Rezension: „Bastard Echo“ – Gegenwartslyrik trifft Grufti

Martin Piekar, der mit „Bastard Echo“ seinen ersten Gedichtband veröffentlicht hat,  ist kein Unbekannter. Im Juli vergangenen Jahres führte ich ein Interview mit dem Lyriker, der mit seinen zeitgenössischen Werken die Fachpresse zu Lobeshymnen animierte und auch schon einige Preise abräumen konnte. Ich unterhielt mich mit dem mittlerweile 24-jährigen unter anderem über aktuelle Lyrik in der schwarzen Szene. Damals schrieb ich: „Aktuelle lyrische Ergüsse sind offenbar für viele Szene-Mitglieder nicht geeignet, um sich darin zu verlieren. Oder gibt man aktuellen werken nur keine Chance? Vielleicht sollte man manchmal zweimal hinschauen.“ Es kommt einer Fügung des Schicksals gleich, dass das Verlagshaus J. Frank mir vor einer Weile anbot, ein Rezensionsexemplar zu beziehen. Ich sagte zu, frei nach dem Motto „Wer A sagt, muss auch B sagen!“

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mit Lyrik nicht viel anfangen kann, weder in alter noch in zeitgenössischer Lyrik kann ich mich wiederfinden. Noch bevor ich also dem Verlag zusagte den Gedichtband zu rezensieren, grübelte ich über Möglichkeiten nach, „Bastard Echo“ fachkundingen Augen vorzulegen. Mir kam sofort Florian G. von Karnstein in den Sinn, der neben seinen Tätigkeiten als Liedermacher, Sänger, Musiker und Mitblogger vor allem für eines bekannt ist, seiner Leidenschaft für traditionelle Lyrik.

Es galt die Frage zu klären, warum sich Menschen aus der schwarzen Szene – wie Florian – so selten mit modernen Lyrik beschäftigen. Martin Piekar konnte nur im Interview nur Vermutungen anstellen: „Alles ist nahezu „unbewegt“ von zeitgenössischer Lyrik. Das hat viele Theorien. Die Frage im Buchladen selbst ist: Lesen die Leute keine Lyrik, weil keine im Buchladen steht oder steht im Buchladen keine [zeitgenössische] Lyrik, weil sie niemand lesen will. […] Ist es also wirklich der Profitgier geschuldet? Sind Gedichte schwieriger als früher?“ Grund genug dem armen Florian ein Gastgeschenk unterzujubeln und ihn um eine Rezension zu bitten.

Florian G. von Karnsteins Rezension

Florian G. von Karnstein - Traditioneller Lyrik-Fan versucht sich in zeitgenössischer Dichtkunst.
Florian G. von Karnstein – Traditioneller Lyrik-Fan versucht sich in zeitgenössischer Dichtkunst.

Als ich „Bastard Echo“ in den Händen hielt, freute ich mich über die damit verbundene Aufgabe, eine Lyrik-Rezension zu schreiben, hatte ich doch bisher vor allem alte und mehr oder weniger bekannte Lyrik gelesen. Neuer und weiter von den von mir so geliebten steifen metrischen Korsetts entfernt als Ernst Jandls „Laut und Luise“ war es bei mir nie geworden. Eine ganz neue Chance also, einer Leserschaft etwas wirklich neues vorzustellen.

Nur stellte sich das schon sehr früh als Problems heraus… Gewöhnt an schwere altmodische Lyrik wie die von Goethe oder Poe tat ich mir sehr schwer mit dem ersten, „Bastard“ genannten Kapitel, vermisste ich hier doch nicht nur jede Art von Metrik (kein Problem!) sondern fand leider auch keinen Zugang zum Inhalt, der mir zeitweise ebenso absichtlich kryptisch und verschwurbelt vorkam wie beispielsweise Oswald Henkes Texte. Man verstehe mich nicht falsch: Ich freue mich, wenn Texte mir Rätsel aufgeben und ich mich animiert fühle, diese für mich in einer sicherlich sehr subjektiven Art und Weise zu lösen. Doch Rätsel, die mir das Gefühl vermitteln reiner Selbstzweck zu sein bewirken in etwa das Gegenteil. „Hoffentlich nicht noch ein moderner ’schwarzer‘ Literat, der eigentlich nur eine Aura des Bizarren um sich aufbauen will“ schoss es mir durch den Kopf, aber ich wollte fair bleiben und widmete mich dem zweiten Kapitel.

Unter „Wie Distanzen welken“ präsentiert Piekar kurze Gedichte von zwar sicherlich nicht traditionellerer Form, doch mit für mich erstmals deutlich kohärentem Inhalt. Da kommt schon deutlich mehr rüber – wenn ich mich entscheiden müsste, wäre „Wenn Eifersucht nistet“ mein Favorit: Im Prinzip eine schlichte Beschreibung des Gefühls der Eifersucht an sich, doch wortstark auf den Punkt gebracht. Hat was.

