Soft Clubbing: Totengräbertanz bei Tageslicht? Ein Grufti auf Spurensuche

Soft Clubbing ist das neue Party-Phänomen, das die Feierkultur von der späten Nacht in den frühen Nachmittag verlagert und häufig auf Alkohol verzichtet. Während Gen Z den Hype um Matcha-Raves feiert, stellt sich ein Grufti der ersten Stunde die Frage: Ist dieser Trend die Rettung für die sterbende Gothic-Szene? Dieser Artikel beleuchtet neugierig die praktischen Vorteile des „sanften Feierns“ und wirft gleichzeitig einen zutiefst skeptischen Blick auf die fehlende Dunkelheit und Katharsis, die für die schwarze Seele so wichtig sind.

Die Krise der schwarzen Seele

Wer wie ich noch die Tanztempel der ersten Stunde erlebt hat, der weiß: Der Club war mehr als nur ein Ort. Er war unser Szeneelixier, unsere schwarze Kathedrale und das Licht am Ende des Tunnels, auf das man die ganze Woche hinarbeitete. Das dumpfe Wummern der Bässe, die Dunkelheit, in der man sich verlieren, und doch ganz man selbst sein konnte. Es war Katharsis, Therapie, Heimat.

Doch diese Ära stirbt. Das Clubsterben macht auch vor den letzten dunklen Institutionen nicht halt. Feuer wüten, die Mieten steigen, die Behörden nörgeln, und die Nächte werden kürzer, weil die neue Generation (oder sind es wir selbst?) am nächsten Morgen eben doch wieder funktionieren muss.

Zwischenfall

Man wird nachdenklich. Muss sich etwas ändern, damit die Subkultur nicht ganz im Museum landet? Ich bin skeptisch, aber offen. Und so stieß ich auf diesen neuen, seltsamen Trend: Soft Clubbing. Als ich in den aktuellen Analysen von Business Punk und Esquire las, wurde mir schnell klar: Hier geht es um mehr als nur ein paar früh aufstehende Raver.

Die Neugier: Ist Soft Clubbing ein Silberstreif am schwarzen Horizont?

Auf den ersten Blick wirkt Soft Clubbing wie das genaue Gegenteil von allem, was unsere Szene ausmacht. Aber wenn man das morbide Make-up mal weglässt und es nüchtern betrachtet – steckt da vielleicht eine Chance für uns alle drin?

Das Phänomen, hauptsächlich von der Gen Z vorangetrieben. Falls ihr es noch nicht wusstet: Das sind grob gesagt die Jahrgänge, die etwa zwischen 1997 und 2012 geboren wurden – die erste Generation, die wirklich mit Smartphone und TikTok aufgewachsen ist und für die der Begriff „Burnout“ schon in den Zwanzigern zum Standardrepertoire gehört. Die definiert sich jedenfalls über drei Prinzipien, die ich mir mit meinem gealterten Skeptiker-Hirn mal genauer angeschaut habe:

Kein Kater, keine Reue

Die Feierei findet tagsüber statt, oft schon am frühen Nachmittag, und endet, bevor die Dunkelheit uns so richtig umfangen kann. Und das Wichtigste: Es ist scheinbar nüchtern. Statt Absinth, Wodka oder der obligatorischen Flasche Rotwein gibt es Matcha, Kombucha oder bestenfalls alkoholfreies Bier.

Das Business Punk nennt das Phänomen treffend den „Matcha-Rave“ um 13 Uhr, bei dem „Kaffee statt Koks, Yoga statt Yarak“ angesagt ist. Es geht, wie der Esquire analysiert, darum, mit dem konventionellen Feierngehen zu „brechen“ und es „besser“ zu machen – achtsamer, wohlbefindender.

Mal ehrlich: Ich persönlich bin schon immer Anti-Alkoholiker gewesen, daher kommt mir dieser Trend entgegen. Doch ich erkenne an, dass für den Großteil der Partygänger der leichte Rausch ein wichtiges Szeneelixier war und ist. Dennoch: Nach einer durchtanzten Nacht (die bei uns ja traditionell bis zum Sonnenaufgang geht) fühlt sich die schwarze Seele am Tag danach nicht nur romantisch melancholisch, sondern oft einfach nur elend. Bei mir liegt das allerdings am fortgeschrittenen Alter und der exzessiven Körperlichkeit. Die sogenannte Hangxiety (die Angst vor dem Kater) der jungen Menschen ist vielen Gruftis der ersten Stunde ja auch nicht fremd.

Eine Gothic-Party, die dich am nächsten Tag nicht zerlegt, klingt… effizient. Praktisch. Fast schon vernünftig. Ein unheimlicher Gedanke.

Neue Tanzflächen für die Totgesagten

Unsere alten Tanztempel werden abgerissen. Beim Soft Clubbing sucht man sich neue, ungewöhnliche Orte: Cafés, Museen, Pop-up-Stores.

Wenn wir das Clubsterben nicht stoppen können, müssen wir dann neue Räume finden? Vielleicht liegt die Chance für die Gothic-Szene gerade darin, unsere Nische aus den dunklen Kellern zu holen und unerwartete Orte mit unserer Schauerromantik zu füllen. Eine Silent Disco in einem alten Kloster? Ein Batcave-Rave in einer verlassenen Bibliothek? Der Gedanke ist reizvoll.

