Abigail ist 18 und erklärt dem BBC selbstbewusst, was Goth ist, denn „nichts für ungut, aber du hast keine Ahnung, was Goth ist.“ Doch gleich vorweg möchte ich dem Boot der Empörung den Wind aus den Segeln nehmen. In diesem Artikel geht es nicht darum, Abigail zu erklären, was Goth ist, ihre Meinung zu analysieren oder gar dem BBC eine viel bessere Erklärung zu geben, was Goth ist, sondern darum, was vielleicht aus Goth geworden ist und – was vielleicht viel wichtiger ist – ob es eigentlich nicht immer schon so war.
Gothics sind ganz normale Leute
Wir sind nicht depressiv, sind keine Satanisten, hören keinen Metal und möchten nicht angestarrt, fotografiert oder gar angetatscht werden. Wir hören Gothic-Musik und kleiden uns anders.
Soweit Abigails markante Kurzfassung. Ich kann ihr allerdings nicht widersprechen, auch wenn ich gerne Monologe über die Inhalte und Leidenschaften der Szene halten würde. Gothic ist genau DAS geworden. Eine recht unspezifische und schwierig abzugrenzende Musik-Richtung und eine Mode, die die Farbe Schwarz in den Vordergrund stellt. Gothic ist ein Label, das einfach überall draufgeklebt wird, wo es düster ist, gruselig sein oder böse klingen soll. Wie früher, als die Mitarbeiter im Supermarkt mit diesen Etikettiergeräten die Preise auf die Waren geklebt haben. Übrigens kannst du Gothic auch in eben diesem Supermarkt kaufen, es gehören weder Kreativität noch „gute Connections“ dazu, ein Gothic zu werden.
Wenn wir in Zeitungen oder Fernsehberichten auftauchen, werden wir als harmlose, mal gruselig und mal sexy gekleidete Menschen dargestellt, die überhaupt nicht mehr zum Lachen in den Keller gehen und schon gar nicht den Dingen nachgehen, die man sich aufgrund des düsteren Aussehens zusammenreimen könnten.
Wenn wir nach den dunklen Flecken in unserer Vergangenheit, wie Grabschändung, Satanismus, Teufelsanbetung oder schwarze Messen gefragt werden, wiegeln wir großflächig ab. „Alles Quatsch„, so die Devise. Wir sind weder depressiv noch todessehnsüchtig oder leiden pauschal an irgendeiner anderen mentalen Störung. „Das mag es geben, aber eben nicht mehr als beim Rest der Gesellschaft.“ Sagt auch Abigail.
Gothics sind also ganz normale Leute, die sich anders anziehen und einen eigenen Musikgeschmack haben!
Gothics auf der Suche nach ihrer Daseinsberechtigung
Das reicht uns allerdings schon lange nicht mehr, um unser Dasein als Gothic für uns selbst und gegenüber anderen zu rechtfertigen. Ich meine, wie traurig wäre es auch, wenn wir immer noch im Klamottengeschmack unserer Jugend verharren würden? Wie unflexibel wären wir denn, wenn wir immer noch auf die gleiche Art Musik abfahren würden, die wir auch schon damals gehört haben?
In den späten 80ern, als die ersten jugendlichen Gothics Erwachsen wurden, trennte sich die Spreu vom Weizen. Entweder hattest du als Gothic alles ausprobiert, was der Klischee-Katalog so hergab und dich dazu entschlossen, einem anderen Trend nachzulaufen, oder du bist geblieben, weil dir Kleidung und Musik immer noch gut gefallen haben. Dann musstest du jedoch eine Daseinsberechtigung kreieren, die Gothic dann von einer Musikrichtung und einer Art, sich zu kleiden, zum Lebensgefühl erhob. Wäre ja sonst ein bisschen peinlich, immer noch wie ein Jugendlicher rumzurennen, oder?
Literatur, Kunst, Religion, Mythologie boten viele Parallelen zur Szene. Nicht nur optisch waren wir von solchen Dingen inspiriert, auch die Szene-Bands schmückten sich nicht selten mit ebendiesen Quellen, um ihrer Musik und den Texten das „besondere Etwas“ zu verleihen. Daraus zimmerte man sich dann ein Lebensgefühl. Das ließ sich auch ganz prima vorschieben, wenn man aufgrund seines Outfits nach der Schul- oder Studienzeit auf Widerstände stieß. Warst du ein paar Jahre später immer noch nicht „klüger“ und in der Szene zu finden, krönte man das dann zur Weltanschauung. Tod und Trauer waren plötzlich cool, Satanismus klang spannend und verboten und sowieso baute man sich auch noch aus merkwürdigen Religionen seine ganz eigene.
Gothic ist nicht nur eine Musikrichtung und eine Mode, sondern eine Lebenseinstellung!
Satanisten und Todessehnsucht. Gothics werden böse!
Das hatte allerdings seinen Preis. Genau dieses Klima lockte auch viele Individualisten und Spinner in die Szene, die darin einen persönlichen Spielplatz sahen, ihre sexuellen Vorlieben, ihre Fetische, ihre psychische Instabilität oder ihren kranken Geist auszuleben. Gepaart mit dem Hang zur Selbstdarstellung und der Suche nach dem nächsten „Kick“ wuchs daraus eine Szene, die sich mit immer neuen Verrücktheiten zu übertrumpfen versuchte und damit Aufmerksamkeit erregte.
Satanisten, Grabschänder und Teufelsanbeter, die selbstmordgefährdet die Grenzen des Lebens ausloteten oder auch depressive Traurigkeitsfetischisten, die den Schmerz der Welt fühlen konnten.
Das lockte nicht nur die Medien an, sondern auch wirklich depressive Menschen, kranke Verrückte oder narzisstische Spinner. Einige Selbstmorde, Morde, rätselhafte Grabschändungen und schwarze Messen später war dann klar:
Von wegen harmlos! Gothics, die Musik und ihre Inhalte sind böse und gefährlich.
Gothics bringen es als Zurückruderer zu legendären Siegen
Die letzte große Bewegung in der Gothic-Szene war das Zurückrudern. Wir wurden zu Erklärbären und Aufklärern, die mit der Mission durch die Welt zogen, die bösen Vorurteile und Klischees auszuräumen. Wir suchten nach Akzeptanz, Toleranz und Anerkennung, weil uns die ständigen Vermutungen müde machten. Nein, wir sehnen uns nicht nach dem Tod. Nein, wir sind nicht nur traurig. Nein, wir feiern auch keine schwarzen Messen.
