Giovanni Perna – Schwarzromantische Bilder für Genießer der morbiden Stille

Ein Dunkelromantiker mit Leichenwagen? Dieser vermeintliche Gegensatz machte mich neugierig, als ich mir das Profil von Giovanni Perna auf seiner Seite „totenstill.com“ angesehen habe. Der Fotograf aus Stuttgart schrieb mir neulich, ob ich nicht seine Ausstellung, die vom 6. Oktober bis zum 8. Dezember in der Galerie Bloody Colors zu sehen ist, vorstellen könnte. Als ich mich dann nach dem Schreck mit dem Leichenwagen durch die unglaublich vielen Friedhöfe auf seiner Internetseite klickte, war ich sprachlos. Denn tatsächlich kroch das mystische Kribbeln umgehend aus dem Bildschirm, machte sich auf den Synapsen wohlig-warm bemerkbar und führte zu dieser morbiden Stimmung, die ich sonst nur bei Besuchen historischer Grabstätten empfinde.

Fotografieren ist eben nicht Fotografieren, wie Giovanni mit seinen Arbeiten eindrucksvoll unter Beweis stellt. Ich wollte wissen, was der 1962 geborene Fotograf aus Stuttgart, der bereits 2006 mit Bildern im Orkus auf sich aufmerksam machte, über die dunkle Romantik denkt und was die Motivation hinter seinen Kunstwerken ist.

Spontis: Wie kam es zu deiner morbiden Leidenschaft, Friedhöfe zu fotografieren?

Giovanni: Ich habe schon immer gerne Friedhöfe besucht, vor allem alte Friedhöfe. Als Grafiker und Fotograf gab mir aber erst die digitale Fotografie die Möglichkeit, aus Fotos Bilder zu machen. Daraus entstand der dann typische totenstill-Look. Ich habe kein Interesse an der Dokumentation von Friedhöfen, sondern möchte Bilder machen, die wie romantische Gemälde wirken und bei den Menschen etwas auslösen, dass über das Dargestellte hinausgeht.

Spontis: Über Dich ist zu lesen, dass du Dich der Schwarzromantik verschrieben hast und Dich von düsteren Stimmungen und inneren Bildern einfangen lässt. Was meinst du damit?

Giovanni: Ein Großteil des gängigen Kanons an Gothic-Motiven kommt aus dieser Zeit: schiefe Kreuze auf dem Friedhof, die verfallene Kirche, Efeu-umrankte Ruinen, der ins Bild ragende tote Baum, Nebel oder auch Raben. Selbst aktuelle Grusel,- und Horrorfilme verwenden dieses Repertoire, das von Leuten wie Anne Radcliffe, Caspar David Friedrich, E.A.Poe oder Bram Stoker erfunden wurde. Auf Friedhöfen findet man diese Szenarien noch. Teilweise gänzlich unberührt von den Menschen, der Natur überlassen, unverfälscht. Im Gegensatz z. Bsp. zu Schlössern oder Burgruinen, die mit Cafes, Parkplätzen und Hinweis-Schildern übersät sind. Ich glaube, heutzutage ist die Idee der Romantik wieder aktuell. Vielleicht nicht der Begriff, der für viele etwas aus der Zeit gefallen zu scheint, aber das Gefühl ist aktueller denn je. Das fängt bei Bio und regionalem Essen an, geht weiter mit dem Entdecken der eigenen Heimat und der Tradition, der Hochzeit-Boom, der Run auf Trachten und Dirndl bei Volksfesten etc. Es erklärt auch den Erfolg von Fantasy,- und History-Romanen, Filmen und Serien (ich sage nur Game of Thrones), die ja nix anderes machen, als ein „romantisches“ Bild, im Sinne der Sehnsucht zu bedienen.

Spontis: Du scheinst schon viel herumgekommen zu sein und führst auf deiner Internetseite eine ganz beeindruckende Liste von Friedhöfen aus aller Welt. Wie würdest du die Unterschiede zur hiesigen Friedhofskultur beschreiben und welche Friedhöfe haben dich dabei besonders fasziniert?

