Wenn der Kommerz erdrückt: And One brechen Tour mit Unheilig ab

Mir dämmerte es bereits beim Lesen der ersten Zeilen des Artikels „Wir brechen die Unheilig Tour ab!“ auf der News-Seite von And One: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Doch zunächst zu den Hintergründen.  Die Band Unheilig befindet seit Juni 2011 auf ihrer „Heimreise Open Air“ Tour durch Deutschland und kündigte bereits im März an, dass man And One bei einigen Konzerten als Vorgruppe gewonnen hat: „Der Graf höchstpersönlich hat die Band um Frontmann und „Entertainer“ Steve Naghavi als Special Guest eingeladen.

Schnell wurden aus den Reihen der eingefleischten And One Fans Vorwürfe laut, wie man sich einer solchen Kommerzschleuder anschließen könne, denn die 1990 gegründete Band um Frontmann Steve Naghavi hatte sich immer um einen Gegensätzlichen Kurs bemüht und ist eher für provokante Inhalte und eine sehr distanzierte Art gegenüber den Medien bekannt. Wie ich bereits im Artikel „Der Graf und sein Produkt: Scheinheilig – Geschoren um zu erleben?“ schrieb, startete Unheilig mit ihrem neuen Album „Große Freiheit“ einen beispiellosen Marketingfeldzug, in dem der Graf und seine Band keine Gelegenheit ausließen, sich einem immer breiteren Publikum zu präsentieren. Ob das zusammenpassen würde?

Überraschenderweise war nach dem 3. gemeinsamen Konzert bereits Schluss, auf der Internetseite von Unheilig war zu lesen: „Es herrscht wieder mal ein bisschen Chaos im Hause AND ONE. Schweren Herzens müssen wir euch mitteilen, dass wir leider nicht mehr an allen unheiligen Konzerten als Special Guest mitwirken können und somit die Anzahl der Termine reduzieren müssen. Auch mussten wir sämtliche Autogrammstunden bundesweit absagen. Der Grund hierfür sind drastische Änderungen in der Bandstruktur.“ Was folgte, waren wilde Spekulationen über die wahren Hintergründe, denn so richtig glauben wollte man der Mitteilung nicht. Die Gerüchteküche kochte.

Heute platzte dann der Knoten und Steve Naghavi veröffentlichte auf der Seite von And One seine Sicht der Dinge, die ich in Auszügen hier wiedergeben möchte, das ganze – und sehr umfangreiche – Statement findet ihr, wenn ihr dem Link zur Seite folgt:

Vor wenigen Tagen hat Der Graf auf seiner Webseite ein Statement von mir bezüglich einiger von uns abgesagten Unheilig-Termine veröffentlicht, welches leider nur die halbe Wahrheit zeigt. Entweder war ich zu feige mit der ganzen Wahrheit rauszurücken oder ich wollte mir nicht die Blöße geben, zugeben zu müssen, dass viele von Euch Recht hatten, wenn Ihr sagtet, es sei eine schlechte Idee, mit Unheilig auf Tour zu gehen.
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Den Kommerzvorwurf hatte ich am Anfang auch gar nicht richtig verstanden, zumal ich mir sicher war, dass unsere Fans eigentlich am besten wissen müssten, dass eine Band, die „Deutscher sei Stolz“ oder „Sieger ficken keine Tunten“ singt, monatelang kein einziges Interview gibt, mit Armbinde auf der Bühne rumprollt  oder wie bei der letzten Platte nicht mal eine einzige Single auskoppelt wohl alles andere vorhat, als sich beim VIVA oder Radiopublikum einzuschleimen. Ich dachte, dass wäre allen klar!? Wer glaubt denn tatsächlich, AND ONE singt demnächst beim ZDF Sommergarten oder liest Weinachtsmärchen bei RTLII vor? Hält man mich tatsächlich für so bescheuert und Selbstverachtend, dass ich die Grundidee und das wofür AND ONE seit 1990 einsteht einfach über Bord werfe?
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Als mich der Graf gefragt hat, ob ich ihn nicht auf seiner Tour begleiten möchte, da habe ich in erster Linie an meine Konzertgeilheit gedacht. Ihr wisst doch, wie gern ich auf Open Air Konzerten wie Blackfield, Mera Luna oder Amphi auftrete. Aber die sind mir einfach zu selten und wir können auch nicht jedes Jahr auf den selben Festivals spielen. Und hier bot sich dann die Gelegenheit auf fast 30 grossen Open Air Konzerten den Affen zu machen. Voll Geil, dachte ich mir! Nichts wie hin!!! (…)
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Doch schon am ersten Tag bei Unheilig der Schock! Ein Blick ins Publikum und mir stockte erstmal der Atem. Alles normale Leute, keine Sorge!  Aber eben doch irgendwie nicht wie Du und Ich. Von der Schwarzen Szene war fast gar nichts mehr übrig geblieben. Ich stand da im Backstagebereich und lukte so durch einen Schlitz zwischen den abgehängten Gitterzäunen und dachte nur sowas wie „oje, oje! Die werden hier mit EBM und Bodypop NULL anfangen können“ und hab auch gleich meinen nächsten Fehler begangen. Hastig zurück im Backstage trommelte ich dann Rick und Joke zusammen und ich beschloss dann mal so für uns, dass ich einige Coverversionen mit ins Programm nehme. Und das 2 Stunden vorm Auftritt. Joke hätte mir dafür am liebsten die Flasche Whiskey auf dem Kopf ausgeschüttet und Rick guckte mich nur an so nach dem Motto „Du Teppichverkäufer!“. Ich dachte, ich würde das Richtige tun. Immerhin handelte es sich um Songs, die wir ja bereits schon erfolgreich auf der Cover Lover Supershow vor unseren eigenen Fans gespielt haben. Das Konzert war ok. Nicht mehr, nicht weniger. Es war ein seltsames Gefühl. Es fühlte sich so fremd an. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel. (…)