Allerdings machten wir das so effizient und allumfassend, dass dabei sämtliches, mystische und geheimnisvolle Kraut der Unverstandenheit ausstarb.
Was geblieben ist, lässt sich vielleicht so zusammenfassen. Gothics sind Verkleidungskünstler und Fashionvictims, die kein Mittel scheuen, sich äußerlich zu individualisieren. Für nahezu jede Kamera haben wir eine Pose übrig und wenn uns kein anderer ablichtet, setzen wir uns selbst in Szene. Gothic wird eine Art, sich zu schminken, ein Thema, zu dem man sich modisch einkleidet oder ein Motto für die nächste Party. Musikalisch lassen wir uns nicht einengen, der Begriff „Gothic“ ist uns als musikalische Richtung viel zu sperrig. Ach, was rede ich denn? Wehe, irgendjemand nennt mich noch „Gothic“!
Und wenn wir uns tatsächlich noch mit Gothic als Weltanschauung, als Lebensgefühl oder als inhaltsstiftende Leidenschaft beschäftigen, dann machen wir das im stillen Kämmerlein. Wenn uns einer konkret fragt, dann relativieren wir uns die Münder fusselig. Da wird dann aus Gothic schnell eine angeblich alternative Lebenseinstellung, die politische Richtung, aktive Rebellion oder irgendeine Meinung rechtfertigt.
Gothic Abigail ist das Ende vom Anfang
Für Abigail ist Gothic Musik und Mode. Mehr nicht. Ganz so, wie es früher einmal war. Die Musik ist ein bisschen trauriger oder düsterer und die Mode ausgefallen und symbolträchtig. Böse Zungen behaupten, dahinter steckt meistens nichts.
Wir grenzen uns als Subkultur nicht mehr ab, buhlen um Anerkennung und Akzeptanz, wollen leben und leben lassen. Toleranz ist uns wichtig, Beliebigkeit wird dabei vom Individualismus überfahren. Anders als die anderen, subkulturell cool und gleichzeitig akzeptiert und erfolgreich.
Ich komme mir ja selbst ein bisschen blöd vor, weil ich das Zurückrudern ebenso praktiziert habe wie das Relativieren. Und jetzt sitze ich hier vor dem Video von Abigail und sehne mich nach der Zeit zurück, in der man Angst vor Gothics hatte, uns argwöhnisch betrachtet und beschimpft hat oder tuschelte, dass wir dieses oder jenes machen würden. Ich sehne mich nach einer Zeit zurück, in der es reichte, mit schwarzer Kleidung seine empfundene Andersartigkeit und Verbundenheit zur Szene auszudrücken.
Aber ich werde mich arrangieren. Weder die Szene noch mein Gefühl dafür sind tot. Vielleicht müssen wir neue Wege der Abgrenzung gehen und die Intoleranz in dosierter Form wieder für uns entdecken? Vielleicht auch mehr Inhalt und weniger Mode? Vielleicht ein Sarg im Schlafzimmer? Vielleicht bin ich aber auch auf der Suche nach der Rechtfertigung, dass ich seit so vielen Jahren fast nur schwarze Klamotten habe.
Nichts für ungut, aber ich habe wirklich keine Ahnung, was Gothic ist!
Schwere Frage heutzutage, in der Tat…
Wenn ich mal versuche, abseits der Vorliebe für Schwarz objektive Gemeinsamkeiten in meinem – sicher nicht representativen – weiteren Umfeld zu finden, gibt es aber doch noch ein paar mehr Gemeinsamkeiten:
Meine ganz persönliche Herleitung dafür ist, daß – blenden wir mal die „Schwarz-Simulanten“ aus, die die Szene einfach mal eine Zeit lang „cool“ finden – Grufties häufig irgendeinen persönlichen schwerwiegenden Grund dafür haben, sich von der Spaßgesellschaft abzukehren, beispielsweise etwa ein traumatisierendes persönliches Erlebnis, das irgendwie den Schalter vom „Happy-Happy-Party-Party“ in der „üblichen Einstiegszeit“ als Teenager oder etwas drüber wegdreht. Für mich ist dieser umgelegte Empfindens-„Schalter“ ein Kernpunkt dessen, was den „echten“ Goth zumindest beim Eintritt in die Szene ausmacht.
Obektiv nachweisbar ist das natürlich nicht, weil derjenige erstens oft nicht offen darüber redet und sich zweitens dessen nicht mal unbedingt richtig bewußt sein muß – aber in den Fällen, wo ich die Ehre hatte, daß mir ein anderes schwarzes Wesen so vertraute, daß wir darüber ins Gespräch gekommen sind, kam eigentlich immer sowas dabei raus…
Verdammt viele Anführungsstriche in diesem Text… aber ich hoffe, er ist einigermaßen verständlich…
Schöner „Schalter“, von dem du da sprichst. Und ja, ich stimme dem uneingeschränkt zu. Vielleicht gelingt es uns mit Offenheit untereinander, eben diese Sensibilität auch ausdrücken, anstatt sie als schwarze Kerze, die irgendwo in einem lodert, zu verstecken.
Und wenn das bedeutet, dass wir als „Depressiv“ angesehen werden oder sogar als „nicht ganz beisammen“, dann ist das eben so. Ich bin dann so der „Happy-Happy-Party-Party“ Gegner, wie du so schön beschrieben hast. Ich finde Menschen furchtbar, die auf Knopfdruck oder nach Rauschmitteleinfluss die „Sau“ herauslassen, mitteilsam werden und ihre Homophobie ablegen.
Robert
Ich glaube du meintest eher dass sie die Hemmung der Homophobie ablegen, kann das sein…?;)
Beides möglich…
Oha…bin ich jetzt etwa an einem Spontis-Artikel schuld…? Ich war es, der unter Orphis Video dem Kommentar mit dem Link zu diesem BBC-Video gepostet hat. Die junge Dame, die darin auftritt, ist übrigns selbst Goth-Youtuberin und nennt sich ironischerweise Radically Dark.
Yorick ; Ursache und Wirkung. Wer im Internet seine Meinung, sein Wissen, seine Entdeckungen mit einer Öffentlichkeit teilt, ist möglicherweise für Dinge verantwortlich, die er gar nicht beabsichtigt hatte.