Aber moment mal, bin ich also so stumpf, dass ich ein offensichtliches Motiv und einen klar beschreibenden Titel brauche um mit Lyrik etwas anfangen zu können? Schnell weiterlesen! Und direkt beim nächsten „Wie Kernschmelze tanzen“ betitelten Gedicht beantworte ich mir die Frage mit „Nein“. Denn: Ja, ich verstehe, dass es um extatisches Tanzen geht und um den drögen Heimweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch: Nein, es gibt mir leider wieder nichts. Die Wortkonstrukte wirken mir ebenso neuartig wie gekünstelt:

Gezeiten Drillmusik beglucksen uns Die frequentierte Tanzwut fickt Manch ethanolverpuppten Schwärmer ringsherum

Nein, danke… In „Hauptsache Bahnhof“ geht es ums Reisen. Um Frankfurt am Main. Um Berlin, Leipzig, Wiesbaden, Köln. Um Stadt an sich. Grau kommen die Gedichte daher, und wieder: Sicherlich irgendwie gut geschrieben, originelle Konstruktionen, aber voll an mir vorbei:

Matrjoschka-Dimensionen von Überfüllungen: spiele: Zug – Bahnhof – Stadt. Die Narreteien Vorbeifahrender und von meinen Haaren.

Ob das gekonnt ist müssen andere entscheiden. Mir ist es jedenfalls zu gewollt. Dabei mag ich das Knappe und Direkte seiner Sprache eigentlich sogar irgendwie. Schade. Meine Geduld kommt mir aber langsam abhanden, je weiter ich mich durch das Buch arbeite. Mittlerweile sind mehrere Tage vergangen, und ich habe allem mehrere Anläufe und Chancen gewährt. Die folgenden Kapitel überfliege ich irgedwann nur noch, ich gestehe es gern – zu konstant ist mein ärgerliches Kopfschütteln geworden. Ab „Claes Oldenburg – Bedroom Ensemble“ wird es mir endgültig zu bizarr. Hotelzimmer sind vermutlich das Thema, aber warum dabei Leoparden(mäntel) blauschwappende Kommoden beißen will ich eigentlich schon gar nicht mehr wissen. Bei „Siff“ aus der Reihe „M’Era Luna 2012“ komme ich mir richtiggehend verarscht vor und breche ich die Lektüre endgültig ab.

Also, wie kann hier ein Fazit lauten? Vernichtende Kritik? Nein, das nun auch wieder nicht. Wenn Piekars Werke eins sind, dann anders. Und ich bin mir sicher: Sie werden polarisieren, doch mir persönlich geben sie nichts. Er versteht wohl sein Handwerk, hat seinen eigenen Stil und wer durch meine bescheidene und viel zu kurz geratene Kritik irgendwie neugierig geworden ist, der sollte ihm auf jeden Fall eine Chance geben. Ich bin mir sicher, er wird mit seinem Stil sein Publikum finden. Nur werde ich persönlich nicht dazu gehören.

Für Gruftis nicht geeignet?

Ich bin Florian G. von Karnstein sehr dankbar für seine Rezension, lange hat er mit sich gekämpft: Darf eine Kritik so böse sein? Ich bin mir sicher, sie darf so böse sein. Dadurch wird sie nicht schlechter, sondern ehrlicher. Es kann nicht Ziel einer Rezension sein, möglichst wohlwollend über ein Werk zu urteilen, sondern authentisch. Wurde nun ein schlechter Gedichtband veröffentlicht oder sind „traditionelle“ Grufties die falschen Adressaten für diese Form der Kunst? Die Antwort lautet: Weder noch, denn Lyrik ist Kunst und was der Leser darin sieht, bleibt Interpretationssache. Martin Piekar wählt zum Transport seiner Gedanken die wilde und rotzige Art, wie eine Death-Metal Band brüllt er seine Gedichte ins Publikum, wohlwissend die Zuhörer in zwei Lager zu spalten. Die Einen lauschen gebannt während die Anderen das Konzert vorzeitig verlassen. Martin konnte Florian nicht für sich gewinnen, für 13,90€ könnt ihr selber entscheiden, euch entweder vor den lyrischen Kopf stoßen zu lassen, oder in Euphorie auszubrechen endlich jemanden gefunden zu haben, der schreibt was ihr fühlt.

Martin Piekar – Bastard Echo | Illustration: Michael Zander | Verlagshaus J. Frank 2014 · 13,90 Euro | ISBN: 978-3-940249-90-6
 
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