Lords of Chaos: Wie norwegischer Black Metal die Welt in teuflische und blutige Schlagzeilen führte

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die düstere Geschichte des norwegischen Black Metal, der in den frühen 90er Jahren für blutige Schlagzeilen sorgte, verfilmt werden würde. Mit ihrem Sachbuch „Lords of Chaos“ sorgten Michael Moynihan und Didrik Søderlind 1998 für eine fundierte und detailreiche Quelle, die wie keine andere Veröffentlichung zu diesem Thema, die Entstehung des Black-Metal darstellt und die Ereignisse, die zu Beginn der 90er Jahre Norwegen erschütterten, zusammenfasst. Jetzt hat Jonas Åkerlund, der selbst einmal in der schwedischen Black-Metal Band „Bathory“ Schlagzeug spielte, die Geschichte verfilmt und liefert zu den Schlagzeilen von damals die verstörenden Bilder.

Für mich eine Aufforderung, mich mit der Geschichte, dem Buch und dem Film, der jüngst auch auf DVD erschienen ist, zu beschäftigen. Nicht nur, weil es um Jugendkulturen geht, sondern auch, weil die „Welle des Satanismus“ auch in Deutschland zu spüren war und die selbst die Gothic-Szene in den 90ern diesen Anschuldigungen ausgesetzt war. Ihr werdet entschuldigen, wenn das alles ein bisschen ausführlicher wird.

Der Hintergrund: Wie Black Metal Norwegen in Angst und Schrecken versetzte

Ende der 80er Jahre brodelt in Norwegen und Schweden eine kleine und sehr aktive Black-Metal Szene. Im Zeichen der Urväter von Venom, die den Begriff 1982 prägten, gründet unter anderem Øystein „Euronymous“ Aarseth 1984 die Band Mayhem, die zu den Begründern der Skandinavischen Bewegung zählt. Mit ihrem schwedischen Sänger Per Yngve Ohlin, der sich „Dead“ nennt, nimmt die Band ab 1988 spürbar extremere Züge an. Dead fügt sich auf der Bühne klaffende Wunden zu während die Band das Bühnenbild mit aufgespießten Schweinsköpfen schmückte. So baut sich die Band ein eindrucksvolles Image und eine leidenschaftliche Fan-Gemeinde auf.

Per Yngve Ohlin „Dead“ (links) und Øystein Aarseth „Euronymous“ (rechts) von der Band Mayhem in vollem Bühnenornat.
(c) Variance Films – Aus der Dokumentation „Until the Light Takes Us

Als sich Dead im April 1991 mit einer Schrotflinte in Kopf schießt, fotografiert Aarseth, der die Leiche entdeckt, zunächst den Selbstmord und sammelt einige Schädelstücke ein, bevor er die Polizei und seine Bandkollegen informiert. Aarseth Verhalten und Deads Tod spaltet die Band. Er inszenierte den Selbstmord, lässt Schmuck aus den Schädelstücken anfertigen und will die Bilder, die er gemacht hatte, als Albumcover verwenden.

Er verlässt das gemeinsam bewohnte Haus und eröffnet in Oslo seinen eigenen Plattenladen mit dem Namen „Helvete“ (norwegisch für Hölle). Hier treibt er auch die Arbeit an seinem Plattenlabel „Deathlike Silence“ voran. Einer seiner ersten Künstler, die er betreut, ist der 20-jährigen Varg „Count Grishnackh“ Vikernes aus Bergen mit seiner Ein-Mann-Band „Burzum„. Aarseth war begeistert von der Vikernes Leidenschaft und seinen extremen Idealen.

Rund um den Laden und Euronymous als Person bildet sich der „Norwegische Schwarze Zirkel“ der aus den Leuten bestand, die sich seinerzeit zu den extremsten Anhänger und Bands zählten und Dinge wie Satanismus und Okkultismus radikaler lebten, als den meisten bewusst war.