Kurzform: Ja, Du bist schuld :-)
Das Gespräch hab ich auch häufig. Dann meist eher die Frage um welche Inhalte es denn neben dieser tendenziell Jugendlichen Art sich wegen der Musik oder den schwarzen Kleidern zu Gothic zugehörig zu fühlen geht. Gerade diese Erfahrung der sagen wir mal kamera-orientiertheit der Szene und die so schwer zu fassenden Inhalte macht es da oft schwierig. Wie du es auch in deinem Text beschreibst. Der Lebensstil hat irgendwie einen Bezug zu Literatur, Kunst, Religion, Mythologie etc. Aber das beantwortet hat inhaltlich nicht so wirklich klar worum es den eigentlich geht. Wozu braucht es da dieses Gothic, dieses jugendliche Kleidungs, Gruppen und abgrenzungsgetue?
Es ist und bleibt schwer sich da aus den Vorwürfen des stehen gebliebenen Jugendlichen heraus zu argumentieren. Insbesondere wenn es immer wieder so scheint als würde sich die Szene selbst oft stark aushöhlen und durch die unklaren Inhalte immer mehr zu einem Pool aus allem was so ungefähr dazu passen könnte werden. Manchmal wünschte ich mir ein paar möglichst klare Kampfbegriffe die in ein zwei Sätzen eine grobe Vorstellung davon geben warum man meint sich in seiner Vorliebe zu Kunst, Literatur, Mythen, Religion etc. Einen Bezug zu gothic zu sehen… eventuell würden solche plakativen Inhalte auch den Einstieg für einige erleichtern und die Szene langfristiger binden.
Müssen wir uns überhaupt irgendwo rausargumentieren? Vielleicht sollten wir nicht so viel argumentieren. Meine Erfahrungen zeigen mir, dass die meisten Leute es auch gar nicht wirklich wissen wollen, oder von ihrer Meinung abweichen möchten. Und nein, argumentieren um nach einer Rechtfertigung zu rudern?
Nein, dann lieber als Berufsjugendlicher gelten. Als Einzelgänger oder Außenseiter. Vielleicht solltest du Dir eine Art Stellenbeschreibung zurechtlegen, die erklärt, was du machst, die aber nicht sagt, warum du das machst.
Was sind Country-Musik-Fans? Vermutlich mögen sie Country-Musik, Cowboystiefel, Cowboyhüte, die USA, Square Dance und entsprechende Partys. Sie werden sich im Alltag ihrem Geschmack entsprechend kleiden und vermutlich auf Nachfrage erklären, dass sie in echt nicht dafür sind, die Ureinwohner Amerikas zu bekämpfen und dass sie auch nicht mit einem Colt unter der Lederjacke durch die Stadt reiten, um für Ruhe zu sorgen.
Sie werden vielleicht verklärt-romantisch von der Weite der Prärie, der rustikalen Lebensweise, dem Zusammenhalt früher und vielleicht sogar von den Klamotten und Tänzen schwärmen, erzählen, dass dieses Szenario ihr innerer Rückzugsort ist und dass sie am liebsten mit Menschen zusammen sind, die ebenfalls eine Liebe zu dieser „Cowboy“-Welt pflegen.
Und es gibt sicher auch einige „Country-Musik-Fans“, die diese Country-Musik-Welt für ihre kranke Weltsicht missbrauchen, Allmachtsgedanken pflegen, sich eine „Country-Szene-Weltanschauung“ stricken, die ihnen passt, und durch ihr Verhalten die ganze Szene in Verruf bringen.
Gothic ist wie Country-Musik – nur dunkler… und wir haben Kekse.
Ja, ein passender Vergleich. Allerdings bin ich mir unsicher, inwieweit sich Country-Musik-Fans auf die Fahnen geschrieben haben, „gegen den Mainstream“ zu schwimmern, Tabus innerhalb der Gesellschaft zu brechen und den Menschen durch ihr schwarzes Äußeres die Dunkelheit der Welt vor Augen zu führen.
Allerdings bin ich mir wiederum unsicher, inwieweit WIR das überhaupt tun.
Puh, also auch nach ca. 25 Jahren mehr oder weniger Auseinandersetzung mit der „Szene“ und mehr oder weniger „Zugehörigkeit“ zur Szene kann ich nicht wirklich eine verbindliche Definition formulieren. Vor allem hat sich meine Sicht über so einen langen Zeitraum auch immer wieder gewandelt, wie die Szene selbst vermutlich auch.
Ganz allgemein betrachte ich das daher so:
Jede Szene/ Subkultur, wie auch immer, kann mit „Mode und Musik“ anfangen, sich dann aber auch zu tieferen gemeinsamen Inhalten entwickeln und wieder zurück, oder umgekehrt. Das ist nichts statisches würde ich sagen. Vielleicht hilft es auch zwischen den Begriffen „Szene“ und „Subkultur“ zu unterscheiden??!! Ich gerate da immer durcheinander…
Auf lange Sicht hat aber vermutlich nix bestand was sich nur auf Klamotten und Musik begründet. Mittlerweile hat die Szene aber schon paar Jährchen auf dem Buckel und ich würde unterstellen wollen, das es eben doch mehr Bedeutung gibt. Kann gut sein das es auch nur mein persönliches Wunschdenken ist..
Wie diese Bedeutung aussieht ist wahrscheinlich individuell sehr unterschiedlich. Eine ausgeprägte Liebe zur Musik hat ja auch Tiefe irgendwie.
Ps: Ich finde den Country-Vergleich auch sehr treffend!
Im Grunde genommen bedarf es keiner eindeutigen Definition, wie ich finde. Allerdings fehlt mir die Abgrenzung zum „Rest der Gesellschaft“ um überhaupt als Szene oder Subkultur zu gelten. Meinst du, Mode und Musik sind da die einzigen Abgrenzungsmerkmale?
Womit würde sich Norma „Normal“ denn abgrenzen wollen?
Ob ich will oder nicht, ich grenze mich ab. Ich bin absoluter Kritiker der hier bereits erwähnten „happy-happy-party-party“ Gesellschaft und vertrete diese Haltung in Gesprächen und in meiner kreativen Arbeit. Das macht mich oft zum Außenseiter, weil Spaßverderber, etc. wenn man unbequeme Themen anspricht.
