Im Vorfeld des Wave-Gotik-Treffens 2025 haben sich auf Initiative von Maren einige Autoren dazu entschlossen, ihre Sichtweise auf das WGT in Artikeln festzuhalten. Herausgekommen ist das WGT-Tagebuch, das euch nun mitnimmt und das Treffen aus der Sicht von Tanzfledermaus erleben lässt.
Für mich war der Pfingst-Sonntag der musikalisch spannendste Tag, aber auch der anstrengendste. Alle anderen Tage hatten nur wenige Acts im Programm, die mir wichtig waren – dafür war der Sonntag leider geradezu überfrachtet und ich hatte wirklich die Qual der Wahl, wo ich mich hinbegeben sollte. Fast alle Favoriten meines WGT-Besuchs sollten an diesem Tag auftreten, dazu noch in verschiedenen Locations. Auch alle drei von mir im Vorfeld bei Spontis empfohlenen Bands waren darunter (Soror Dolorosa, Darkways und Hallowed Hearts). Es stand zwar schnell fest, dass ich mit den Postpunk-Konzerten im Volkspalast beginnen würde, aber das „Danach“ bereitete mir Kopfzerbrechen: Parkschloss oder Moritzbastei – oder sogar beides noch versuchen zu kombinieren? Letzteres wäre kaum zu schaffen gewesen, zumindest nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, aber immerhin hätte ich dann vielleicht noch einen Teil eines Konzerts erleben können.
Ein kleines Spontis-Treffen im Volkspalast
Der Tag begann mit kühlem, zum Teil nassen, grauen und stürmischen Wetter, und das sollte sich auch nicht mehr ändern. Nach einem gemütlichen Frühstück mit meiner Mitbewohnerin in der gemieteten Unterkunft zögerte ich das Rausgehen trotzdem möglichst lange heraus. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mal was vom Rahmenprogram mitzunehmen, ein Museumsbesuch wäre ja gut möglich gewesen. Aber dann verquatschten wir uns und es lohnte nach dem Aufbrezeln kaum noch, was dazwischen zu packen.
So fuhr ich dann mit etwas Zeitpuffer zum Volkspalast, weil ich befürchtete, dass es mal wieder sehr voll werden könnte. Ich sollte Recht behalten, die Schlange am Einlass wurde später enorm lang – aber ich war noch früh genug, es hatte sich noch keine Schlange formiert, nur ein paar einzelne Leute und kleine Grüppchen standen und saßen herum. Auf einmal hörte ich meinen Namen, konnte jedoch die Ruferin zunächst nicht einordnen, die sich dann aber als graveyardqueen zu erkennen gab. Wir hatten schon in den Spontis-Kommentaren miteinander kommuniziert und voneinander gelesen, daher hatten wir auch gleich ein paar Gesprächsthemen. Und wir hatten das unglaubliche Glück, vor der richtigen Tür zu warten, so dass wir sogar als erste in die Halle wuseln konnten und einen prima Platz mit Tisch und freiem Blick auf die Bühne ergatterten.
Wir blieben nicht lange allein, natürlich nicht nur weil die Halle sich rasch füllte, sondern auch weil bekannte Gesichter auftauchten. So kam zunächst Mirjam dazu und später entdeckten wir Graphiel (dank seiner Spontis-Tasche) im Raum, den holten wir einfach noch dazu. Auch Pfingstgeflüster-Herausgeber Markus Rietzsch mit Mitbewohnerin Jule und Katharina und Parm vom Schemenkabinett und der Gruftfrosch mit Partner stießen zu uns, auch Sophie und Konrad waren in der Nähe. Also quasi ein erstes kleines Spontis-Vortreffen.
Plastique Noire aus Brasilien und Darkways aus Barcelona
Zunächst verfolgten wir den Auftritt von Plastique Noire aus Brasilien, die im Rahmen einer Tour zu ihrem 20-jährgen Bandjubiläum zum ersten Mal in Europa auftraten. Sie spielten sehr energiegeladen und der Sänger konnte auch stimmlich überzeugen, es war ein gelungener Auftritt. Bleib Modern im Anschluss schenkten sich einige von uns und blieben einfach in der Kuppelhalle sitzen, weil unser Platz so prima war und sich drüben vor der Kantine bereits die Massen drängten. Außerdem ergaben sich nette Gespräche, da passte eine Musikpause ganz gut.
Darkways aus Barcelona, die anschließend auftraten, konnten unsere Aufmerksamkeit aber wieder fesseln, weil sie wie erwartet ordentlich den Saal rocken. Tanzbar sind ihre Songs sowieso, aber die Energie kam auch von der Bühne gut herüber, so dass auch die sitzenden Zuhörer ins Herumzappeln kamen. Ich hatte passend zur Heimat der Band meinen kürzlich in Barcelona gekauften Fächer dabei, den ich aber leider recht schnell kaputt fächelte.
