24 Stunden Mera Luna 2011: Gothic-Alarm in Hildesheim

Das Mera-Luna Festival in Hildesheim ist das Gothic-Festival mit dem größten Zeltplatz. So würde ich das Spektakel auf dem Flugplatzgelände in der Nähe von Hannover wohl am ehesten beschreiben. Auf Sat.1 wurde am Mittwoch die Reportage „Grüße aus der Gruft“ aus dem Jahr 2011 ausgestrahlt, die einen Eindruck von dem Festival vermitteln möchte und dem Zuschauer vermitteln könnte, dass das die Essenz eines Gothic Festivals ist. Ich hätte mich schon längst aufgeregt, wäre da nicht das Fünkchen Wahrheit drin, das viele sich nicht eingestehen wollen und der Hauch Objektiviät, vor dem wir nur zu gerne die Augen verschliessen.

Ist es das, was der unbeteiligte Zuschauer vom Mera Luna erwarten darf? Welches Bild vermittelt es dem Interessierten? Eine interessante Begegnung am gestrigen Donnerstag soll dazu nicht unerwähnt bleiben. Auf einem hiesigen Second-Hand-Markt kamen wir mit 2 Damen ins Gespräch, die auch die getragene Gothic-Kleidung ihre Schützlinge feil boten. Interessanterweise hatte beide den Bericht gesehen und kamen einhellig zu dem Ergebnis, dass sie das alles sehr interessant finden und auch schon überlegt haben, selber mitzufahren um sich das Ganze aus der Nähe anzuschauen. Vom befürchteten schlechten Bild, dass diese Reportage vermitteln könnte, war dabei nichts zu sehen.

Rebecca aus Dillenburg

Vermutlich bin ich selbst voreingenommen und erwarte, dass das schlechte Licht, dass ich in solchen Sendungen sehe, auch automatisch von anderen so aufgenommen wird. Offensichtlich ist das aber nicht so. Ich hätte mich auch stundenlang aufregen können, wäre da nicht die Einsicht, dass Dinge manchmal wirklich so aussehen, wie ich sie nicht sehen will. Worum geht es also?

Das Grundgesetz jeder Gruftie-Party: „Zeig allen, wer du bist oder dass, was du sein willst.““  Der Begleittext zur Reportage enthält 43 Minuten lang Tatsachen und eine Reihe von Außenwahrnehmungen, die sich nicht weg argumentieren lassen. „Vor 10 Jahren war Gothic noch einem Domäne der schwarzen Szene, dann verschmolzen Heavy-Metal und Punk, Elektro und Minnegesang. (…) Es vereint die schwarze Mehrheit mit dem Kunterbunten, dem Aufgestylten und dem Fetischsten. Es ist wie Karneval.

Fetischmodell Nadine aus Hamburg

Doch das Konzept der Sendung ist nach wie vor auf Einschaltquoten gebürstet. Man nehme einen möglichst faszinierenden, durchgeknallten, auffallenden und exhibitionistischen Protagonisten, den man zu Hause aus begleitet und der sich wie ein roter Faden durch die Sendung zieht. Es geht nicht darum einen typischen Gruftie zu filmen, sondern den Wohnzimmer-Voyeurismus der Zuschauer zu befriedigen. Menschen, die eigentlich so leben, wie man selbst, sind doch uninteressant. Und so wundert es nicht, dass in diesem Fall Rebecca genau in dieser Rolle wahrgenommen werden soll. Ein entsprechender Vorrat an gefilmten lässt sich eben so schneiden, dass diese Wirkung erzielt wird, vor allem dann, wenn solchen Statements fallen: „Ich fahr total unvoreingenommen dahin, ich weiß nur, dass ich besoffen sein werde und dass ich die Bands sehe, die ich gucken möchte (…)Betrachte es so, 7 Bier ergeben eine Mahlzeit.“ Dazwischen gibt es jede Menge Betrunkene, die teilweise zum Gespräch gebeten werden, Menschliche Exkremente, die offenbar für den nötigen Schockeffekt sorgen sollen und viel nackte oder mit Latex bekleidete Haut, um die vielleicht vorherrschende Sensationsgier der Boulevard-Zeitungsleser auch im Fernsehen zu befriedigen.

Ich kenne Rebecca nicht, doch die Rolle, in die man sie für die Sendung steckt, scheint ihr gut zu passen. Würde man die Reportage nicht mit weitaus interessanteren Menschen wie Nadine aus Hamburg oder Jan, der mit seiner Mutter aus Hagen gekommen ist, anreichern, hätte ich wohl längst abgeschaltet.

Fetischmodell Nadine aus Hamburg hat einen sehr klaren Blick auf Dinge und stellt fest, dass der eigentliche S/M-Gedanke nichts mit Gothic zu tun hat. Auch die Frage über die Szene als solche, beantwortet sie auf ihre eigene, sehr sympathische Art:

„Ich finde schon, dass die Szene durch viele Menschen entstanden ist, die einsam waren und Kontakt suchten, aber zu den normalen Menschen nicht gefunden haben. (…) Ich war damals auch sehr einsam und habe durch die Szene Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen und bin dadurch sozusagen resozialisiert worden. (…) Man wächst dann in der Szene, man hat die Möglichkeit Kontakt zu knüpfen und mit Gleichgesinnten herumzuziehen und daran zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Dann kann hald aus einer kleinen grauen Maus auch ein Fotomodell werden.“

Reden wir auch nicht über den angeblichen Trendsetter Sonic Seducer, der mit seinem Gothic-Fetisch Kalender wirbt, „den kann man aufklappen und sich an die Wand hängen“ und behauptet, es handle sich um Szenetypische Bilder. Ich sehe das nämlich nur als Verkaufsargument, denn Gothic und Fetisch haben -bis auf ein paar Einflüsse in Sachen Styling- meiner Ansicht nach nichts miteinander zu tun.