Für mich reicht ein anderer Geschmack in Sachen Ästhetik allein nicht aus um sich von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen oder sich gar Subkultur zu nennen. Das sehe ich genauso wie du.
Und ganz persönlich würde ich mir mehr Subkultur in der Szene (zurück-) wünschen.
Hmmm, ich kann natürlich auch nur aus meiner Erfahrung mit Leuten aus meine Umfeld sprechen, aber dafür hab ich mittlerweile auch schon gut 30 Jahre in der Szene verbracht. Was mir zumindest bei den Gruftis aufgefallen ist, die ungefähr in meinem Alter sind (bin selbst Mitte 40) und auch Ende der 80er/Anfang der 90er ihren Einstieg hatten ist, dass diese ähnliche Erfahrungen hinter sich haben. Fast alle von ihnen waren zu Schulzeiten eher schüchterne Außenseiter bzw. wurden dort gemobbt und/oder hatten zu Hause Schwierigkeiten – meist einen sehr autoritären bis cholerischen/gewalttätigen Vater oder eine andersweitig schwierige/kaputte Familie. Die Szene wurde für sie eine Art Zuflucht unter Gleichgesinnten, die Musik spiegelte ihre Gefühle wieder oder bot ihnen die Möglichkeit, darin abzutauchen oder vieles rauszulassen. Unverstandensein, Einsamkeit, Suche nach Zugehörigkeit und Austausch mit anderen, die ähnlich denken und fühlen. Abseits des gesellschaftlichen Zwanges, immer gut drauf zu sein, tough zu sein und zu funktionieren. In der Szene durfte man traurig sein, nachdenklich sein, verletzlich sein, Gedichte oder Musik kreieren, sich stilistisch austesten und ausleben. Es gab einen „roten Faden“, ähnliche Erlebnisse/Erfahrungen, Gedanke und Gefühle – bei fast allen, die ich kennen gelernt habe, habe ich sehr viele Gemeinsamkeiten bemerkt.
Diejenigen, die sich schon damals nur über’s Äußerliche definiert haben, habe ich kaum kennen gelernt. Die wurden aber zunehmend mehr, und irgendwann hatte ich dann auch nicht mehr das Gefühl, wenn mir irgendwo jemand im Grufti-Look begegnet ist, dass allein durch die äußerlich vorhandenen Gemeinsamkeiten auch eine tiefer gehende Schnittmenge vorhanden sein könnte. Seitdem die Szene so sehr aufgeweicht wurde durch die Melange mit den Metal-, Cyber- und Fetischszenen, nicht nur musikalisch und optisch, sondern auch von den Mentalitäten her, hat das noch zugenommen.
Das hat mich zwar nicht wirklich aus der Szene vertrieben, aber ich fühle mich ihr auch nicht mehr ganz so eng verbunden – in der Masse muss man etwas suchen, bevor man jemanden mit Gleichklang findet. Wohltuende Ausnahmen sind dann der Austausch hier bei Spontis, wo noch einige Ältere und jüngere Interessierte virtuell zusammen kommen, um sich tiefergehend auszutauschen.
Ich bin aber heilfroh, dass wir Gruftis inzwischen gesellschaftlich eher akzeptiert werden als früher, als es haufenweise reißerische und verleumndende Berichte in den Medien gab, die uns als gefährliche Spinner, Satanisten und Sektenangehörige bezeichneten. Es hat mich immer belastet, schief angesehen oder sogar angegriffen zu werden. Daher wünsche ich mir diese Zeiten auf gar keinen Fall zurück! Ich möchte einfach nur akzeptiert werden, Provokation und Auffallenwollen war noch nie meins.
Tatsächlich? Fandest du es damals nicht cool, wenn dich die Leute wegen deines Outfits „schief“ angesehen haben?
Anders gefragt: Würdest du Dich selbst als Außenseiter betrachten? Und wenn ja, was hat dich dazu gemacht? Hast du Dich selbst dazu gemacht?
Nein, ich fand das nie cool. Ich fand es schon immer unbehaglich, habe mich aber im Laufe der Jahre daran gewöhnt bzw. mich damit abgefunden.
Bewusst ein Außenseiter sein wollte ich nicht wirklich. In der Vorschule begann es aber, dass ich von einigen geärgert und später regelrecht gemobbt wurde – weil ich gut malen konnte und nachdem ich einen Test als Beste bestanden hatte, einige neidisch waren und mich verbal zu bedrohen begannen. Leider ließ ich mich dadurch einschüchtern, und dann wurde es immer schlimmer…
Nach einem Umzug und Schulwechsel wurde es nicht besser, weil ich schüchtern war und mich Trends einfach nicht interessierten. Ich wurde zwar nicht mehr gemobbt, aber nicht in die Klassengemeinschaft aufgenommen, denn meine Klamotten und meinen Musikgeschmack fanden die anderen uncool. Das setzte sich fort, als ich mit beinahe 15 Jahren zum Grufti wurde. Ich war es also praktisch schon lange gewohnt, unangepasst zu sein – war aber auch immer der Meinung, wer mich nicht so akzeptiert, wie ich bin und nur nach Äußerlichkeiten geht, der kann mir eh gestohlen bleiben… Da war ich dann lieber Außenseiter, als mich anzubiedern.
Tanzfledermaus :
Es mag verrückt erscheinen, doch deine Erfahrungen spiegeln auch die Meinigen wieder und das obwohl ich zu einem gänzlich anderen Zeitpunkt und mit teils gänzlich anderer Musik meinen Einstieg in die schwarze Welt fand. ;)
Das was du da beschreibst kann ich zumindest für mich und meinen Bekanntenkreis genau so unterschreiben.
