Gothics und das dritte Geschlecht – Überschätzt die Szene ihre eigene Toleranz?

Seit rund einem Jahr gibt es in Deutschland das dritte Geschlecht. Ein bewegendes Ereignis für die Öffentlichkeit möchte man meinen, denn jetzt gibt erstmals die amtlich anerkannte Andersartig, die auch noch als Kürzel im Personalausweis erscheint. Für uns Gruftis sollte das eigentlich ein alter Hut sein, denn schon in den Urzeiten der Gothic-Bewegung war unsere Szene ein Schmelztiegel für Menschen, die von der geschlechtlichen Norm und den damit verbundenen Verhaltensweisen abwichen. Männer, die wie Frauen aussahen, und Frauen, die wie Männer aussahen, waren nur das Offensichtliche. Geschlechterverwischen habe ich das immer genannt. Auch war es völlig egal, welche sexuellen Konstellationen sich bildeten, man konnte ja bei manchen Paaren sowieso kaum unterscheiden, wer nun Frau oder Mann war.

Dass die Einführung des dritten Geschlechts weder unnatürlich, noch die Form einer geschlechtlichen Revolution ist, hat sich in der Gothic-Szene schon lange herumgesprochen. Habe ich jedenfalls immer angenommen. Doch durch das stete Wachstum der Szene haben sich auch offenbar diese Ideale mit den Widerständen und Ängsten des gesellschaftlichen Mainstreams verwässert. Immer wieder kommt es auch innerhalb der Szene zu Anfeindungen gegenüber queeren Menschen. Zacker, der Veranstalter der Glitter+Trauma Party, erwähnte in einem Interview mit Spontis: „…jedoch spüre ich ganz klar einen Graben zwischen dem, wie sich die Schwarze Szene selber sieht, welche Attribute Gothics sich auf die Fahne schreiben und der Realität..

Ist die rechtliche Anerkennung des dritten Geschlechts nun das gesetzliche Argument, um die Widerstände innerhalb unserer Gesellschaft und damit auch innerhalb der Szene auszuräumen? Ist es eine historische Entscheidung zur Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt? Oder widerspricht das dem natürlichen Prinzip von Mann und Frau? Ist das vielleicht auch der Beginn eines geschlechtlichen Chaos, in dem sich jeder sein Geschlecht nach Lust und Laune aussuchen kann?

Das dritte Geschlecht – Wie alles begann

Vanja ist der Mensch, der sich bis zum Bundesverfassungsgericht durchklagte und letztendlich Recht bekam. In Vanjas Geburtsurkunden steht „weiblich“, doch als das angebliche Mädchen in die Pubertät kam, bekam es weder Brüste noch Menstruation. Die Ärzte stellten fest, das Vanjas Körper kaum weibliche Hormone produziert. Sie hat nur ein X-Chromosom, das zweite X oder Y fehlte. Vanja ist einer von schätzungsweise 120.000 Menschen, die intersexuell sind.

Lange Zeit war man der Meinung, mit dem Kind ist was nicht in Ordnung. „Störung der Geschlechterentwicklung“ nannte man das. So wurde mit medizinischem Segen operiert, um das Kind endlich in eine blaue oder eine rosafarbene Schublade zu stecken. Die Karlsruher Richter entschieden aber in ihrem kürzlich gefällten Urteil sinngemäß: Mit dem Kind ist alles in Ordnung, mit unserem gesellschaftlichen Umgang damit stimmt etwas nicht. Was daraus resultierte, ist das dritte Geschlecht für Intersexuelle, die seit Januar 2019 nun auch in Ausweispapier als „divers“ gelten können. Klingt logisch und bildet genau das ab, was in Vanjas Fall den Tatsachen entsprach. Oder?

Die Wunder der Natur gegen die Deutungshoheit des Menschen

Die Natur ist jedoch voller Wunder und Vanjas Fall ist nur eine der biologischen Wirklichkeiten, die sich hinter dem unscheinbaren Kästchen „divers“ verbergen können. Intersexuell wird alles das genannt, was irgendwie von den Merkmalen des weiblichen oder männlichen Geschlechts abweicht. Es gibt Menschen wie Vanja, denen ein zweites Chromosom fehlt. Es gibt aber auch Menschen, die zwar über ein XY-Chromosomenpaar verfügen und demnach männlich sind, aber anstatt eines Penis mit Hoden weibliche Geschlechtsorgane ausbilden. Andere haben zwar Gebärmutter, Klitoris und Vagina, aber die Hormonproduktion entspricht der eines Mannes. Und als wäre das nicht schon genug Verwirrung, gibt es auch Menschen mit männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen, die Hermaphroditen, die man umgangssprachlich als Zwitter bezeichnet. Ein Begriff, der von Betroffenen oft als beleidigend empfunden wird.

Während sich bei Intersexuellen die Einordnungsversuche an biologischen Kriterien orientieren, sind bei transgeschlechtlichen Menschen die Geschlechtsmerkmale zwar biologisch zweifelsfrei ausgeprägt, doch die persönlich wahrgenommene geschlechtliche Identität ist eine andere. Bleiben also alle die Menschen, die als biologisch männlich oder weiblich geboren wurden, ihre Identität aber völlig anders wahrnehmen, in ihrer biologischen Geschlechtsbezeichnung gefangen? Nicht, wenn es nach den Karlsruher Richtern geht. In der Urteilsbegründung heißt es auch, dass Vanja „…nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat.“ Ein deutliches Zeichen, dass auch die Selbstwahrnehmung eine Rolle für die Entscheidung des Gerichts gespielt hat, das dritte Geschlecht anzuerkennen.

Die Natur bestimmt zwar – mal deutlich, mal weniger deutlich – was männlich oder weiblich ist, doch was darunter zu verstehen ist, haben wir Menschen uns ausgedacht. Seit Jahrhunderten formen wir uns ständig neue Definitionen von dem, was unter dem Geschlecht zu verstehen ist. Wir versuchen verzweifelt, die Welt, die seit Milliarden von Jahren nicht müde wird immer neue Variationen des Lebens hervorzubringen, zu katalogisieren, zu bewerten und zu sortieren. Wir denken uns immer neue Verbote und Krankheiten aus, um die Dinge, die wir nicht verstehen können oder wollen, auszumerzen.

Zwei Geschlechter waren nie genug!

Diese Erkenntnis kommt nicht von Karlsruher Richtern, Forschern oder von Vanja selbst, sondern ist älter und weiter verbreitet als uns vielleicht bewusst ist. Unsere westlichen Ansichten von Geschlecht und Identität und das starre binäre Geschlechtersystem gelten und galten längst nicht für alle Kulturen.

