Moment mal! Right Said Fred? Als die Organisatoren des NCN Festival 2025 das britische Pop-Duo für ihr Open Air angekündigt hatten, konnte man es sich mit einer Tüte Chips am Handy oder vor dem Laptop gemütlich machen, um genüsslich die sich rasch füllenden Kommentarspalten in den Sozialen Netzwerken zu verschlingen. So ein kleines Shit-Stürmchen hat – seien wir mal ehrlich – durchaus Unterhaltungswert. Die im Minutentakt eintrudelnden, zwischen Empörung und Ratlosigkeit pendelnden Mitteilungen gipfelten gar in Boykottankündigungen. Wie es beim Auftritt von Right Said Fred vor der Bühne schließlich aussah – dazu später mehr.
Was es beim Nocturnal-Culture-Night-Festival (NCN) in diesem Jahr sonst noch zu bestaunen gab? Den Abschied einer Kult-Electro-Legende (letzter Auftritt in Deutschland), einen blasphemischen Gottesdienst inklusive Heilung eines Gelähmten und ein New-Wave-Hit-Feuerwerk bei Blutmond. Mehr geht eigentlich nicht auf einem Grufti-Festival. Aber der Reihe nach.
NCN-Veteranen können diesen Absatz überspringen, alle anderen sollten wissen, dass das Festival jedes Jahr im September im kleinen Deutzen südlich von Leipzig stattfindet und mit fünf Bühnen reichlich Programm zu bieten hat. Am Ende standen 63 Bands und Künstler im Line-Up. Das Festival findet unter freiem Himmel im Kulturpark Deutzen statt. Vor allem nach Sonnenuntergang ist das alles wahnsinnig romantisch dort, solange man nicht über eine Baumwurzel stolpert oder von Mücken attackiert wird. Denn das Gelände liegt in einem Wäldchen.

Neofolk & Dark Electro: Hekate, A Split-Second, Placebo Effect
Ausgerechnet auf der kleinsten Bühne, der Kulturbühne, hatten am Samstag Hekate ihre Instrumente aufgebaut. Die deutsche Neofolk-Institution war gleich in siebenköpfiger Ausgabe angerückt. Da wurde es schon etwas eng. In Zeiten, in denen immer mehr Musik aus dem Laptop kommt und man gar nicht mehr so genau weiß, wie viel menschliche Kreativität und Expertise eigentlich hinter der Klangdarbietung steckt, ist es eine echte Wohltat, Musikerinnen und Musiker zu erleben, die ihre traditionellen Instrumente so fabelhaft beherrschen wie beispielsweise bei Hekate. Ihre mit Gitarre, Glockenspiel, Posaune, Flöte und Geige kreierten, rituellen und dunklen Klanglandschaften wurden vom Publikum dann auch dankbar aufgenommen. Getrommelt wurde natürlich, wie es sich fürs Genre gehört, auch. Und das reichlich.
Stark vertreten auf dem NCN Festival 2025 war das Dark-Electro-Genre. Zu nennen ist hier neben Suicide Commando und Formalin allen voran das Szene-Urgestein A Split-Second. Die belgische EBM-Rockband dürfte dank Tanzflächen-Stampfern wie „Colosseum Crash“ und „Colonial Discharge“ den meisten bekannt sein. Mit ihrem Hit „Flesh“ haben es A Split-Second außerdem geschafft, sich auch über die Szenegrenze hinaus einen Namen zu machen. Vor der Amphi-Bühne, der größten Bühne des Festivals, kam dann auch rasch Bewegung ins Publikum, während Band-Mastermind Marc Ickx (schwarzer langer Mantel, Cowboy-Stiefel, wilde Mähne) auf seine Drum-Pads eindrosch. Da kam der ein oder andere übermütige EBMler schon mal auf den Stufen des Amphitheaters ins Stolpern. Die Treppen nimmt man angesichts der stets ganz guten Sicht in dieser Konzertstätte aber gerne in Kauf. Nur schade um das viele Bier, das hier im Laufe eines Festival-Wochenendes aus den Bechern schwappt und im Boden versickert. Aber wir schweifen ab.
Ganz ebenerdig präsentiert sich hingegen die Waldbühne, auf der Placebo Effect an diesem Wochenende ihr letztes Deutschland-Konzert gaben. Die Electro-Legende verabschiedet sich endgültig von der Bühne. Mit ihrem atmosphärischen, verschachtelten Electro-Sound und den theatralischen Bühnenshows sind Placebo Effect so etwas wie die deutsche Ausgabe von Skinny Puppy. Und die gibt es ja auch schon nicht mehr. Also nutzten zahlreiche NCN-Gäste noch einmal die Gelegenheit, musikalische Meisterwerke wie „Gallery of Pain“ live und in Farbe zu erleben. Etwas Gutes hat das Ende von Placebo Effect dann doch. Unzählige riesige Teddybären wurden während ihrer Bühnenshows ausgeweidet. Damit ist jetzt zumindest auch Schluss.