Die 90er (meine Schulzeit) habe ich zum Beispiel fast nur noch als eine fürchterliche Grundstimmung aus markenorientiertem Kaufrausch, zwanghaft daueralbern/fröhlichem Plastikpop und nahezu sportlichem Alkoholkonsum in Erinnerung. Das war während meiner kompletten Schulzeit unter meinen Altersgenossen praktisch gang und gebe und wer da wie ich nicht mitmachen wollte stand bei seinen Mitschülern praktisch sofort auf dem Abstellgleis und war ein gefundenes Fressen für aller Art Anfeindungen. Erst recht, wenn sich zu dieser Antihaltung auch noch Interessen für düstere Themen gesellten oder man gar dazu stand Friedhöfe schön und besinnlich zu finden. Das passte halt nicht in diese fröhlich bunte Partywelt der 90er. Ich weiß noch, dass man mich damals zwischenzeitlich schon als Grufti „beschimpfte“, obwohl ich zu der Zeit noch nicht einmal in schwarz herumlief oder auch nur ahnte, dass es sowas wie eine schwarze Szene gab. 1997 landeten dann Rammstein mit „Engel“ in den Charts, wodurch ich das erste mal darauf aufmerksam wurde, dass es musikalisch noch etwas anderes als diesen quietschbunten Eurodance und Plastikpopmist gab, der so gar nicht in meine eigene Gefühlswelt passte. Das hatte in dem Fall von Rammstein nicht einmal unbedingt viel mit dem Text oder den harten Gitarrensounds zu tun, aber diese melancholischen, gepfiffenen Passagen vermochten es mich damals wirklich abzuholen. Nur ein Jahr später machte mich ein damaliger Freund auf das Album Fragment von Behind the Scenes aufmerksam, wodurch ich einen weiteren Impuls bekam. Es mag sich vielleicht seltsam anhören, aber als ich durch meinen älteren Cousin dann um die Jahrtausendwende die damals musikalisch schon völlig durchmischte Oberfläche der damaligen Szenelandschaft kennen lernte, da fühlte sich das für mich trotzdem erst einmal noch wie eine Art Zuflucht an. Die Skepsis kam bei mir da erst ein paar Jahre später, als die gefühlte Menge an Leuten zunahm, die sich selbst kaum anders verhielt als die Plastikpopgeneration aus meiner Schulzeit.
Viele Menschen, die ich seither kennen lernte beschreiben ganz ähnliche Wege wie ich selbst sie gegangen bin und das obwohl sie ihrerseits wiederum mit völlig anderer Musik an die Thematik heran geführt wurden. Deshalb fällt es mir heutzutage auch so wahnsinnig schwer anderen Leuten das innere Goth-Sein pauschal abzusprechen, ohne Gothic dabei rein auf Mode und einem Musikgenre reduzieren zu müssen. Wer bin ich denn, dass ich mir herausnehmen könnte darüber zu entscheiden welche Gefühlswelt bei Menschen durch welche Art von Musik angesprochen wird? ;)
Robert
Das ist auch das, was mich persönlich am meisten stört. Man verstehe mich da nicht falsch: Ich sehne mich bestimmt nicht nach Zeiten zurück in der man für seine „Andersartigkeit“ oder dem falschen Musikgeschmack gleich einen auf die Mappe bekam, ich bin froh, dass man mich nicht mehr gewaltsam zum Psychater schleift, weil es ja nicht sein kann auch an der Melancholie und dem morbiden seinen Reiz zu finden und ich freue mich, dass ich selbst in meinem Job unverkleidet herumlaufen darf. Doch hat die Szene für mich in der Hinsicht auch über das Ziel hinaus geschossen. Der Wunsch einfach nur in Ruhe gelassen zu werden und unser Ding durchziehen zu dürfen wich gefühlt einem Bedürfnis wirklich jeden Skeptiker in die schwarze Welt einzuladen und mitzumachen, um auch wirklich jegliche Kritik im Keim zu ersticken.
Sehe ich auch so. Ein bisschen mehr Intoleranz würde der gesamten schwarzen Landschaft nicht schaden. Und dabei rede ich jetzt gar nicht von Musikrichtungen, mit denen ich nichts (mehr) anzufangen weiß. Denen kann ich schließlich ausweichen, indem ich die Veranstaltungen besuche, die meine bevorzugte Nische bedienen. Ich meine jetzt ganz bewusst Verhaltensweisen, die man mit Fug und Recht als störend und unpassend betiteln kann. Beispielsweise wenn sich Leute (wie auf dem Foto mit dem Schlumpf) benehmen als seien sie beim Karneval und dies alles mit dem Totschlagargument „Fetisch!!“ abtun. Wenn Leute nur provozieren um des Provozierens willen. Oder auch schlicht wenn sich Menschen auf schwarzen Veranstaltungen aufführen wie auf dem Ballermann und sturzbetrunken herumpöbeln, aufdringlich werden, oder einfach nur auf der Tanzfläche herumtorkeln und alles zur Seite rempeln, was in ihrem verschwommenen Weg steht.
Und ja, auch Inhalte dürften gerne wieder mehr werden. Wobei ich da immer wieder positiv überrascht bin mit welch Kreativität manch Handwerker der Szene seine Welt in greifbare Formen zu gießen versteht. Beispielsweise „Der Grufti“, dessen youtubekanal ja auch schon mal hier auf Spontis ein Thema war. Oder eben auch du und deine Frau, die vergleichsweise jungen Generationen auf Spontis oder Orphis Kanal zeigen wie eure schwarze Welt in für mich manchmal wirklich beneidenswerter Form denn damals so ausschaute und uns zeigen was damals vielleicht besser als heute, oder eben auch nicht so gut war. :)
Ich frage mich, ob wir vom Zeitgeist überholt worden sind, ob das, wogegen wir uns passiv oder aktiv aufgelehnt haben, nicht längst Bestandteil des „Normalen“ ist und damit immer schwieriger wird, uns eben wirkungsvoll abzugrenzen.
Ich glaube, wenn Gruftis die Menschen zu irgendwas provozieren, sollte man sie provozieren lassen. Unkommentiert, ungerechtfertig. Das wäre ein erster wichtiger Schritt zur neuen „Unverstandenheit“,
Den Wunsch in Ruhe gelassen zu werden, teile ich. Allerdings scheint mir, man muss heutzutage mehr dafür tun als „Damals“.
Damit ich nicht nur rumstänkere: Hier ist das neue Video von Jinks, wo er sich ab 24:10 des Themas Verlust von Inhalten in der Goth-Szene kurz annimmt. Überhaupt kann ich diesen Kanal wärmstens empfehlen, es ist der mit Abstand beste weil inhaltsreichste Gothic-Kanal auf Youtube, wie ich finde und hat leider viel weniger Abonnenten als er verdient.
Ups, doch noch gestänkert. Naja, sei’s drum.
Erst wollte ich tiefer überlegen und ausholen…. das lasse ich aber sein.
