Hallo
Orphi , nun da „Fanal“ auch physisch in meine Tonträgersammlung eingezogen ist, ein paar weitere Gedanken von mir dazu: Der Zugang zum Album wurde mir durch Deine Deutung zu „Brutus“ und „Prometheus“ ja trotz meiner vorherigen Fehlversuche, mich an „Das Ich“ anzunähern, erleichtert. Das von Dir beschriebene misanthropische Grundgefühl in „Menschenfeind“ empfinde ich ebenso. Für mich kommt jedoch noch eine deutlich religionskritische Haltung hinzu: „Kein Götterwort erstickt die Qual…“. Die Hoffnung des Menschen auf Erlösung aus dem selbstverschuldeten Elend durch eine höhere Macht wird negiert. In „Lazarus“ wird auch die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod zunichte gemacht: „Lazarus-Du bist der Tod“, Lazarus, Gott hat Dich befohlen..“ Ironischerweise steht die Figur des Lazarus ja eigentlich für die Macht Gottes, Menschen ins Leben zurückzurufen, In diesem Song bleibt jedoch nur Finsternis. „Was bin ich“ bleibt für mich trotz mehrfachen Anhörens und Mitlesen des Textes ebenfalls kryptisch.
„Vanitas“ ist für mich eine geniale Verknüpfung des barocken Vanitas-Gedankens: „Wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden…“ – hier wird aus einem Gedicht von Andreas Gryphius zitiert- mit der vorher schon sichtbaren misanthropischen Grundhaltung: „Das Meer- einst Wiege alles Seins und Lichts – erstickt im schwarzen Schleim aus Menschenhand.“ Diesem zerstörerischen Treiben des Menschen soll der Tod ein Ende setzten: „Schneide, schneide, Schnitter Tod, wo du bist ist die Stille.“ Besser für den Planeten.
Was das religiöse Konzept von Hölle als Ort der Bestrafung angeht, teile ich Deine Skepsis. Aber dennoch kann ich mit dem Begriff „Hölle“ durchaus etwas anfangen. „Hölle“ ist für mich etwas menschengemachtes, und so verstehe ich auch „Dantes Hölle„: Ein Inferno aus „Hass, Gier, Lug und Trug“ der Menschen. Die Zeile „Dantes Hölle leuchtet farbenfroh“ verstehe ich dann auch eher ironisch-sarkastisch, denn darauf heißt es: „Dantes Hölle – die Welt brennt lichterloh.“ Gerade dieser Song beschreibt erschreckend zutreffend den Zustand unserer Welt, wie ich finde.
„Genesis“ halte ich für einen grandiosen Abschluss von „Fanal“. Die Schaffung einer vollkommenen künstlichen Intelligenz, die Wissen von Trug unterscheidet und moralisch gut ist. – Ist das der Ausweg aus der Situation, in der wir uns befinden? Das bleibt am Ende offen, denn was der Satz am Ende, geäußert von der KI, impliziert, ist mehrdeutig.
Für mich passt diese düster-apokalyptische Album besonders gut in diese Jahreszeit, in der man meiner Meinung nach besonders deutlich fühlen kann, dass mit der Welt etwas ganz und gar nicht mehr in Ordnung ist. Da bietet es eine hervorragende Projektionsfläche für eigene Gedanken und Gefühle.
Danke, für Deine großartig- andere Rezension, Orphi!
