Rückblick: Die Sonne brennt heiß: Mein kleines WGT Tagebuch (2)

Samstag, 22. Mai 2010: Die Nacht war viel zu kurz, aber Frühstück gibt es nur bis 10 Uhr. Das Bild von verschlafenen Grufties die schwarz gekleidet durch den Frühstücksraum schlurfen entschädigt für die Entbehrungen der Nacht. Heute werde ich ein zwei Interviews durchführen und bin schon entsprechend aufgeregt und versuche mich noch einmal thematisch vorzubereiten. Wir fahren erst mal ins Zentrum, wollen die Moritzbastei besuchen und uns unter die Leipziger Bevölkerung mischen um die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besuchen. Ein tolles Bild, überall gibt es schwarze Ansammlungen die das Stadtbild entschieden beeinflussen. Offenbar verwirrt zeigen sich andere Besucher von Leipzig, sind aber nicht scheu die fremde und schwarz gekleideten Menschen in ihre Stadtbesichtigung mit einzubeziehen.

Hätte ich doch eine Kopfbedeckung mitgenommen, es ist noch nicht ganz Mittag und ich spüre schon wie sich mein Kopf bedenklich erhitzt. Pünktlich treffe ich auf Guldhan mit dem ich mich in die Innenstadt setze um beim freundlichen Inder zum Interview ein Wasser zu verzehren, sehr spannend virtuelle Bekanntschaften mit reellen Eindrücken zu verknüpfen. Es ist Mittag, das riesige Gebäude des mdr spendet auch keinen Schatten, wir verziehen uns in den Keller der Bastei um ein paar kalte Getränke zu uns zu nehmen und meine Stirnsynapsen vor Überhitzung zu bewahren. Überall dunkle Gestalten, die sich hier verborgen in der Kühle der alten Gemäuer sichtlich wohler fühlen als auf der Oberfläche. Ich weiß nun, warum man das WGT nicht Wave-Gotik-Festival nennt. Es ist keins. Leipzig ist über Pfingsten der größte Treffpunkt für schwarze Gemeindemitglieder aus aller Welt, die Musik ist ein angenehmes Beiwerk aber nicht der Mittelpunkt.

Moritzbastei UntertageIm Park treffe ich auf Rosa Chalybeia mit der ich auf einer Bank ein interessantes Interview führe, das lediglich durch einige Fotowünsche unterbrochen wird. Wir verabreden uns erneut für den Besuch im Spiegelpalast am Sonntag, denn da findet der Göttertanz statt, heute Abend stehen Veljanov (Deine Lakeien) und die When we were Young Party und so machen wir uns auf in Richtung Parkbühne. Trotz dichtem Gedränge halten wir bis zum Schluss durch und werden nicht enttäuscht.

Bevor wir die Party entern, wollen wir noch etwas „vernünftiges“ essen. So kehren wir in ein vollkommen leeres Restaurant ein, von dem wir eigentlich schon vermuteten es sei geschlossen, doch unser Hunger sollte gestillt werden. Mit dieser Grundlage machen wir uns auf die Suche nach dem Club im Kaufhaus, der um ein paar Ecken direkt in der Innenstadt beheimatet ist.

Er hat gerade geöffnet und niemand zeigt sich sonderlich Bewegungsorientiert. Wie düstere Panther scheinen skurrile Gestalten die Tanzfläche zu umringen die nur darauf warten, das die erste Beute ihrem Bewegungsdrang freien Lauf lässt. Bei „Alice“ ist es um mich geschehen, obwohl ich nicht der erste bin tauche auch ich ein in den Nebel der wandernden Leiber und bringe die Sohlen meiner Pikes auf ein angenehmes Temperaturniveau. Gute Party: Ü30 für Grufties. Erst als deutlich wird, wie viele dunkle Gestalten sich in die Räumlichkeiten drängeln können, ziehen wir die Reißleine und verschwinden. Es ist 1:30.