Ich komme da nur zu Fragen… davon werdens aber einige.
Brauchen wir eine Daseinsberechtigung?
Brauchen wir genaue Definitionen?
Brauchen wir Diskussionen… also ich meine jetzt ernste Diskussionen… was dazugehört und was nicht? (Natürlich bedarf hier Faschismus, Fundamentalismus, Extremismus, Sexismus keiner Debatte, das Nein dazu sehe ich als selbstverständlich an)
Brauchen wir Diskussionen wieviel man über die Disco, das Festival, das Konzert, den Shop, den Style der anderen etc „innerhalb der Szene“ wissen muss?
Brauchen wir Diskussionen wieviel und was man davon selber nutzen muss?
Gibts da nen Stundenplan? (Zu Corona Zeiten herrlich darüber nachzudenken… alles nachzuholen?! ;)
Wieviel an Musik, Literatur, Mode, Bühnenshow etc muss man mögen? Reicht überall ein Bisschen? Ist da 100 Prozent und da 0 Prozent noch ein ausreichend oder nicht?
Wenn ich für mehr Inhalte und mehr Mode sein sollte…. geht das, oder geht nur mehr Optik oder mehr Inhalt? Oder geht nur das eine mehr und das andere weniger?
Darf man überhaupt so kritisch an so etwas wie Ahnung und keine Ahnung, und mit so provokanten Fragestellungen heran gehen, ohne andere damit zu verwirren?
Ich wünsche euch einen ruhigen Samstag Abend
…. eigentlich wäre heute wohl mal wieder Disco Abend mit aufbrezeln, Leute glotzen, lästern oder anhimmeln, tanzen, sich versuchen zu unterhalten…waaaaas….aaaach jaaa, laaaass uns zur Baaaar gehen, da ist ruuuhiiiiger… waaaas, Musik lieben oder für Gruftschlager abtun usw usw.. :) … aber Corona fressen Seele auf und lassen komische Fragen stellen. ;)
P.S. Mit diesem Text komme ich bestimmt als unheimlich ruhig, nachdenklich, offen und mit viel Empathie rüber. ;)
Ich finde nicht, dass wir Definitionen oder Daseinsberechtigungen brauchen. Wohl aber Abgrenzung, wie ich finde. Leider benennt eine Grenze klare Regeln, die unterscheiden zwischen „Gehört dazu“ und „Gehört nicht dazu“. Eine blöde Situation. Eine supertolle Lösung habe ich leider auch nicht, denn ebenso wie du scheue ich mir vor Schubladen, Definitionen, Daseinsberechtigungen. Leider haben sich damit in den letzten 10 Jahren viele Dinge eingeschlichen, die jedenfalls mein Refugium stören und ich mittlerweile die Lust verlieren, mir immer neue Nischen zu suchen, in denen ich mich verstecken kann.
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber manchmal bekomme ich eben Lust, wieder Grenzen zu setzen und nicht mit offenen Armen jeder noch so kleine Randgruppe einzuladen, unter dem schwarzen Schirm Platz zu nehmen.
Ich habe schon in vielen Beiträge hier gelesen, dass viele den 90er und 80er Jahren hinterhertrauern. Möglicherweise liegt das daran, dass man damals noch klare Grenzen zog zwischen „Poser“ und „Grufti“, man genoss den Nebel des „Nicht-verstanden-seins“ und kokettierte mit Särgen und Friedhofspartys. Wolltest du damals in eine Grufti-Clique, hat man dich pauschal erst mal links liegen gelassen, kritisch beäugt sich viel Zeit gelassen, sich zu öffnen.
Das schuf Gemeinschaftlichkeit und Abgrenzung. Im Zuge der maximalen Political Correctness, die uns in den letzten Jahren zu nahezu jedem Thema ereilt, hat sich die Abgrenzung in Luft aufgelöst. Es war einfach nicht mehr „cool“ gegen die x-te Randgruppe zu sein, die die Gothic Szene als Spielplatz missbraucht. Obsession Bizarre auf dem WGT? Trolle, Orks, Krankenschester-Zombie und Drachen auf der Tanzfläche? Gerne! Bloß nicht NEIN sagen, bloß tolerant sein!
Nun stehen wir da und wissen nicht, was wir eigentlich noch sind. :) Andere zu verwirren Wiener Blut , ist schon mal ein guter Plan!
Das sehe ich tatsächlich mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite frage ich mich das Selbe: Was haben beispielsweise blutverschmierte Krankenschwestern jetzt mit dem Gothic von einst zu tun? Wie weit wollen wir den Zirkus eigentlich treiben? Doch dann kommen mir auch immer wieder Bilder aus früheren Zeiten in den Sinn. Vampirlords/Ladys, praktizierende Magier, Geisterbeschwörer und ähnlicher Unfug, der nicht erst in den letzten 10 Jahren in die Szene Einzug fand. Worin besteht der Unterschied zwischen jemandem, der in der Vorstellung einer Zombieapokalypse verliert und einem anderen, der sich in Nekromantie oder Vampirismus verliert? Doch nur seine Klamotten und evtl. sein Musikgeschmack?
Wo wollen wir hier die Grenzen ziehen? Ich gebe zu, mir fällt die Antwort auf diese Frage nicht gerade einfach. Zumindest nicht ohne dabei die Maßstäbe an mein persönliches Empfinden anzusetzen, der in meinem Fall sowohl auf irgendwelche Orks und Zombies, als auch auf „leibhaftige“ Vampire und Geisterbeschwörer verzichten kann. Die Welt bietet für mich schon so genug Grund zur Tristesse. Doch ist es nicht vielleicht auch so, dass die Frage nach dem „Was hat X oder Y damit zu tun und wollen wir das so eigentlich wirklich tolerieren?“ nicht bereits viel zu spät gestellt wurde?
Daseinsbererechtingung braucht es auch von meiner Seite aus nicht. Und ein Freund von Definitionen bin ich nun wirklich nicht. Aber ich denke man muss in gewisser Weise definieren „wer“ sich denn „wovon“ abgrenzt. Wenn man denn das Wort Abgrenzung verwenden möchte. Grenzen setzen ist manchmal ganz gesund. Für einen persönlich wie auch für eine Szene.