Brennende Kirchen um an die „wahre Kultur Norwegens“ zu erinnern

Im Sommer 1992 brennen in Norwegen die Kirchen. Zahlreiche historische Stabkirchen – eindrucksvolle Holzkonstruktionen aus dem frühen Mittelalter – gehen in Flammen auf. Am 6. Juni 1992 brennt die 1150 erbaute Kirche in Fantoft, südlich von Bergen, völlig nieder. Als in den folgenden Wochen weitere Kirchen in ganz Norwegen brennen, ist man erschüttert. Wie sich herausstellt, war Brandstiftung die Ursache für die Brände. Schnell verbreiten sich Gerüchte, dass Satanisten dafür verantwortlich wären. Vielen Zeitungsartikeln reichte dabei die Tatsache, dass die Kirche in Fantoft am sechsten Wochentag der Woche, dem 6. Juni niedergebrannt wurde. 6-6-6. Das musste mit Satanisten zu tun haben. Die Mitglieder norwegischer Black-Metal Bands rückten erst viel später in den Fokus, Behörden scheuten sich zunächst, Brandstiftung einzuräumen und Zusammenhänge aufzudecken. Wohl aus Angst, es würde weitere Nachahmungstäter anziehen.

Im Januar 1993 wird Varg Vikernes verhaftet. Er hatte Handzettel als Ankündigung seiner neuester EP „Aske“ (norwegisch für Asche) verteilt, auf denen ein Bild der Ruinen der Kirche in Fantoft zu sehen waren. Die aufgedruckte Adresse führte die Polizei direkt zum Verdächtigen. Völlig unabhängig davon erscheint in Bergens Tageszeitung Tidende unmittelbar nach der Verhaftung der Artikel: „Wir haben die Feuer entfacht“ in dem ein Interview mit Varg Vikernes zu lesen ist, dass der bereits vor seiner Verhaftung gegeben hatte. Neben wilden Verschwörungstherorien sind es vor allem Sätzen wie „Es ist unsere Absicht, Tod und Teufel zu verbreiten…„, die Norwegens Black-Metal Szene in Verbindung mit den Bränden bringt. Trotz einiger Indizien beteuert Vikernes seine Unschuld und muss im März 1993 aus Mangel an Beweisen auf freien Fuß gesetzt werden.

Kerrang March 1993
Cover des am 27. März 1993 erschienen Metal-Magazins KERRANG! – „Brandstiftung… Tod… Satanische Rituale… Die hässliche Wahrheit über Black Metal“

Ende März erscheint im englischen Metal-Magazin „Kerrang!“ ein Artikel, der den norwegischen Black-Metal endgültig zu einer Bedrohung hochstilisiert. „Brandstiftung… Tod… Satanische Rituale… Die hässliche Wahrheit über Black Metal.“ lautet der Titel der Geschichte, für die man erneut Vikernes und auch Aarseth interviewt. Zusammen mit der reißerischen Aufmachung der britischen Journalisten zeichnen die Beiden ein bizarres Bild der norwegischen Szene. „Wir unterstützen das Christentum, weil es die Menschen unterdrückt, und wir verbrennen Kirchen, um es stärker zu machen.“ Vikernes und Aarseth halten beispielsweise die Ideologie der Kirche für nützlich, verurteilen aber ihre Schwäche, diese durchzusetzen. Aarseth stilisiert sich als Anführer des „Schwarzen Zirkels“ und will mit der Musik „die Seelen der Kids bekehren„.

Für die norwegische Black-Metal Szene ist das pure Inspiration, sie sehen sich, ihre Musik und die darin enthaltenen Ideale für richtig und wichtig. Sie feierten das Extreme, das in den Worten steckt und sahen im Anzünden von Kirchen eine symbolische Tat. Für die Black-Metal Szene in Norwegen sind Varg Vikernes und Øystein Aarseth längst Idole, durch die Kirchenbrände und der damit verbundene Aufmerksamkeit reicht der Einfluss dieser Ideologie weit über die Landesgrenzen hinaus. In der Folgezeit finden sich in ganz Skandinavien Nachahmer, die Brandanschläge auf Kirchengebäude verüben. Auch in Deutschland bilden sich Ausläufer der norwegischen Black-Metal Welle, die extremen Ansichten treffen auch hier auf fruchtbaren Boden. „Infernus und Opferblut“ titelt der Spiegel im Oktober 1994, darin wird auch Bezug auf den Mordfall von Sonderhausen genommen.