Postpunk-Höhepunkte & Finale: Ash Code, Kite, Bernstrup, Gaë Bolg, Camouflage
Für Postpunk- und Coldwave-Fans hatte das NCN Festival 2025 ebenfalls einiges zu bieten. Neben Rosegarden Funeral Party, She Past Away und Twin Noir gaben Ash Code ihre musikalische Visitenkarte ab. Die 2014 in Neapel gegründete Band gehört längst zur Speerspitze der Szene und hat gerade erst ihr neues Album „Synthome“ veröffentlicht, von dem es natürlich auch den ein oder anderen Song zu hören gab.
Lockten bereits Ash Code zahlreiche Fans vor die vergleichsweise kleine Parkbühne, wurde es bei Kite brechend voll. Während das schwedische Duo zwischen seinen Keyboard-Türmen einen Hit an den nächsten reihte, durften sich all jene glücklich schätzen, die sich rechtzeitig ein Plätzchen unter oder auf den Bäumen gesichert hatten. Es bleibt spannend, ob Kite bereits den Zenit ihrer Karriere erreicht haben, oder ob da noch mehr passiert. Das Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden.
Nicklas Stenemos außergewöhnliche androgyne Stimme, die wuchtigen Klangflächen und das Gespür der Band für hymnenhafte Melodien ergeben zusammen einen cineastischen Sound, der seinesgleichen sucht. Dass nach dem Auftritt von Kite die völlig überhitzte Nebelmaschine ihren Geist aufgab und damit alle nachfolgenden Künstler ohne Nebel auskommen mussten, erwies sich glücklicherweise als Gerücht.
Den Beweis trat zu sehr später Stunde Tobias Bernstrup an. Die außerirdische Kunstfigur schälte sich in High Heels, Stahl-Bustier (mit Pikes!) und Flügeln aus dem Nebel. Nicht nur Lady Gaga oder Madonna dürften an der ausschweifenden Garderobe ihre Freude gehabt haben, auch die teils glitzernde Gruftischar vor der Bühne empfing Tobias Bernstrup jubelnd. Dessen eleganter Sound aus Italo-Disco, New Wave und Gothic Noir ist ja gerade wieder schwer angesagt. Passend dazu ist gerade Bernstrups neues Album „Shadow Dancer“ veröffentlicht worden. Anspieltipp: „Jackie 60“!
Wer glaubt, die Performance von Alien Superstar Bernstrup könnte man in puncto Extravaganz nicht mehr toppen, der irrt. Auftritt: Gaë Bolg and The Church Of Fand. In weißen Gewändern kam die Band auf die Bühne. Mastermind Eric Rogers wurde im Rollstuhl vors Mikro geschoben. Dann knallten erst mal die Weinkorken. Man kann des Gesundheitszustandes der Bandmitglieder wegen nur hoffen, dass es sich beim Inhalt der vielen Flaschen um zuvor abgefüllten Saft gehandelt hat. Der Leergutcontainer in Deutzen dürfte am Tag danach auf jeden Fall übergelaufen sein.
Musikalisch boten Gaë Bolg eine Mischung aus Mittelalter-Sound, Neoklassik und Neoindustrial, mit hymnischen Melodien und kraftvollen Rhythmen. Schließlich erhob sich Eric Rogers aus dem Rollstuhl, konnte sogar umherlaufen. Ein Wunder! Ein Interpretationsansatz für das Spektakel: Es könnte sich um eine Persiflage des christlichen Gottesdienstes gehandelt haben. Halleluja!
Mit dem Auftritt von Camouflage steuerte das NCN Festival 2025 am Sonntagabend seinem Höhepunkt entgegen. Wie bestellt, gab es während des Auftritts der deutschen Synthiepop-Band neben der Bühne ein seltenes Naturschauspiel am Himmel zu bewundern: eine totale Mondfinsternis mit Blutmond. Der Schatten der Erde verfinstert den Vollmond, der dabei eine rötliche Färbung annimmt. Solche Special Effects kann sich eine Band nicht einkaufen. Der Soundtrack zum Himmels-Spektakel bestand aus Klassikern wie „The Great Commandment“, „Love is a Shield“ und dem eindringlichen „Stranger’s Thoughts“.
Vor dem Konzert von Camouflage war es noch einmal sehr emotional geworden im Naturpark Deutzen. Das Veranstalter-Team erinnerte auf der Hauptbühne an einen Besucher, dessen Tod am Freitag das Festival überschattet hatte. Vielen Anwesenden dürfte während der Ansprache bewusst geworden sein, wie wichtig es ist, die schönen Momente im Leben mit Dankbarkeit zu genießen, und den Menschen, die man schätzt, genau das auch zu zeigen. Ein familiäres Szene-Festival wie das NCN ist nicht der schlechteste Ort dafür.
Und die umstrittene Band Right Said Fred, die normalerweise mit ihrem 90er-Jahre-Hit „I’m Too Sexy“ Stadtfest-Besucher bespaßen? Die hatten einen Spot am Samstagabend auf der großen Amphi-Bühne bekommen. Der Platz davor war während des gesamten Gigs mit feierndem Schwarzvolk ganz gut gefüllt. Noch Fragen?
Was soll man sagen….. Ein schöner und informativer Beitrag.
Dankeschön dafür.