Japanische Subkulturen: Die schrillen Fassaden der Jugend

Japan ist ein kontrastreiches und spannendes Land, dessen Kultur mir fremd und einzigartig erscheint. Immer wieder schwappen Subkulturen aus dem Land der aufgehenden Sonne auch nach Europa, auf zahlreichen Festivals der schwarzen Szene gehören beispielsweise Cosplayer oder Gothic-Lolitas bereits zum gewohnten bunten Farbtupfer im Meer der schwarze gekleideten Gruftis. Auch scheint das Interesse an japanischer Subkultur, deren Stilen und Erscheinungsformen, zugenommen zu haben. Gerade unter den jüngeren Mitgliedern der schwarzen Szene gehören Japan-Tage, Mangas, Anime und Cosplay-Conventions zu den bevorzugten Tellerrand-Interessen. Auch ich finde das, was sich an japanischer Subkultur bei uns etabliert hat, sehr spannend und wollte mich bereits seit einigen Monaten mit dem Thema beschäftigen. Nachdem ich einige japanische Street-Fashion-Portale angeschrieben hatte, um deren Bilder für diesen Beitrag zu verwenden, fand ich schließlich Tokyo Fashion, die mir ihre Aufnahmen zur Verfügung stellten. Dem Wunsch der Betreiber „mit den Bildern und den abgebildeten Personen respektvoll umzugehen„, wie man mir in einer E-Mail schrieb, komme ich gerne nach.

Wer japanische Subkulturen verstehen möchte, muss einen Blick auf Japans Jugend werfen, denn japanische Schulen und Universitäten sind Schmelztiegel für sämtliche hier vorgestellten Stile. Bei meinen Recherchen zu diesem Artikel stieß ich dann auch unweigerlich auf die „dunklen Seiten“ japanischer Lebensweisen und Traditionen, die uns ebenso fremd wie merkwürdig erscheinen, wie die schrille Fassade der Jugendkulturellen Stile. Beide Sichtweisen in einem Artikel zu vermischen, würde meiner Ansicht nach weder der Faszination noch der Kritik gerecht werden und so habe ich mich entschieden, hier zunächst das Äußere unter die Lupe zu nehmen. In einem späteren Artikel werfe ich dann einen Blick auf die „dunkle Seite“ dieser farbenfrohen und visuell eindrucksvollen Welt. Darüber hinaus muss man unterscheiden wo „Subkultur“ anfängt und „Kleidungsstil“ aufhört, da ich aber das für Japan nicht beurteilen möchte, weil ich noch nie dort gewesen bin, mische ich diese Dinge ganz bewusst – oder eben unbewusst.

Tokio

Tokio ist nicht nur die Hauptstadt des Landes, sondern auch internationale Modemetropole, die in Sache Kreativität sämtliche andere Städte in den Schatten zu stellen scheint. An den Wochenenden bevölkern tausende Jugendliche die Straßen der angesagten Stadtteile Shibuya, Harajuku, Shinjuku und Ikebukuro die durch ihre Vielzahl von Mode-Läden, Boutiquen, verrückten Cafés und Restaurants sowie unzähligen Nerd-Shops für Technik- und Gamingfreaks, Anziehungspunkt und Mekka für sämtliche Subkulturen zu sein scheint.

Takeshita Steet Harajuku
Die Takeshita Street in Harajuku ist eine der bekanntesten Straßen wenn es um Street Fashion Shopping geht…
(c) tokyofashion.com
Shibuya Center Street
…aber sicher nicht die Einzige. Es gibt unzählige Einkausmeilen, die alle einen besonderen Schwerpunkt zu haben scheinen.
(c) tokyofashion.com

Das wohl bekannteste Shopping-Paradies ist das „109„, das auf 10 Etagen mit über 100 Läden in Shibuya nicht zu übersehen ist. Hier finden sich neben den bekannten Labels auch einige angesagte Boutiquen japanischer Designer. In Harajuku, auf der rund 3 Kilometer langen Straße Takeshita Dori, findet die Jugend ihr Paradies. Unzählige kleine Schmuckgeschäfte, Schuhe in allen ausgefallenen Variationen und Street Fashion in jeder erdenklich Couleur. Wer sich mehr für Spiele und alles was Technik angeht interessiert, fährt lieber nach Akihabara und wird wohl die folgenden 10 Jahre nicht mehr gesehen werden… Egal ob Spielhölle, Retrogaming, E-Sports oder aktuelle Titel – Hier wohnt der Nerd.

