder Youtube. Doch es gibt auch positives zu vermelden: Denn entgegen jeder düsteren Vision und vermeintlicher Ausgehmüdigkeit entstehen im Moment vielen neue (und alte) Partys im Ruhrgebiet mit ambitioniertem Programm in deutlich kleineren Clubs.  Gebt denen, die nicht aufgeben wollen echte DJs zu sein, eine Chance. Es lohnt sich für alle, denn die Szene ist ein Kind dieser Discotheken. Hier trifft sich die lokale Szene, macht sich zurecht und tauscht sich aus, während Musik, die man nicht unbedingt kennt, für Inspiration sorgt. Lasst es uns versuchen.

  • Polizei öffnet Sarg in Zirndorf: „Leiche“ war quicklebendig | Nordbayern.de
    Neben dem PKW steht ein Anhänger, auf ihm liegt ein Sarg! Es ist 7:30 und der Mann, der mit seinem Hund spazieren geht, gefriert das Blut in den Adern. Völlig panisch, aber geistesgegenwärtig verständigt er die Polizei. Als die Beamten aus Zirndorf in der Kneippallee eintreffen, nehmen sie all ihren Mut zusammen und öffnen den Sarg. Sie trauen ihren Augen nicht, denn tatsächlich liegt ein Grufti im Sarg. Seine Augen sind geschlossen, ist er tot? Doch was ist das? Er atmet! Und noch bevor die Polizisten darüber nachdenken können, wie ihnen geschieht, erwacht der junge Mann. Wahnsinn! Sie stellen den jungen, schwarzgekleideten Mann angsterfüllt zur Rede. Aus nostalgischen Gründen hätte der 26-jährige sich den Sarg vor einiger Zeit gekauft und zum schlafen hergerichtet. Noch während die Beamten im Gespräch verwickelt sind, erwacht die 35-jährigen Freundin des Mannes, die im mit schwarzen Tüchern verhängten PKW genächtigt hatte. Es stellte sich heraus, auch sie ist ein Grufti! Er verspricht nicht wieder in der Öffentlichkeit so zu schlafen und wird wieder auf freien Fuß gesetzt. Doch „nordbayern.de“ lässt nicht locker und geht der Meldung auf den Grund und enthüllt ein paar Tage später:
    Metzger Patrick ist der Grufti aus dem Reisesarg (!) (Das Ausrufezeichen wurde als Stilmittel hinzugefügt)
    Ganz Deutschland – so der Autor des Artikels – „runzelt die Stirn“ über den jungen Mann, der im Sarg geschlafen hat.  Patrick war Hufschmied und Totengräber bevor er Metzger wurde, ob die Berufswahl mit seiner Passion zu tun hat, lässt der Artikel jedoch offen. Auch durch die Tatsache, dass Patricks Bruder bei einem Familiendrama erschossen wurde verleitet den Autor nicht zu Spekulationen. 9 Särge hat er im Keller, einen zehnter Sarg steht in seinem Schlafzimmer. „Schwarzes Hemd, schwarze Nietenhose, umgedrehtes Kreuz an der Halskette: Kein Wunder, dass alle den schlanken Hünen (1,95 Meter) nur „Dracula“ oder „Vlad“ rufen.“ Verrückt, oder? Da macht ein junger Mann einfach was er will! Schläft in Särgen, hat Vampirzähne und trägt schwarze Kleidung. Ich bin gespannt, wie es weitergeht mit dem Patrick aus Erlangen.
  • Schwarz, aber herzlich | Migros Magazin
    Auch in der Schweiz sucht man dem Sinn des schwarzen Daseins und porträtiert verschiedene Charaktere, darunter Zwillinge die Besoffene nicht hübsch finden, einen Unternehmer, der ohne Gothic nicht so erfolgreich wäre, die Fotografin Annie Bertram die Gegensätze und Perfektion liebt, ein Szene-Paar mit Fledermaus-Schlüsselbrett und eine Designerin, die sich im Kulturzentrum „Kiff“ mit dem schwarzen Virus infizierte. Die ausstehende Erklärung überlässt man aber gekonnt den Profis:  „Wie kommt es zu diesen morbiden Vorlieben? «Gruftis kultivieren eine Anti-Smalltalk-Kultur. Sie suchen Tiefgang und hinterfragen Tabus», sagt Regisseurin Mitra Devi (51), die sich im Rahmen ihres Dokumentarfilms «Gothic» (2014) mit der Schwarzen Szene auseinandergesetzt hat. Auch Janosch Tröhler (24), Redaktionsleiter des Online-Szenemagazins «negativewhite.ch», erkennt im Hang zu Schwarz und Schwere eine Protestreaktion zur gängigen Oberflächlichkeit, gleichzeitig aber auch eine Aufforderung, das Leben zu geniessen: «Indem man sich stets bewusst ist, dass das Leben endlich ist,erlebt man den Moment intensiver.» Gleichzeitig würde sich die Szene dem Konsum und Kommerz verschliessen und ihre Erfüllung eher im inneren Reichtum suchen.
  • Pavel Kondratiev | Demonit
    Zusammen mit Valeriia besucht Fotograf Pavel das WGT in Leipzig. Während sie ihre Eindrücke niederschreibt, versucht Pavel die Faszination mit seiner Kamera festzuhalten.  „Ich fühlte mich wie ein fremder heller Fleck in einer langen Schlange der Trauer und stellte mich an, um Tickets in Armbänder umzutauschen, wobei mir Bange wurde, dass ich schräge Blicke ernten würde. Aber vollkommen umsonst. Schnell ging dieses Gefühl in eine leichte Verärgerung über: Mensch, hätte ich doch aus Moskau einige Vinylkleider mitgebracht. Auch ich möchte so schön sein! Um mich herum waren so viele ungewohnte Leute, die einander nicht ähnlich sahen, in Make-up, in Latex, in Leder, in Samt, in Spitze mit verschiedenen selbst gemachten Mechanismen, mit riesigen Irokesen, mit erfinderischen Accessoires, angenehme Männer in Strümpfen und Korsetts, vollschlanke, halbnackte Frauen à la „Bodypositiv“, riesige Menge an Menschen, die sich nicht schämten zu fantasieren, sodass man in einiger Zeit aufhört in Kategorien wie gut/schlecht oder schön/hässlich zu denken.
