Einblick: Der internationale World Goth Day 2016

Also ich habe ihn verpasst, den World Goth Day 2016, der am Sonntag, den 22. Mai 2016 stattgefunden hat. Möglicherweise war ich der Post-WGT-Depression erlegen und hatte an diesem Wochenende einfach mal die Nase voll vom schwarzen Zirkus. Dabei konnte man ganz bequem von zu Hause dabei sein, denn der WGD, wie man ihn nennt, ist ein nahezu rein virtueller Tag. Die internationale Gothic Community nutzte den Tag, um sich selbst, ihre Musik oder auch ihre Produkte in den Vordergrund zu drängen. Twitter kanalisierte alle eingehenden Links unter dem Hashtag #WorldGothDay, eine Facebook-Seite und eine Internetseite gibt es auch. Wenn schon virtuell, dann richtig. Die Selbstbeschreibung, die man findet lautet demnach auch:  „World Goth Day is exactly what it says on the wrapper-a day where the goth scene gets to celebrate its own being, and an opportunity to make its presence known to the rest of the world. This day falls on 22nd May of every year.“ Die Idee der beiden DJ’s Martin Oldgoth und Cruel Britannia ist mittlerweile zum Selbstläufer geworden und fand bereits zum 7. mal statt. Gönnen wir uns einen kleinen Rückblick auf das, was Presse und Szene zum „Tag der Szene“ sagen und sinnieren darüber, ob wir einen „World Goth Day“ überhaupt brauchen.

Die Autorin Alice Wright der Nachrichtenseite Metro wählt zum World Goth Day die 13 besten Goth Songs der 80er und überlasst dem Leser dann zum Schluss in einer Umfrage die Qual der Wahl. Goth or Not? 57% finden ein paar der Songs gruftig, 30% finden die Wahl toll und 13% letztendlich dagegen. Immerhin kommt Wright zu dem Fazit „The Gothic canon is wide and varied and some of it very obscure, this by no means definitive list was only meant to highlight songs that mean something to me personally, or were influential and possibly recognisable.“  Das erklärt wenigstens einige Ausrutscher, so wie den Song „So alive“ von Love and Rockets, den ich so gruftig finde wie Eis am Badestrand.

Die altehrwürdige BBC lässt sich vom World Goth Day inspirieren und titelt: „The waterpark for goths and other things we learned on World Goth Day“ – Ein Interview mit einem der WGD-Macher Lee (Cruel Britannia), dem Blogging Goth Tim Sinister und John Waterpark, der die Weltweit einzige Badelandschaft für Grufties im US-amerikanischen Tennessee betreibt. WTF?! Anyway. Eine illustre Runde jedenfalls. Neben so intelligenten Fragen nach dem besten Haarspray gibt es auch erbauliches (mit viel Phantasie): „Is there A pressure to look glum? [Anm.d.Red.: Böse gucken] Tim: A good goth should know when to break character. John: We love having fun. Laughing, smiling, dancing, getting drunk, and splashing around or floating lifelessly on a black pleather raft in the lazy river. Lee: I don’t think there is any pressure to look gloomy or miserable. People do go into absolute panic when they see a goth walking his dog or doing the ironing though.“ Offensichtlich nicht ganz ernst gemeint versucht der Artikel lustig zu sein. Er versucht es zu mindestens.

Das Magazin Independent geht gleich in die vollen und nennt seinen Artikel über den Tag der Gothics „World Goth Day 2016: Shedding some light on the darkness of a much-maligned subculture„. Uhhh. Gruselig. Der befragte Dr. Xavier (nicht der aus X-Men, sondern ein echter) Aldana Reyes beschreibt die Goth Szene: „The Goth scene has its antecedents in pre-punk acts such as Alice Cooper, and UK proto-punks The Damned. And it was the late-Seventies post-punk bands, such as Bauhaus, The Cure and Siouxsie and the Banshees, who created its music, often characterised by languorous instrumentals or pounding drums. However, Goth is notoriously hard to define, says Dr Xavier Aldana Reyes, senior lecturer in English Literature and Film at Manchester Metropolitan University.“ Ich muss nicht zustimmen weil es von einem Doktor kommt, oder? Ich halte die „Szene“ für ein völlig autonomes Phänomen, das sich Anfang der 80er verselbständigte. Goth im Sinne von The Damned, Bauhaus oder The Cure beschreibt die musikalische Entwicklung des Genre Gothic. Und die hat nur eingeschränkt etwas mit der daraus resultierenden Szene zu tun. Behaupte ich jetzt mal ganz frech.

