Am 12. und 13. September 2025 sollte man sich „Lieber Tot“, in den Kalender eintragen, nicht etwa als Absichtserklärung, sondern als Festival für Fans elektronischer, alternativer Klänge, das in Club ÆDEN in Berlin stattfindet. Neben einem frischen und außergewöhnlichen Line-up verbindet man mit dem „Spook House“ die Synth-Wave Clubkultur mit einer Underground-Dragshow und bietet darüber hinaus auch das „Who is Who“ der Synth-Wave-DJs aus ganz Europa. Das wirft bei mir neugierige Fragen auf, die ich Paura Diamante vom Orga-Team stellen konnte.
Lieber Tot – Faktencheck und Line Up
Wenn ihr schon genug Informationen habt und schon nach der Einleitung Lust verspührt, am 12. und 13. September ins ÆDEN nach Berlin zu pilgern, hier die wichtigsten Informationen, die es natürlich auch alle auf der tollen Homepage des Festivals gibt.
Tickets gibt es noch für beide Tage (69 €) und für die einzelnen Tage (je 39 €) nach Mitternacht könnt ihr auch „nur“ die Party besuchen, die dann mit jeweils 15 € zu Buche schlagen. Käuflich erwerben könnt ihr die Tickets hier. Bitte beachtet, das ihr vor Ort NUR mit Karte/Handy bezahlen könnt. Das Line-Up präsentieren wir euch auf diese Art und Weise, in der Galerie findet ihr auch entsprechende Links.
Fun-Fact am Rande: „She can’t afford Mascara“ ist uns bereits 2021 in der dänischen Dokumentation „Dark Blossom“ über den den Weg gelaufen, über die ich bereits berichtet habe. Alles was ich sonst noch spannend, erwähnenswert und außergewöhnlich finde, habe ich in einem Interview zusammengefasst, das ich mit Paura Diamanta führen konnten.
Lieber Tot Festival – Interview
Das Name des Festivals „Lieber Tot“ kann in vielen Interpretationen begriffen werden, was ist Eure?
Der Name des Festivals entstand – wie man sich vielleicht denken kann – relativ spontan. Dementsprechend liegt ihm kein intellektuelles Konzept zugrunde. Und es wäre verlogen, ihm im Nachhinein eines zu verpassen. Wir saßen zusammen und diskutierten über einen möglichen Namen. Ich sagte irgendwann in Bezug auf ein anderes Event „Ich wär lieber tot, als da hinzugehen.“ Else Edelstahl und ich schauten uns an und sagten gleichzeitig: „Lieber tot“! Peng, das war’s.
Wie kam es überhaupt dazu, ein solches Festival auf die Beine zu stellen und wer steckt alles hinter Idee?
Das Festival wird veranstaltet von Else Edelstahl, Testbild, Sharleen Voyage und mir. Wir sind teilweise schon lange als Veranstalter*innen oder DJs in verschiedenen Bereichen des Berliner Nachtlebens unterwegs und haben alle unsere Wurzeln in der Wave-Szene. Es gibt derzeit jede Menge tolle Synth- und Minimal-Wave-Festivals in Deutschland und ganz Europa und wir fanden es ehrlich gesagt peinlich, dass ausgerechnet Berlin diesbezüglich eine Leerstelle darstellt. Und das, obwohl die Stadt in einer reichen und vielfältigen Underground-Tradition steht. Wir wollten diese Lücke einfach mal schließen.

Der Flyer vom Festival, den ich bereits während des WGT in den Händen halten durfte, war schon spannend, die Internetseite und das gesamte visuelle Artwork sind fantastisch. Eine wilde Aneinanderreihung von ästhetischen Einflüssen aus 40 Jahren Gothic-Szene, die ich sehr spannend finde und die sich bereits seit einiger Zeit immer weiter ausbreitet. Es wirkt stellenweise wie Gothic auf Steroiden. Wird Gothic damit zur extrovertierten Kunstform und welche Verbindungen seht ihr zur Szene?
Tatsächlich stammen die Ideen für den Look des Festivals gar nicht primär aus der Gothic-Szene, sondern eher aus dem Bauhaus und der russischen Avantgarde. Wir wollten keine Bezüge zur allgegenwärtigen 80er-Synth-Wave-Ästhetik oder gängigen Gothic-Looks, sondern etwas Brutaleres, Ungewöhnlicheres, mit etwas mehr Kante. Wir haben für das Logo und die Auswahl der Schriften mit dem russischen Illustrator und Künstler Ivan Kuleshov zusammengearbeitet, der sofort verstanden hat, was uns vorschwebte. Für das Web- und Instagram-Design haben Else und ich dann mit diesem ästhetischen Mindset weitergearbeitet.
