Roman Rutkowski: Das Charisma des Grabes

Eine Jugendbewegung wissenschaftlich zu beschreiben ist ein Paradoxon, denn der Versuch eine Bewegung zu beschreiben scheitert meist an der Bewegung selbst. Mit seinem Buch Das Charisma des Grabes – Stereotyp und Vorurteile  in Bezug auf jugendliche Subkulturen am Beispiel der schwarzen Szene startet Roman Rutkowski einen ernsthaften Versuch. Im Rahmen seiner Magisterarbeit entstand dabei ein rund 180 Seiten langes Werk, das sich ganz besonders mit den Vorurteilen und Stereotypen beschäftigt, die der schwarzen Szene hinter herlaufen wie ein treuer Hund. Okkultismus und Satanismus, Todessehnsucht und Suizidgefährdung sowie der schleichende Rechtsradikalismus werden hier von Rutkowski sachlich erläutert. Das Buch versucht aus den spärlichen Veröffentlichungen wissenschaftlicher Arbeiten einen Konsens zu bilden und den mit eigenen Nachforschungen und Schlussfolgerungen anzureichern.

Die Einleitung liest sich daher schleppend und durchleuchtet das Phänomen der Jugendbewegung als solches, das meiner Meinung nach eigentlich gar nicht wissenschaftlich zu erfassen ist, sondern immer nur ein Versuch sein kann etwas zu unverständliches zu ergründen um es seiner Mythen zu berauben oder es einfach nur verständlich zu machen. Dennoch schätze ich den Wert solcher wissenschaftlicher Arbeiten, die immer auch Vorlage für andere Werke sein können, die sich der Grundlagen bedienen um diese weiter zu verfolgen. Idealerweise natürlich dann, wenn sachlich und gut recherchiert sind und eine tatsächliche Zeitaufnahme der Bewegung darstellen.

In seinen Betrachtungen zur schwarzen Szene geht Rutkowski sehr gründlich vor und versucht, die Szene in ihrer Struktur zu erfassen. Das er dabei nicht in die Tiefe gehen kann und so vielleicht einige wichtige Details außer Acht lässt, ist zu verschmerzen, denn das hier erzeugte Bild der schwarzen Szene geht völlig in Ordnung auch wenn es zunächst als zu oberflächlich erscheinen mag. Er unterteilt die Hauptelemente der Gothic-Kultur in die Romantik, die Mystik, den Tod, Religion, Kunst, Philosophie und das Körpergefühl und baut damit ein sehr solides und Vorurteilfreies Gerüst, das das Phänomen der Lebenseinstellung der Gothics auf vielfache Art und Weise trifft.

Interessanterweise deckt sich das mit meiner Vermutung das aus dem Anfangs als musikalisch orientiertes Phänomen ein Jugendbewegung wuchs, die sich die Inhalte der Musik zu eigen machte und daraus eine Lebenseinstellung bastelte. (siehe auch: Gothic – Die Geschichte eines Wortes)

Die Auseinandersetzung mit den Vorurteilen Satanismus, Todessehnsucht und Rechtsradikalität zeigt wieder einmal deutlich, nichts davon ist  die Wahrheit. Rutkowski versucht durch eine Vielzahl von Quellen eine Belegung und fasst diese in seiner Magisterarbeit zusammen. Eine empirische Umfrage bei Szenemitgliedern wirkt gut gemeint und ist im Rahmen dieser Arbeit sicher notwendig gewesen, sie verliert aber wegen mangelnder Beteiligung (98 Befragte) der Tatsache das es sich nur um eine zeitliche Momentaufnahme eine Szene handelt an Relevanz. Gedankliche Trends und Meinungen lassen sich aber trotzdem erkennen und spiegeln den Zeitgeist seiner Erhebung sehr deutlich.

Das obligatorische Quellenverzeichnis unterliegt dem Phänomen seiner Zeit, denn die meisten Internet-Links zu Artikeln oder Quellen stimmen einfach nicht mehr und sind unbrauchbar.

Fazit

Rutkowski entschloss sich „aus persönlichen Enthusiasmus sowie dem Mangel an wissenschaftlicher Literatur zu dieser Jugendszene etwas abzuhelfen, entschloss ich mich zur Veröffentlichung1. Das diese so kurz ausgefallen ist liegt wohl am Rahmen der Magisterarbeit, lässt aber im Rahmen einer Buchveröffentlichung einiges an weiterreichenden Informationen vermissen. Daher bleibt das Buch hinter den Möglichkeiten des Autors zurück und lässt allenfalls eine erste wissenschaftliche Auseinandersetzung erkennen, die aber als Basis sehr solide und Qualitativ hochwertig ist und so den Kauf durchaus rechtfertigt.  Es beschreibt genau das, was Gothic als Lebenseinstellung bietet, was diese ausmacht und welchen Vorurteilen man sich konfrontiert sieht. Der Preis von 19,90€  ist allerdings etwas happig (Amazon) und lohnt sich nur bedingt für Szene-Interessierte und bleibt eher eine Empfehlung für Informationsjunkies und solche, die es werden wollen. Rutkowskis persönliches Fazit möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen, denn genau das ist es, was 6 Jahre später eingetroffen zu sein scheint:

Und nun, auf den letzten Zeilen dieser Arbeit, möchte sich der Verfasser anmaßen, der Schwarzen Szene einen gewonnenen Eindruck mit auf den Weg zu geben. Ob sich die Schwarzen in einem natürlichen Wandlungsprozess befinden oder langsam und kaum sichtbar vom Mainstream aufgesogen werden, haben spätere Generationen zu beurteilen. Doch eines offenbart sich leider öfter und öfter: ein Verlust an Authentizität. Denn mittlerweile verursacht die Konfrontation mit realen Objekten des Todes, einem Schädel etwas, bei vielen Schwarzen mehr Unbehagen, als man doch gemeinhin vermuten sollte… Und es wäre höchst bedauerlich, wenn sich Gothics am Ende lediglich nur noch über Musik und eine möglichst extravagante Mode definieren würden. Dann nämlich hätte sie ihre Einstufung als „Subkultur mit Inhalten und Werten“ beinahe verwirkt. 2

Einzelnachweise

  1. Roman Rutkowski: Das Charisma des Grabes – 2004,  Books on Demand Gmbh, S. 9[]
  2. Roman Rutkowski: Das Charisma des Grabes – 2004,  Books on Demand Gmbh, S. 170[]
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