Die Skepsis: Wo bleibt die Dunkelheit beim Soft Clubbing?

Hier hört die Vernunft auf und die schwarze Romantik beginnt. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit der Veränderung – Soft Clubbing mag eine Lösung für die Club-Ökonomie sein, aber ist es eine für unsere Gothic-Ästhetik?

Das Fehlen der Nacht

Das größte Problem ist das Licht. Wir sind Nachtgestalten. Die Dunkelheit bietet uns Schutz, Anonymität und die richtige Atmosphäre für die Musik. Im nebligen Schwarzlicht verschwimmen die Schatten, die Kleidung wirkt richtig, die Gefühle sind intensiv.

Tagsüber tanzen? Im gleißenden Licht eines Cafés? Das fühlt sich an, als würde man eine geheime Zeremonie im Scheinwerferlicht abhalten. Das mystische Element geht verloren. Die Katharsis, die wir suchen, braucht die Abwesenheit der Sonne, um ihre volle Wucht zu entfalten.

Der Verlust des Rausches und der Hingabe

Soft Clubbing ist kontrolliert. Es geht um Wellness und Achtsamkeit.

Unsere Musik, egal ob Goth Rock, EBM oder Dark Wave, ist oft verzehrend, laut, exzessiv und ja, manchmal auch aggressiv. Sie verlangt eine Hingabe, die den Kopf ausschaltet und den Körper übernimmt. Dieser Zustand des fast schon heiligen Kontrollverlusts fühlt sich angesichts der klaren Absicht und der Wellness-Fokussierung unvollständig an. Auch wenn ich persönlich nie Alkohol brauchte, um mich in der Musik zu verlieren, verhindert die erzwungene Achtsamkeit und das fehlende Chaos der späten Stunde, dieses tiefe und exzessive Sich-Gehen-Lassen.

Hier kommt die ganze Skepsis hoch, die man auch in der Kritik von Business Punk liest: Soft Clubbing wirke wie der Versuch, „vermeintlichen Hedonismus in den Kalender eines gestressten, effizienten Menschen zu pressen“. Wenn wir nüchtern, sichtbar und bei Tageslicht tanzen, kippt das Ganze schnell ins Selbstdarstellerische. Hier macht die vielzitierte „Clean-Girl-Ästhetik“ – diese Haltung der maximal optimierten, gesund strahlenden und minimalistisch gestylten Jugend – unseren „Batcave-Glamour“, der mit einer gewissen Selbstzerstörerischen Haltung einhergeht, überflüssig. Die neue Generation will das Event auf TikTok teilen; wir wollten im Dunkeln verschwinden, um uns selbst wiederzufinden.

Kann die Trauer tanzen, ohne dunkel zu sein?

Soft Clubbing ist möglicherweise eine pragmatische Antwort auf das Clubsterben. Es bietet eine Struktur für soziale Begegnungen, die gesundheitlich und finanziell tragbar ist.

Aber für einen Grufti der ersten Stunde bleibt die Frage: Kann die romantische Melancholie, die dunkle Ästhetik und die existenzielle Suche, die unsere Szene definiert, in ein achtsames, sonniges Nachmittagsevent übersetzt werden?

Vielleicht nicht. Vielleicht brauchen wir weiterhin unseren Schatten. Aber vielleicht müssen wir lernen, ihn auch mal am helllichten Tag zu finden, wenn die Nacht uns langsam die Türen zuschlägt. David Bowie meinte schon: „The future belongs to those, who hear it coming

Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.

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graveyardqueen
graveyardqueen(@graveyardqueen)
Vor 41 Minuten

Ich versuche Mal meine Gedanken, die mir beim lesen kamen, in einen Text zu verfassen.

Dem Alkohol habe ich schon vor Jahren abgeschworen. Was in Anbetracht seiner zerstörerischen Macht mehr als besser so ist. Ich brauche ihn auch nicht um mich Musik hingeben zu können. Und tatsächlich wäre ich ein Befürworter dafür, dass Parties etwas eher anfangen. Letztendlich sind mir Konzerte aber sowieso lieber. Ich mag es nicht der Laune eines DJ’s ausgesetzt zu sein und drauf zu warten, dass Musik kommt, die mir zusagt. Und wie ausgekotzt, fühle ich mich auch auch ein Tag später, nach einem Konzert.

Meiner Meinung nach braucht das Schwarzvolk sich aber keine Sorgen machen, dass ihre nächtlichen Tänze verschwinden. Meinem Eindruck nach, werden die Tanzflächen erst ab Mitternacht so richtig voll. Ein weiterer Grund, warum Parties mich nur so halb reizen. Ich hasse es keinen Platz beim tanzen zu haben.

Einspruch möchte ich übrigens bei dem Gedanken einlegen, dass man im Hellen tanzen muss, wenn man Parties zeitlich vorverlegen würde. Man kann Kellergewölbe ect nutzen, die einem vor dem Tageslicht abschirmen 😉.
Davon ab ist aber der Gedanke innerhalb von Ruinen zu feiern, nicht ganz abwägig. Mir fallen auf Anhieb zwei Ruinen ein, wo das Areal für Events genutzt wird. Wenn auch eher für Mittelalterveranstaltungen.

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