Zum zweiten Teil deiner Frage: Gothic hat es meiner Ansicht nach verdient, wieder zu einer extrovertierten Kunstform zu werden. Die Szene – und wir sind teilweise schon über 30 Jahre ein Teil davon – ist mitunter ästhetisch ziemlich erstarrt in ihrer Ausdrucksform. Das ist keine Kritik, aber durchaus eine Tatsache. Das gilt für ihre Mode und Musik genauso wie für die Art, wie ihre Veranstaltungen visuell beworben und umgesetzt werden. Da wir alle auch viele Einflüsse abseits dieser Bubble haben, war es uns wichtig, mit einem frischen und angstlosen Blick auf das Thema zu schauen. Dass dabei etwas herausgekommen ist, dass dann wieder als genuin „gothic“ rezipiert wird, ist toll, und spricht dafür, dass in dieser Szene noch ganz viel Potenzial für Neues steckt. Wir müssen es nur zulassen.
Die musikalische Auswahl ist erlesen kuratiert, wie ich finde. Der Auftritt der „Tödin“ scheint für das Festival fast schon obligatorisch, ist sie doch auch auf dem Flyer so eine Art Todesbotin. Nach welchen Gesichtspunkten habt ihr die Bands und Künstler:Innen eingeladen?
Um das an dieser Stelle gleich mal zu verkünden: Ausgerechnet Die Tödin musste vor ein paar Tagen ihren Auftritt beim Festival aus gesundheitlichen Gründen absagen. Das ist wirklich sehr schade, sie war natürlich die erste, die wir angefragt haben. Die Tödin steht aus unserer Sicht derzeit für eine radikale Erneuerung der Szene, indem sie zwar auf Klischees zurückgreift, daraus aber etwas vollkommen Überraschendes formt. Wir arbeiten im Moment mit Hochdruck daran, einen würdigen Ersatz zu finden, und sind sicher, dass uns das auch gelingen wird.
Generell war es uns beim Booking wichtig, verschiedene Ausdrucksformen elektronischer Musik zu vereinen. So reicht das Portfolio von Proto-NDW zu Synth- und Minimal-Wave bis hin zu EBM und eher avantgardistischen Ansätzen, wie sie beispielsweise Madmoizel aus Paris verfolgt. Und natürlich sind wir auch knallhart danach gegangen, welche Bands und Projekte wir persönlich geil finden.
Der Sound des Festivals wechselt von experimentell zu eingängig, von plakativ zu provokativ und von lieblichen Synthpop zu hämmernden EBM. Klare Kante zu dem, was auf den populären Festivals zu hören ist. Ist das für euch eine logische Weiterentwicklung des Szene-Sounds oder eher eine Rückkehr zu „alten Zeiten“ in denen experimenteller NDW, Wave und No Wave Berlin regierte?
Wie eben schon angedeutet, ist es definitiv beides. Keine Frage, wir alle lieben elektronische Bands der 80er-Jahre. Wenn man allerdings so lange in der Szene unterwegs ist, hat sich ein reiner Retro-Zugang zu Musik irgendwann erschöpft. Deshalb finden wir es wichtig, für Neues offen zu bleiben. Derzeit gibt es eine spannende Fusion von Synth- und Minimal-Wave mit zeitgenössischer Clubmusik, zum Beispiel bei Künstler*innen wie Eddie Dark oder She Can’t Afford Mascara. Auch als DJ spürt man das deutlich. Ging es früher den Besucher*innen auf Szenepartys primär darum, die eigenen Lieblingslieder zu hören, Tracks die man kennt, gibt es heute eine größere Offenheit für neue Sounds und Songs. Die Leute wollen beim Tanzen eher überrascht werden. Das macht das Auflegen und Booking spannender. Auch dieses Gefühl ist in die Arbeit an LIEBER TOT mit eingeflossen.
Auf dem Lieber Tot Festival treten zahlreiche spannende Drag-Acts auf, was für ein klassisches Synth-Festival-Erlebnis ja eher ungewöhnlich ist, wie kann ich mir diese Symbiose programmtechnisch vorstellen?