  • Teufelsanbeter stellen Satans-Statue auf | N24
    Und während wir hier in Europa gegen satanistische Einordnungen kämpfen, stellen die Mitglieder vom „The Satanic Temple of Detroit“ ganz dreist eine Baphomet-Statue zur Schau. Ziegenkopf, Hörner, menschlicher Körper und Flügel auf dem Rücken, die Hände zeigen angeblich eine satanische Geste. Angeblich, weil die Enthüllung der 2,74m großen Statue dann doch nicht stattfand. Auf ihrer Internetseite macht die nicht-göttliche Religionsgemeinschaft auf eine bevorstehende, sehr exklusive Enthüllung aufmerksam. Mit dabei, „Sadist“ eine Dark Punk Band aus Boston und ein William Morrison, der mal irgendwas mit Skinny Puppy gemacht haben soll. „Never before seen in public, The Satanic Temple Baphomet monument is already the most controversial and politically charged contemporary work of art in the world. Weighing one ton and towering at nearly nine feet tall, the bronze statue is not only an unparalleled artistic triumph, but stands as a testament to plurality and the power of collective action.
  • Wir haben Goths im Amazonasgebiet gefunden | Vice
    Manaus ist die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas und liegt Stilecht an der Mündung des Rio Negros. Einige der 1,8 Millionen Einwohner sind sogar Gothics, wie Reporter für Vice herausfanden: „Die Goth-Szene von Manaus wird, genau wie ähnliche Szenen auf der ganzen Welt, von manchen mit Satanismus, Schwarzmagie, Drogen und Mord in Verbindung gebracht.“ Und ja, Goths nahe des Amazonas haben besondere Probleme, die wir nicht kennen. Das Klima. Bei 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 86% hält keine Frisur und lange wallende Kleider werden zur unerträglichen Last. Und doch, es gibt sie, die schwarzen Seelen im Regenwald. „Ich würde gerne mit einem Zitat von Lupicíno Rodriguez enden“, sagte Lúcio am Schluss des Interviews. „‚Es gibt Menschen, die verlassen den Himmel, weil er dunkel ist, und so suchen sie das Licht in der Hölle.‘ Das Zitat ist sehr Goth, dabei stammt es aus einem Samba-Song aus den 1950ern. Es kommt immer darauf an, welche Interpretation der Kunst wir alle wählen.“ (Quelle: Flederflausch)
  • Belfast City Hall had no tours on a Saturday… because officials feared Goths would invade | Belfast Telegraph
    Also dieses Iren! Weil sich in Belfast die ortsansässige Jugend in Schwarz, in Fachkreisen auch „Goths“ genannt, am Samstag immer vor der dem Rathaus trifft, hat man nun beschlossen, Führungen und Besichtigungen für diesen Tag auszusetzen. Man hat wohl Angst davor, dass die Goths das Rathaus übernehmen und die Stadtherrschaft an sich reißen. „The veteran gay rights campaigner said the doors had been shut over fears of anti-social behaviour by young people who gather in numbers in the grounds of City Hall at weekends. „I discovered that because of a fear of an invasion of Goths, they had closed the front door on a Saturday for the last 15 years,“ he expained.“
  • How to survive summer as a Goth | Dazed
    Das lasse ich einfach mal so stehen. Da gibt das Magazin „Dazed“ doch tatsächlich Tipps, wie man als Gothic im Sommer „True“ bleibt, also möglichst krank, gefährlich und mysteriös aussieht. Kurzform: Schminkt eure Augen rot, tragt Springerstiefel und kaputte Klamotten. Da fällt Dir nichts mehr ein. „Channel Alexander McQueen’s suitably gothic AW98 show by swapping out your favourite black kohl for a swipe of red eyeliner. “It’s way lighter than a face full of powder and you’ll still look super scary,” the duo explains. Bonus: you can pass for your favourite pallid-looking vampire. It’s “the easiest way to look sick during summer.”
  • The Cremator – Chinesen lassen sich im Freizeitpark von einer simulierten Einäscherung beeindrucken | Daily Mail
    Ach ja, die Chinesen spinnen auch. Da gibt es doch tatsächlich einen Freizeitpark, in dem es eine Art Verbrennungstour gibt. Das „Erlebnis“ beginnt in einer ausstaffierten Leichenhalle, in dem sich die Gäste in einen Sarg legen. Auf einem Förderband geht es dann zur Verbrennung, die mit Lichteffekten und heißer Luft simuliert wird. Danach stehen sie schweißgebadet wieder auf. Einige der Gäste, so berichtet die Daily Mail, würden schwören „nie wieder zurück zu kommen.“ Blöd nur, dass es vermutlich irgendwann ein Wiedersehen geben könnte. Dann aber mit echten Flammen.
  • The Pilippines‘ Cemetery Slums | VICE

