Black Celebration: Schwarze Fetzen aus 20 Jahren Wave-Gotik-Treffen

20 Jahre ist es nun schon her…“ Seufzend sitzt der schwarz gekleidete Mann in den besten Jahren auf der Wiese des AGRA-Gelände, stützt das geschminkte Gesicht auf die mit Ringen verzierten Hände und beobachtet das mittlerweile schwarz-bunte Treiben, das sich wie eine schillernde Schlange an ihm vorbeischlängelt. Erinnerungen sind das, was übrig bleibt – schwarze Fetzen aus 20 Jahren Wave-Gotik-Treffen.

Alexander Nym, der sich schon mit seinem schwarz-brachialen Werk „Schillerndes Dunkel“ einen Namen machte, hat zusammen mit Jennifer Hoffert ein Jubiläumsbuch zu 20 Jahren Wave-Gotik-Treffen herausgebracht, in dem er nach bewährtem Muster wieder zahlreiche und namhafte Autoren dafür gewinnen konnte, aus ihrem Erfahrungsschatz zu berichten. Jedes Jubiläum braucht eine Festschrift, „Black Celebration“ – und soviel möchte ich vorwegnehmen – schickt sich an, genau diese Rolle zu bekleiden.

Ich war im Vorfeld skeptisch, was die Auswahl der Autoren anbelangte, wurde aber positiv überrascht, denn Nym gelingt ein Brückenschlag von der künstlerischen Seite des WGT zu den Besuchern, treuen Anhängern und Einwohnern der Stadt Leipzig. Die Mischung aus Erfahrungen, Ereignissen, Anekdoten und Analysen ist eben so vielfältig wie die Szene selbst, die Abwechslung ist erfrischend und interessant.

Mit dabei sind beispielsweise Mark Benecke (Autor/Kriminalbiologe), Bruno Kramm (Das Ich), Andreas Plöger, Marcus Rietzsch (Pfingsgeflüster), Mark Foreman (Sadgoth) und Myk Jung (Schementhemen), Holger Karas (Seventh-Sin) oder die beiden Japaner Kenji & Masa sowie die Aufzeichnung der illustren Wohngemeinschaft vom Hotel Gustav-Adolf, um nur einige der insgesamt 19 Autoren zu nennen.

Was man ein wenig vermisst, ist der Blick hinter die Kulissen des Treibens, aber vielleicht ist das auch gar nicht notwendig, denn das wirklich spannende ist ja das Treffen selbst. Die Veranstalter zimmern den Rahmen, die Stadt Leipzig ist die Leinwand und die Besucher sind das Gemälde. Alexander Nym schreibt in seinem eigenen Beitrag sehr treffend: „Das WGT bezog einen Großteil seines frühen Reizes aus der Widersprüchlichkeit, einer Horde von Individualisten, Einzelgängern und paranormalen Freaks ein Forum zu bieten, in dem Gemeinschaft über den lokalen oder regionalen Rahmen hinaus praktiziert werden konnte.“  Mit Marcus Rietzsch oder Mark Foreman hat man darüber hinaus zwei sehr leidenschaftliche Anhänger des Treffens als Autoren gewonnen, die weit über die Grenzen des normalen für das Wave-Gotik-Treffen engagieren.

Black Celebration - Ploettner Verlag (innen)Marcus Rietzsch bringt seit 2005 das Pfingstgeflüster heraus, dass „aus dem Wunsch heraus, das unvergleichliche, während der Pfingsttage in Leipzig vorherrschende Flair für uns und andere länger zu bewahren und die Schwermütigkeit zu mildern (…) einen umfassenden Rückblick mit großformatigen Bildern Stimmen und Stimmungen und Schilderungen persönlicher Erlebnisse“ entstanden ist. Der Engländer Mark Foreman, der mit seiner hingebungsvoll gefüllte Internetseite Sadgoth einer der informativsten englischsprachigen Internetseiten geschaffen hat. „Ich wollte anderen die Möglichkeit geben, meine Freude zu teilen und die Zuversicht zu haben, hinzugehen.

