Koyaanisqatsi: Wenn Bilder einer finsteren Prophezeiung die Bequemlichkeit sprengen

Kürzlich hat Robert hier im Blog dazu eingeladen, mit ihm die Geisterstadt in der sibirischen Tundra Ugolny Rachei zu betreten, mittels eines Videos, das durch die eindrucksvollen von Musik untermalten Bilder ohne jegliche Sprache auskommt. Die Kameraführung mit der beeindruckenden Sicht auf dieses „Mahnmal industriellen Größenwahns“ hat mich an einen filmischen Trip aus den frühen 80er Jahren denken lassen, der auch völlig dialogfrei seine Wirkung durch eine einzigartige Symbiose von Musik und Bildern entfaltet: Koyaanisquatsi. Als Komponisten hat Regisseur Godfrey Reggio sich Philip Glass ins Boot geholt, einen Vertreter der Minimal Music, die sich durch Klangmuster auszeichnet, welche an die Stelle von Melodien treten und sich oft nur geringfügig verändern.

Erhabenes Naturschauspiel zu düsteren Orgelklängen

Zu einem dunklen, langgezogenen Ton erscheint der Titel des Filmes leuchtend rot auf der schwarzen Leinwand: „Koyaanisqatsi“. Bedeutungsschwer wird dieses Wort, welches der Sprache der Hopi entlehnt ist, mit sehr tiefer Stimme wiederholt gesungen, gleich einer unheilvollen Beschwörungsformel. Dann tauchen vor einer roten Höhlenwand  rätselhafte Zeichnungen, schwarzer Figuren auf, die von einer längst vergangenen Kultur zeugen. Langsame, sich wiederholende Tonsequenzen schaffen zusammen mit den Höhlenbildern eine mystische Atmosphäre. Das Ganze nimmt surrealistische Züge an, als plötzlich Flammen emporschlagen, sich Explosionen ereignen und verglühende Schrottteile vom Himmel regnen.

Dies alles geschieht sehr langsam in Zeitlupe, während im Hintergrund weiterhin das von Orgeln untermalte, „Koyaanisqatsi“ ertönt. Dann verändert sich die Tonfolge und immer noch in Zeitlupe werden wir zu einem atemberaubenden Flug über grandiose Wüstenlandschaften mitgenommen. Jahrmillionen durch Wind und Wasser geformte Felsenformationen faszinieren durch ihre bizarre Schönheit. Wir überqueren schwarze Gesteinsfelder mit Spalten, aus denen heiße Dämpfe emporsteigen. Ein eigenartiges Gefühl von Ehrfurcht und Einsamkeit befällt einen angesichts dieser Naturgewalten.

Koyaanisqatsi - Ein Flug über eine Gesteinsformation aus dessen Spalten Dampf Emporsteigt

Koyaanisqatsi: Naturzerstörung durch menschlichen Größenwahn

Der Flug durch die unberührte Natur nimmt zur schneller werden Musik an Fahrt auf. Im Zeitraffer geht es nun vorbei an grün schimmernden Bergen, über Bäume hinweg, Flussläufen folgend, einen von Felsen umsäumten See überquerend, bis dann plötzlich der Mensch auf den Plan tritt.  Es beginnt mit der Sprengung Jahrmillionen alter Felsmassive, die durch das Einwirken der Kreatur Homo sapiens innerhalb von Sekunden in sich zusammenfallen. Gigantische Bergbaumaschinen reißen Wunden in die Erdoberfläche. Gewaltige Tagebauanlagen verändern das Antlitz des Planeten, den plötzlich Stromleitungen wie ein Spinnennetz überziehen.

Die Musik wird schrill und dissonant, als wollte die Erde vor Schmerz und Verzweiflung aufschreien. Die Landschaft, die man nun aus der Vogelperspektive sieht, ist durch den Menschen geformt: Statt Felsen ragen riesige Fabrikschlote in den Himmel, das Wasser wird durch gewaltige Staumauern eingezwängt und Ölraffinerien erstrecken sich bis zum Horizont. Seine Klimax nimmt der Raubbau an der Natur durch den Menschen in der Zündung atomarer Sprengköpfe. Unheilvoll erheben sich die schwarzen Pilze über der Wüste. Die zerstörerischen Fähigkeiten des Menschen in so kurzer Zeit erfüllt mich mit Entsetzen.

 

Entmenschlichung in einer hochtechnisierten Welt

Vom Automobil bis zur Mondrakete, vom Mikrochip bis zur Atombombe bekommen wir nun das Wirken menschlichen Erfindungsgeistes vor Augen geführt.

Koyaanisqatsi zeigt auch IndustrielandschaftenWar der erste Teil des Filmes durch Abwesenheit der Spezies Homo sapiens geprägt, so begegnen uns nun Menschen in den von ihnen geschaffenen Großstadtlandschaften in Massen. Wie Ameisen quellen sie aus U-Bahnschächten hervor, werden von Rolltreppen wie von einem Fließband transportiert, bevölkern die Innenstadt und hasten in Büros, Fabrikhallen und Shopping Malls. Die in den Himmel ragenden Bürotürme sind auch nachts von innen her beleuchtet, die Spezies Mensch kennt keinen Schlaf mehr.

