Video: Cooltour – Zur Jugendszene 1985

Köln, Alter Wartesaal. Die in fades Licht gehüllte Tanzfläche ist dicht von den sogenannten Gruftis besiedelt, Frisuren formen ein erstaunliches Bild das der Skyline eine Metropole ähnelt. Glockengeläut und der Klang einer Orgel bildet den Eröffnungs-Choral in der Samstags Disco des Alten Wartesaals in Köln. Der Chor der nun die ehrwürdigen Mauern unter den Gleisen des Hauptbahnhofs zu Köln durchflutet wirft ein bizarres Licht auf die Menschen die sich im Schein der bunten Lampen tummeln. Sollte das etwa eine besonders moderne Form der christlichen Glaubensausübung sein?

Für den Außenstehenden ist die Kombination aus schweren Kreuzen, die man als Schmuck trägt und den größtenteils schwarzen Klamotten schwer zu verdauen. Für die Jugendlichen, die sich an diesem Samstag Abend in der Discothek treffen ist es das ganz eigene Verständnis von Ästhetik und nur Mittel zum Zweck die Aufmerksamkeit seines Umfelds auf sich zu lenken. Madonna hat es schließlich in ihrem 84er Video zu „Like a Virgin“ vorgemacht, Billy Idol bringt mit seinem Video zu White Wedding die Szenetypischen Stil-Elemente auf den Punkt. Ein hämmernder Beat und sprühende Funken zerreißen die andächtige Stimmung, die Jugendlichen tanzen wild zum treibenden Rhythmus der Musik…

Folgen die Künstler nun der Strömung der Jugend, oder identifizieren sich die Kids vor der Bühne mit den Künstlern in dem sie ihren Style aufnehmen? Die Frage lässt sich nicht abschließend klären, doch das ist auch nicht das, was Thomas Schmitt mit seinem Film erreichen möchte. Die Einleitung erklärt: „…Kids aus der Samstags-Disco des Alten Wartesaals, die schriller und exotischer gestylt denn je „No Future“ blöd finden und auf eine geregelte Zukunft hoffen. „Etwas richtiges werden“ wollen sie alle – am liebsten Modedesigner. Protest ist passé auch bei den jungen Kulturschaffenden aus der Szenekneipe Wave… „. Fünf Jahre zuvor, also 1980 drehte Schmitt ein Video mit dem Titel Randale & Liebe, das die deutschen Ausläufer der Punk-Bewegung zeigt, die mit ihrem Protest die Fesseln der eigenen Vergangenheit abschütteln wollen und hoffen das kalte und graue System mit Protest zu ihren Gunsten zu lenken. Die Jugend 1985 zeigt da ein anderes Bild und ist offenbar auf ihr Aussehen fixiert und schert sich nicht mehr um politische Inhalte.

Schmitt schreibt weiter: „Angesagt sind Selbstverwirklichung und Individualität. Sie machen Musik, Kunst und Mode, angetrieben von dem Wunsch etwas Eigenes zu entwickeln, aber auch unter dem Druck, in einer Zeit zu leben, in der man kaum noch Neues schaffen kann, weil alles schon dagewesen ist. Sie wollen Spaß in ihrem Leben haben und nicht ständig an Raketenbedrohung und Umweltzerstörung denken, denn den Glauben an die Wirksamkeit von politischem Protest und Engagement haben sie schon lange verloren.“

Ein verlinktes Video bei YouTube rundete die Sache für mich ab, meine Neugier war entfacht und so setzte ich mich daran mir den Film zu besorgen. Leider scheint das Werk in Vergessenheit geraten zu sein und so habe ich das Video nur direkt von Thomas Schmitt beziehen können.