Der Anfang vom Ende der norwegischen Black Metal Szene

Aarseth muss in Folge des Medieninteresses und dem Druck durch die Behörden seinen Laden Helvete in der Osloer Altstadt schließen. Zwischen Vikernes und ihm werden die Spannungen größer. Es dreht sich um Geld, Ansehen und Einfluss innerhalb der Black-Metal Szene.

Aarseth wollte die Streitigkeiten beenden, indem er einen Vertrag aufsetzte, der Vikernes alle Rechte an den Veröffentlichungen von „Burzum“ übertrug und in dem er sich verpflichtete, die entstandenen Schulden zurückzuzahlen. Doch für Vikernes war es bereits zu spät. Gerüchte die besagten, Arseth wollen ihn foltern und umbringen hatten ihn längst zu dem Entschluss getrieben, ihm zuvorzukommen.

In der Nacht zum 10. Oktober 1993 setze sich Vikernes zusammen mit Snorre Ruch  in sein Auto und fuhr nach Oslo. Unter dem Vorwand, den Vertrag zurückzubringen, verschaffte sich Vikernes Zutritt zu Aarseths Wohnung und beginnt – angeblich aus Notwehr -, auf den ehemaligen Verbündeten und Freund einzustechen. Nach einer blutüberströmten Flucht durch das Treppenhaus und insgesamt 23 Messerstiche später ist Øystein „Euronymous“ Aarseth tot. Die wahren Umstände oder Beweggründe bleiben allerdings im Dunkeln.

Varg Vikernes wird verhaftet
„Der Graf“ von Anfang an unter Verdacht – Die Polizei hat Varg Vikernes nur wenige Stunden nach der Tat gefasst.
(c) The True Mayhem Collection

In den nächsten Tagen verhaftet die norwegische Polizei nahezu alle Mitglieder norwegischer Black-Metal Bands und viele Anhänger der Szene, die man dem „Schwarzen Zirkel“ zuordnete. Bereits einige Tage später wurde Vikernes gefasst, zahlreiche Zeugen und Helfer der Tat belasteten den 20-jährigen Norweger schwer. Im Zuge der Ermittlungen werden auch einige der Kirchenbrände aufgeklärt und auch der brutale Mordfall an dem homosexuellen Magne Andreassen im August 1992 konnte gelöst werden. Wie sich herausstellte war der 19-jährige Bård Eithun, Schlagzeuger der Black-Metal Band Emperor, der Täter.

In der Folge der Ereignisse löste sich die norwegische Black-Metal Szene quasi auf, weil mit Aarseth und seinem Laden „Helvete“ einflussreiche Größen weggefallen war und sich viele Mitglieder der Bands des schwarzen Zirkels vor Gericht verantworten mussten. Varg Virkernes wurde zu 21 Jahren Haft verurteilt, der norwegischen Höchststrafe, Bård Eithun musste für 14 Jahren hinter Gitter. Snorre, Vikernes Komplize beim Mord an Arseht wurde zu 8 Jahren verurteilt. Einige andere Leute aus der Black-Metal Szene, die unter dem Druck der Ermittlung Kirchenbrandstiftungen gestanden hatten, wurden zu zwei- und dreijährigen Haftstrafe verurteilt.

Lords of Chaos – Das Buch von Michael Moynihan und Didrik Søderlind

Das Buchcover von Lords Of Chaos mit einer brennenden Kirche im Hintergrund
„Lord of Chaos – Satanischer Metal, der blutige Aufstieg aus dem Untergrund.“ Das Buch ist 1998 erstmals in englischer Sprache erschienen und später auch ins Deutsche übersetzt worden.

Mit dem Buch, das 1998 erscheint, versuchen Michael Moynihan und Didrik Søderlind nicht nur die Ereignisse in den frühen 90er Jahren in Norwegen darzustellen, sondern auch das Phänomen „Black Metal“ zu entschlüsseln, indem man sich mit der musikalischen Verarbeitung von Satanismus und Okkultismus beschäftigt und auch der antichristlichen und totalitären Ideologie hinter der Musik auf den Grund geht. Interview mit Tätern und Helfern, mit Anhängern und Band-Mitgliedern der einflussreichsten Black Metal Bands formen einen fundierten, exklusiven und detailreichen Einblick in eine schwer zu begreifende Gedankenwelt.