Chanith nennt man im Oman Menschen, die zwar mit männlichen Geschlechtsorganen geboren wurden, die männliche Geschlechterrolle aber größtenteils ablehnen und häufig als impotent gelten. Innerhalb der omanischen Gesellschaft ist ihre Rolle zwischen den Geschlechtern angelegt, ihr Rollenverständnis entspricht aber eher dem einer Frau.

Hijras heißt in Indien, Pakistan und Bangladesch die Gruppe von Menschen, die zwar männlichen oder weiblichen Geschlechts sind, sozial aber als Frau betrachtet werden und auch so erzogen werden. Sie können dem dritten Geschlecht zugeordnet werden, leben aber eher am Rande der Gesellschaft in eigenen Gemeinschaften zusammen und beten die hinduistische Göttin Bahuchara Mata an.

Die Fa’afafine in Samoa sind Vertreter eines Geschlechts, das dort neben männlichen und weiblichen Menschen existiert. Es sind Personen, welche zwar männlichen Geschlechts sind, sozial aber als Frau betrachtet werden und so erzogen werden.

In Thailand und Laos sind die Kathoey Menschen, die von der männlichen oder weiblichen Norm abweichen und somit als eigenständiges Geschlecht wahrgenommen werden. Dabei wird nicht unterschieden, ob es sich um körperliche Abweichungen oder geschlechtsidentitäre Selbstwahrnehmung handelt. Anders als in unseren Breiten sind dort Intersexuelle und transgeschlechtliche Menschen schon wesentlich länger akzeptiert, was am ehesten auf die buddhistischen Kultur zurückzuführen ist, die in ihrer Karmalehre die Andersartigkeit der Kathoey auf Handlungen in einem früheren Leben zurückführt. Die im Westen bekannten „Ladyboys“ zählen zu den Kathoey, die mit männlichen Geschlechtsorganen ausgestattet sind, sich aber weibliche Geschlechterklischees aneignen und oft als schwule Prostituierte ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Der Begriff „Two Spirit People“ beschreibt Menschen der amerikanischen Ureinwohner, die zwar anatomisch als Männer wahrgenommen werden, die jedoch in einer weiblichen Rolle leben und von ihrer Gesellschaft auch so wahrgenommen werden. Von spanischen und französischen Kolonisatoren abfällig „Berdachen“ genannt, hielt man diese Menschen für Sodomisten oder Prostituierte, man hielt seine eigene Kultur für die bessere und die Kultur der „Wilden“ für zurückgeblieben. Durch die zunehmende Kolonisierung des Kontinents gerieten die amerikanischen Ureinwohner immer mehr in die Isolierung, wurden unterdrückt und in Reservate umgesiedelt. Als man in den 90ern den abfälligen Begriff „Berdachen“ durch „Two Spirit People“ entschärfte, waren die längst aus der Kultur der amerikanischen Ureinwohner verschwunden. Die hatten längst das binäre Geschlechtersystem der Europäer übernommen. 1

Geschlecht ist irrelevant – Schubladen helfen uns nicht, Dinge zu verstehen

Neben den biologischen Merkmalen männlich und weiblich ist das Geschlecht vor allem ein kulturell geprägter Begriff, dessen Bedeutung häufig von den historischen und religiösen geprägten Weltanschauungen definiert wird. Manchmal beschreibt es einen sozialen Status oder ist Teil einer spirituellen Überzeugung, dient zur Legitimierung einer sexuellen Orientierung oder wird durch die Zugehörigkeit zu einer Subkultur bestimmt.

Unter „Geschlecht“ verstehen wir häufig das, was wir im Laufe unserer Entwicklung durch Erziehung, Schule oder Umfeld darüber lernen. Die biologischen Fakten, wie das Vorhandensein von Fortpflanzungsorganen oder unterschiedlichen Chromosomenpaaren, spielen bei unserem Verständnis für das Geschlecht eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Menschen und die Anpassung des eigenen Verhaltens, der Sprache oder des Kleidungsstils.

Häufig unterliegen diese kulturellen Rollenzuschreibungen auch dem Zeitgeist und verändern sich nicht im Laufe der menschlichen Evolution, sondern manchmal durch eine simple Hashtag-Debatte oder einen angesagten Trend bei Instagram.

Sowieso sind die meisten Schubladen, in die wir uns und andere nur allzu gerne stecken, Erfindungen des Menschen. Deutsch ist ein Begriff aus dem 15. Jahrhundert, die Wörter Hetero- und Homosexuell gibt es erst seit 1868 und die letzte menschliche Rasse, die tatsächlich anders war als wir, starb vor rund 30.000 Jahren einfach aus.

Der Natur sind Schubladen sowieso egal, im Tierreich sind gleichgeschlechtlicher Sex oder Variationen der Fortpflanzungsorgane völlig normal. Der Mensch, eine Unterart des Trockennasenprimaten, kam auf die glorreiche Idee, manche Spielarten körperlicher Zuneigung als widernatürlich zu bezeichnen und die Merkmale, die ein Geschlecht ausmacht, zu normieren. Es ist die Kultur, die kategorisiert, beschränkt oder ausschließt. Es sind die Menschen, die Abweichung von ihrer geschlechtlichen und kulturell geprägten Schublade verfolgen, als Krankheit definieren oder zu bekämpfen versuchen.

Morticia und Frank
Frank aka Morticia von Schreck: „Nur weil ich mich vielleicht anziehe wie Nina Hagen bin ich dann eine Frau? Jeder soll rumlaufen, sich so fühlen und so sein wie er einfach möchte. So wie die Gedanken frei sind, kann doch auch einfach dein Geschlecht frei sein. Ich finde, dass es ganz normal ist, für sich selbst zu entscheiden, wer oder was ich bin.“

Anstatt uns darauf zu konzentrieren, unser Gegenüber einfach als Mensch wahrzunehmen und ihn so zu behandeln, wie auch wir behandelt werden wollen, fühlen wir uns von tradierten Geschlechternormen und Verhaltensweisen dazu genötigt oder gar gezwungen, unser Gegenüber einzusortieren. Geschlechtliche oder nach außen sichtbare sexuelle Abweichungen vom eigenen Ideal führen schnell zur Ablehnung und Unverständnis und beeinflussen unser Verhalten dem anderen gegenüber. Vielleicht sorgt ja die Einführung des dritten Geschlechts in Deutschland in einigen Jahren zu einem Effekt er Normalisierung.