 

Türme, Teller, Iros. Die Grufti-Haarkunst zwischen 1985-1993

Wir verlassen heute mal die Spontis-übliche Tiefgründigkeit für eine kurze bebilderte Exkursion in die Grufti-Haarkunst Mitte der 80-er/Anfang der 90-er Jahre. Eine Zeit, in der es noch kein Internet gab, sondern man in der BRAVO mit den ersten Berichten über New Waver und Gruftis konfrontiert wurde. Eine Zeit, in der man sich noch stilecht mit Tinte und Feder geschriebene Briefe inklusive ersten Grufti-Tausch-Fotos oder Musik-Kassetten durch ganz Deutschland schickte und man somit – eher unbewusst – den Anfang einer vorher nie dagewesenen Subkultur mitgestaltete.

Für viele Szeneleute heutzutage mögen Äußerlichkeiten oberflächlich sein, beim Gruftidasein zählt – unabhängig vom Aussehen – nur die innere Einstellung. Ihr kennt das Thema aus unzähligen Endlos-Diskussionen zur Genüge und das soll jetzt auch nicht Bestandteil dieses kleinen Artikels sein.

Dennoch wurde gerade Mitte der 80-er/Anfang der 90-er – zwischen besinnlichem Friedhofsbesuch und Partyleben – besonders viel Wert auf Äußerlichkeiten gelegt. Das gehörte nun einmal mit dazu und wie sonst sollte man sich optisch von der Masse, also der normalen Gesellschaft, abgrenzen?