Es fahren nur Busse, die sogenannten Nachtexpresse. Nach Studium des Fahrplans bin ich überzeugt richtig zu sein und lasse mich auch von der Durchsage fremder Haltestellen nicht aus dem Konzept bringen. Manchmal kann ich so bescheuert stur sein. Erst als die Lichter immer weniger werden und der Bus immer leerer geht mir ein Licht auf, doch da ist es schon zu spät, wir haben die Endstation Schkeuditz erreicht. Eine kurze Kommunikation mit dem Busfahrer offenbart: Wir habe die Haltestelle an der wir aussteigen mussten grob verpasst. Der Morgen graut als wir die Straße zum Hotel entlanggehen. Das innere Ego heult während ich die Schmach zu Bette trage.

Sonntag, 23. Mai 2010: Von 50 Paar Augenringen gemustert nehmen wir das Frühstück zu uns. Wir beschließen nach dem Frühstück noch einmal die Matratze mit unserer Anwesenheit zu verwöhnen, doch ich kann nicht schlafen und gebe mich einem ausgiebigen Körperpflegeprogramm hin. Meine rote Stirn versorge ich mit Feuchtigkeitsspendender Lotion. Blödheit und Arroganz wurde bestraft. Wir brechen auf um das heidnische Dorf und den Markt auf dem Agra-Gelände zu besuchen. Das Dorf präsentiert sich in bestem Wetter und ist gut besucht, zwischen den unzähligen Fressbuden findet man immer wieder Perlen der Accessoire-Kunst. Wir gönnen uns dringend benötigte Entspannung und schauen dem bunten Treiben auf dem Markt aufmerksam zu.

Da hier auch nicht WGTler gegen die Zahlung eines Obolus Einlass erhalten, ist das Treiben sehr bunt und zahlreich und führt nicht selten zu Stauungen an den Knotenpunkten des angenehm schattigen Geländes. Viele haben sich hier einfach niedergelassen und lauschen den Darbietungen der Bühnen, andere vervollständigen ihre Sammlung mittelalterlicher Gegenstände, so wie Spontilienchen, die hat jetzt ein Horn.  Am Gürtel wohlgemerkt.

Die Zeit bis zum Auftritt von Faith and the Muse verbringen wir damit, die Flaniermeile des AGRA-Geländes zu bestaunen wobei auch das ein oder andere Kommentar unsere Münder verlässt, die eigentlich den Einsatz von Kernseife erfordern um den Läster-Geschmack wieder aus dem Rachen zu bekommen. Eigentlich sollte ich mich wohl schämen, tue ich aber nicht, denn mir geht´s saugut. Das Konzert ist ziemlich großartig, Monica Richards hat eine tolle Ausstrahlung und tritt in einem sehr atemberaubenden Kostüm auf, das nur noch von der Vielseitigkeit der Stücke übertroffen wird. Ähnlich wie die Alben erinnert auch der Bühnenauftritt an ein Konzept, das von Taiko-Trommeln und klassischen Instrumenten neben anständigen Gitarren und treibenden Beats geschmückt wird.

Wieder einmal treibt es uns zu nächtlicher Stunde in den Spiegelpalast. Heute findet ja der von Rosa so gelobte Göttertanz statt, den ich mir nach dem lieblichen Lobgesang nicht entgehen lasse. Ich decke zwei Geheimnisse auf: 1.) Der Tanzstil „Bodenwischen“ ist nur möglich, wenn man einen Reifrock trägt, das dieser bedingt durch seine Größe und Bauform den Tanzstil eigentlich schon vorgibt. 2.) Göttertanz heißt so, weil es eben so aussieht wenn die Damen und Herren der Schwarzromantik die Tanzfläche reinigen. Bei einigen Lieder kann ich ebenfalls nicht bei mir bleiben und versuche die Fläche des Tanzes durch den „Staubsaugertanz“ noch einmal nachzubessern. Zwischendurch ein netter Plausch mit Rosa, die mir von ihrem nächtlichen Treffen mit einem gelben Engel berichtet. (Hier nachlesen) Ich bin fertig, meine Füße hassen mich. Draußen befeuchtet der erste Regen Leipzigs Straßen.

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