Die Gothic-Szene und ihre vermeintlichen Ideale der Geschlechtslosigkeit?

Als ich damals in die Szene eingetaucht bin, hat mich die gelebte Geschlechtslosigkeit beeindruckt. Jungs, die wie Mädchen aussehen, und Mädchen, die wie Jungs aussehen, waren hier immer völlig normal. Die Androgynität, die Vereinigung von weiblichen und männlichen Merkmalen, habe ich immer für einen Grundpfeiler der Szene gehalten. Intolerant und isoliert nach außen und tolerant und offen nach innen.

Doch offenbar hat diese Geschlechtslosigkeit ihre Grenzen, denn trotz eines äußerlich erscheinenden „flüssigen Zustands der Geschlechter“ (genderfluid), bleibt das binäre System weitestgehend erhalten. Das belegt auch diese wissenschaftliche Hausarbeit von Stephanie. Zackers Interview und einige andere Aussagen unterstützen diese These und gehen sogar so weit, die Ideale, mit der ich die Szene schmücke, infrage zu stellen.

Sind wir nicht der Rückzugsort für alle die, die von der äußerlichen oder geschlechtsidentitären Norm abweichen? Sind wir nicht der Schutzraum für Menschen, die anders sind und sich anders fühlen als die Gesellschaft, die hinter Plattitüden immer noch ihre Vorurteile pflegt?

Ich habe dazu ein paar Leute um ihre Meinung gebeten und wollte wissen, wie sie die Toleranz innerhalb der Szene sehen und ob das offizielle dritte Geschlecht, ebenfalls ein Thema für sie ist.

Wie sehen queere Gothics die Toleranz in der eigenen Szene?

Ian Felix Ian Felix sieht die Einführung des dritten Geschlechts grundsätzlich als Bereicherung, obwohl es ihn selbst nicht direkt betrifft:

Auch wenn ich als Mensch, der sich als männlich identifiziert, zwar nicht unmittelbar von der Einführung des dritten Geschlechtseintrags als Option profitiere, halte ich es für gut und wichtig, dass Themen wie dieses ins öffentliche Bewusstsein rücken, und hoffentlich nur erste Schritte von vielen sind. Weiterhin ist es natürlich so, dass für die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wenigen Leute, die tatsächlich den Eintrag beanspruchen, der Gewinn an Lebensqualität enorm sein dürfte, und das allein macht die Neuerung doch schon alles andere als überflüssig.

Für Ian ist die Szene – und vor allem das Wave-Gotik-Treffen ein wichtiger Schutzraum gewesen, für ihn wichtige Schritte zu gehen:

Ich bin 2011 mit dem Anspruch aufs WGT gefahren, dass wenigstens eine Person mich als männlich wahrnehmen sollte […] 2012 war dann das WGT, auf dem ich zum ersten Mal offiziell mit dem richtigen Pronomen unterwegs war. Insbesondere das Treffen war für mich immer schon ein „Safe Space“, in dem ich für mich wichtige Schritte gehen konnte.“

Ian ist in der Szene auf Unterstützung und Verständnis gestoßen und daher auch der Ansicht, „dass innerhalb der Szene weniger passiert als außerhalb.

AnBl in Leipzig
André wünscht sie keine Toleranz, sondern Akzeptanz: „Wir wollen angenommen und unterstützt werden und nicht toleriert wie Rückenschmerzen.“

Trotz einer Verwässerung der Ideale, die ich der Szene einst zugeschrieben haben, sind die Geschlechtergrenzen innerhalb der Szene durchlässiger und das Verständnis für alternative Lebensmodelle größer als in vielen anderen Szenen und vor allem als in unserer Gesellschaft. Man merkt einfach, dass das Thema unter den Gothics viel präsenter ist, als sonst wo. Dennoch, wir sind noch nicht dort angelangt, wo wir sein möchten oder in unserer Selbstwahrnehmung selbst sehen. André bringt das in seinem Statement auf den Punkt:

Die schwarze Szene hat sich Toleranz auf die Fahnen geschrieben und die wird man zum großen Teil tatsächlich finden. Queere Menschen brauchen aber viel mehr, nämlich Akzeptanz und Unterstützung. Ich habe zum Beispiel oft von anderen Gruftis gehört, ihnen sei total egal, was jemand für ein Geschlecht hat. Für Leute, bei denen sich das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht als falsche Annahme herausstellt, ist das aber nicht total egal, sondern total wichtig. Es ist wichtig, zum Beispiel die richtigen Pronomen zu verwenden und nicht zu sagen „ob er, sie oder es, ist mir egal“. Wir wollen angenommen und unterstützt werden und nicht toleriert wie Rückenschmerzen. Es gibt natürlich viele Momente, in denen ich froh bin, als queere Person in der schwarzen Szene unterwegs zu sein und nicht woanders. Ich finde nur, Toleranz sollte gar nicht das Ziel sein, sondern Akzeptanz und Normalität. Und so weit sind wir gefühlt damit noch nicht.

Gothics sind toleranter, aber nicht wirklich tolerant

Frank
Frank meint, dass eine Form von Intoleranz in der Gothic-Szene völlig normal wäre, selbst unter Homosexuellen ist das seiner Erfahrung nach normal.

Frank hält die Szene für toleranter als die übrige Gesellschaft, gerade in Bezug auf das dritte Geschlecht oder Menschen mit queerem Hintergrund. Doch eine vollumfängliche Toleranz gab es seiner Ansicht nach nicht in der Gothic-Szene. Doch bei dieser Intoleranz ging es nicht um das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung, sondern um reine Äußerlichkeiten: „Bei uns Gruftis ging es immer darum, wer die höchsten Haare, das geilste Kleid oder das beste Make-Up hatte. Gegenüber Themen wie dem dritten Geschlecht oder der Ehe für alle zeigten sie sich aber immer tolerant.