Sämtliche Ereignisse, die zum rasanten Aufstieg und zum tiefen Fall dieser Musikrichtung in Norwegen führte, sind umfassend beschrieben und machen das Buch als Dokumentation zu diesem Thema unverzichtbar.

Auch die Fortführung des Buches über das Ende der Ereignisse hinaus scheint insofern gerechtfertigt, da mit den Taten in Norwegen eine ganze Welle von satanischer, okkulter oder totalitär inspirierter Gewalt und Brutalität über den Globus schwappte, die alle in gewisser Weise mit dem Black Metal oder den darin verarbeiteten Themen und Ansichten, in Verbindung gebracht werden können. Signifikant scheint die Tatsache zu sein, dass sich viele Musiker, und auch im Buch erwähnter Täter aus anderen Ländern, mit faschistischem und totalitären Ideologien schmücken.

Ein wenig erschreckend ist es allerdings, wie leidenschaftlich sich Moynihan mit Tätern und ihren Beweggründen auseinandersetzt, wie tief er in nordische Mythologie und Faschismus eintaucht und wie aus seiner Feder Satanismus, Okkultismus und Black-Metal zu einem braunen Sumpf verklumpt, dem ich mich nur recht angewidert stellen kann. Offensichtlich fühlt sich der Autor in diesem Thema heimisch, wie auch Michael Klarmann in seiner Rezension zusammenfasst: „Moynihan ist Kopf der rechtslastigen Band Blood Axis, vertritt selbst rechts-esoterische, ariosophische und heidnische Ansichten, hält Kontakte zu solchen Zirkeln und publiziert in rechtsgerichteten Zeitschriften.

Ich verstehe jede Kritik an Moynihan als Autor und empfinde seine bedingungslose Gedankenfreiheit gelegentlich als grenzüberschreitend und seine streckenweise distanzlose Kokettierung mit nationalistischem Gedankengut als abstoßend. So bereitet er beispielsweise Hendrik Möbus, dem Mörder von Sandro Beyer im Satansmord von Sondershausen, eine Bühne, die der schamlos für seine faschistischen Ideale benutzt und dazu, den Mord an dem 15-jährigen Beyer zu verharmlosen und zu relativieren. Auch Varg Vikernes erhält nach seiner Inhaftierung eine breite Öffentlichkeit für seine krude Weltanschauung.

Möglicherweise ist es eben diese merkwürdige Leidenschaft des Autors von „Lords of Chaos“, die das Sachbuch dennoch zu einem der spannendsten Bücher macht, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Ich verabscheue die Bewunderung, die Moynihan nach meiner Meinung für den Täter empfindet und kann nach den meisten Gedanken, die dort von Tätern geäußert werden, immer weniger nachvollziehen, was solchen – offenbar intelligenten Menschen – die Motivation zu einem Mord verschafft.

Ich möchte mich dem Fazit der TAZ anschließen und gönne dem Verfasser, der so leidenschaftlich und „Gedankenfrei“ in den Ideologien von Mördern und Wahnsinnigen badet, keinen Cent seiner Tantiemen für diese Buch. Dennoch rate ich jedem Neugierigen und Wissensdurstigen, dieses Werk zu lesen. Ich hab es für 1,50€ bei einem Gebraucht-Buch-Verkäufer geschossen.

Lords of Chaos: Der Film von Jonas Åkerlund als trauriger Höhepunkt der medialen Verarbeitung des Black Metal

2018 veröffentlicht Jonas Åkerlund, der bislang hauptsächlich Musikvideos gedreht hat, den Film „Lords of Chaos“, der sich in weiten Teilen auf das Buch stützt und aus der Dokumentation eine Geschichte machen will. Leider scheitert er kläglich, weil es ihm nicht gelingt, eine wirkliche Geschichte um die Protagonisten zu entwickeln. So bleibt es weitestgehend bei den Fetzen von einzelnen Geschichten und Schicksalen, die auch das Buch erzählt, im Film jedoch bildgewaltig und stellenweise brutal in Szene gesetzt werden. Ein blutiger Selbstmord, brennende Kirchen und eine infernalische Jagd durch ein Osloer Treppenhaus. Und wenn nichts mehr hilft, helfen Sex-Szenen mit Norweger-Socken.