Es wird am Festival-Samstag eine von Antina Christ kuratierte Dragshow geben. Antina ist eine der wenigen Queens – zumindest in Berlin –, die in ihrem regelmäßig stattfindenden „Spook House“ Goth und Drag fusioniert. Uns war wichtig, die Dragperformance gleichberechtigt neben Bands und Musikacts auf die Bühne zu bringen. Dragshows werden viel zu häufig als reines Lipsync-Entertainment abgetan, das keinen Anspruch auf einen eigenen künstlerischen Wert besitzt. Das sehen wir anders. Was Acts wie Antina auf die Beine stellen, ist eine gleichwertige und selbständige Kunstform – auch wenn dabei meist die Songs anderer Künstler*innen performt werden.




Drag ist eine Kunstform, die für mich eine bunte und extrovertierte Form der Rebellion steht, die Freiheitskampf symbolisiert und viel Lebensfreude ausstrahlt. Wie passt das mit einem Festival zusammen, dass sich „Lieber Tot“ nennt?
Dem würde ich widersprechen. Ja, Drag ist, ebenso wie Musik, eine extrovertierte Kunstform. Geht es doch klar darum, gesehen und gehört zu werden. Doch nicht immer geht es im Drag grundsätzlich um Lebensfreude. Viele Drag-Performer*innen nutzen die Bühne auch, um ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen, oder radikal ihren politischen Widerstand herauszuschreien. Insofern passen Künstler*innen wie beispielsweise Christina Corpse ganz fantastisch zu einem Anti-Konzept wie LIEBER TOT.
Die Liste der DJs, die Euer Festival nach den Live-Auftritten beschallen ist das Who-is-Who der europäischen Synth- und Wave-Szene, unzählige Live-Acts und dazu noch Drag-Shows. Wann und wie kann ich mir den Ablauf vorstellen?
Beide Festival-Tage beginnen um 19:00. Unsere Location ÆDEN bietet zwei Floors, jeweils mit Bühne sowie einen tollen, verwunschenen Garten. Bis gegen Mitternacht werden sich die Liveacts auf den beiden Floors abwechseln, bevor sich die Veranstaltung dann in eine klassische Clubnacht verwandelt. Aus diesem Grund bieten wir auch günstige „Only Party“-Tickets an. Wir wollen den Leuten die Möglichkeit geben, mit uns zu feiern, auch wenn sie jetzt nicht zwingend Bock auf Live-Konzerte haben. Uns war wichtig, die Konzerte nicht über die ganze Nacht zu verteilen, sondern vor der Clubnacht stattfinden zu lassen. Wir fanden das besser für den Flow der Veranstaltung.








Eine letzte Frage: Ihr habt an alle Formen der Interpretation des „Lieber Tot“ Festivals gedacht, denn so findet sich auf der Homepage ein Link zur DGS (Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention), liegt eurer Meinung nach danach eine Gefahr in einem Festival, das sich „Dystopische Elektronik für melancholische Menschen“ auf die Fahnen geschrieben hat?
Nein, nicht wirklich. Dennoch ist es uns wichtig, deutlich zu machen, dass das Spiel mit einer künstlerischen Idee von Tod und Sterben auch grenzwertig sein kann. Wir alle verwenden diese Begriffe und Bilder ganz selbstverständlich, vor allem in der sogenannten Gothic-Szene. Ich denke, sie fungieren hier allerdings eher als Symbol für eine radikal zu Ende gedachte Verweigerungshaltung. Es liegt uns allerdings sehr am Herzen, dieses Spiel als künstlerische Ausdrucksform zu kennzeichnen. In einer von Kriegen geprägten Welt, in der der Tod und das Sterben real sind, und in einer optimierten Social-Media-Gesellschaft, die mit Depressionen oder Selbstmordgedanken immer noch nicht umgehen kann, war es uns wichtig, die Ernsthaftigkeit dieses Themas zumindest einmal anzumerken.
Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.
Hört sich doch ganz gut an. Alte Krusten aufbrechen und neues machen, neu definieren, weiterentwickeln usw.. Schaun mer mal wie gut es laufen wird. Für Berlin sehe ich da kein Problem, dass es ein Erfolg werden wird. wir hatten es ja gerade an anderer Stelle, dass man sich mal für neues öffnen solle, mal was neues wagen, mal zu kleineren Festivals gehen sollte. Das ist jetzt eine gute Gelegenheit es zu tun und seine Komfortzone zu verlassen.
Danke dafür!