Ein verbotener Hit der Ärzte – „Geschwisterliebe“ seit 35 Jahren indiziert

Der Titel „Geschwisterliebe“ der Ärzte steht seit fast 35 Jahren auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (die übrigens heutzutage BzKJ heißt) und darf seitdem weder öffentlich aufgeführt, beworben noch an Minderjährige verkauft werde. Ja, sogar ein Zitat aus dem Song ist nicht erlaubt, denn – wie die damalige BPjS schrieb – das Lied „verharmlost ein Sexualverhalten, durch § 171 Abs. 2 Satz 2 StGB verboten und mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist.“ Nach einer Beschwerde einer Mutter aus Witten indizierte man am 27. Januar 1987 das Album „Die Ärzte“.

Dieser ganze Vorgang war damals total „Punk“ und hat die Popularität des Songs enorm befeuert. Ich musste dieses Album haben! Glücklicherweise konnte mir meine Schwester (welch Ironie), die damals schon volljährig war, das 87 erschienene Album „Ab 18“ besorgen, auf dem der Song auch enthalten. Sie hatte natürlich keinen blassen Schimmer, was sie mir da von meinem Taschengeld kaufte. Mitsingen kann ich den Song natürlich bis heute.

In einem Interview sagt Bela B: „Ich persönlich hab mich erst mal über die Aufregung gefreut damals, eben weil das mein Bild von Punkrock war. Innerhalb der Plattenfirma haben alle so getan, als wäre es kein großes Problem.“ Es wuchs allerdings zunächst zu einem Problem heran, denn für rund ein Dreivierteljahr brachen sämtlich Einnahmen weg. Radiosender spielten keine Ärzte-Songs mehr, Konzert fielen aus, Platten wurden bei den Händlern beschlagnahmt, oder man schickte sie gleich wieder an die damalige Plattenfirma CBS zurück.

 In einer Talkshow hat mich ein Vater angeschrien, vor unseren Konzerten wurde demonstriert, Flyer gegen uns produziert und es gab Infostände zu unseren Konzerten, die gleichermaßen von der CSU und den Grünen organisiert waren. Wenn ich ehrlich bin, hat mir das schon gefallen.(Bela B im Interview mit der FAZ)

Punkiger sollten die Ärzte allerdings nie werden. Obwohl sie auch danach noch Tabus thematisierten, achtete man dann doch darauf, keine weiteren Straftatbestände zu erfüllen, bis man sich 1988 entschied, sich zu trennen. Glücklicherweise hielt diese Trennung nicht allzu lange.

Was war das damals ein verruchtes Gefühl, wenn Geschwisterliebe, neben einiger anderer Skandal-Songs der Band „Die Ärzte“, instrumental gespielt wurde und die anwesenden Zuschauer jede Zeile lautstark mitsangen. Aus heutiger Sicht – und vor dem Hintergrund so mancher aktuellen Zeilen in vielen deutschsprachigen Songs – wirkt diese Indizierung albern, trotzdem wird sie aufrechterhalten.

Unter Ausnutzung der Live-Situation“ kommt es zu solch skandalösen, aber auch denkwürdigen Auftritten der Ärzte.

Später wurden sie mit dem Song zu Helden einer rebellierenden Jugend, die den Song nicht etwa feierten, weil sie Geschwisterliebe interessant fanden, sondern weil sie sich nicht vorschreiben lassen wollten, was sie  zu hören und zu singen haben.

Für Farin Urlaub ist klar: „Man wollte an uns ein Exempel statuieren. Vielleicht fehlt mir das soziologische Verständnis, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich jemand durch diesen albernen Song zum Inzest verführen lässt.

Dennoch bleibt man sich einig darüber, dass Indizierungen nach wie vor zeitgemäß und wichtig sind, gerade wenn zu „Gewalt oder Schüren von Hass gegen bestimmte Personengruppen – oft Hand in Hand gehend, mit Entmenschlichung“ aufgerufen wird, erklärt Urlaub weiter.

Heute ist der Skandal um den Song eine nostalgische Geschichte aus der Jugend, als man sich mit den Ärzten rebellisch, aber nicht ausgegrenzt fühlte. Die Jugendlichen von damals können den Song als Erwachsene natürlich unzensiert hören und – unterstelle ich mal – mitsingen und die Jugend von heute dürften den Song wohl für einen Schlager halten, angesichts der Inhalte aktueller Songs in den weltweiten Charts.

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Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.