Auch die Gesellschaft ist nach seiner Ansicht nach im Laufe der letzten Jahre toleranter geworden, doch auch diese neue Toleranz treibt kuriose Stilblüten, denn mittlerweile ist es soweit, so findet Frank, „dass es wohl einigen, vorwiegend weißen, heterosexuellen CIS-Männern alles zu sehr homosexualisiert ist. Sie fühlen sich in die Ecke gedrängt und sind mit dieser Entwicklung überfordert. Das geht so weit, dass es neben der Gay Pride zum Christopher-Street-Day jetzt offenbar eine Straight Pride gibt.“

Auch Jonas ist sich der Tatsache bewusst, das Toleranz innerhalb der Gothic-Szene ein zweischneidiges Schwert ist: „In der Szene, in der es oft um Äußerlichkeiten geht, gewinnt Intoleranz schnell die Oberhand. Eine Szene, die sich zum Beispiel über das „blasse Ideal“ definiert, neigt dazu, alles auszuschließen oder nicht für voll zu nehmen, was diesem Kriterium nicht entspricht.“

Jonas findet, das Gothics, die einem äußeren Idealbild der Szene entsprechen, mehr Toleranz für Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe oder sozialen Stand zeigen, als für die, die möglicherweise von diesem Idealbild abweichen. Er selbst ist sich sehr bewusst darüber, dass er sich aufgrund seines Äußeren, das rein optisch die meisten Erwartungen an einen „Gothic“ erfüllt, privilegiert ist und eine „Safe-Zone“ genießt, in der sich frei bewegen kann. Doch der fast 30-jährige Frankfurter blickt tiefer unter die Oberfläche:

Jonas - Das dritte Geschlecht
Jonas: „Es ist eine Szene, die in ihrer Andersartigkeit gegenüber der Norm dazu neigt, alles andersartige auszuschließen, weil es nicht in das vermeintliche Bild passt.“

Schaut man aber genauer hin und fragt eben die, die dem Ideal nicht entsprechen, fällt auf, dass die Szene in vielen Dingen genauso, vielleicht sogar intoleranter ist und es vielen Menschen schwer macht, Teil der Szene zu sein. Sei es dem Alter, dem Geschlecht, der Art des Liebens, der Hautfarbe, dem Herkunftsland oder generell dem Äußeren geschuldet. Es macht mich in vielen Momenten oder Diskussionen betroffen, wie schwer es manche Menschen haben. Man könnte meinen, in einer Szene in der es oft um Gefühle und tiefsinnige Gedanken geht, kann man frei von Hohn und Scham sein Äußeres künstlerisch frei gestalten und die Zusammengehörigkeit in Musik und der Ästhetik genießen. Dies gelingt aber nur, wenn man die Erwartungen der optischen Vorstellung erfüllt. Und diese sind für viele leider nicht anders als für die Norm. Gerade innerhalb der Szene müsste man meinen, ist es keine Besonderheit, als Mann auch mal Rock, Schmuck oder Make Up zu tragen, haben es doch so viele Idole vorgemacht. Und dennoch trifft man auf Intoleranz oder Unverständnis und ist schnell demselben Urteil ausgesetzt wie außerhalb der Szene.“

Scheinbar gilt die Toleranz nur für Menschen, die einer äußeren „Gothic-Norm“ entsprechen. Für die Schönen der Szene, die es verstehen, sich stilgerecht inszenieren. Für die Stars der Fotografen, bei denen man einfach alles toleriert, was zu einem besonders auffälligen Äußeren beiträgt. Wenn man jedoch die glänzende Oberfläche der Szene verlässt und sich mit dem Rest der inzwischen stattlich gewachsenen Subkultur umgibt, wird es finsterer.

Die dunkle Seite einer Szene, die ihre Andersartigkeit feiert

Weder die seit Jahrzehnten propagierte Andersartigkeit, noch die offizielle Einführung des dritten Geschlechts sind Garanten für eine Toleranz innerhalb der Szene, die sich manche von ihr versprechen. Um in der Gothic-Szene mitzuschwimmen, reicht ein Einkauf im Online-Shops des Vertrauens. Ein paar schwarze Klamotten, ein paar gruftige Accessoires, reichlich silberner Schmuck und die Vorliebe für eine der vielen Musikrichtungen, die innerhalb der Szene Gehör finden, reicht völlig. Wir sind eine Subkultur ohne Leitfaden, in der steht, wie man tolerant ist, wie man sich respektvoll und höflich, zurückhaltend und offen gegenüber Anderen verhält. Selbst Jonas musste das bereits erfahren:

Dennoch gab es den ein oder anderen Moment, zum Beispiel auf dem WGT, auf dem ich auf der Herren-Toilette beim Warten teils mehrmals und unter Gelächter den Hinweis erhielt, die Frauentoilette sei doch woanders. Das ist beschämend und ein Armutszeugnis. Nicht nur für die Szene, sondern auch den Umgang mit anderen Menschen und vor allem den Respekt betreffend, den man fremden Menschen gegenüber haben sollte. Ich denke nicht, dass man in der heutigen Zeit und innerhalb der Szene auf der Toilette solch einer Bloßstellung ausgesetzt sein sollte. Und dennoch passiert es. Selbst wenn ich mir nicht sicher bin, welches Geschlecht oder welche Herkunft ein Mensch hat, so steht es mir in keinster Weise zu, dies in Frage zu stellen oder öffentlich ausdiskutieren zu wollen. Dabei geht es um viel mehr als um ‚Wer trägt welche Marke?‘ oder ‚wie gut sitzen die Haare?‘. Es geht um grundlegende Stigmatisierung, wie beispielsweise dem Trugschluss homosexuell sein zu müssen, wenn man als Frau kurze Haare und weite Hosen trägt oder als Mann lange Haare und Kleider.“

Die Hilflosigkeit des Einzelnen und die offensichtliche Überforderung, den eigenen Horizont zu erweitern, nagt an den Idealen der Szene. Die Toleranz, mit der sich die Szene gerne schmückt, ist begrenzt. Sie endet dort, wo ein anderes Szenemitglied von dem Bild abweicht, das sich in den Köpfen vieler Gothics gebildet hat.

Die Haare nicht ausrasiert und hochgestellt? Das Gesicht nicht weiß und kunstvoll geschminkt? Die Kleidung nicht einzigartig und die Schuhe nicht spitz genug? Soll er doch woanders Anschluss suchen, aber nicht bei uns!

Der Mann in den Frauenklamotten ist nicht schwul? Die Frau mit dem Bürstenhaarschnitt und den Schnürjeans ist nicht lesbisch? Wieso heißt Sandra jetzt Martin und Nils heißt jetzt Jennifer? Ist das jetzt ein neuer Trend?

Toleranz im Innern und Intoleranz nach Außen

Es ist manchen Gothics zu anstrengend geworden, sich auf diese vermeintlich neuen Entwicklungen einzulassen. Eine Toleranz zu leben, die allen Gruppen der Regenbogenflagge gerecht wird, ist manchmal mühsam. Szenemitglieder neigen dazu, Äußerlichkeiten, geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung mit ihrem Idealbild zu messen. Was dazu nicht passt, will man auch nicht in seinem Schutzraum haben.