Ich lasse hier mal völlig außen vor, aus welchem Grund sich der einzelne Grufti entsprechend herrichtete, sondern gehe wirklich nur auf die Frisuren ein. Gerade am Wochenende wurde hier – zu „meiner“ oben bereits erwähnten Zeit – gerne richtig (Treib-)„Gas“ gegeben, denn in der Woche mussten Gruftis genauso arbeiten gehen wie jeder andere auch und die Zeit zum Aufbrezeln war in der Woche demzufolge meist knapp.

Stundenlang verbrachte also der (anfangs) New Waver oder (später) Grufti am Wochenende – alleine oder in kleinen Rudeln, zwecks gegenseitiger Unterstützung – seine Zeit vor dem Spiegel, bewaffnet mit Schmink- und Frisier-Utensilien, um das eigene Erscheinungsbild aufzupimpen. Höher, größer, extremer wurde auch hier dann gerne schon genommen. Alte Videoaufnahmen, sei es aus dem Zwischenfall oder den Domplattentreffen, zu denen Gruftis aus ganz Deutschland anreisten, noch bevor es das heutige WGT gab, belegen dies, ebenso wie unendlich viele Fotos aus diesem Zeitraum.

Und wenn die Frisur nach dem Einbetonieren noch wackelte, aus Versehen Beulen beinhaltete oder gar weiße Haarsprayfäden zu sehen waren, hat man lieber wieder alles ausgewaschen und ist dann halt unstyled zur Party gefahren, anstelle sich mit einem zusammenfallenden Frisur-Bauwerk der Öffentlichkeit zu präsentieren. Jedenfalls war es bei mir so, ich geb’s zu. ;-) Aber unstyled wegzugehen, machte man seinerzeit wirklich nur in Ausnahmefällen.

Gebaut wurde in der Regel mit viel Haarspray oder Haarlack, nicht selten ging für eine Frisur mindestens eine Flasche drauf. Toupiert wurde mit Kamm oder Bürste. Eine großartige Hilfe zum Haarestellen war das Kreppeisen. Die vorherige Behandlung hiermit – in Verbindung mit Haarspray – brannte das Haar vorher so schön spröde, dass die anschließende Toupiermaßnahme ein Klacks war. Jegliche Naturlocken hatten nach dem Kreppen keine Chance mehr, die Frisur zu versauen. Denn Locken gingen sowieso grundsätzlich schon mal nicht für einen Grufti! Man wollte ja schließlich nicht niedlich aussehen.

Mone vom Rabenhorst 1986
Bild 1: Mone vom Rabenhorst 1986

Jeder hat bekanntlich mal klein angefangen, so natürlich auch ich. Meine erste New Wave-Frisur im Jahre 1985 ähnelte ein wenig meinem damaligen Lieblingssänger Robert Smith. Ich denke, da ging es nicht nur mir so, es seinem Vorbild gleich zu tun. Die Haare wurden wild und wuschelig durcheinander toupiert und dann mit Haarspray fixiert. So sahen wir dann zum Beispiel aus:

Heiko Bender 1987
Bild 2: Heiko Bender 1987 – Aus einem Artikel der Zeitschrift Quick.
Manuela Adomat 1990
Bild 3: Manuela Adomat 1990

Nachdem dann irgendwann bei mir der Undercut Einzug hielt, der übrigens direkt – zur Begeisterung meiner Mutter – im Schachbrett-Muster designed war, habe ich mir auch zum ersten Mal die Haare nach oben gestellt. Ich selbst hatte nur einmal einen höheren Turm oder auch „Kerze“, wie diese Frisur damals auch schon mal genannt wurde. Es gab sie in verschiedenen Ausführungen. Mit oder ohne Strähne im Gesicht, ganz gerade hochgezogen oder nach oben hin breit auslaufend. Türme waren nicht wirklich meine persönlich bevorzugte Frisur. Ein Turm ist allerdings – je nach Haarlänge – eigentlich relativ einfach zu bauen, auch für „Anfänger“.