Leider entfällt jede kritische Auseinandersetzung mit den Charakteren und ihren Hintergründen, die möglicherweise eine Erklärung der Radikalisierung liefern könnte und dem Film zu mindestens etwas handfestes mit auf den Weg geben könnten. Auch eine intensivere Beschäftigung mit dem Black Metal scheint, bis auf einige wenige Szenen die aber nur als Beiwerk dienen, fehlt völlig. Da hätte ich Regisseur Åkerlund, der selbst in die Black Metal Szene involviert war, mehr erwartet.

Die Schauspieler tun ihr übriges. Rory Culkin, Bruder von Kevin allein zu Hause, als wichtigster Begründer der norwegischen Black Metal Szene kann nicht mal ansatzweise die Leidenschaft des „Echten“ auf den Bildschirm zaubern und Emory Cohen, der Varg Vikernes spielt, hat weder das Talent noch die Hingabe nachzuzeichnen, wie aus dem Typen mit der sich mit seinem „Scorpions“ Aufnäher den Black-Metallern anbiedert, der gefährlichster Musiker dieses Genre werden konnte, der Kirchen anzündete und letztlich einen Menschen ermordete.

Was hätte das für ein Meisterwerk werden können. Die Geschichte des norwegischen Black Metals und seiner tragischen und wahnsinnigen Helden hätte aufrütteln, verstören und aufklären können! Stattdessen ist es noch nicht einmal gute Unterhaltung. Vieles davon lag möglicherweise auch in seiner Absicht, wenn man dem Interview mit dem Rolling Stone Glauben schenken darf, ich persönlich hätte da aber mehr erwartet.

Wie die Lords of Chaos den Black Metal und ein ganzes Jahrzehnt beeinflussten

Da der Film und das Buch nicht unbedingt zu einer finalen Erleuchtung führte, habe ich mir selbst einige Fragen gestellt und versucht, sie durch die vorhandenen Quellen und Interviews aus dem Buch und das, was ich sonstwo dazu gefunden habe, zu beantworten.

Wieso nennt man sie eigentlich Lords of Chaos?
Die „Lords Of Chaos“ waren eine Gruppe US-Amerikanischer Jugendlicher, die im Frühling 1996 in Florida einige Verbrechen begingen. Sie zündeten eine Kirche an, brannten ein tropischen Vogelhaus mitsamt der Tiere nieder und raubten ein Restaurant aus. Am 30. April erschossen sie Mark Schwebes, den Direktor der schulischen Blaskapelle, weil der einige Stunden zuvor eine versuchte Brandstiftung der Gruppe in der örtlichen Schule vereitelt hatte. In einem Manifest, das bei Hausdurchsuchungen sichergestellt wurde, bezeichneten sich die 6 Jugendlichen als „Lords of Chaos“, die die Absicht verfolgten in „einen Feldzug gegen die Welt“ zu ziehen. Michael Moynihan betitelte sein Buch, das 1998 entstand, nach dieser Gruppen, weil er Parallelen zu Vikernes und der norwegischen Black Metal Szene sah. Ob Parallelen zum Fantasy-Roman von Robert Jordan existieren, das am 15. Oktober 1994 erschienen ist, ist nicht bekannt.

Warum Norwegen?
Obwohl in Norwegen der Glaube nicht stärker ausgeprägt ist, als in anderen europäischen Ländern, lebt Norwegens Bevölkerung seit jeher sehr konservativ und ist stark an christlichen Werten orientiert. Diese Wertvorstellungen beeinflussen Norwegens Regierung und die Medienlandschaft so massiv, das Zensur sich zu einem adäquaten Mittel entwickelt hat, die norwegische Bevölkerung vor Gewalt und Grauen, wie sie beispielsweise in vielen Filmen gezeigt und thematisiert wird, zu schützen. „Aus der kulturell verankerten Zensur des Gewalttätigen und Makaberen entsteht eine Leere, die den überwältigenden Hunger des Black Metal für genau solche Bilder erklären könnten. Wird jemandem etwas verweigert, wird dieser sich gierig darauf stürzen, sobald ein Zugang dazu gefunden ist.“ Norwegische Jugendliche finden Anfang der 90er genau diesen Zugang, gründen eigene Bands und verfolgen die Ideologie des Black Metal mit nie dagewesener Ernsthaftigkeit. Es scheint, als würde der diktierte „Hunger“ der durch die Zensur entstand, in „Gier“ umschlagen.