Lolita

Im Gegensatz zur Bezeichnung verstehen sich die Lolitas der japanischen Subkultur als Gegenbewegung zur Freizügigkeit, wie sie beispielsweise die Gyaru ausleben. Gothic-Lolitas, Sweet-Lolitas oder Classic-Lolitas wollen daher eher elegant oder niedlich wirken und erinnern daher eher an Porzellanpuppen aus dem viktorianischen England, an Alice im Wunderland oder sonstige Fabelwesen, die man am häufigsten in Märchen antreffen würde. Sie tragen große, voluminöse Röcke, die oft mit Motiven aus Märchen, bunten Mustern, Blumen oder auch Tieren bestickt oder bedruckt sind.  Dazu trägt man meist verzierte Strümpfe, Spitze besetzte Blusen und Plateau-Schuhe im „Mary Jane“ Style (Spangenschuhe). Die Haare werden meist mit Pony getragen und als obligatorischer Haarschmuck dienen spitzen besetzte Bänder, Bonnets (Häubchen), Schleifen, Blumen oder ins Haar gesteckte Mini-Hüte.

Gothic-Lolitas sind meist als Ableger der hiesigen Gothic-Kultur zu verstehen und beschränken sich in ihrem Aussehen allein auf die schwarze Variante des Lolita-Stils. Mit der Subkultur selbst haben die japanischen Anhänger wenig gemein. Das Label „Angelic Pretty“ (ursprünglich als Milk and Pretty bekannt) ist eines der berühmtesten Labels für diesen Teil japanischer Subkultur.

 

Gyaru

Einer der weit verbreitetsten Stile in der japanischen Subkultur ist (war) Gyaru, der jedoch seit 2010 aber deutlich auf dem Rückzug ist, vermutlich weil die japanische Regierung die Gyaru-Kultur als neuen Export-Schlager der Kawaii-Kultur 1 entdeckt hat und Modeschauen unterstützt, die Die japanische Schreibweise „ギャル“ bedeutet soviel wie das englische „girl“. Auffällig für diesen Stil sind reichlich Make-Up, kurze Röcke, Waden-Puscheln und hohe Schuhe. Das wohl bekanntesten Shopping-Paradies für die Girlies der japanischen Jugend ist wohl das „109“ in Shibuya, das auf 10 Etage rund 100 Läden beherbergt.

Besonders auffällige Varianten dieses Stils ist beispielsweise die Yamamba (ヤマンバ). Sie fallen durch ich ihre stark gebräunte Haut, höllisch dickes Make-Up und gebleichtes Haar auf und tragen zudem Lippenstift und Eyeliner in weißer Farbe, um einen starken Kontrast zur braunen Haut zu erreichen. Ihre Bezeichnung verdanken sie angeblich einer japanische Volkserzählung von Berghexen, die durch ihre langen weißen Haare besonders auffällig gewesen sein sollen. Mit den 2000er Jahren wandelte sich dieser Stil in Mamba, die Haut wurde noch dunkler und das Gesicht wird nun vollständig bemalt, grelle Klamotten in allen Neon-Varianten bestimmten ihr Auftreten. Erwähnenswert bleiben noch die Hime-Gyaru im  Prinzessinnen- und Rokoko-Stil, die One-Gyaru (オネギャル) , die „ältere Schwester“, die weniger schrill und exzentrisch daherkommt und die Neo-Gyaru (ネオギャル) die nach 2010 allmählich auch westliche Trends, wie breite Augenbrauen und dunkle Lippen, einfließen ließen.

Visual Kei (ヴィジュアル系)

Dieser Stil hat seinen Ursprung auf japanischen Bühnen. Musiker der JPop- und JRock-Szene 2 begannen Anfang der 80er Jahre damit, sie stilistisch und vor allem optisch an westliche Vorbilder anzupassen. Sie ließen sich von Bands wie Kiss, David Bowie oder Twisted-Sister beeinflussen, mischten das mit Inspirationen aus dem japanischen Kabuki-Theater und fanden auch Siouxsie & The Banshees oder Visage ziemlich spannend. Diese Japanische Subkultur entstand aus der Nachahmung der Vorbilder auf der Bühne und ist im Gegensatz zu vielen anderen Stilen eine Subkulturen mit musikalischem Hintergrund. Das V-Rock Festival, eines der wichtigsten Events dieser Musik- und Stilrichtung in Japan, vereinte erstmals 2009 rund 50 Bands aus 49 Ländern auf der Bühne, die von über 29.000 Visual-Kei-Fans gefeiert wurden.

Dolly Kei, Mori Kei und Fairy Kei

Im Zuge einer weiteren Ausdifferenzierung entwickeln sich in den letzten Jahren immer neue Ableger vieler „älterer“ japanischer Subkulturen.  Dolly Kei lässt sich von Vintage-Klamotten inspirieren, eifert antiken Puppen aus Grimms Märchen nach und wird ebenfalls von der viktorianischen Ära beeinflusst, die sich bereits im Lolita-Style findet. Man trägt jedoch meist ruhrigere Farben, wie dunkle Grün-, Rot, und Brauntöne. Religiöse Symbole, Teile von altmodischem Spielzeug oder Puppenkörperteile dürfen nicht fehlen. Es gelten zwar keine festgeschriebenen Regeln, Blumen- oder Gobelinmuster scheinen aber ebenso obligatorisch wie Stickereien und Spitze.