Mone vom Rabenhorst 1987 - Turmfrisur mit Straehne
Bild 4: Mone vom Rabenhorst 1987
B. 1989 - Turmfrisur
Bild 5: B. etwa 1989
Angy 2008 - Turmfrisur mit Straehne
Bild 5a: Angy 2008
N. und I. 1990 - Turmfrisur mit Straehne
Bild 6: N. und I. etwa 1990

N. dürfte wohl Anfang der 90-er auf diesem Bild den Turm-Highscore gelegt haben. Spätestens jetzt dürfte wohl die gern genommene Ausrede „Meine Haare sind zu lang zum Stellen!“ keine Bedeutung mehr haben. ;-)

Aus dem Turmbau heraus gab es dann noch weitere bauliche Möglichkeiten, wie zum Beispiel Fächer oder Stacheln, oder auch Türme, bei denen die Haare vom Kopf/Scheitel nach oben zu den äußeren Haaren gezogen und befestigt wurden, so dass innen ein Loch entsteht. Auch hier gab es viele verschiedene Varianten, mit und ohne Strähnen im Gesicht.

 Melina Marks 1998 - Doppelter Iro mit Straehne
Bild 7: Melina Marks 1998/1999
Foto 8 - M. etwa 1990
Bild 8: M. etwa 1990 – ebenfalls einer der höhentechnischen Rekordhalter aus dem Zwischenfall

Wenn man nicht ganz so viel Zeit zum Stellen hatte, toupierte man die Haare einfach gut durch und legte sie auf eine Seite rüber. Vorteil an dieser Frisur ist, dass man sie eigentlich mit jeder Haarlänge machen kann. Voraussetzung hierzu ist jedoch mindestens ein kleiner Sidecut, sonst sieht es einfach nicht so gut aus.

Mone vom Rabenhorst und Sandra 1990
Bild 9: Mone vom Rabenhorst und Sandra 1990 – Sandra war übrigens 15 Jahre auf dem Bild und keiner hats in der Disco gemerkt, haha!
Mone und Ralf vom Rabenhorst 1990
Bild 10: Mone und Ralf vom Rabenhorst 1990 beim Domplattentreffen – Foto von Jens Kreimendahl
Bjoern Herrmann 1990 beim Domplattentreffen
Bild 11: Björn Herrmann 1990
Heinz Vollmann 1990
Bild 12: Heinz Vollmann 1990

An manchen Tagen sparte man sich dann auch schon mal das aufwendige Toupieren oder man bastelte halt Haarteile mit ein.

Heinz Vollmann 1993 - Mit eingearbeiteten Haarteilen
Bild 13: Heinz Vollmann 1993

Die heute unter anderem als Deathhawks bezeichneten um- oder eingeklappten Iros, die man heutzutage an jeder Ecke auf den Festivals sieht, waren zur damaligen Zeit noch gar nicht so verbreitet. In meinen hunderten alten Bildern habe ich gerade mal zwei Beispiele hierzu gefunden.

O. etwa 1990 - Deathhawk mit Strähne
Bild 14 – O. etwa 1990
Hermann 1989 - Deathhawk
Bild 15: Hermann 1989

Eine besondere Spezies unter den Haarbaukünstlern stellten die Tellerträger dar. Vermutlich gab es im Zwischenfall zu unserer Zeit die größten ihrer Art. Kamen sie im Rudel die Treppe hoch, waren sie insgesamt schon eine sehr imposante Erscheinung. Unvergessen ist mir bis heute, wie einer meiner damaligen Freunde (Hermann, R.I.P.) meistens seinen Kopf auf die Seite bzw. Schulter legen musste, um überhaupt durch den Türrahmen einen Raum betreten zu können.
Das Führen eines Fahrzeuges war auch jedes Mal eine neue Herausforderung. Die Haare nicht in der Autotür einzuklemmen, war eine wahre Kunst. In einer tellerfreundlichen Haltung im Auto vom Ruhrpott bis ins tiefste Bayern zu fahren und dann nachts versuchen, mit dieser Frisur und vollem Outfit (Patronengürtel etc.) ein Hotel im ländlichen Nirgendwo zu finden: Unbezahlbar! Ok, ich merke, ich schweife ab….