Giovanni: Alte Friedhöfe haben immer etwas besonderes. Ich mag alle und habe keine besondere Vorliebe. Italienische oder spanische Friedhöfe sind voller unfassbarer Statuen, die aus jedem Friedhof ein Freilichtmuseum machen (siehe Beispiele). Hervorheben würde ich den Cimitero Staglieno di Genoa, die unglaublichste Statuen-Sammlung, die ich jemals gesehen habe, und der Cementiri del Poblenou in Barcelona, mit seiner ganz besonderen Darstellung des Todes (siehe Beispiel). Auf den britischen Inseln und Irland findet am ehesten das „Gothic-Feeling“ (siehe Beispiele). Die mitteleuropäischen Friedhöfe besitzen eine ganz eigene Stimmung. Die Mischung aus Parkanlage und Grabmäler, die von der Natur langsam vereinnahmt werden, finde ich faszinierend. Leipzig, Frankfurt, Köln, Prag, um nur einige zu nennen, sind Städte mit wunderschönen Friedhöfen. Die schönsten und überraschendsten  Momente habe ich regelmäßig auf kleineren und unbekannteren Friedhöfen. Das Hauptmotiv meiner Ausstellung habe ich auf dem Friedhof in Viareggio, einem Küstenort in der Toskana, fotografiert. Ich war auf der Durchreise und fand dieses tolle Motiv – das war geil.

Spontis: Das du Dich in der Gothic-Szene herumtreibst, ist offensichtlich. Ich kam nicht daran vorbei, Deine Leichenwagen-Foto auf deiner Internetseite schmunzelnd zu bewundern. Wir sind in einer Szene, die stets auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Kitsch wandert und sich zwischen Selbstverwirklichung und Selbstinszenierung aufreibt. Wo würdest du für Dich die Grenze ziehen?

Giovanni: Eine Grenze ziehen ist schwierig. Die Szene ist sehr tolerant und das ermutigt so manchen, sich völlig auszuleben – auch wenn einige dabei über das Ziel hinausschießen. Ich bin kein Richter und es ist mir eigentlich auch egal, wer was wie macht. Erlaubt ist, was gefällt. Wenn man authentisch bleibt, ist das für mich in Ordnung. Viele sind nur Teilzeit-Goths, auf großen Events oder Parties. Ich trage gern schwarz, mag aber keine Verkleidungen und kaufe meine Kleidung lieber beim Designer, und nur sehr, sehr selten in einem „Szene-Shop“. Ich sehe immer gleich aus: bei der Arbeit und privat. Mein Leichenwagen ist natürlich etwas dick aufgetragen, aber meine Kinder finden ihn toll, und in Stuttgart fährt jeder Zweite einen dicken Benz oder Porsche, da musste es was Besonderes sein.

Leichenwagen

Spontis: Ich bin mir sicher, dass du auch ein breiteres Publikum mit Deinen Arbeiten ansprechen willst, wie erklärst du einem Außenstehenden, warum du Dich für das Vergängliche, das Verfallene und das Morbide interessierst?

Giovanni: Viele Menschen haben wenig Verständnis dafür, dass ich soviel Zeit auf Friedhöfen verbringe, aber gleichzeitig erkennen doch die Meisten das Potenzial, dass sich für einen Fotografen auf alten Friedhöfen bietet. Erstaunlich viele Menschen erzählen mir, dass sie auch gern Friedhöfe besuchen – vor allem wegen der Ruhe und der Schönheit der Anlage. Und da kommen wir wieder zu Punkt 2. Über die Meta-Ebene Romantik ergibt sich dann ein Gespräch, das schnell die Klischees von Dunkel und Düster hinter sich lässt.

Spontis: Ich liebe Deine Bilder, ich liebe die dunkle Romantik und teile Deine Leidenschaft für das Morbide. Ich habe aber das Gefühl, dass diese Form der Ästhetik dieser Art des Inhalts immer weniger Rolle in unserer Szene spielt. Hat man früher in den Szene-Magazinen noch Bilder, Kunst, Gedichte und Gedanken veröffentlicht, sind es heute halbnackte Models, Fetish-Kalender und Blutüberströmte-Hobbie-Zombies. Was meinst du dazu?