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Graphiel
Graphiel(@michael)
Vor 2 Jahre

Ach ja… Das Ärztealbum ab 18. Als ich in meiner Jugend mit „Skandalbands“ wie Rammstein zu experimentieren anfing habe ich damals dieses und andere Ärztealben von meiner Cousine als Vinyl geschenkt bekommen. Da fällt mir gerade ein: Die Ärzte – Schlaflied, sowie Dein Vampyr wären tatsächlich Songs, die in meiner Aufzählung der Lieblingslieder noch fehlen. Ich werde das gleich mal korrigieren. Meine Cousine löste sich jedenfalls damals von den Überbleibseln ihrer Punkvergangenheit und übergab mir dann diese Scheiben. Ich feierte das Album damals zu Beginn der 2000er tatsächlich ab, obwohl Punk damals noch nicht meine erste musikalische Wahl war und es ja auch schon einige beträchtliche Jahre auf dem Buckel hatte. Heute denke ich, das lag hauptsächlich an den eher einseitigen Assoziationen von Punk, die ich in meiner Kindheit durch meine Cousine mit auf den Weg geliefert bekam. Diese nahm es in den 80ern mit „no future“ leider etwas zu genau, als sie diversen harten Drogen wie Heroin verfiel. Sie hat aus dem Drogensumpf aber zum Glück auch wieder heraus gefunden.

Naja, genug der persönlichen Abschweifungen….

Klar kenne ich das Album Ab 18, welches im Grunde genommen ja schon fast eine Aneinanderreihung von Provokationen war. Wobei das Schlaflied inzwischen ja quasi Kultstatus erlangt hat. Selbst unter jungen Schwarzkitteln gibt es noch viele, die das Monster kennen, welches einem nachts die Augen ausstechen will. Doch ich erinnere mich da beispielsweise auch an Songs wie „Claudia“, oder „Helmut Kohl“ die ja nun ebenfalls alles andere als „gesellschaftlich passend“ waren. Übrigens kann auch ich Geschwisterliebe praktisch mitsingen. ;-)

Jedenfalls danke für den Artikel und herzlichen Glückwunsch zum öh…. Indizierungstag?

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Antwort an  Graphiel
Vor 2 Jahre

Ja, das Schlaflied… das werde ich wohl ewig, genau wie „Westerland“ und den „Bommerlunder“ der Toten Hosen mit Klassenfahrten Ende der 80er/Anfang der 90er verbinden. Auch wenn ich sonst mit meinen damaligen Klassenkameraden nicht viel musikalische Schnittmengen hatte, die Ärzte waren irgendwie bei allen Kult.

1988 ging es in den Schwarzwald. Am letzten Abend gab es in der Jugendherberge eine „Disko“, auf der fast nur die Ärzte liefen, unter anderem auch das Schlaflied, das ich bis dato noch nicht kannte.

Claudia und ihr Schäferhund liefen auch auf diversen Schulfeten, da hat niemand was dagegen gesagt… und alle haben den Text mitgesungen.

„Westerland“ hatte dann natürlich für meine damalige Klasse (ich hab ja eine Zeitlang auf Sylt gewohnt und unsere Schule war in Westerland) eine besondere Bedeutung. Es wurde schließlich der gesungene Dauerbrenner auf der Rückfahrt von einer Klassenfahrt nach Berlin… Die armen Mitreisenden durften sich das Lied bestimmt mindestens 10x anhören. Ich hab mir dabei heimlich „ich will NICHT zurück nach Westerland“ gedacht, weil ich ja eigentlich lieber wieder nach Berlin zurück ziehen wollte.

Ebenso tut mir im Nachhinein der Reisebusfahrer auf einer Klassenfahrt mächtig leid, den wir mit dem „Bommerlunder“ der Toten Hosen in Dauerschleife peinigten. Das waren noch Zeiten… ähm, ja.

@Graphiel: ein Glück, dass deine Cousine noch die Kurve gekriegt hat und nicht bei den Drogen geblieben ist!

Letzte Bearbeitung Vor 2 Jahre von Tanzfledermaus
Markus
Markus (@guest_60822)
Vor 2 Jahre

Gibt es eigentlich noch diesen alten BRAVO-Bericht aus den späten 80ern über die Ärzte mit zahlreichen Bildern, auf denen u.a. ein Grufti-Waver-Goth zu sehen ist, der mit angezogenen Beinen auf einem Mauervorsprung sitzt? In meiner Erinnerung ein sehr ästhetischer Anblick. In dem Bericht wurde auch erwähnt, daß sich damals ganze Völkerscharen unserer Spezies auf „Ärzte“-Konzerten tummelten…

Manu
Manu(@manu)
Vor 2 Jahre

Erstmal vielen Dank für das Video. Ich kannte das bisher nur als Audio.