Wir müssen uns gegen das schützen, wovon wir uns abgrenzen wollen. Gewalt, Hass, Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit oder Homophobie beispielsweise. Aber auch Gefühlslosigkeit, gespielte Lebensfreude, verdrängte Traurigkeit oder soziale Kälte. Dinge, auch von der Kunst auf der Bühne gespiegelt werden und damit zum Inhalt der Szene gehören.

Wir sollten queere Menschen nicht nur als Teil der Szene sehen, sondern als essenziellen Bestandteil. Andersartigkeit ist kein Etikett im schwarzen T-Shirt, sondern die Bereitschaft sich auseinanderzusetzen, voneinander zu lernen und einander zu akzeptieren. Ob die Einführung des dritten Geschlechts uns dabei hilft, wage ich zu bezweifeln, denn über diesen Punkt sollten wir doch schon lange hinaus sein, oder? Wir brauchen die Andersartigkeit um unser Szenedasein zu rechtfertigen. Und für uns heterosexuelle Langweiler mit einem binären Geschlechterbild die sich nach diesem Artikel gar nicht mehr so „anders“ fühlen sei gesagt: Andersartigkeit beginnt im Kopf und endet im Herzen. Weniger Toleranz für die Vorurteile und Einflüsse des Mainstreams und mehr Akzeptanz für die Gothics, die möglicherweise vom zurecht gelegten Idealbild abweichen, aber im Herzen mindestens so gruftig sind, wie wir selbst.

(Credits Titel-Image: Photo by Sharon McCutcheon on Unsplash)

Einzelnachweise

  1. Die Bundeszentrale für politische Bildung führt in einem Artikel von Susanne Schröter noch weitere Beispiele auf und geht auch auf die bereits genannten ausführlicher und verständlich ein. „Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern aus ethnologischer Perspektive“ – Mai 2012[]
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Kersti
Kersti (@guest_58630)
Vor 4 Jahre

Solange es die Differenzierung in nur männlich und weiblich bei den Toiletten , Umkleideräumen etc weiterhin gibt, glaube ich nicht, dass die neue Nomenklatur irgendetwas ändert

Fantôme noir
Fantôme noir (@guest_58631)
Vor 4 Jahre

Interessanter Artikel.
Ich zähle mich zu jenen, die mit dem Grundsatz „Was Deine Gene sagen, daß Du bist, ist mir sch***egal – ich nehme Dich so, wie Du Dich gibst“ an die Sache herangehen – stets in der Annahme, daß derjenige (männliche Form „traditionell geschlechterneutral“ gemeint, Gendersternchen oder überall beide Formen aufzulisten sehe ich als einen furchtbaren Murks an) sich so zeigt, wie er gerne wahrgenommen werden will.

Die neue Sortierung mit „divers“ ist ein erster und sehr sinnvoller Schritt, macht das deshalb aber noch lange nicht einfacher. Bis das nachhaltig in den Köpfen aller Personen angekommen ist, die ihr Leben lang auf zwei streng getrimmte Geschlechter getrimmt wurden, dürfte es leider ähnlich lange dauern wie bis die deutsche Sprache sich darauf angepaßt und neben dem Anglizismus „queer“ mal ein paar Worte dafür gefunden hat, die auch der Handwerker von nebenan fehlerfrei schreiben und aussprechen kann, der vor 15 Jahren mit einer glatten 6 im Hauptschulenglisch nach Hause gekommen ist… Allein am Wort „divers“ sieht man IMHO ja, daß da jemand dem „Problem“ wohlwollend, aber doch irgendwo hilflos gegenüberstand… Wenn ich heute mit jemandem rede, muß ich mich wohl oder übel auf „männlich“ oder „weiblich“ festlegen; bei einer Person von einem „es“ zu reden, empfinde ich jedenfalls als abwertend. Damit fallen heute ohne jede Absicht jene hintenrunter, die sich als „weder noch“ empfinden und sich auch nicht entscheiden können oder wollen.

Leider agieren wir also alle in unseren Grenzen. Neben der Sprache bemerke ich es zum Beispiel bei mir daran, daß ich leicht auf Leute ablehnend reagiere, die „mit der Dampframme“ ankommen, sei es optisch, durch ihre Art oder anderweitig. Die gibt es aber überall – egal, ob männlich, weiblich oder divers – der Proll mit einem Testosteronspiegel bis in die Stratosphäre zählt für mich dazu genauso wie die schwule Vorzeigezicke mit gekünstelt nasaler Aussprache. Manche haben einfach keinen Spiegel zuhause, scheints… sorry, da habe ich es bisher einfach nicht geschafft, aus meiner Haut zu kommen.

In solchen Fällen kann ich mir vorstellen, daß jemand, der sich nicht zum klassischen Geschlechterbild zählt, sich deswegen angegriffen fühlt und es auf eine Ablehnung wegen „Andersartigkeit“ schiebt – obwohl das definitiv nicht so gemeint ist.

Bibi Blue
Bibi Blue(@biljana)
Vor 4 Jahre

Wo soll ich bloß anfangen? Ich fange mit mir an.

Man könnte meinen, ich müsste mich in der Gesellschaft pudelwohl fühlen, so anatomisch-hormonell eindeutig Frau, ziemlich hetero und stilistisch zwar dunkel, aber derzeit genderbezogen als Frau identifizierbar. Doch schon als Kind habe ich mich innerlich davor gesträubt, jemals so zu werden, wie in der Gesellschaft eine Frau zu sein hatte. Übrigens, auch nicht wie ein Mann. Zu der Zeit, in den 70ern, gab es weniger Rollenmodelle, die mir Hoffnung geben konnten. Damit meine ich Menschen, die sich bestimmten Normen widersetzt haben, ohne heftigen Widerstand und Konsequenzen von der Umgebung zu spüren, so dass sie oft verzweifelt, einsam oder unauthentisch wurden. In der Pubertät habe ich mich dann zusätzlich wegen der lästigen Menstruation und den höllischen Schmerzen aufgeregt, verachtete und verfluchte die Schöpfung. Das Belächeln der Gereiztheit davor oder der so starken Beeinträchtigung, dass frau dadurch im Bett bleibt, weckten Zorn in mir. Nach einer typischen Frauenrolle war mir dadurch erst recht nicht. Ich wollte asexuell sein, reiner Geist, doch das war ich nicht. Ich verknallte mich, hatte Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch. Es war schön und gruselig zugleich. Ich konnte nämlich schon beobachten, wie sich Menschen durch Verknalltheit verändern. Prinzipien wurden einfach über Bord geworfen, manchmal wurden Freunde verraten, manche haben sich unheimlich verstellt, um der angebeteten Person zu gefallen. Widerlich! Ich wollte nicht so gesteuert sein.