Es sind die großartigen Sichtweisen, die das Buch ausmachen und eine Essenz von dem bilden, was man für ein solches Treffen empfinden kann. Nehmen wir die beiden Japaner Kenji & Masa, die seit 10 Jahren aus Osaka anreisen um dabei zu sein oder Klive Humberstone von In the Nursery, der Backstage vom unglaublichen Monumentum II (2007) spricht, während einige Seiten weiter das „Hotel Gustav Adolf“ davon berichtet, wie es in Leipzig zu einem schwarzen Refugium mutierte. Interessant ist auch die Analyse einer Szene-Umfrage von Marliese Weißmann & Nicole Sachmerda-Schulz: „Während das Interesse an Religion hoch ist, bezeichnet sich eine große Mehrheit von 78,2% als nicht religiös, und nur 27,9% gehören einer Religionsgemeinschaft oder Konfession an.“ Als ich das Buch vom Plöttner Verlag (inzwischen Insolvent) zur Verfügung gestellt bekommen habe, schrieb Judith Poprawa auf einer handschriftlichen Karte: „Ich wünsche viel Freude bei der Lektüre.“ Und tatsächlich, ich hatte viel Freude.

Ja, es ist die Mischung die mir besonders gut gefällt an dem kleinen und handlichen Buch.  Die Texte sind abwechslungsreich und sprachlich bunt gemischt, und bieten vom Wortgewitter bis zum leidenschaftlichen Erfahrungsbericht ein wenig „echtes“ Gefühl für das Herz der Szene und dieses einzigartige Treffen. Die enthaltenen Bilder sind großartig und bieten neben optischen Zeitreisen auch einige bislang verborgene Facetten aus 20 Jahren. Einziger Wermutstropfen bleibt die Kürze des Werkes, denn obwohl das Buch 200 Seiten verspricht, bleiben unter dem Strich nur etwa die Hälfte davon übrig, denn alle Texte liegen auch in einer englischen Fassung vor und sind zudem auch oft durch Bilder unterbrochen. Wenn man so möchte, bleibt das Gefühl des Wave-Gotik-Treffens bestehen, denn nach ein paar Stunden lesen ist alles wieder vorbei, genau wie an Pfingsten.

Black Celebration. 20 Jahre Wave-Gotik-Treffen
zweisprachig, 16 x 14 cm, 200 Seiten in Klappenbroschur, zahlreiche Farbfotografien
Zur Zeit ist das Werk nicht zu bekommen, der Plöttner Verlag ist leider insolvent gegangen. Der Originalpreis lag bei 13€.
Coverbild: Katharina Hahn, Artikelbild: Gerd Lehmann

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tobikult
tobikult(@tobikult)
Vor 12 Jahre

Auch von mir eine Kaufempfehlung! Mein einziges kommerzielles Mitbringsel vom diesjährigen WGT!

Epitaph89
Epitaph89 (@guest_15649)
Vor 12 Jahre

Kann mich der Kaufempfehlung wirklich nur anschließen. Eine schöne Auswahl von unterschiedlichsten Menschen. Ist für mich neben der „Gruft“ von Christian von Aster, allein schon das WGT wert gewesen. Es gibt noch gute Szene-Literatur!

Tialda
Tialda (@guest_15652)
Vor 12 Jahre

Ich kann euch nochn anderes, aber weniger gutes Buch vorstellen:

Zola
Zola (@guest_15653)
Vor 12 Jahre

Den Beitrag von Mark Benecke, den er beim WGT aus diesem Buch las, kann man auch online sehen.

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In der Kürze liegt nicht immer die Würze. Obwohl das Buch von seiner Aufmachung und Gestaltung als gelungen bezeichnet werden kann und seine Zwei-Sprachigkeit innovativ ist, bleibt der ausführliche Inhalt etwas auf der Strecke.Black Celebration: Schwarze Fetzen aus 20 Jahren Wave-Gotik-Treffen