Wie beeinflussten die Ereignisse in Norwegen ein ganzes Jahrzehnt?
Die Verbrechen in Norwegen waren der Startschuss für eine ganze Reihe von weltweiten Vorfällen, in denen sich Leute aus dem Black Metal Umfeld dem Versuch hingaben, das „Böse“ das ihrer Musik, ihren Symbolen und ihren Inhalten innewohnte, auszuleben. Viele zeigten sich direkt oder indirekt von den norwegischen Black Metal Bands und den Ereignissen inspiriert. Gab es in den Jahren zuvor den rebellischen Wunsch sich gegen die Gesellschaft aufzulehnen (Punk) oder sie mit ihren eigenen Tabus zu schocken (Gothic), herrscht jetzt der Wunsch, sie zu zerstören. Auch in Deutschland stieg ab Mitte der 90er Jahre die Angst vor Satanismus. Der Mordfall von Sondershausen oder auch später der Satansmord von Witten lieferten Feuer für Diskussionen, bei denen Jugendkulturen, die Black Metal oder auch Dark Wave hörten, in den Fokus medialer Berichterstattung gerieten.

Warum war der Weg vom Black Metal Fan zum Neonazi so kurz?
Black Metal gibt den Jugendlichen eine Musikrichtung, um lautstark provozieren und schocken. Es herrscht eine Faszination für nordische Mythologie und eine Abneigung gegen etablierte Ideologien, wie beispielsweise den christlichen Glauben. Findet man in der Musik und unter Gleichgesinnten einen Lebensinhalt. Für viele entwickelt sich damals der Wunsch, auch etwas zu „bewegen“ und sich ideologisch klarer zu positionieren. Ist man in der Szene gereift, betrachtet man den Satanismus in Symbolik und Musik als Spielerei und nicht als einen ernsten Lebensinhalt oder eine politische Orientierung. Viele sind damals den Weg gegangen, sich für nationalistische Ideen stark zu machen und das Heidentum als Antireligion zum Christentum zu verstehen. Alles Ideologien und Lebensweisen, die man vor allem bei Neonazis und Rechtsextremen findet.

Die Kontroversen um „True Norwegian Black Metal“ habe es bis in das neue Jahrtausend geschafft, Leute wie Gaahl, Ex-Sänger der Band Gorgoroth, polarisierten durch zahlreiche Straftaten und Äußerungen, aktuelle Filme wie Metalhead – oder eben Lords of Chaos – thematisieren Musik und Verzweiflung stets im selben Atemzug und halten möglicherweise so den düsteren und bösen Nebel um Black aus Norwegen aufrecht.

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Torsten
Torsten (@guest_58260)
Vor 4 Jahre

Exzellenter Artikel! Danke!

Axel
Axel (@guest_58261)
Vor 4 Jahre

„Lords of Chaos“, dieses Propagandawerk, als „Sachbuch“ zu bezeichnen, ist grundfalsch – und gibt den alten NSBM mal wieder eine unverdiente Bühne.

Sehr viel mehr sollte in diesem Kontext, Black Metal der 90er, auf aktuellere Veröffentlichungen der Musik- und Kulturwissenschaft verwiesen werden. Beispiele:

https://www.amazon.de/Analyzing-Black-Metal-Transdisziplinäre-Annäherungen/dp/3837636879

https://www.amazon.de/Male-Spaces-Bildinszenierungen-archaischer-Männlichkeiten/dp/3593396459

https://www.amazon.de/Runenschrift-Black-Metal-Szene-Skripturale-soziolinguistischer-Kommunikation/dp/3631663587

Und ganz allgemein zum Heavy Metal empfehle ich folgende Veröffentlichung:
https://www.amazon.de/Methoden-Heavy-Metal-Forschung-Interdisziplinäre-Zugänge/dp/383093064X

Im akademischen Bereich wird durchaus sehr ausführlich zu dem Thema geforscht. Daher ist es schon von der Grundprämisse falsch ein über 20 Jahre altes Buch als Grundlage zu nehmen, welches zudem weder objektiv, kritisch noch wissenschaftlich fundiert ist.