Neben dem visuellen Hochgenuss von Klamotten und Styling bietet der Film noch Interviews mit den verschiedensten Vertretern. Neben den klassischen Gruftis finden sich hier auch Waver, New Romantics und Batcaver und werden zur ihrer Sicht der Dinge befragt. Obwohl Schmitt die Aussagen der Protagonisten im kurzen Teaser auf Aussehen und Styling reduziert, hat der eigentliche Film mehr zu bieten und wirft ein ziemlich genaues Bild auf die Jugend 85. Ob hier nun Klischees dargestellt werden, lassen wir mal dahingestellt, wer aber erwartet tiefschürfende Selbsterkenntnis in den Köpfen der 16-19 jährigen zu finden wird damals wie heute enttäuscht. Unterschwellig lässt sich auch vermuten, das die Szene selbst für die meisten seiner Klischees selbst verantwortlich ist. „Ich bin auch so ein bisschen Satanisch, ich glaube also nicht an Jesus ich glaube eher an den Teufel…„, vor der falschen Kamera wird aus dieser jugendlichen Selbsteinschätzung schnell ein Vorurteil, das gleiche gekleidete in einen Topf wirft.

Doch andere Dinge werden deutlich: Die meisten entwerfen ihre Outfits selbst, kombinieren geschickt viele möglichen Kleidungsstile und zeigen sich auch äußerst kreativ im Umgang mit Haarspray. Man folgt noch keinen industrialisierte Modediktat sondern nimmt die Bands und Musiker als Vorbild, den eigenen Stil zu entwickeln. Viele der Jugendlichen scheinen aus gut bürgerlichen Verhältnissen zu stammen und haben feste Vorstellungen von der Zukunft. Das fehlen des Protestes ist erst der Beginn der Spaßkultur, die hier gezeigt wird und mündet etwa 5 Jahre später in der Techno-Bewegung. Natürlich kann hier nur die Oberfläche einer Szene gezeigt werden, die 1985 auch in Deutschland in ihrer Blüte stand und die schon viele frische Subkulturen beheimatet. Hier erzählt kein Sprecher eine unreflektierte Geschichte voller Klischees und Vorurteile, hier sprechen die Jugendlichen selbst und zeigen, wie ihre Welt 1985 ausgesehen hat.

Den wahren Kern einzelner Szenen kann und will dieser Film nicht darstellen, denn der entwickelte sich stets außerhalb des Sichtbereichs der Umwelt und war immer schon auf einen kleinen Kreis von Leuten beschränkt, die jeder einzelnen Subkultur ihre Substanz und Richtung gaben. Das Video ist heute, 25 Jahre nach seiner Produktion für den WDR, ein Zeitzeuge der sich mit meinen Erinnerungen deckt obwohl ich erst 4 Jahre später zum ersten mal in eine Discothek durfte. Ich denke, die meisten die diese Zeit erleben durften werden das gezeigte Bild bestätigen können.

Cooltour – zur Jugendszene 1985

Kamera: Stephan Köster, Manfred Scheer
Ton: Heinz Zimmer
Schnitt: Thomas Schmitt
Technik: Adi Schell
Mitarbeit: Andrea Ahrens, Udo Steinmetz, Susanne Woerle
Produktionsleitung: Monika Siebert
Redaktion: Dagmar Sauerstein
Eine TAG/TRAUM Produktion im Auftrag des WDR / 1985 / 44 Min. (ARD 20:15 Uhr)

Erhältlich als DVD direkt bei thomas schmitt film in Köln.

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von Karnstein
von Karnstein(@karnstein)
Vor 14 Jahre

Zu putzig… :)
EInige Ausschnitte daraus habe ich schonmal gesehen… ich glaube, nachts auf irgendeinem Dritten Programm als es um die 80er ging. Kann aber auch sein, dass ich dort zufällig den ganzen Film gesehen habe, war jedenfalls sehr unterhaltsam.

Die …ähm… extra-ordinären Gesichter und Aussagen der drei Gruftis sind mir im Gedächtnis geblieben, und ich weiß auch noch, dass man einen von ihnen (ich glaube, den „satanischen“ [du meinst „satanistisch“, mein Junge, das ist was deutlich anderes…]) auch in einer schicken Totale gesehen hat, vor dem gleichen tristen Hintergrund, beim Versuch ganz ganz böse aus der Wäsche zu schauen. Mein Blick war jedenfalls eher neidisch an den Pikes hängen geblieben ;)

Markus
Markus (@guest_10121)
Vor 13 Jahre

Hmmmm…jo, die Outfits erinnern mich stark an die Mitte der 80er; ich denke gerade an meine Klassenreise 1986 nach Berlin zurück, bei der mir beim ersten Versuch die Einreise nach Ostberlin wegen meines Outfits verweigert wurde (O-Ton diensthabender Kontroletti am Checkpoint beim Abgleich des Perso-Fotos „Sind ihre Augen etwa schwarz angemalt??“ *g*), was nicht weiter tragisch war – auf diese Weise konnte ich mit einer netten Stuttgarter Waverin namens Frauke den Tag in Kreuzberg verbummeln.