Doch nur bis zum dritten Konzert in Dresden sollte die gute Miene halten. „(…) ein Moderator betrat die Bühne und fing plötzlich an (sinngemäss), sich im Namen von Unheilig usw. bei VW zu bedanken für irgendein Sponsor Ding und dann ging es um irgendeine Sonderedition für „unter 25.000 Euro“ usw. also so ein kommerzielles Bla Bla Bla… Da wurde mir plötzlich ganz anders. Mir wurde klar, dass ich genau auf der Ebene angekommen bin, vor dem uns unsere Fans immer gewarnt hatten.“ Es zeugt von einer gewissen Stärke und Mut, sich so seinen Gedanken zu stellen und dann konsequent zu entscheiden, die Tour zu beenden. Worte ohne Taten wären zu einer hohle Phrase verkommen, ein Handeln schien zwingend erforderlich. Es kam, wie es kommen musste. Die Tour wurde abgebrochen. Das lapidare Statement auf der Seite von Unheilig reichte nicht und so beschloss der Naghavi, seine Sicht der Dinge zu schildern. Ein ehrliches Bekenntnis, das eingestehen von Fehlern und die Schilderung eigener Eindrücken formen ein sehr sympathisches Bild. Ich finde so mancher Künstler, der in einer ähnlichen Zwickmühle steckt, sollte sich auch darüber Gedanken machen, ob kurzfristige Kohle oder loyale und treue Fans ein erstrebenswertes Ziel sind.

Das ganze hin und her mit Unheilig, diese ganzen blöden Unterstellungen der letzten Zeit, die endlosen Diskussionen, die wir im Team hatten. Das alles hatte ihr auch zugesetzt und so zog dieser eiskalte Wind nun auch noch in mein Privatleben ein? Nein! Ich griff mein Laptop und schrieb das erste Statement, in welchem ich beschloss, den Grossteil der Rest-Tour mit Unheilig abzusagen. Ich wusste, ich handele auch im Sinne von Rick und Joke, da wir jetzt auch mehr zeit hätten unser Versprechen wahr zu machen, ins Studio gehen zu können und unseren Fans noch in diesem Jahr ein neues Album präsentieren zu können. Aber irgendwie hab ich hier noch nicht den Arsch in der Hose gehabt, die komplette Tour abzusagen. Ich hatte noch ein wenig Bammel vor der Tatsache, dass viele unserer Fans sich extra Unheilig Tickets gekauft hatten, um ihre Lieblingsband zu unterstützen. Und das besonders in den Städten, die ich von der Absage dann auch erstmal ausklammerte. Das sollte sich auch als Fehler herausstellen. Denn jetzt ging das Gerede erst Recht los von wegen „Hä? Wieso die und die Stadt nicht, dafür aber in der und der Stadt?“. Im Prinzip fing genau jetzt wieder das ganze Drumherum an, weswegen wir ja eigentlich schon vorher die Lust an der Sache verloren hatten. Also Echt! Wie man’s macht – man macht es falsch!!
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Ich kann es nicht mehr – Ich will es einfach nicht mehr! Das muss ein Ende haben! Ich will eigentlich nur noch mit Joke und Rick wieder zurück ins Studio und an etwas arbeiten, worauf unsere Fans Stolz sein können. AND ONE bleibt AND ONE! Jetzt erst Recht! Fans sind in solchen Zeiten wie wahre Freunde, die nicht scheuen davor, einem mal ordentlich die Meinung zu geigen! Dafür…..DANKE!