Nach Darkways zerstreute sich unser Grüppchen wieder etwas. Mir bot sich unerwarteterweise doch noch die Option, zum Parkschloss zu Soror Dolorosa zu fahren, indem ich mir mit Gruftfrosch und Freund ein Taxi teilte. Das setzte uns zwar an falscher Stelle ab und wir mussten ein gutes Stück durch den Park stapfen (es wusste ja anfangs auch keiner, wo ein Durchkommen möglich wäre), aber wir kamen noch rechtzeitig an.
Soror Dolorasa im Parkschlößchen
Es war zwar nicht mehr rechtzeitig, um in Ruhe noch etwas zu essen – die Schlange am Imbiss war auch recht lang und wir bekamen erst 5 Minuten vor Konzertbeginn unser Essen – aber wir schafften es zum ersten Song zu Soror Dolorasa in die Halle zu schlüpfen. Natürlich standen wir dann am hintersten Rand und sahen wenig, aber das Konzert war trotzdem beeindruckend.
Mein persönliches WGT-Highlight: Andy Julia hat eine erstaunliche Stimme und eine beeindruckende Bühnenpräsenz, geht völlig in seinen Songs auf. Leider spielten sie keines ihrer intensiven, melancholischen Stücke wie Apollo oder Low End, was aber vermutlich der kurzen Spielzeit geschuldet war. Da passen 10-Minuten-Songs schlecht ins Set. Der Bogenschütze Andreas und Katharina Noire waren auch zugegen, also schon wieder ein paar Spontis-Leser auf einem Haufen. Wir übten fleißig für den Montag!
Nach einer kurzen Pause begaben wir uns ins obere Geschoss zum anderen Saal, wo Saigon Blue Rain spielen sollten. Nach anfänglichem Fremdeln wusste die Band ebenfalls zu überzeugen, die Sängerin hat eine sehr kräftige, einnehmende Stimme und ihre Bühnenpräsenz war ebenfalls mitreißend. Dazu gab es eine schöne Lichtshow. Sie spielten tanzbaren Dark Elektro mit mal melodischen, mal treibenden Gitarreneinlagen, es gab auch ein gelungenes Cover von Depeche Modes „Behind the Wheel“.
Im unteren Saal traten anschließend Escape with Romeo auf, von denen ich aber nur zwei Songs mitnahm, weil mich meine WGT-Mitbewohnerin überredete, mit ihr die agra-Dancefloors unsicher zu machen. Eigentlich wollte ich ja noch den Dunkelromantischen Tanz im Parkschloss mitnehmen, aber der Parkettboden dort war so glatt, dass ich mit meinen sehr glatt besohlten Stiefeln Sorge hatte, mich ständig auf die Nase zu legen. Tanzen wollte ich aber auf jeden Fall und da es hieß, dass letztens die agra-Parties ganz gut gewesen sein sollen, begab ich mich dorthin.
Tanzeinlagen auf der AGRA
Zum Glück ließ man mich ohne Probleme auch ohne Obsorge-Bändchen über den Zeltplatz abkürzen. Es war schon seltsam, zum ersten Mal seit über 25 Jahren mal wieder den Zeltplatz zu betreten. Ich hatte nach einem WGT im Wohnmobil zum einen nicht mehr Lust, zu zelten und zum anderen sehr lange pausiert, so dass ich erst 2017 überhaupt wieder zum WGT fuhr, seitdem aber nur noch mit Übernachtung in einer Ferienwohnug. Der Zeltplatz lag sehr ruhig und friedlich da, ein paar zum Teil bunte LED-Ketten oder Lichteffekte verzierten manches Zelt.
Ich fand meine Mitbewohnerin und wir erkundeten die spätabendliche AGRA. Den vorderen, vollen Tanzraum ließen wir schnell hinter uns, weil da für uns unerträglicher Krach lief. Der hintere Raum war im Gegensatz dazu sehr leer, was aber auch an seiner gigantischen Größe lag, es gab jedenfalls reichlich Platz zum Tanzen. Es lief vorrangig leicht technoider Elektro mit ein paar EBM-Einsprengseln, zumindest in der ca. halbstündigen Zeit, die wir dort waren. Okay, war jetzt zum Teil nicht so ganz unser Ding, aber immerhin haben wir zu ein paar Songs getanzt, bevor wir mangels musikalischer Abwechslung keine Lust mehr hatten.