Den kurzen Ausschnitt der Doku dagegen finde ich so nichtssagend wie alles, was „Filmemacher“ und „Journalisten“ bislang zu den Themen Wave, Gothic, Grufties produziert haben. Sicherlich haben Teile „unserer“ Szene damals am miesen Image mitgewirkt. Die damaligen Vorwürfe von „Teufelsanbetung“, „Katzenschlachten bei Ritualen“ und „nächtlichen Messen auf Friedhöfen“ waren aus meiner Sicht an den Haaren herbeigezogen, aber letztlich genau das, was die Leute über uns lesen wollten und die Auflagen der Medien steigen ließ. Es gab und gibt aus meiner Perspektive nie nur einen einzelnen, gruppenübergreifenden Grund sich in schwarze Klamotten zu werfen, die Augen schwarz zu malen, die Haare wild zu stylen und sich damit von der Masse der Leute abzuheben. Bei mir war’s Frustration, Depression, die frühreife Erkenntnis, daß man mit der Herde läuft oder untergeht. Kokettiert haben Schwarze in all ihren Facetten schon immer mit Satanismus, Religion, Okkultismus. Nicht zuletzt konnte man damals die träge Bevölkerung mit solchen (undurchdachten) Äußerungen auch noch entsprechend schockieren und sich ins Gespräch bringen.

War es der Norddeutsche Rundfunk (NDR), der damals eine Dokumentation namens „Grufties – Ein Leben im Sarg“ produziert hat, die ich bei Erstausstrahlung leider verpaßt habe und gern endlich mal sehen würde? Leider weiß ich nichts genaues zu Produzent und Herstellungsjahr.

Aber an dieser Stelle ein dickes Lob dafür, daß du so fleißig Material zusammenstellst…höchst amüsant und unterhaltsam…und manchmal kommt etwas Wehmut auf. ;o)

Coco68
Coco68 (@guest_12006)
Vor 13 Jahre

Ihr Lieben!!
Hier meldet sich mal jemand zu Wort, der 1985 im Alten Wartesaal Stammgast war und dessen halbe Clique auf diesem Video zu sehen ist.
Dabei sein war alles und wer in diesem Film zu Wort kam, hatte im Leben meist nicht viel zu erzaehlen. Leider- die groessten Dumpfbacken haben die groesste Kamerapraesenz. Der Rest der Szene bestand doch hauptsaechlich aus Studenten und Schuelern, die etwas mehr im Kopf hatten, als Haarspray oder Schminke. Viele habe ich nochmal wiedergesehen, sie sind mittlerweile Notare, Anwaelte, Aerzte oder auch Politiker geworden…
Grufties nannten wir uns damals nicht!!! Wir waren die Fraggles (nach dem Muppets-Ableger die Fraggles), da wir diesen Figuerchen frisurentechnisch am aehnlichsten sahen. Batcaver??? Bei uns hiessen die Psychos (Psychobillies).
Also, lange Rede, kurzer Sinn: Es war eine geile Zeit und wir hatten wirklich das Gefuehl, bei etwas absolut Neuem mitgewirkt zu haben-und dieses Gefuehl wird einem nie wieder jemand nehmen koennen. Heute starrt einen fast niemand mehr an, wenn man mit schwarzen Klamotten und abrasierten Seiten rumlaeuft (zumindest nicht an der Schule, an der ich unterrichte), die Kleidung laesst sich bequem im Internet bestellen und der Friseur ist auch bestens informiert. Wir haben uns damals die Haare noch selber schneiden muessen, weil´s beim Friseur nur 08/15 oder Dauerwelle gab. Extravagante Haarfarbe?? Da musste schon Lebensmittelfarbe oder (auch sehr beliebt) Autolack dann glauben. Klamotten wurden selbst geschneidert, oder in Amsterdam oder London gekauft.
Jaja, ich weiß, frueher war alles besser (stimmt ja auch gar nicht), also Schluss mit Nostalgie. Es war geil und ich war mittendrin! Und ich finde, es wird Zeit, den Wartesaal nochmal gruftig wiederzubeleben! Ist eine superschoene Location.
So, wollte nur mal klarstellen, dass nicht alle Leute, die 1985 im Wartesaal waren, soooo bloed waren (und hab wahrscheinlich selbst den bloedesten Kommentar dazugegeben). Auch heute ist es ja noch schick, eine Psychose zu haben…
Der junge Mann mit den „satanischen“ Anwandlungen ist uebrigens nach der Erstausstrahlung des Films ziemlich vermoebelt worden!!!! (armer Waldemar, aber Dummheit gehoert nun mal verhauen)
Gruesse von einem Alt-Gruftie-Fraggle