Da ging es los mit metaphysischen Fragen wie Freiheit des Willens, gefolgt von Melancholie und misanthropischen Anwandlungen. Doch die 80er waren fetziger. Ich las Freud und Schopenhauer und war verzückt. Der sogenannte Kapiertrieb ließ mich Einiges leichter ertragen. Und die Kunst erst! Doch ich will mich nicht von den Hauptthemen entfernen. In der Zeit führten mich Freunde zu Orten, wo sich Punks, Darkwaver und andere und Dark-Underground-Individuen trafen. Irgendwann Anfang der 90ern konnte ich mich als geistig männliches Exemplar der Bohème mit mir anfreunden und fühlte mich am wohlsten mit Kumpels, mit denen ich durch die Kneipen ziehen konnte auch nachdem sie ihre Freundinnen nach Hause brachten. Mein damaliger Freund hatte meine Art gemocht, wir waren Weggefährten, und alles andere als asexuell. Damals veröffentlichte er eine Zeitschrift, in der er sich unter anderem für die Akzeptanz von Menschen einsetzte, unabhängig von ihrem Geschlecht oder sexueller Orientierung. Das war damals bitter notwendig und höchste Zeit dafür. Ich trug oft Hemden, Krawatten und Hosenträger, hatte zwischendurch meine Haare kurz und wollte sie stylen wie manche Dadaisten. Doch ich fand kaum Friseure die mir die Haare so schneiden wollten, das seien ja Männerfrisuren. Ebenso musste ich mir auch sonstige Sprüche anhören.

Bei dem erwähnten Interview mit Zacker, dem Veranstalter von Glitter+Trauma, sind bei mir deswegen folgende Sätze hängengeblieben:

Es ist ein Unterschied, ob man aus einer sicheren Position mit Geschlechterrollen spielt oder als zum Beispiel schwuler Boy oder Transgender den blöden Spruch von beispielsweise hyper-männlichen EBM-Bürsten überhört. Es mag schon sein, dass die schwarze Szene diesbezüglich tendenziell entspannter ist. Das heißt jedoch nicht, dass Transphobie, Homophobie und ‚Arschlochism’ nicht auch stattfinden.“

Erbärmlich, ich muss mich fremdschämen, dass man heute immer noch mit solchem Verhalten konfrontiert wird. Ähnlich erschreckend finde ich die Schilderung von Jonas:

“Dennoch gab es den ein oder anderen Moment, zum Beispiel auf dem WGT, auf dem ich auf der Herren-Toilette beim Warten teils mehrmals und unter Gelächter den Hinweis erhielt, die Frauentoilette sei doch woanders. Das ist beschämend und ein Armutszeugnis. Nicht nur für die Szene, sondern auch den Umgang mit anderen Menschen und vor allem den Respekt betreffend, den man fremden Menschen gegenüber haben sollte. Ich denke nicht, dass man in der heutigen Zeit und innerhalb der Szene auf der Toilette solch einer Bloßstellung ausgesetzt sein sollte. Und dennoch passiert es.“

Ich finde es sehr wichtig, dass wir uns auf diesem Weg austauschen. Es stimmt tatsächlich, dass mich solche Sprüche nicht so verletzen würden, aber geschmacklos und widerlich sind sie dennoch. Ich frage mich aber, ob es sich ändern würde, wenn es Toiletten und Umkleiden für das dritte Geschlecht gesondert geben würde. Dann würde man die Sprüche ja einfach in die entsprechende Richtung lenken. Vielmehr gilt es, vor allem in der Szene, gegen solches Verhalten Position zu beziehen. In Kopenhagen waren in vielen neuen öffentlichen Gebäuden nur Unisex-Toiletten, oft mit Waschbecken in den Kabinen. Ich hatte daran nichts auszusetzen. Aber zurück zum sozialen Geschlecht. Ich schätze mich glücklich, in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem die Individuation möglich und vergleichsweise wenig massiv behindert wird.

Gestern stöberte ich wieder bei den gesammelten Werken von C. G. Jung, insbesondere im Band 9/I, „Die Archetypen und das kollektive Unbewusste“. Wer will, kann sich an Stereotype orientieren. So wie ich diese Menschen nicht verachte, so sollten diese auch nicht Nonkonformisten verurteilen. Die Archetypen Animus und Anima, die jedem Menschen innewohnen, kann man stattdessen in sich gedeihen lassen, deren Manifestationen gestalten. Man muss somit keine Andersartigkeit propagieren, sondern eher die Eigen-Artigkeit zulassen, leben und verteidigen.

Hier ist noch ein Buchtitel, auf den ich neulich gestoßen bin:
„Psychic Bisexuality: A British-French Dialogue“ (Routledge, 2018), edited by Rosine Jozef Perelberg.

Mondlichtkobold
Mondlichtkobold(@mondlichtkobold)
Vor 4 Jahre

Ich nutze die Kommentarsektion jetzt einfach Mal, um meine Erfahrung als queerer Mensch innerhalb der Szene zu ergänzen:
Ich selbst bin transgender und habe innerhalb der Szene größtenteils positive Erfahrungen gemacht. Gerade vor der medizinischen Transition.
Ich habe es eigentlich immer erlebt, dass wenn ein anderer Gothic mich als weiblich gelesen hat und ich denjenigen korrigiert habe, das einfach so hingenommen wurde. Die Person hat sich ohne großes Drama entschuldigt und dann die richtigen Pronomen verwendet. Außerhalb der Gothic-Bubble habe ich leider oft das Gegenteil erlebt; Ich musste (und muss es teilweise immer noch) mich rechtfertigen oder mir wurde schlicht meine Männlichkeit aberkannt, da man doch „eindeutig erkennen würde, dass ich ein Mädchen sei“.
Auch habe ich es beim Spontis Family Treffen zum letzten WGT das erste Mal erlebt, dass ich außerhalb einer rein queeren Bubble wie selbstverständlich nach meinem bevorzugten Pronomen gefragt wurde.
Tatsächlich habe ich in der schwarzen Szene oft mehr Angst, nicht akzeptiert zu werden, weil ich nicht „gothic genug“ bin, anstatt aufgrund meiner Geschlechtsidentität oder Sexualität. Auch wenn mir das zum Glück bisher wirklich sehr selten passiert ist.
Ich habe bisher überwiegend positive Erfahrungen gemacht, die ich keineswegs missen möchte. Ich hoffe, dass ich allen Gothics (und generell Menschen), denen ich begegne mit der selben Akzeptanz entgegenkomme und diese auch so aufgefasst wird.