Es bleibt abzuwarten, wie anderen Bands die als Vorgruppe auftreten, reagieren. Der Druck steigt, wie beispielsweise im Forum der letzten Instanz zu lesen ist. Fakt ist, wer von seiner Musik leben möchte muss viele Wege beschreiten, wie weit das für jeden einzelnen geht, bleibt jedem Künstler selbst überlassen. Fans sind und bleiben die wichtigsten Personen im Leben einer Band, bei den einen als Bestätigung ihres Schaffens, bei anderen als Geldquelle für das eigene Leben. Wo liegt die Wahrheit? Womöglich dazwischen. Ein Extrem in eine Richtung endet in der total Isolation oder im vollständigen Kommerz. „Wie man es macht, macht man es falsch.

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Foxxi
Foxxi (@guest_15837)
Vor 12 Jahre

Danke, Danke und Danke!! Spread the words!!

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 12 Jahre

Zitat aus dem Statement:

‎“Den Kommerzvorwurf hatte ich am Anfang auch garnicht richtig verstanden, zumal ich mir sicher war, dass unsere Fans eigentlich am besten wissen müssten, dass eine Band, die „Deutscher sei Stolz“ oder „Sieger ficken keine Tunten“ singt, monatelang kein einziges Interview gibt, mit Armbinde auf der Bühne rumprollt oder wie bei der letzten Platte nicht mal eine einzige Single auskoppelt wohl alles andere vorhat, als sich beim VIVA oder Radiopublikum einzuschleimen“

Danach hatte ich eigentlich keine Lust mehr, weiterzulesen. Hab es trotzdem gemacht. Anerkennung für die Einsicht und den Mut, die Tour abzusagen. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass auch die Angst, langjährige Fans zu verlieren, massiv zu dieser Entscheidung beigetragen hat. Dennoch glaube ich Steve N. , dass er sich nicht wohl gefühlt hat.

Und nein…. ich will keine Diskussion darüber lostreten, wie die Textzeilen gemeint sind und ob And One rechtsradikal sind. Ich mag es nicht, wenn man mit dem „rechten Dreck“ herumspielt – auch nicht, um zu provozieren.

Cookie
Cookie (@guest_15839)
Vor 12 Jahre

Ich finde diese ganze Graf Diskussion etwas übertrieben. Klar er hat sich verkauft, es ist enttäuschend. Aber so Sturm laufen?

Was is denn damit?
http://youtu.be/mT8maUTzE48

http://youtu.be/-8E1kG3IbTI

Das And one öfter Bandinternen Streit hat ist bekannt – Das hier wird, glaube ich, nur ein weiterer Schlag gewesen sein der letzendlich zu ner Abspaltung von nem Bandmitgleid führt.

shan_dark
shan_dark (@guest_15840)
Vor 12 Jahre

Also erstmal: Gut, dass sie die gemeinsame Tour abgebrochen haben.

Aber: Ich hab beim Lesen der Naghavi-Zeilen gedacht: hat der das wirklich selbst geschrieben? Als ich dann am Ende ankam, wusste ich JA, er hat. Dennoch hinterlassen diese eigenartigen Zeilen, die zwar schon ehrlich sind, aber irgendwie auch nicht von Größe und besonderer Intelligenz zeugen, bei mir einen unangenehmen Eindruck von Steve Naghavi. Ich finde es sicher gut, wenn jmd mal offen einen Fehler eingestehen kann, aber man muss nicht alles auswalzen und ausbreiten von der Tour und so manche Argumente (siehe orphis Zitat, da bin ich gestockt) klingen sehr ‚einfach strukturiert‘.
And One und Herr Naghavi wären bei mir in besserer Erinnerung geblieben, wenn sie die gemeinsame Tournee einfach mit einem knappen Statement a la „Liebe Fans, das war ein Fehler – wir steigen aus!“ abgebrochen hätten und nicht auf diese anbiedernde, sensationsgeile Art.

Trotzdem gibt es 1-2 Sachen von And One, die ich mag – das wird auch so bleiben.