Außerdem verfehlt der Artikel leider auch, dass Black Metal als weltweites Musikphänomen, sich in den letzten 15 Jahren radikal weiterentwickelt hat. Sicher, gibt immer noch eine kleine Minderheit an Vollidioten, welche den alten „Trve Norwegian BM“ inklusive Ideologie aufleben lassen wollen. Sind aber in der Tat in der Minderheit.

Der absolut größte Teil aus der BM-Szene, die ich in den letzten Jahren kennengelernt habe, hat weder etwas mit Satanismus noch mit Sexismus oder Rassismus zu tun. Ganz im Gegenteil. Nur leider impliziert durch die Auslassung der Emanzipierung des BM der Artikel alte Klischees, die auf die heutige Szene so gut wie garnicht mehr angewandt werden können. Gerade als Grufti sollte man das ja verstehen – man will ja auch nicht mit den ganzen alten Satanismus-Vorurteilen in Verbindung gebracht werden.

Black Metal Musik heute, das ist beispielsweise auch dies hier:

https://www.youtube.com/watch?v=M9cNZQIzShc

The Drowning Men
The Drowning Men (@guest_58262)
Vor 4 Jahre

Warum Norwegen? Nicht nur aufgrund der scheinbar konservativen Haltung der norwegischen Bevölkerung..sondern auch weil Mayhem den (Black)metal intentionell wieder in „böse“ Gefilde zurückholen wollten, da in ihrer Wahrnehmung damals zu viele Deathmetal Bands in lockerer Strassenkleidung nur über Blood & Gore gegrunzt haben (gab ja auch Deathmetal mit satanistischem Hintergrund bspw. Morbid Angel oder Deicide). Mayhem war ja auch halt ein „bunch of chaotic people“ (in meiner Wahrnehmung waren sie sogar, obgleich die Musik stilistisch eindeutig Metal ist, schon irgendwie Punks). Diese Band brachte ja erst den Stein ins Rollen und auch die Dynamik hinein. Ich muss ehrlich sagen, dass seinerzeit Mitte der Neunziger mich die Anfänge (!!) der zweiten Blackmetal Welle echt auch fasziniert hat..zumal in der schwarzen Szene Mitte der Neunziger eine Umwälzung in Richtung „cheesy“ Ästhetik und Bravheit stattfand und das Okkulte, Mysteriöse was zu Anfang der Neunziger noch in weiten Teilen innewohnte auch verschwand (wobei ich natürlich kein Befürworter von Mord und Totschlag, sonstigen kriminellen Straftaten oder ideologischen Gedanken bin…eben nur in atmosphärischer Hinsicht). Aber irgendwann flaute das auch wieder ab…als es dann dort auch zu „cheesy“ wurde. Aber es zeigt für mich auch wieder, wie durchgeknallt die 90er waren (ohne Interpretation von gut oder schlecht..sondern einfach neutral bewertet).

The Drowning Men
The Drowning Men (@guest_58265)
Vor 4 Jahre

@Robert: Es ging mir erstmal gar nicht mal soooo darum in der Aussenwirkung „böse“ zu sein…aber es ergab sich aus einer gewissen Atmosphäre halt….musikalisch kann man jetzt mal Current 93 (Maldoror Is Dead) oder Christian Death mit Rozz Williams nehmen..oder auch Madre Del Vizio..auch Placebo Effect hatten diese Wirkung damals durch entsprechende Vorstellungen auf der Bühne (wie es SPK in den 80ern auch schon praktiziert haben). Aber jetzt ma ohne musikalische Benennung..es war tatsächlich ein Stück mehr gefühlte Freiheit durch diese Verurteilung. Ich mein..ergibt ja sowieso keinen Sinn: „Wir sind eigentlich Menschen wie du und ich..aber sind dann doch irgendwie anders“. Mit Anfängen des Internets konnte man beobachten, wie in diversen Foren immer gesprochen wurde „ja..die Szene muss sich ja entwickeln“. Aber das Ganze war in ihren Ursprüngen schon avantgardistischer und progressiver als das was danach kam (Im Übrigen muss sich bei mir gar nichts entwickeln..denn mein Geschmack ist mein Geschmack). Nun..ich glaube es hat andere Ursachen. Es bringt nichts sich die Atmosphäre zurückzuwünschen…man hatte innerhalb einer gewissen Zeit die Funktion innegehabt (ob gewollt oder nicht gewollt) gewisse Tabus zu brechen. Und gedanklich engmaschige Strukturen aufzubrechen fühlt sich natürlich lebendiger an..nur ist es eben heute nicht mehr der Fall..alles was definiert wird wird auch leider Opfer einer gewissen Vermarktung. Es hilt nicht sich zurückzusehnen..wir müssen unsere eigenen kreativen Impulse wiederfinden.
Leider weiss es ich manchmal selber nicht wie es gehen soll.