Kerstin
Kerstin (@guest_58635)
Vor 4 Jahre

Zuerst bitte ich darum Grammtik und Rechtschreibfehler bitte zu übersehen. Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Ich lese ich schon seit ein paar Jahren mit und fand eure Artikel eiegntlich immer sehr lesenwert. Hier muss ich aber mal protestieren.

Ich bin einer der Menschen die mit dem CAI Syndrom geboren wurden und nicht nur ich finde die Sache mit dem dritten Geschlecht, so wie es dargestellt und in der Gesellschaft verstanden wird, sehr diskriminierend und ausgrenzend. Wir sind genau so männlich oder weiblich wie der Rest der Menschenheit und Ärzte können herausfinden welchen Geschlecht wir tatsächlich angehören.

Ich finde es traurig, dass man nun in Deutschland dazu übergeht uns einfach als andersartig, geschlechtslos, zu deklarieren. Im englisch sprachigen Bereich spricht man vom „othering“. Was wir und unsere Eltern in erster Linie wirklich brauchen sind die richtigen Informationen über unsere Körper und Schutz vor medizinisch nicht notwendigen Eingriffen. Hierbei geht es nicht um soziale Gender, sondern um biologische Fakten, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit bis hin zum Überleben. Diese beiden Themen Sex und Gender gehören hier nicht vermischt. Wir wollen nicht mit der Transcommunity ständig verglichen und in einen Topf geworfen werden.

Das Geschlechts ist keinesfalls irrelevant und die beiden Fortpflanzungstypen(Geschlechter) beim Memschen hat sich auch nicht der Mensch ausgedacht! Wir sind kein Beweis dafür, dass Geschlecht irgendein Spektrum ist, wenn du darauf hinaus willst. Es gibt keinerlei peer reviewte Studie die das auch nur andeutet, einzig opinion Artikel und Blog Posts existieren dazu in denen unsere Körper nur zu gerne total falsch dargestellt werden.

Ich könnte nicht CAIS sein, wenn ich nicht männlich wäre und es ist WICHTIG für uns, teilweise sogar überlebenswichtig!!!, zu wissen was mit unseren Körper los ist. Um die richtige Diagnose stellen zu können muss man wissen welchem Geschlecht wir angehören. Eine Gesellschaft und Eltern die uns einreden wir seien irgendwelche komischen geschlechtslosen Aliens oder gehören beiden Geschlechtern an hilft uns nicht weiter. Es geht sogar immer noch der Hermaphroditen Unsinn um, der sogar in diesem Artikel als Zwitter benannt wird. So etwas existiert nicht beim Menschen und beide Begriffe werden von Intersex Organisationen abgelehnt. Es ist das gleiche wie dunkelhäutige Menschen als Neger zu bezeichnen! Die einzige Möglichkeit was einem Hermaphroditen/Zwitter übehaupt nahe käme wäre eine Chimäre aus einen weiblichen und männlichen Zwilling. Ich bezweifel aber, dass daraus jemand mit vollkommen ausgeprägten Penis, Hodensack, Prostata, Klitoris, Vagina, Gebärmutter und Eisteröcken ensteht der sich auf beide Arten fortpflanzen kann. Mit DSDs hat das sowieso nichts mehr zu tun.

In meinem Fall wäre es niemals möglich gewesen, dass mein Körper etwas anderes als Spermien hätte produzieren können. Weil ich genetisch männlich BIN! Ich habe Keine Eierstöcke, keine Gebärmutter nicht mal eine komplett ausgebildete Vagina. Das hat niemand mit CAIS. Einzig mein äußerer Phänotyp ist weiblich und nur deshalb wuchs ich als Frau auf. Du sprichst vermutlich das Swyer Syndrom an. Hier werden ebenfalls keine Eierstöcke ausgebildet und das tatsächliche Geschlecht ist dennoch männlich. Ich bin auch noch nie auf eine Person wie mich getroffen die sich lange nach der Diagnose noch mit einer Genderidentität befasst hat. Die Dinge sind wie sie sind, wir werden als Frauen wahrgenommen, sind so aufgewachsen und wir haben eigentlich ernstere Probleme.

Vanja ist offensichtlich(so wie der Schreiber dieses Arikels) nicht in der Lage das biologische Geschlecht vom sozialen Gender zu unterscheiden. Mit ihrer Gender Identität gehört sie sogar unter uns einer Minderheit an. Die Mehrheit der Menschen mit DSDs fühlt sich ihrem biologischen Geschlecht zugehörig, ein weiterer Grund von Genitalverstümmelungen an Kindern abzulassen. Dass das so aufgebauscht wird und kaum einer sich um die Fakten schert wundert mich aber gar nicht mehr, wenn ich mir ansehe wie immer mehr Trans Aktivisten uns als ihre Schachfiguren und Totschlagargumente missbrauchen. Ja sogar versuchen unsere Treffen, Gruppen und Foren zu infiltrieren.

Ich habe das Gefühl, dir geht es in dem Artikel auch gar nicht um das „dritte Geschlecht“ sondern darum uns als ein Gender Werkzeug zu benutzen. Ich habe irgendwann sogar aufgehört zuende zu lesen, es ist beleidigend.

Fantôme noir
Fantôme noir (@guest_58637)
Vor 4 Jahre

 Robert : Mit Deinem Hinweis zu meinem „Dampframmen“-Kommentar hast Du völlig recht. Mir ist klar, daß manche das als einen Akt der Rebellion sehen – oder auch als ein Ventil, gerade auf Festivals. Jetzt ist WGT, jetzt kann ich aussehen wie ich will und mich geben wie ich bin, ohne die Zwänge des Alltags. Ob bewußt oder unterbewußt: im Bedürfnis, den Alltag in dieser kurzen Zeit auszugleichen, schlägt man da leicht mal über die Stränge.