P.S. Ich finde, in diese Szene wird viel zu viel reininterpretiert! Wir hatten keine religioesen Hintergruende, wir hatten nicht mehr Stress mit den Eltern, als andere Teenager. Wir wollten abtanzen und eine tolle Zeit miteinander verbringen und fanden die Musik ganz toll. Und ja! Wir waren tatsaechlich gut drauf und sind nicht den ganzen Tag todtraurig rumgelaufen. Wir fanden es schick, Fotos auf dem Friedhof zu machen und Beklemmungsgefuehle zu bekommen, wenn wir mit dem Bus an einer Kirche vorbeikamen. Aber niemand aus meiner Clique hatte Depressionen oder war schlecht drauf. Seht es mal nicht so hochwissenschaftlich sondern einfach als Modeerscheinung! Da unterscheiden wir uns vielleicht wirklich im Wesentlichen von den heutigen Grufties. Damals hat es einfach nur Spaß gemacht, die langweiligen Leute zu schocken und die Klamotten und Frisuren finde ich heute noch so gut wie damals. (weils einfach gut aussieht!) Und die Musik war und bleibt eh THE BEST! (ewig leben die Lorries)

Amsel
Amsel (@guest_15209)
Vor 12 Jahre

Ich kann mich coco68 nur anschließen. War super geil im Wartesaal. Denke immer gerne wieder daran zurück.

Mr. Niles
Mr. Niles (@guest_24077)
Vor 11 Jahre

Als ich die Doku seinerzeit im TV gesehen habe, dachte ich „Boah, wie geil!“
Wenn ich speziell diesen Ausschnitt im Web sehe, denke ich „Scheiße, Alter – was für Kackbratzen! Hoffentlich sieht das keiner von meinen jüngeren Grufti – Bekanntschaften und denkt am Ende noch, wir wären alle so drauf gewesen“
Zum Glück war mein eigener Freundeskreis nicht so hohl… :D

LG Jörg

terilüttitti
terilüttitti (@guest_49746)
Vor 9 Jahre

Hallo coco,
das traurige an der Sache ist, das einige von denen die zu sehen sind, schwerst Heroin-Abhängig wurden.
Wir gehörten auch zu den Fraggles, hatten aber noch ne eigene Persönlichkeit bewahrt.Alles, was Du geschrieben hast, kann ich so unterschreiben. Die Mucke war einfach geil, es war eine Aufbruchstimmung zu spüren damals, wie nicht mehr die Jahre danach. Und das tolle war, man musste selbst kreativ werden und konnte wie Du schon geschrieben hast, nix im Katalog bestellen. Von daher mussten die damaligen Anhänger der dunklen Welten, sich doch tatsächlich immer dem Tageslicht aussetzen. Night Creatures loving the morning dew. Haha, musste echt viel lachen bei dem Video.

Tina
Tina (@guest_50284)
Vor 9 Jahre

…ich war ab Eröffnungstag im Wartesaal und die restlichen Tage der Woche in den Kölner Clubs unterwegs, Rocktunnel und Station waren meine Lieblingsorte…nun ich möchte sagen, dass Thomas Schmitt sich das Filmchen so zusammengeschnitten hat, wie es ihm passte, nun, sein gutes Recht, hab ich mich damals über den Zusammenschnitt geärgert, so freu ich mich Oldie solch bewegte Bilder aus einer Zeit in meinem Leben zu haben…macht Spaß :D ach ja, ich bin kein Punk, kein Comic, kein Wave, sondern nur die Tina ;)

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