Sheik Yerbouti
Sheik Yerbouti (@guest_15841)
Vor 12 Jahre

Mir kommt das alles seltsam vor.

Epitaph89
Epitaph89 (@guest_15843)
Vor 12 Jahre

Sicherlich hätten sie mit der Tour langfristige Fans vertrieben, aber das hört den Grafen auch nicht gestört. And One könnten mit dem richtigen Marketing auch weit in die Charts kommen, deshalb finde ich die Entscheidung sehr gut.

PS. Ich finde Zeilen wie „Deutscher sei stolz“ weitaus harmloser als Begriffe wie „rechten Dreck“;)

Marcus
Marcus (@guest_15846)
Vor 12 Jahre

 Cookie:

Dass ein Ozzy Osbourne längst „seinen Frieden“ mit Medien und Konsumgesellschaft geschlossen hat, ist unstrittig. Auch darüber könnte man diskutieren. Ich denke, dass dies alte Black-Sabbath-Fans ggf. auch machen bzw. sich längst von Ozzy Osbourne abgewendet haben.

Und ein Herr Manson ist und war sowieso immer nur ein Kunstprodukt. Man mag die Musik oder auch nicht – es ist nur Musik. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Graf und Unheilig haben sich selbst einen Platz in der „schwarzen Szene“, die ja die Spaßgesellschaft ablehnt (zumindest war das einmal ein grundlegendes Merkmal), gesucht. Natürlich sind die Fans dann „irritiert“, wenn man plötzlich in allerlei „Spaßmachersendungen“ auftritt und scheinbar seine früheren Ideale (die so vielleicht nie vorhanden waren) mit Füßen tritt.

Es stellt sich eben die Frage, wie weit man als Musiker gehen darf, um seine Musik zu vermarkten. Durch einen gewissen Ausverkauf wird Musik ihrer Seele beraubt. Doch ab wann wird aus Musik durch Vermarktung nur noch ein gefühlloses Produkt? Jeder zieht seine persönliche Grenze an einer anderen Stelle…

Dass And One einen bandinternen Streit führen, glaube ich weniger. Zumindest wurde die Band in diesem Jahr ja erst neu formiert, sprich die beiden Musiker hinter Steve Naghavi wurden durch „alte Bekannte“ ersetzt.

Cookie
Cookie (@guest_15858)
Vor 12 Jahre

Aber eine Neuformierung ist kein Garant für Erfolg^^ Letzendlich zeigt nur die Zeit was genau dahintersteckt.

Aber ich nehm mein Argument zurück. Es ist berechtigt. Auch wenn es einer Komik nicht entbehrt.

Sheik Yerbouti
Sheik Yerbouti (@guest_15861)
Vor 12 Jahre

Naja… mehr oder weniger sind alle „großen“ schwarzen Bands ins Seichte abgedriftet. Der Graf zeigt es nur am Extremsten.

Meine letzte Hoffnung ist noch Diary Of Dreams. Mal sehen, wie das neue Album wird. Ansonsten kann ich für mich nur sagen, daß ich mich aktuell-musikalisch längst aus der Szene verabschiedet habe. Wenn es nur noch um Fantasiewelten und/oder Provokation geht, anstatt um die Realität und darum, nachzudenken und andere zum Nachdenken anregen zu wollen, ist für mich kein Platz mehr.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 12 Jahre

@Sheik Yerbouti

Auch wenn ich nichts gegen „Fantasiewelten“ habe und auch gerne mal Musik (Texte) höre, die eben die Fantasie anregen, stimme ich grundsätzlich überein. Mein Verständnis von Kunst ist unmittelbar mit einem wachen Blick auf die Gesellschaft und der Reflexion des eigenen Standpunkts verbunden.

Ich habe nichts gegen emotionale Texte, die ebenso in die Tiefe führen können. Ein gewisses Maß an Provokation darf auch ruhig sein, aber wenn sich die Texte auf hirnlose Kraftausdrücke oder triefende Schlagersänger-Theatralik beschränken… nein danke.

Wenn man aber jenseits der Mainstream-Szenezeitschriften im Underground gräbt, findet man schon ab und zu noch authentische Bands mit etwas anderem Anspruch als dem, mit ihrem Namen das nächste VW-Modell zu verzieren.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 12 Jahre

Da ist aber einer auf den Geschmack gekommen. Brief an die Fans Nummer 2 könnte man wahlweise auch als Buch anbieten:

https://www.facebook.com/ANDONEoffiziell/

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