Trotzdem ist das aber ab einem gewissen Level etwas, womit ich nicht „kann“. Mit manchen Menschen werde ich einfach nicht warm und meide sie oder weise sie notfalls ab – Verständnis für ihre möglichen Gründe hin oder her.
Wie geschrieben: da hab ich es bisher nicht geschafft, über meinen Schatten zu springen, auch wenn ich selber weiß, daß unter einer kratzbürstigen Schale ein liebenswerter Kern stecken kann…

Mondlichtkobold
Mondlichtkobold(@mondlichtkobold)
Vor 4 Jahre

 Robert

Sollte man sein Gegenüber zunächst als geschlechtslos Betrachten und ganz automatisch nach dem Geschlecht fragen?

Ich kann da nur für mich selbst und die Erfahrungen sprechen, die ich mit anderen queeren Menschen gemacht habe. Aber innerhalb dieser Erfahrungen kann ich sagen, dass es besser ist, jemanden nach seinen bevorzugten Pronomen zu fragen, bevor man die Person direkt in eine Schublade steckt.

Ist diese Frage überhaupt zu beantworten oder sind queeren Menschen diese Schubladen “männlich” und “weiblich” per se zu eng?

Natürlich gibt es queere Menschen, denen die binären Schubladen zu eng sind (z.B. Menschen, die sich als Nonbinär oder Genderqueer identifizieren), aber es gibt auch Menschen unter uns, die sich durchaus mit einer der beiden binären Geschlechtsidentitäten wohl fühlen.

Selbstverständlich ist auch, dass man beim „allgemeinen Geschlechterraten“ auch mal die falschen Pronomen erwischen kann; das nehme ich auch niemandem übel. Mir geht es eher um die Reaktion, wenn man korrigiert wird. Die beste Reaktion darauf ist, sich die Korrektur zu Herzen zu nehmen und zu versuchen es umzusetzen. Wenn das nicht immer auf Anhieb klappt, ist das kein Weltuntergang. Es geht dabei um den reinen Versuch, der meiner Meinung nach an sich ein Ausdruck von Akzeptanz und Respekt einer Person gegenüber ist.

Wiener Blut
Wiener Blut (@guest_58650)
Vor 4 Jahre

Früher waren die Leute katholisch oder evangelisch… Hauptsache die brachten auch Mal den Müll runter, und haben mal Rasen gemäht. ;-) Ich würde mich jetzt nicht als Toleranzapostel hinstellen. Dafür läster ich zu gerne, oder tratsche, und bin generell zu kritisch… oder humorvoll… mit mir und mit anderen. Und wo wir bei Kritik sind…. boah geht mir dieses Geschlechtszeug und Paarungsverhalten auf den…. S…enkel. Boah, das Gebimsel ist nur ein kleiner Teil des Körpers, und Sex etwas von oft „wenigen“ Minuten. Wo Leute alle was „unanständiges“ reindenken. Wenn die Schlange vor der Damentoilette zu lang ist, bei den Herren gibt’s meist freie Kabinen. Pissoar, Kabine, damit müsste ja 100 Prozent abgedeckt sein. Ja, das ist ein Klo…. mir egal wer da drauf geht, solange es kein Ferkel ist. Und das ist schon älter als die Unisextoilette. ;) Aber ich schweife ab. Mir ist anderes wichtiger…. ob erlernt, dafür entschieden, oder angelegt ist mir egal…. also jetzt auf beiden Seiten: Deshalb frag ich als erstes, wenn mir was zugetragen wird… ( oder man jemanden näher kennen lernt), nicht wie alt, Geschlecht sowieso nicht, oder sowas, sondern: und was hat der/die/das gelernt, wo/was arbeitet es und vollzeit, und wie sieht die Wohnung aus?! Und dann beobachte ich natürlich das Sozialverhalten… respektvoller Umgang. Ich lege Wert auf finanzielle Unabhängigkeit, einen interessierten Charakter mit gemeinsamen Themen auf Augenhöhe, ein gepflegtes interessantes Äußeres… das kann auch natürliche Schönheit sein, und da gibt es Höhen und Tiefen total geschlechtsunabhängig…, und eine gewisse Ordentlichkeit und Eigeninitiative. Für das Geschlecht und die Verhältnisse in die man geboren wurde kann man ja nichts, aber man kann dran arbeiten das was draus wird. Und so kucke ich auch in die Welt und Leute um mich. Das mag unhöflich, schroff, direkt… von mir aus auch eitel wirken, aber sorry…. entweder ich finde was, was mir in den Bereichen gefällt das es für irgendeinen Sozialkontakt reicht, oder näää, lieber nicht…. bzw kann ich nix mit anfangen, bzw ich bewege mich mal woanders hin…. dass liegt jetzt nicht „an dir“ aber eben doch. Keine Ahnung welche Teile der Szene, oder Teile der anderen Homo Sapiens Sapiens ähnlich denken, oder das nachvollziehen können, und das typisch Gothic sein soll oder nicht, oder besser oder schlechter ist. Es gibt auf jeden Fall positiv oder negativ romantischere Zeitgenossen.

Durante
Durante(@durante)
Vor 4 Jahre

Ich denke insbesondere bei diesem Thema muss man mal wieder zwischen der eigentlichen „Gothic-Szene“ und der größeren sog. „Schwarzen Szene“ unterscheiden – In ersterer glaube ich ist homo- & transphobie glücklicherweise wirklich viel seltener als z.B. im Rest der Gesellschaft, wenn man hingegen die gesamte „Schwarze Szene“ betrachtet sieht es fürchte ich aber ganz anders aus… :(

Sylvia_Plath
Sylvia_Plath (@guest_58726)
Vor 4 Jahre

 Durante: Kannst du konkrete Beispiele aus der schwarzen Szene nennen?

Durante
Durante(@durante)
Vor 4 Jahre

@Sylvia_Plath: Ich denke da zuerst an Erlebnisse von meinem letzten wirklich großen Festival (Mera Luna 2018). Blöde Sprüche in den Toilettenschlangen gegenüber sehr androgynen Szenemitgliedern kamen leider nicht nur einmal vor (nicht mir gegenüber, sehe selbst nicht sonderlich androgyn aus – leider).
Bei den zwei Situationen an die ich mich noch ganz konkret erinnere ging das ganze von der martialischen Bürstenhaarschnitt-Fraktion in EBM-Shirts aus. Ich pers. denke das hat auch mit dem transportierten Männlichkeitsbild in großen Teilen der EBM-Szene zu tun (auch manche Metal-Sub-Szenen ticken da imho ähnlich).

Leander
Leander (@guest_62476)
Vor 1 Jahr

Hört auf unsere Existenz zu instrumentalisieren! https://archive.is/EnFUW

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