Allerdings würde ich es nicht positiv bewerten andere erstmal links liegen zu lassen. Bis sie sich „bewiesen“ haben..? Das heißt nicht man soll jeden Schlumpf mit offenen Armen begrüßen, aber gerade der introvertierte und vielleicht unsichere Neu-Grufti könnte sich damit schwer tun. Das heißt im Umkehrschluss das vor allem von sich sehr überzeugte und von nichts zu erschütternde den Weg in die Szene finden. Dabei braucht die Szene doch gerade auch die zarten, empfindsamen Gemüter!
So ein elitäres Getue mit „Aufnahmeprüfung“ finde ich auch gruselig und überflüssig.
Hab ich zum Glück selbst nie erlebt, eher Offenheit neuen Leuten gegenüber, auch bei großen Altersunterschieden oder sehr unterschiedlich langer Szenezugehörigkeit.
Das zeigte ja auch schon der rege Austausch der Leute über die „rosa Seiten“ im Zillo, wo man Brief- und später Mailkontakte knüpfen konnte. Da gab es ein großes Bedürfnis und die Bereitschaft, andere kennen zu lernen.
Wie auch die zahlreichen früheren „Schwarzentreffen“ an unterschiedlichen Orten.
Und ehrlich gesagt, ich kam damals gerade aus der Situation, in meiner Klasse abgelehnt worden zu sein, weil ich keine Trendklamotten trug und keine angesagte Musik hörte. Hätte ich dasselbe wiederum in der Szene erfahren, wäre es kein Ort für mich geworden, an dem ich mich hätte wohlfühlen können…
So, als die Person, die diesen Artikel angeregt hat, sollte ich mich jetzt vllt. auch mal ausführlicher zu Wort melden.
Ich sehe, dass hier wieder einige nach Abgrenzung über „Definitionsmerkale“ rufen. Bei den alten Subkulturen funktionierte Abgrenzung ja ganz einfach, über Mode und vor allem Musik. Diese hatten klare stilistische Merkmale, die zu erkennen gaben was dazugehört und was nicht. Vor allem aber konnte man mit stilistischen Äußerlichkeiten damals noch wirklich gesellschaftlich anecken. Einer Subkultur anzugehören hat einem in den 80ern noch wirklich etwas abverlangt. Entsprechendes Material war schwer zu bekommen, es gab Leute, die bis nach London pilgerten, um sich Musik zu besorgen. Von den im Ostblock lebenden Leuten ganz zu schweigen. Das alles schuf noch ein ganz anderes Commitment und eine Bereitschaft, sich mit einem Stil zu identifizieren.
Aber das klappt nicht mehr. Wenn an diesem BBC-Video eines deutlich wird, dann das. Auch wenn viele hier das nicht gerne hören, aber eine Rückkehr zu den alten subkulturellen Zuständen wird es nicht geben. Das ist inzwischen auch den Metallern aufgefallen. Allein die völlig veränderten medialen Rahmenbedingungen lassen das nicht zu. Abgrenzung über Musik funktoniert nicht, wenn alle Musik der Welt nur ein paar Mausklicks entfernt ist. Ich jedenfalls denke nicht daran,mich auf einen Musikstil festzulegen. Zwar würde ich schon sagen, dass ich mehrheitlich Darkwave höre, aber eben auch Metal, Elektro und vieles andere mehr. Mir ist sogar zugetragen worden, dass das früher eigentlich auch nicht wirklich anders war, heute allerdings leben wir im Zeitalter der persönlichen Playlisten, durch die der ganz individuelle Geschmack viel stärker in den Fokus rückt.
Subkulturen sind letztlich bloß Stile. Stil schafft aber keine Abgrenzung mehr. Jedenfalls keine, die irgendwie relevant wäre. Auch Abigail gehört auf ihrem Kanal zu diesen Leuten, die dafür trommeln, dass Gothic ja bloß ein Stil sei. Und warum? Um Inhalte abzuwehren, die möglicherweise tatsächlich kontrovers sein könnten.
Was also tun? Nun, ich muss zugeben, dass ich ein Verfechter der SCHWARZEN „SZENE“ – im Unterschied zur Gothic-Szene – bin. „Szene“ setze ich in Anführungszeichen weil die schwarze Szene eben keine Subkultur mehr ist – und das ist der entscheidende Punkt: Sie soll auch endlich dazu stehen. Den Begriff „Schwarze Szene“ gab es zwar schon in den 80ern, aber das, was wir heute damit bezeichnen, entstand erst in den 90ern. Grundstein war die gegenseitige Annäherung von Darkwave und Metal. Beide Stile schufen Anfang der 90er mit NDT und Black Metal ihre düstersten Erscheinungsformen. Und genau das ist die verbindende Gemeinsamkeit: DUNKELHEIT. Die dunkle Grundstimmung bzw. Atmosphäre schuf eine neue Grundlage, die es erlaubte, eine Vielzahl von Szenen unter dem Dach der schwarzen „Szene“ zusammenzufassen – allerdings ohne feste Kriterien der Zugehörigkeit. Stimmungen sind nämlich nichts äußerliches und damit auch nicht objektivierbar. Sie sind ihrer Natur nach amorph, vage und subjektiv. Ich für meinen Teil habe weder mit Okkultisten noch mit Vampiristen oder Sadomasochisten ein Problem. Sie alle huldigen auf ihre Weise der Dunkelheit und bringen Inhalte in die „Szene“, die über Musik und Mode hinausgehen. Dass das sogar hier auf Widerstand stößt, bestätigt mir paradoxerweise nur, dass wirkliche Abgrenzung heute nicht über äußere „Merkmale“ sondern über Inhalte läuft. Was mich nervt, das sind z.B Cybermännchen, weil die mit ihren bunten Knicklichtern und ihrem Kirmestechno die schöne dunkle Atmosphäre versauen. Dasselbe gilt für HIM-Emo, Unheilig-Schlager, Dudelsack-Volksmusik und WGT-Fasching. ABER: Kann ich denn wirklich sicher und objektiv sagen, dass z.B Cyber nicht dazugehört? Nein, das kann ich aufgrund der Subjektivität von Stimmung eben nicht. Für mich gehört es nicht dazu, als allgemeingültig behaupten kann ich das aber nicht. Mit dieser erschwerung muss heute gelebt werden. Dafür gehört für mich wiederum anderes dazu, was üblicherweise gar nicht mit der schwarzen „Szene“ assoziiert wird, wie z.B. Massive Attack oder Radiohead. Eben weil sie richtig düstere Musik machen.