Mori Kei hebt sich durch erdige und natürliche Farben aus, ganz so, wie es der japanische Begriff „Mori“ (森), zu Deutsch „Wald“, vorgibt. Wie schön beim Dolly Kei bevorzugt man Schichten verschiedener Einflüsse, die im Gesamtkonzept zum gewünschten Style führen.

Als Krönung der Niedlichkeit hat Fairy Kei das Licht der Welt erblickt. Die Mode ist schon so süß, dass allein der Anblick Zahnschmerzen verursachen könnte. Accessoires in Form von Herzchen, Sternen, Teddys oder Schleifen sind der Hingucker jedes Outfits. Rosa, Pink und Weiß in sämtlichen Pastelltönen stecken den farblichen Rahmen ab, während nicht selten Motive und Symbole aus Serien wie „My Little Pony“ oder den „Glücksbärchis“ an der Kleidung zu sehen sind. Rouge wird häufig direkt unter den Augen aufgetragen, nicht auf den Wangen. Interessante Links: Strange Girl, I don’t know much

Cosplay (コスプレ)

Beim Cosplay geht es kurzgesagt um die Verkörperung einer Figur aus einem Manga, Anime, Comic, Film oder einem Computerspiel, die durch Kostüm und Verhalten möglichst authentisch dargestellt wird. Hier werden keine Kompromisse an Alltagstauglichkeit oder Bequemlichkeit gemacht, denn die Kleidung muss den Charakter spiegeln und folgt daher auch festgeschriebenen Regeln, nämlich denen der darzustellenden Figur selbst. Anders als die hier vorgestellten Modetrends steht also hinter dem Cosplay tatsächliche ein reinrassige Subkultur, den nicht nur Kleidung und Aussehen sind entsprechend, sondern eben auch das Verhalten. In Japan geht das mittlerweile so weit, dass manche Cosplayer eigene „Idol Cards“ vertreiben, also Sammelkarten von sich und ihren Outfits. Auf Cosplay-Veranstaltungen geht es hauptsächlich um den Wettkkampf untereinander. Bewertet wird in Kategorien wie „Ähnlichkeit mit dem Original“, „Machart und Fertigung des Kostüms“, „Präsentation des Charakters“, „Zuschauerpopularität“ oder auch „Gesamtkonzept der Gruppe“.  Die Weltweit größte Veranstaltung, die „World Cosplay Summit“ wird vom japanischen Fernsehsender „TV Aichi“ veranstaltet und lockt Teilnehmer aus aller Welt.

Japanische Subkulturen verlaufen ineinander, ihre Grenzen sind fließend. Mir ist aufgefallen, dass viele Stile einer eigenen Ausdifferenzierung der Leute folgen und die Namen der Bezeichnungen tragen, die man sich selbst in sozialen Netzwerken oder Bilderplattformen gibt. Ein Artikel wie dieser kann demnach auch nur ein Auszug aus der Vielfalt japanischer Jugendkulturen sein und ist auch als solcher zu verstehen. Auch wenn die hier vorgestellten Stile für unser europäisches Auge merkwürdig und fremd erscheinen, darf ihnen nicht die Daseins-Berechtigung entziehen, denn ich glaube, zu einem vollständigen Verständnis der japanischen Subkulturen gehört auch ein Verständnis für japanische Lebensweise und Traditionen.

Doch darum soll es erst in einem weiteren Beitrag zu „Japanische Subkulturen“ gehen. Ich würde mich dennoch sehr darüber freuen, wenn ihr in den Kommentaren von Eurem Wissen zu diesen Subkulturen berichtet, weitere Splittergruppen vorstellt oder mich schlichtweg korrigiert.

Alle Bilder, die diesem Beitrag freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden sind, stehen unter dem Copyright von Tokyo Fashion. Keine der Aufnahmen fällt unter die für diesen Blog ausgezeichnete Creative Commons Lizenz.

 

Einzelnachweise

  1. Kawaii ist Synonym für die japanische Niedlichkeitsästhetik, die Unschuld und Kindlichkeit als modische Komponente begreift und sich mittlerweile auf alle Bereiche der japanischen Gesellschaft ausgedehnt hat. Das Wort steht im japanischen für liebenswert, süß oder niedlich, wird aber nicht von allen als positiv wahrgenommen.[]
  2. J-Pop und J-Rock gleichen stilistisch den besagten Musikrichtungen, wurden aber Anfang der 90er Jahren von der japanische Musikszene mit einem „J“ versehen, um nationale von internationalen Varianten zu kategorisieren. Bands dieser Richtungen singen in japanischer Sprache, der sie ein paar englische Worte beifügen.[]
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