Ich hatte eigentlich noch großen Bedarf zu tanzen und wäre gerne zur Shockwave Party im Rahmen des Gothic Pogo Festivals im Werk 2 gefahren, aber da hörte man von einer wahnsinnig langen Schlange am Einlass. Es war immer noch sehr windig und inzwischen auch arg kalt, daher verwarf ich den Gedanken und entschied mich, den Weg zur Unterkunft anzutreten. Leider war gerade der Auftritt von Silke Bischoff zu Ende und es strömten wahre Massen zur Tram-Haltestelle. Kurz vor dem Eintreffen der Tram begann es zu regnen und alle drängten wie verrückt in das Gefährt, teilweise sogar mit Gewalt. Es hätte mindestens 3 Trams gebraucht, um alle zu befördern. Entsprechend voll war es und es kam auch nur ein kleiner Teil mit.
Ich hatte Glück und bekam einen halben Sitzplatz. Dafür keinen Anschluss im Zentrum mehr, weil sämtliche Anschlüsse innerhalb der nächsten Stunde mit „fällt aus“ markiert waren. Blieb also nur ein Taxi… Zum Glück fand ich eins und kam einigermaßen trocken zurück in die Wohnung.
Gerne wäre ich noch in die Moritzbastei zu Hallowed Hearts und Psyche gefahren, aber erstere hätte ich zeitlich nicht geschafft und letztere haben vermutlich die Kapazitäten des Raums gesprengt.
Aber ich war glücklich, dass ich es zu Soror Dolorosa geschafft hatte! Und es war ein ausgefüllter und abwechslungsreicher Tag voller schöner Konzerte und netter Gespräche.
Grufti seit 1989. Umkreist in unregelmäßigen Bahnen das Berliner Szeneleben - inzwischen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Tauscht sich gerne über das Gestern und Heute aus. Stromert liebend gern mit ihrer Kamera in und um Berlin herum und hält fest, was ihrem Gefühl von Ästhetik am Nächsten kommt.
Ein wichtiger Hinweis: das Video vom Auftritt von Soror Dolorosa stammt nicht vom Pfingstsonntag, aber immerhin von 2025. Leider habe ich bislang noch keinen Mitschnitt von diesem Konzert bei Youtube zum Verlinken finden können (auch von Saigon Blue Rain nicht, da gibt es nur ganz alte Mitschnitte). Meine eigenen Videos entstanden von sehr weit hinten und ließen sich hier auch ohne eigenen webspace vermutlich nicht einfach einbinden. Ich hätte euch auch gerne mehr Fotos gezeigt, hab es aber schlichtweg vergessen, mehr Bilder zu machen…
Auch an dich ein herzliches Danke für den tollen Bericht 🙂
Das kann ich leider bestätigen. Ich war ja an dem Abend mit Mirjam, graveyardqueen und später dann auch mit Gruftfrosch bei der Gothic Pogo. Mit meinem Bändchen war das alles keine große Sache. Etwa 15 Minuten gewartet, danach ging es fix, da die Schlange am Bändcheneingang um ein vielfaches kürzer war. Drinnen habe ich dann noch etwa eine 3/4 Stunde auf Mirjam und graveyardqueen gewartet, weil die Security ihren Job dieses mal besonders ernst zu nehmen schien und die Leute in der Warteschlange komplett auf den Kopf stellte. Das nicht noch der Gummihandschuh gezückt wurde ist eigentlich schon ein kleines Wunder 😂
Das ist schon heftig… vermutlich aus dem Anlass, dass es inzwischen leider wieder extrem viel Übergriffe gegen queere Menschen gibt und sich bei der Shockwave Party durchaus einige davon tummeln, was ein erhöhtes Sicherheitskonzept nötig machte? Am Montag kamen wir jedenfalls ohne langes Warten und großes Gefilze durch die Kontrolle zur Abschlussparty.
Vielleicht. Allerdings gäbe es auch eine alternative Erklärung:
Das Werk 2, bzw. die Veranstalter des Gothic Pogos sahen sich ein paar Wochen zuvor gezwungen ein Statement auf ihrer Homepage abzugeben. Darin ging es nicht um queere Menschen, sondern den Israel-/Palästinerkonflikt. Offenbar befanden einige Vollpfosten den Veranstalter für „nicht links genug“ oder sowas, weil dieser sich gegen Antisemitismus aussprach. Hier mal aus dem Statement zitiert:
Hier das komplette Statement:
https://www.gothicpogo.com/statementde
Vollidioten findet man inzwischen halt leider nicht nur in der rechten/queerfeindlichen Ecke 🤮
Au Backe… die Welt wird leider immer verrückter und extremer…
Das Statement der Gothic Pogo Crew auf ihrer Seite finde ich sehr gut formuliert und eindeutig.
„Das nicht noch der Gummihandschuh gezückt wurde ist eigentlich schon ein kleines Wunder 😂“
Darüber bin ich sehr froh!!! Reicht schon, dass der Typ mit seiner Pfote in meinem Kulturbeutel, zwischen meinen O.b.’s, Kosmetika und Ersatzschlüppi, rum gekramt hat 🙄😅.
Wirklich schöner Bericht. Da bekommt man nochmal einen Einblick, wie viel bei dir an dem Tag los war.