Ich kann ja durchaus verstehen, warum manche sich am liebsten in die vor-schwarzszenigen Zustände der 80er zurückbeamen würden. Die Szenevermischung hat um die Jahrtausendwende ja auch eine Reihe von populären Stilen nach oben gespült, wie NDH, Mittelalterrock, Symphonic Metal, Aggrotech und Future Pop, die seit 20 Jahren durchgenudelt werden und oft qualitativ minderwertig sind. Ich fürchte aber, dass man dem mit reaktionärem Zurückrudern nicht wird begegnen können, oder wollt ihr jetzt etwa bis in alle Ewigkeit Synthwave-Aufgüsse machen? Richtig wäre es aus meiner Sicht, die Finsternis wieder zu betonen. Das vertreibt nicht nur Kirmestechno und Schlager, es könnte auch endlich wieder für wirkliche, gesellschaftlich relevante Abgrenzung sorgen. Ich habe z.B ein massives Problem mit der ganzen Happiness-Ideologie, die uns seit einiger Zeit unter dem Deckmantel der psychischen Gesundheitspflege untergejubelt wird. Was es da bräuchte, ist ein positiver Bezug auf Melancholie und Pessimismus. Es ist also keineswegs so, dass wir nichts zu bieten hätten. Allerdings sollten wir dann auch mit Gegenwind umgehen können.
Ich bin kein Gothic, kein Metaller, kein Sonstwas szeniges. Ich bin eine dunkle Seele. Klingt „edgy“, „cheesy“, klischeehaft und total peinlich? GUT. Genau das schafft nämlich wirklich Abgrenzung.
Das tun ja zum Glück auch sogar einige der jüngeren Bands (zumindest jedenfalls musikalisch). Beispiele?
Whispering Sons, Undertheskin, Ritual Howls, Hapax, Your Life on Hold, Lapis Exilis, The Rope, Pleasure Symbols… nur um ein paar zu nennen.
Ich kenne auch niemanden, der ausschließlich eine Sparte der dunklen Musik hört. Sowohl bei den „Alten Hasen“, die ich im Laufe meiner gut 30 Szenejahre kennen gelernt habe noch bei den jüngeren Vertretern.
Sicher mag es jene geben, die gitarrenlastige Musik bevorzugen und jene, die elektronischen Klängen den Vorrang geben, aber ich bin noch niemandem begegnet, der sich darauf beschränkt. Meist wird das gehört, was gerade zur aktuellen Stimmung passt. Mal aggressiver, mal melancholischer, mal finsterer und mal treibender. Ich empfinde es als Bereicherung, dass unsere Szene solch eine musikalische Vielfalt bietet – wenn ich auch etliches davon nicht leider kann (Aggrotech, Industrial, Dunkelschlager, Metal jeder Art). Meins sind eher Gothrock, Postpunk, Gitrarren-, Synth- und Dakwave sowie Minimal, Synthiepop und Oldschool-EBM, ab und an auch mal ein bisschen Punk oder Deathrock. Jetzt im Winter auch gerne mal Neoklassik, Heavenly Voices und Ambient.
Da gehe ich gänzlich mit Tanzfledermaus konform, weite es für mich aber auch auf andere Inhalte der schwarzen Szene aus. Nur weil für mein individuelles Empfinden Okkultisten und Vampiristen in die gleiche esoterische Schwachsinnskerbe schlagen wie Anhänger von Zombieapokalypsen heißt das nicht automatisch, dass diese nicht objektiv trotzdem irgendwo ihre Berechtigung im schwarzen Knäuel haben und Inhalte liefern. Eigentlich hat Yorick es seinem wundervollen Beitrag ganz richtig formuliert: „Sie alle huldigen auf ihre Weise der Dunkelheit“ – Das ich einige Arten davon weder verstehe noch mag ist meinem ganz persönlichen Empfinden geschuldet. Aber damit eben auch nichts objektives, was man so ohne weiteres herauskürzen könnte ohne dabei zwangsläufig auch an anderen Stellen kürzen zu müssen. Stellen die man in anderen Zeiten wie eben den 80ern und 90ern oder auch zu meiner Anfangszeit gar noch als selbstverständlich ansah. Das ist auch die Crux, welche ich meinte als ich fragte worin denn nun der Unterschied zu einer blutigen Krankenschwester und einem praktizierenden Magier läge. Also abgesehen von der Kleidung und der bevorzugten Musik.
Und dann lande ich dann wieder bei bei den Vorzügen der unzähligen Nischen, welche sich im Lauf der Jahre bildeten, jedoch natürlich auch irgendwo die schwarze Szene spaltete. In meiner Postpunk/Darkwave/Gothrocknische fühle ich mich weder angegriffen, noch in irgend einer Weise eingeengt. Andere Nischen wie halt auch das Cybergestampfe oder eben auch das Mittelalterzeugs landen für gewöhnlich gar nicht in den Clubs und auf Konzerten die ich vor Corona so besucht habe. Denen laufe ich höchstens noch auf allgemeinen Events der Schwarzen Szene über den Weg und da störe ich mich einfach nicht daran. Da wurmen mich ganz andere Dinge. Beispielsweise (wie an anderer Stelle schon öfters der gesagt) der übermäßige Alkoholkonsum mancher angeblicher Melancholisten. Der ist für mich so ein rotes Tuch, auf den ich in wirklich allen Bereichen verzichten könnte. Und damit meine ich jetzt nicht, dass es nicht auch ok ist in Gesellschaft ein Bierchen oder so zu trinken. Aber wenn ich zum Beispiel auf einem Konzert der Merciful Nuns bin (ja, habe ich auf meinem ersten Autumn Moon Festival genau so erlebt) und eine Dame ihre Melancholie hauptsächlich mit Alkohol aufgewogen zu haben scheint, sodass am Ende selbst ihr Freund sie peinlich berührt aus der Sumpfblume führen musste, dann hilft es meinem individuelen Empfinden auch nicht mehr weiter, dass diese optisch in eher waveigem Outfit unterwegs war. Da hätte mich dann selbst ein (nach Optik) durchgeknallter Zahnarzt der friedlich vor sich hin tänzelt weniger gestört als diese Dame damals. ;)