Für einen Teller darf der Undercut nicht ganz so hoch (also nicht bis zu den Schläfen) sein. Die Haare an den Seiten werden als Stützhaare benötigt. Heutzutage sind Teller, vor allen Dingen gut und gleichmäßig gebaute, eine absolute Rarität. Sie sind sozusagen fast ausgestorben, im Gegensatz zu allen anderen Frisuren. Vielleicht sieht man noch zwei, drei auf dem gesamten Wave-Gotik-Treffen.

Ich fand die Tellerträger immer sehr interessant anzusehen, ich habe sogar 1992 einen geheiratet. Mein geliebter Rabe sagt immer frech: „Wer sich keinen Teller bauen kann, baut sich NUR ’nen Iro!“ Blablabla! Hier ein paar Beispiele aus alten Tagen.

Ralf 1990 mit Teller-Frisur
Bild 16: Ralf vom Rabenhorst 1990
Ralf vom Rabenhorst 1990 - Teller-Frisur
Bild 17: Ralf vom Rabenhorst 1990
B. etwa 1990 mit Teller-Frisur
Bild 18: B. etwa 1990
Michael Grail 1990
Bild 19: Michael Grail 1990
Michael Grail 1990
Bild 19a: Michael Grail 1990
Frank mit Teller 1991
Bild 19b: Frank 1991

Man kann einen Teller sicherlich auch auf einer Seite nach unten klappen lassen. Architektonisch sind hier keine Grenzen gesetzt, genau wie bei ALLEN anderen Frisuren.

Ralf vom Rabenhorst 1991 - Gekalkt und mit Teller
Bild 20: Ralf vom Rabenhorst 1991

Kommen wir zum Abschluss zu meinen Lieblingsfrisuren, die ich früher wie heute einfach immer nur als Iros bezeichne. Einschließlich der mehr als langweiligen Krepperei saß ich – je nach Haarlänge – schon mal 3 bis 4 Stunden an so einem Bauwerk. Ich habe grundsätzlich immer alles alleine gemacht, keiner durfte mir an die Haare. Meinen letzten Iro vor meiner Szene-Abstinenz stellte ich 1992. Damals nervte es, dass ich nicht mal meinen Kopf nach rechts oder links drehen konnte, ohne dass irgendwelche Leute an meinen Haaren hängen blieben.

Für mich zeichnet sich ein guter Iro dadurch aus, dass die Haare in voller Länge gestellt und nicht umgeklappt werden, so wie bei den Deathhawk. Es gibt schmale Iros (oft bei Punks gesehen), breite Iros, welche, die an den Haarspitzen zusammengedrückt werden und solche mit und ohne ins Gesicht fallenden Strähnen.

Beim Ausführen jeder der hier dargestellten Frisuren sollte man möglichst Wind, Regen und hohe Luftfeuchtigkeit meiden. Es kann als Alptraum eines jeden Gruftis bezeichnet werden, wenn das Haarkunstwerk anfängt, pampig zu werden und Andeutungen macht, klebrig in sich zusammen zu fallen.
Hatte das Haarkunstwerk seinen Besitzer ausreichend glücklich gemacht und somit seinen Zweck erfüllt, kam man leider nicht drum herum, mit viel Shampoo und Spülung die festgeklebte Masse auszuwaschen. Dazu waren locker schon mal 5 – 8 Waschgänge nötig – je nach eingesetzter Haarspraymenge. Wenn man beim anschließenden Auskämmen der Knoten noch fachkundige Hilfe hatte, konnte man sich glücklich schätzen. Immerhin war der Rücken schon vom Waschen (eine halbe Stunde kopfüber über der Badewanne hängen) schon genug lädiert. ;-) Nicht wirklich glücklich war man anschließend beim Anblick der gefühlt eine Millionen abgebrochenen Haare, die man in der Bürste fand. Aber was solls, wir waren jung, wir hatten ja noch genug davon.