Giovanni: Alles, was unter dem Druck des wirtschaftlichen Erfolges steht, richtet sich nach dem Markt. Die „Gothic-Industrie“ setzt natürlich auf Mainstream wenn sie damit die Zielgruppe erreicht, und der beinhaltet dann (leider) auch den Mittelaltermarkt und Halloween. Aber soll man solche Strömungen ausschließen? Ich denke nein. Vieles ist schrecklich. Die dämlichen Verkleidungen und die unfassbar banale Musik, die einer Helene Fischer in nichts nachsteht, nur eben düster klingt. Aber eine Szene, die sich als eine relevante und essenzielle (Sub-) Kultur etabliert hat, sollte selbstbewusst damit umgehen, dass sie für viele (neue und oft kurzlebige) Strömungen ein attraktives Dach darstellt. Auch wenn die Verstöße gegen das Gothic-Reinheitsgebot so manchem Traditionalisten die Tränen in die Augen treibt:  Die Klugen bleiben gelassen, denn sie wissen, was gut ist (grins).

Giovanni Perna

Spontis: Du hast bereits im Orkus veröffentlicht, ein Buch veröffentlicht, auf dem Wave-Gotik-Treffen ausgestellt und zeigst vom 6. Oktober bis zum 8. Dezember eine Ausstellung in Stuttgart. Wo soll die Reise hingehen? Was ist in Zukunft noch geplant?

Giovanni: Ich fotografiere auch viele Landschaften. Eines meiner Langzeit-Projekte sind die Kaarseen im Schwarzwald – dunkel, mystisch und legendenumwoben. Vielleicht entwickelt sich daraus etwas. Ich würde auch gern Covergestaltung für Bands machen, aber dafür fehlt mir der Zugang. Liegt auch an meinem Alter. Friedhöfe sind natürlich weiterhin ein Schwerpunkt. Im November gehts nach London – die „Magnificent Seven“ stehen auf dem Programm.

Spontis: Welchen Rat, welche Weisheit oder welches Zitat würdest du der Szene und/oder unseren Leser mit auf den Weg geben?

Giovanni Perna: Francis Bacon, ein britischer Künstler, sagte einmal: „In order for the light to shine so brightly, the darkness must be present.“ Ich finde, das Gleiche gilt auch andersrum.

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Wiener Blut
Wiener Blut (@guest_57269)
Vor 5 Jahre

Vielen Dank für das Interview. Besonders dem Blick auf die aktuelle Entwicklung der Romantik kann ich mich voll und ganz anschließen… irgendwo lebe ich sie auch mit, auch wenn der Hintergrund hier und da tiefer bzw anders reicht. Was mir wieder auffällt bei Fotos: Die Bildhauer und Auftraggeber (Brotgeber) der Bildhauer bzw des Werkes, finden oft wenig Erwähnung bzw Anerkennung. Und zweitens: Je mehr diese Kultur und der Geschmack dieser Bestattung und Bildhauerkunst bzw Art der Kunstwerke abgelehnt wird, um so mehr wird sie verwittern und es wird nichts Neues mehr entstehen. Das finde ich schade, das sich an der Kultur erfreut wird, sie aber fast unaufhaltsam untergehen wird. Dafür gibt es kleine Gräber mit Zierkieß und süßen Plastikkitschengeln, wenns nicht gleich der Friedwald wird, mit einer kleinen Plakette fertig. Weniger Totenmessen, weniger knackige aber dabei hingebungsvolle Grabeskunst, ein Jammer. Wahrlich sehr kulturlose Zeiten. Aber man kann sein Geld ja ausgeben wofür man mag. Das Buch werde ich mir aber sehr gerne zulegen.

bat
bat (@guest_57300)
Vor 5 Jahre

Auch ich bedanke mich für das Interview! Giovanni Perna hat auf den Fotos die besondere Atmosphäre der Orte wirklich beeindruckend eingefangen. Die Werke sind sehr inspirierend.

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