The Drowning Man
The Drowning Man (@guest_58276)
Vor 4 Jahre

https://www.youtube.com/watch?v=XkK3RGYl9FM

auch früher Blackmetal aus Norwegen

Nossi
Nossi (@guest_58284)
Vor 4 Jahre

Zitat von Robert (und sei versichert, für diese Zeilen, könnte ich dich niederknutschen ^,^ : Ich habe da auch kein Rezept für eine Wiederherstellung der Atmosphäre. Möglicherweise liefert das der Zeitgeist von ganz alleine, wenn die Gothics mal wieder “Out” werden und aus dem Produktkatalog großer Firmen verschwinden. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob – und vor allem wann – das passieren wird. Im Grunde hilft vielleicht eine neue Form der Unangepasstheit gegenüber dem, was uns im Laufe der Jahre untergejubelt wurde.

Weg von der körperlichen Uniformität beispielsweise und Menschen in den Vordergrund stellen, die völlig natürlich Gothic sind und nicht irgendwelchen Models auf sogenannten “Szenemagazinen” entsprechen. Möglicherweise auch eine stärke Intoleranz nach außen, der mit einer wieder stärker werdenden Toleranz nach innen einhergeht.

Worte, gewählt mit Bedacht und trefflich formuliert. Sei Bedankt <3

Dem kann ich nur hinzufügen, ist es wirklich so verkehrt diesem plastikbehafteten Kommerzwahn entfliehen zu wollen, in dem man etwas wildes, düsteres Ursprüngliches sucht, das es noch nicht gibt. Muss den alles immer glatt gebügelt und militärisch zackig sein?
Wie immer, beschwöre ich Bands und Künstler, seid kreativ, orientiert euch nicht an dem Zeux das die letzten 20 Jahre veröffentlicht wurde. Erschafft etwas eigenes, auf der Grundlage von Leidenschaft und Gefühl.

E. Devil
E. Devil (@guest_58290)
Vor 4 Jahre

Dieser Film ist großer Dünnschiss. Seit spätestens 1996 bin ich mit BlackMetal aufgestanden und zu Bett gegangen, daher kann ich behaupten Nazi Ideologien waren kein Thema. Absurd, und wenige andere Abtrünnige waren schon immer die Seuche für die Szene und wurden erst gar nicht ernst genommen.
Es war viel mehr als das. In keiner Schublade der Welt wirst „du“ finden was ich meine warst du nicht ein Teil davon. Ich rede von der Intensität in der gelebt und gefühlt wurde.Gerade weil man jung und frei damit war. Es war eine gute Zeit. In gewisser Hinsicht vielleicht die beste meines Lebens

The Drowning Man
The Drowning Man (@guest_58291)
Vor 4 Jahre

Och, es gab schon die ein oder andere NS-BM Band…Graveland (und Nebenprojekte z,B,). Ob diese ernst genommen wurden lag oder liegt ja im Auge (oder Ohr) des Betrachters (was nicht heisst dass ich so einen Dünnpfiff gut finde). War ja auch wie auch Neofolk anfänglich so ne chaotisch mystische Geschichte wo später dann Leute ihr identitäres Bild heraus machen konnten (wobei Neofolk am Anfang ja auch chaotisch war..eben Apocalyptic Folk) Es hatte seinerzeit auch ein bisschen was von Eskapismus…aber ich musste noch nie mit nem Hackebeil durch den Wald rennen und „the forest is my throne“ rufen während die Jogger vorbeilaufen haha.

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