Turm-Frisur auskämmen 1991
Bild 24a: Der Rabe hilft beim Auskämmen – 1991

Berühmte letzte Worte

Die Zeit bleibt nicht stehen und die schwarze Szene hat sich sehr verändert. Einflüsse aus allen möglichen und unmöglichen Richtungen, im Falle dieses Artikels hier natürlich was Outfits betrifft, haben Einzug gehalten. Die meisten Leute tragen – wenn überhaupt – Perücke, Hüte, Hörner oder sonstige Headpieces, mal mehr oder weniger passend zu ihren Kleidern. Muss ja auch jeder selber wissen, was er trägt. Und kann jeder gut finden wenn er mag – oder auch nicht.

Die Folge hieraus ist, dass man kaum noch „altmodische“ Gruftis mit dem Outfit, wie in diesem Artikel dargestellt, sieht und daher ebenso auch leider kaum noch Leute, die sich die Mühe eines guten Haarstylings – mit dem eigenen Haar – machen.

Ich für meinen Teil erfreue mich daher immer an jedem Schwarzkittel der jüngeren Generation, die die alte Tradition der Haarbaukunst noch pflegen. Eine Handvoll habe ich inzwischen kennen lernen dürfen und beim Anblick eben solcher fühle ich mich immer ein bisschen in die „gute, alte Zeit“ versetzt.

Und zu ganz besonderen Anlässen und wenn ich mindestens 5 Stunden Zeit habe, was leider job- und umfeldbedingt heutzutage leider sehr selten ist, feiere ich auch schon mal dieser großartigen Zeit hinterher.

WGT Posing
WGT 2015 – Posing on Sunday with Ravenhorsts

Musikperlen – Hermann ist ein junger und kräftiger Mann (Tauchgang #32)

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Hard Corps – Je suis Passee (Video)

Im Londoner Stadteil Brixton gegründet, formten Hugh Ashton, Robert Doran und Clive Pierce die Band „Hard Corps“. Die drei Synthesizer-Freaks waren talentiert, geschickt und kreativ und hatte lediglich ein Problem. Niemand konnte singen. Auf einer Party trafen sie Regine Fetet, die, so berichtet Robert Doran:die so weit entfernt von dem war, was wir uns unter einer Sängerin vorstellten, dass wir ihr eine Chance gaben„. Sie war das kühle und provokante Aushängeschild das die Band brauchte. Bei Daniel Miller unter Vertrag und als Vorband von The Cure und Depeche Mode kamen sie schnell zu kleinen Erfolgen. Möglicherweise hätten sie auch in den USA einen Fuß fassen können, doch wegen Regines Angewohnheit, sie auf der Bühne zu entblößen, hat Depeche Mode sich dann doch für einen anderen Support entschieden. Spießer!  Ihrem größten Erfolg „Je suis Passee“ tat das keinen Abbruch. Immer noch ein Klassiker.

The Body Electric – Dash 1721

Aus Neuseeland kamen nicht nur gute Regisseure die was mit Ringen machten, sondern auch interessante Bands. 1982 trafen sich ein gewisser , Alan Jansson und gründeten nach ihrer Zeit als Teil des Wellington Punk die Band „The Body Electric“ zu der sich auch später der Sänger Garry Smith gesellte. Eine Zeit lang waren sie ganz erfolgreich auf der Insel unterwegs, bevor sie sich 1984 auflösten. Jansson hatte ein paar Jahre später endlich Erfolg und landete mit „How Bizarre“ von OMC einen Welthit, während Sänger Smith später die „New Zealand Ballet Company“ leitete.  Immerhin, das Stück „Dash 1721“ auf der B-Seite ist wohl in Erinnerung geblieben, wurde es mir doch jüngst von An Bl (nicht wird vergessen, vielen Dank!) ans Herz gelegt.

Hessen Ganz Groß! – Unter Der Achsel

Schau dir nur den Hermann an, ist der Hermann nicht ein schöner junger kräftiger Mann? Doch die Tochter rümpfte nur die Nase, sie will einen Mann der was ganz bestimmtes hat. Der Hermann kommt dafür nicht in Frage. Nur sie selbst, weiß was sie will.“ Irgendwann 1981 erschienen, nur auf Kassette. Irgendwann für die legendären „Kassettentäter“ entdeckt und trotzdem unbekannt geblieben. Und irgendwie finde ich sonst nichts, aber auch rein gar nichts über dieser Formation.