Tim Sinister, der Blogging Goth, schreibt „World Goth Day: The Goths Write Back“ und veröffentlicht das gesamte Interview, das er dem Independent gegeben hat, aber von dem (wie immer) nur ein Bruchteil zu lesen war. Bei ihm erfährt man jedenfalls immer, wie es um die Szene in England bestellt ist. „At the same time, Goth culture in the UK is very diffuse, and apart from festivals and gigs, people tend to remain in small, isolated communities in cities and towns. Even online, the natural groupings of Goths in just one place tend not to mingle or crossover, so we end up with tribes within the large Goth tribe!“ Es macht daher Sinn, den WGD Online zu veranstalten. Ein rein britisches Phänomen? Die deutsche Community erscheint mir deutlich treffenfreudiger. Nicht allein das WGT trommelt tausende Gruftis zusammen, sondern auch zahlreiche Mini-Festivals und kulturelle Veranstaltungen sorgen regelmäßig für schwarze Aufläufe für Gothic aus dem gesamten Land.

Brauchen wir einen World Goth Day?

Mankool Los Angeles
Ein Tweet von „Mankool Los Angeles“: It’s World Goth Day and we’re going to see The Cure!! #ladydate #bff #worldgothday #thecure #la #trouble by shire…

Es ist durchaus interessant, auf gesammelte Art und Weise etwas über die internationale Szene zu erfahren. Denn tatsächlich gibt es „Gothic“ keine internationale Definition, der man folgt um gruftig zu sein. Die Szene wird in jedem Land ein kleines bisschen anders zelebriert, basierend auf dem, was man als Information über die Szene vorfindet. Nehmen wir als Beispiel die Südamerikanische Community, die feiern Gothic so, als gäbe es kein Morgen. In Mexiko, Brasilien, Argentinien und Peru und auch in Kolumbien, Chile oder El Salvador ist die Gothic-Szene eine Epidemie geworden. In der Auflistung der Veranstaltungen der weltweiten Partys zum World Goth Day hatte Südamerika die Nase vorn. In vielen der südamerikanischen Metropolen wurde entsprechende Partys organisiert.

Leider halten mich sprachliche Barrieren davon ab zu beurteilen, wie die Szene dort gelebt wird. Ist es eine Feierkultur, eine Lebensweise oder gar eine Rebellion? Vielleicht auch nur eine alternative Art sich zu kleiden? Für die Nordamerikaner, so mein Eindruck, ist Gothic in der Hauptsache ein Style, den man oberflächlich wahrnimmt und an einer Tiefe nicht wirklich interessiert ist. Gothic ist dort eher ein Sammelbecken für alternative Styling-Stile und nicht für grundsätzlich andere Lebenseinstellungen.

Einen tieferen Sinn sehe ich im WGD allerdings nicht, so erscheint er mir dann auch stellenweise wie ein künstlich generiertes Marketing-Instrument eine bereits durch und durch kommerzialisierte Szene zu sein. So gibt es hier und da einen Laden für Szene-Bekleidung der Rabatt für diesen Tag gibt, oder auch Gelegenheit für unbekannte Bands ein wenig Aufmerksamkeit zu erhaschen. Für die Vernetzung vielleicht sehr interessant, doch auch ein öffentliches Trittbrett für solche, die eins brauchen um sich selbst in Szene zu setzen.

„So far we have Mother’s Day, Fathers‘ Day, Christmas, all manner of religious holidays, some of you may even have special annual celebrations for your pets. It’s only fair that Goths get to have a day of their own too.“ (FAQ des World Goth Day)

Nein. Ich behaupte: Im Grunde wollen wir keine Aufmerksamkeit. Wollen wir uns tatsächlich hinstellen um aufgeregt auf- und ab zu springen und dabei „Hier, hier! Wir auch!“ zu rufen? Wir brauchen keinen Tag um besonders Goth zu sein, denn Goth ist man jeden Tag. Schaut man sich die Pressemeldung im ersten Teil dieses Artikels an wird deutlich, wie man zwischen Oberflächlichkeit und dem Anspruch die Szene zum tausendsten mal zu erklären, herumeiert. Für mich ist das nichts. Natürlich ecke ich mit meinen Ansichten und zuweilen auch mit meinem Aussehen irgendwo an, das wird sich auch nicht ändern, wenn ich jeden Tag erkläre warum und wieso ich das tue. Es liegt in der Natur des Menschen, sich die Dinge möglichst einfach zu machen und abzulehnen, was man nicht versteht.

Fazit: Wie heißt es so schön? Leben und leben lassen. Ich habe nichts gegen den World Goth Day, ist er doch auch eine willkommene Gelegenheit, wieder mal über den Tellerrand zu schauen. Ich finde es spannend, was sich in Südamerika zu entwickeln scheint und bin neugierig, wie es weitergeht. Einen Feiertag brauche ich jedoch nicht, finde auch alle anderen genannten Gründe, einen Feiertag abzuhalten, doof. Im Allgemeinen sind sie aber toll, nicht zuletzt wegen dem freien Tag.

 

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