Der Mond, einstmals Sinnbild für Romantik und Schönheit, verschwindet hinter diesen Wolkenkratzern, die der Nacht als Zeit für Ruhe und Rückzug keinen Raum mehr geben. Autobahnen, die nahezu in Lichtgeschwindigkeit befahren werden, bilden die Pulsadern der immer wachen Stadt. Das Gefühl der Rastlosigkeit wird durch Zeitraffer in Kombination mit schnellen, disharmonischen Klangfolgen intensiviert. Als sich das Tempo der Bilder wiederum verlangsamt, haben wir die Möglichkeit einzelnen Menschen ins Gesicht zu sehen. Sie wirken alle traurig und erschöpft von einem Leben, das wie ein aufgezogenes Uhrwerk abläuft, in dem sie nur kleine Rädchen sind, die funktionieren müssen.

Scheitern der Menschheit?

Schließlich erleben wir dann in Gestalt einer Weltraumrakete den Griff des Menschen nach den Sternen. Sie startet, explodiert dann, und die Kamera folgt einem der brennenden Teile, welches in Zeitlupe durchs All Richtung Erde fällt. Der Sturz – Sinnbild für das Scheitern eines blind auf Technik vertrauenden menschlichen Größenwahns, wird von einem düsteren Gesang in Hopi-Sprache begleitet. Am unteren Bildrand wird eine Übersetzung dieser gesungenen Prophezeiung eingeblendet:

Wenn wir in der Erde nach Schätzen graben, werden wir das Unheil herausfordern. Vor dem Tag der Reinigung werden Spinnenweben den Himmel in alle Richtungen überziehen. Eines Tages wird vielleicht ein Behälter mit Asche vom Himmel herabgeworfen werden, welche das Land verbrennen und die Ozeane verkochen lässt.

Erneut ertönt das Wort „Koyaanisqatsi“: Tief, dunkel eindringlich. Am Ende des Filmes wird es auf der Leinwand eingeblendet, diesmal mit verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten:

  1. Verrücktes Leben
  2. Leben in Aufruhr
  3. Leben, das aus dem Gleichgewicht geraten ist
  4. Leben im Zerfall
  5. Lebensweise, die geändert werden muss

Vermutlich verstört, nachdenklich, mit Unbehagen und vielleicht auch mit einem anderen Blick auf unsere Welt und uns selbst bleiben wir am Ende dieses teilweise anstrengenden Trips zurück.

Einige Bildsequenzen und die darin gezeigten Technologien weisenden Film eindeutig als Werk mit Bezug zu den frühen 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus. Dennoch hat die darin enthaltene Botschaft in meinen Augen ihre Aktualität nicht verloren.

 

Möglichkeiten den Film zu streamen findet Ihr hier. Leider geht dies derzeit nicht kostenlos.

Schwarzer Wildwuchs abseits jeglicher Szene-Hotspots. Wird von allem ästhetisch Dunklen und Morbiden seit jeher magisch angezogen. Genießt Dunkelheit gerne in der Wildnis. Einzelgängerin, aber offen. Spürt Zugehörigkeit zur Szene seit dem Kontakt zu Spontis. Das schwarze Herz schwingt am stärksten durch „The Doors“, „The Cure“ und „Deine Lakaien.

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Black Alice
Black Alice(@blackalice)
Vor 1 Monat

Ich habe den Film damals gesehen und er hat sehr beeindruckt. Damals hat er mehr gewirkt als heute. Inzwischen sind wir ja von Bildern überflutet. Phillip Glass ist übrigens auch ein interessanter Komponist. Bekannte waren vor Jahren in Heidelberg auf einem Konzert das über x Stunden ging. Man hatte auch mehrere Pausen eingefügt.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 1 Monat

Ooooh… da kommen uralte Erinnerungen hoch! Als ich Anfang der 90er wieder nach Berlin zog, hatte eine (damalige) Freundin den Soundtrack vom Film, und das Titelstück fanden wir sehr cool, schön düster. Dann hatte ich mir den Film angeschaut und fand damals irgendwie keinen Zugang dazu, keine Ahnung warum. Ist auch so lange her, dass die Erinnerungen voll verblasst sind. Ich meine nur, dass sich die Bilder irgendwann immer wieder wiederholt haben…? Ich werd da nochmal reinschauen und meine Erinnerungen auffrischen bzw. ein neues Bild davon machen.

Black Alice
Black Alice(@blackalice)
Antwort an  Tanzfledermaus
Vor 1 Monat

Der Film erzeugt ja einen eigenen Film im Kopf. Kann sein, dass sich manches wiederholt (habe ja nicht mehr alles im Kopf), aber es macht dann Sinn, wenn er das macht. Man sollte sich nicht mit anderen Sachen beschäftigen während man den Film schaut, weil sonst gibt es einen Filmriss im Kopf und die Teile passen nicht mehr zusammen. :-)

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Antwort an  Maren
Vor 1 Monat

Danke für den Tip! Das war Anfang der 90er, als ich den Film sah, da gibt’s natürlich nicht mehr so wahnsinnig viel genaue Erinnerungen.
Ja, ich meine, dass mich damals die monotonen hoch-tief-Stimmen irgendwann gestresst haben, die das industrielle und menschliche Geschehen akustisch untermalt haben. Aber das gehörte ja auch zum Konzept dazu, das Hektische, Stressige der Zivilisation darzustellen und passt ja auch wirlich dazu. Ist halt mein persönliches Ding, dass mich monotone Geräusche total kirre machen… Zur Not Ton leiser/aus und im Hinterkopf behalten, dass das da eigentlich mit zu gehört.

Letzte Bearbeitung Vor 1 Monat von Tanzfledermaus

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