Ich finde es erstaunlich, dass man seit Jahren versucht, die Probleme der Welt bei den Veröffentlichungen von Künstlern auszumachen. Siehe das Interview mit Marilyn Manson im Michael Moore Film – Bowling for Columbine. Man sollte lieber Kindern und Jugendlichen erklären, was es mit den eigentlichen Themen auf sich hat. Ja, das ist anstrengend und schwierig, lohnt sich aber.

Was die Indizierung angeht, kann ich verstehen, dass Die Ärzte es dabei belassen. Als ein Song der Band Slime indiziert wurde, machte man eine Version mit Piepton. Alle Leute suchten anschließend die erste Version, ohne Gepiepe. Als man später die Indizierung wieder Rückgängig machte, gab es einen Run auf die indizierte Fassung. Wahrscheinlich aus Dokumentationsgründen oder einfach weil man es cool fand. Slime hat gegen die Indizierung juristisch gekämpft, aber haben sie damit wirklich „gewonnen“? Gut, sie konnten den Titel dann stressfrei spielen, aber nicht mehr auf den Konflikt hinweisen. Das haben die Ärzte nicht gemacht, die haben einfach die Prüfstelle veräppelt und veräppeln sie noch heute, wenn sie den Song spielen bzw. haben dauerhaft einen Spiegel den sie vorhalten können. Danach haben sie begonnen sich selbst zu zensieren, denn wie sagte Rod einst: „Censored is dynamite.“.

Was nicht grundsätzlich heißen soll, dass man jeden Text auch zulässt. Es gibt genügend andere Gründe etwas zu zensieren.

Die Ansage war sicher ein Skandal, aber als Punkrocker ist man gegen konservative Kräfte auch mal bösartig. Die Ärzte haben daraus gelernt, was man ihnen nicht verübeln kann. Ich frage mich eher, wenn so etwas heute passieren würde, würde dann ein Intendant vom BR sich öffentlich und bei einer Familie entschuldigen? Würde der Moderator einer Sendung das Ganze auch aufgreifen und so deutlich ansprechen?

#@R!
#@R! (@guest_60849)
Vor 2 Jahre

1986/87 waren die Ärzte bei uns in der Region eindeutig Waver, keine Fun-Punks. Hey – das war erst die Anfangszeit des heutigen „Gothic“. Da war klamottenmäßig noch nicht alles schwarz, sondern auch viel New Romantic (ohne dass wir es wussten). Auch musikmäßig haben wir alle möglichen Rubriken durcheinander gehört. Bela B. hatte damals z.B. ein T-Shirt von W.A.S.P an. Das war nicht nur Cure und so düstertraurige Sachen, sondern auch viel Toy Dolls, Housemartins und Beastie Boys. Als Waver betrachteten wir die Rubrik „Fun-Punk“ noch nicht als etwas Negatives, das wurde erst später so mit den Brieftauben, etc. 

Das Klischee mit den Wavern in den Ecken der Discos und auf Konzerten stimmt übrigens auch nicht für jede Region. Bei uns ging kein Waver in irgendeine Disco und es gab zu dieser Zeit auch keine Konzerte, von denen wir wussten.

Jugendzeitschriften las keiner von den Wavern mehr. Das war bei uns absolut verpönt. Wir waren zwar alle erst 14, 15 oder 16 – aber wenn es mal eine Zeitschrift war, dann eine Biker-Zeitschrift oder dieses Magazin mit dem Interview. Jugendzeitschriften, das haben wir mit 11, 12 und 13 gelesen, so während der NDW-Zeit mit Cindy Lauper, Boy George und Kajagoogoo.

Warum wir alle die Ärzte gut fanden? Sie sangen das, was wir als Waver dachten. Wir hatten den selben Sinn für Humor und teilten auch gerne verbal aus. Dass die Ärzte verboten waren, hatte für uns natürlich auch seinen Reiz. Die Platte „ab 18“ gab es noch nicht. Wir überspielten uns Kassetten. Ende 1987 war die Waver-Welle mit den Leuten der ersten Stunde bei uns tot. Mit dem Lied „Westerland“ war es für die Ärzte bei uns dann endgültig vorbei. Die waren ab dann eine Band für alle dauergewellten Discoproller*innen. Mit uns hätten sie sowieso nicht viel Geld verdient, deshalb war das vielleicht besser so!

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