„Aber für einen Grufti der ersten Stunde bleibt die Frage: Kann die romantische Melancholie, die dunkle Ästhetik und die existenzielle Suche, die unsere Szene definiert, in ein achtsames, sonniges Nachmittagsevent übersetzt werden?“
Meine ganz persönliche Antwort lautet ganz klar: „Nein!“ Zugegeben; bei mir hängt die Katharsis meiner schwarzen Seele nicht unbedingt an einer durchtanzten Club Nacht. Woran das liegt, hab ich ja früher schon anklingen lassen. Aber ich verstehe sehr gut, was Du damit meinst Robert, wenn Du die Katharsis der schwarzen Seele im Club beschreibst. Erleben durfte ich das in dieser Form auch schon, wenn auch nicht so oft. Für mich gibt es aber dennoch auch andere Wege für eine solche Katharsis. Aber eines haben sie alle gemeinsam: Sie liegen in der Dunkelheit. Das kann ein Konzertbesuch sein, das kann beim stundenlangen Hören von Musik und dem Anstarren der Decke erfolgen, bei einer nächtlichen Querfeldeintour durch den Wald etc. Und für mich gilt: Diese Katharsis der schwarzen Seele erfolgt in der Regel allein. Ganz selten gibt es Menschen, die ich dabei mitnehmen kann und möchte. Und noch etwas ist wichtig: Die Katharsis der schwarzen Seele gibt es meiner Meinung nach nicht zum Null-Tarif. Wenn ich eine Nacht im Club durchtanze, tun mir am nächsten Morgen irgendetwas weh (wobei bei Arthroseschmerzen jede Art von Bewegung besser ist, als auf dem Sofa rumzusitzen), wenn ich mir die Nacht mit der „Disintegretion“ (womöglich plus Rotwein- ich trinke Alkohol, aber zu Hause.) und ähnlichem um die Ohren haue, beschwöre ich die Erinnerung an den größten Schmerz meines Lebens herauf. (und je nach dem auch einen Kater) Wenn ich in den Wald gehe, umfängt mich Eiseskälte, ich muss aufpassen, nicht in ein Sumpfloch zu treten und es verlangt manchmal schon etwas Überwindung. Wenn ich zu einem Konzert fahre, ist manchmal allein die Anreise mühsam. Reue deswegen am nächsten Tag? Habe ich bisher nie verspürt, denn das etwaige Unbehagen danach wird durch die Reinigung der schwarzen Seele aufgewogen und ich bin wieder eins mit mir selbst.
Dennoch halte ich die Idee von viktorianischen Tanztees am Nachmittag und früher beginnenden Parties überhaupt nicht für verkehrt. Gäbe es das in meiner Nähe würde ich auf alle Fälle hingehen und mir das mal anschauen. Allerdings wären das jetzt auch keine Events, von denen ich mir kathartische Wirkung verspreche, aber ganz einfach positive schwarze Vibes, vielleicht auch befördert durch Begegnungen und Gespräche. Das ist für mich etwas anderes. Ich würde Veranstaltungen dieser Art auch nicht mit dem Trend des Soft-Clubbings gleichsetzen. Grufties, die zum schwarzen Tanztee am Nachmittag hingehen, haben in ihrem dunklen Leben schon bis zum Sonnenaufgang die Nacht genossen. Jetzt sind sie eben einfach älter ( so wie ich auch) – und können dies aus vielerlei Gründen nicht mehr so oft tun. Diese Gründe müssen meiner Meinung nach auch respektiert werden. Ich bin da ganz bei @Fledermama: Etliche von uns haben mittlerweile Verantwortung für andere Lebewesen übernommen und können nicht einfach den ganzen Tag im Bett vergammeln.
Was das sogenannte „Soft-clubbing“ so wie es auch in den verlinkten Artikeln beschrieben wird, angeht , kann ich darüber nur die Stirn runzeln und den Kopf schütteln. Bei dem Wort „Achtsamkeit“ krieg ich mittlerweile Pickel. Das wird nämlich – finde ich – oft missbraucht, um über Probleme hinwegzutäuschen, die das System für Menschen schafft. Achtsam feiern heißt für mich, sich selbst eines Ventils zu berauben, über das man dem System auch mal trotzen kann – und wenn es nur einmal im Vierteljahr ist. Dann mach ich eben mal was, das verhindert, dass ich am nächsten Tag perfekt innerhalb dieses Systems funktioniere. Meine Erfahrung: Und genau danach geht es mir dann wirklich besser!
Dem Dank von
Marquis schließe ich mich einfach an. Da ich bisher noch nicht so sehr mit Horror Punk in Berührung gekommen bin, war es für mich spannend, durch diesen Bericht und das Reinhören in die Beispiele und die verlinkten Songs einen Eindruck zu bekommen. Manches davon hätte sich auch sicherlich beim diesjährigen Takt Bizarre gut eingefügt.