Ganz interessant dazu sind übrigens die Kommentare zur Sendung, die man sich unbedingt zu Gemüte führen sollte. Komischerweise kommentieren viele Szenemitglieder, die sich unverstanden und falsch dargestellt fühlen. Konsens: Früher war alles besser? Stimmt! Es waren nämlich kaum Fernsehteams unterwegs.

Jan aus Hagen

Le Coeur de Corbeaux: „Oha. Das war dann ja mal wieder ein gescheiterter Versuch, eine ehemalige Subkultur zu beleuchten. Ehemals weil gerade das Mera Luna zeigt, wie bedeutungslos die schwarze Szene geworden ist bzw wie sehr sie an Substanz verloren hat.

Franka: „Unglaublich. und wenn ich sehe, was das alles kostet, das hat für mich nichts mehr mit der friedlich Szenezusammenkunftsrebellion der 80er zutun. Früher waren die, die einfach Ihre Musik hören wollten zusammengekommen, ja und um zu feiern und Gleichgesinnte zu treffen. aber heute finde ich die Szene nur noch traurig und habe schon längst tschüss gesagt.

Chris Juracid: „Ich liebe es immer so sehr, wenn die Durchschnittsgesellschaft mal wieder gaffen will und dann versucht eine …“Dokumentation“ über Dinge zu erstellen, welche sie ohnehin nicht verstehen. Schon der erste Satz ist dumm und lächerlich. Wenn man keine Ahnung von der Szene hat, Fresse halten.

Katie Cyberkatie: „Danke für diesen guten Beitrag! Ihr habt gezeigt, das wir so eigenartig, verbohrt, eitel, engstirnig, lebenslustig, bunt und quirlig sind, wie jedermann. Also einfach menschlich – nur eben auf unsere Art und Weise.

Ich habe gelernt, dass man von Zeit zu Zeit seine Erwartungshaltung überprüfen sollte. Wer von einer „24 Stunden“ Reportage ein gut gemachten und akribisch recherchierten Beitrag erwartet, liegt sicherlich falsch. Auch Antworten auf die Frage „Was ist Gothic?“ darf hier sicherlich niemand erwarten, denn diese Antwort können wir selbst oftmals nicht geben. Womöglich werden nie einen Bericht im Fernsehprogramm sehen, der jeden zufriedenstellt und alle Facetten beleuchtet.

(Bildquellen: Alle Bilder sind Screenshots der Sendung 24 Stunden „Grüße aus der Gruft“ auf Sat.1 vom 15.05.2012)

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Rosa Chalybeia
Rosa Chalybeia (@guest_20986)
Vor 11 Jahre

Meine erste Reaktion war auch erstmal: motzen! Aber wenn man die Eindrücke der Sendung setzen lässt muss man zugeben daß es wohl Wahres enthält.

Wobei ich sagen muss, auf dem M’Era war ich noch nie, letztes Jahr hätte ich zwar die Möglichkeit gehabt, die damit verbundene Anfrage vonseiten eines Schmuckdesigners kam bei mir zu knapp vorher an.
Wie auch immer – als regulärer Besucher reizt mich dieses Festival auch garnicht, wenn die Doku dahingehend ein authentisches Bild des Festivals abliefert, dann wird sich die Meinung dazu auch nicht ändern.

Im Groben kommt die Doku ein bisschen so rüber nach dem Motto „Beim WGT haben die was gegen uns, jetzt nehmen wir halt ein anderes Festival!“ – immerhin kam heuer garkeine Anfrage einer Produktionsfirma im WGT Forum und soweit ich weiß sind Filmteams schonmal aus der Agra gekehrt worden.
Rebecca ist mir – diplomatisch ausgedrückt – ausgesprochen unsympatisch – ob das authentisch ist oder womöglich nicht. Dafür war auch ich angenehm überrascht daß Nadine den Ausspruch gebracht hat, daß Fetisch mit Gothic eigentlich nichts am Hut hat – letzendendes geht aber durch die Herumreiterei auf dem Gummiklamotten-Thema das irgendwie dann auch wieder unter.
Den Jan kenn ich – schade daß er so rein aufs auftakeln reduziert wurde, der hat nämlich durchaus was in der Birne und mehr Ahnung von der Szene als so mancher der Blutengel tatsächlich für waschechte Gruftmucke hält (für die Passage müsste man den Verantwortlichen der Doku aber wirklich eine runterhauen, wie ich finde). Beim Herrn Pohl werd ich aber generell schnell unentspannt, da ich ihn – ebenfalls sehr diplomatisch formuliert – auch ausgesprochen unsympathisch finde. Ist für mich eigentlich der größte Fauxpas dieser Sendung.

Zurück zum M’Era an sich – das was man da an Argumenten gegen einen Besuch des Festivals heraus-sehen kann, gibt es natürlich auf einem WGT ganz genauso, wie aber schon gelegentlich gesagt gibt es da wenigstens Nischen um dem zu entgehen und in denen man die wirklich Gleichgesinnten antreffen kann. Eine Nische ist ganz eindeutig mit dem Spontis-Treffen entstanden und ich freue mich schon auf nächste Woche :)

Death Disco
Death Disco (@guest_20987)
Vor 11 Jahre

Ich hab nur den Unheilig-Wichtel gesehen und weggeschaltet. Sorry, ein andermal vielleicht.

Guldhan
Guldhan(@guldhan)
Vor 11 Jahre

Wenn ich es richtig überschlage, so war ich schon öfter in Hildesheim als in Leipzig. Zumal ich schon dort herumschlenderte, als noch das Zillo-Festival seine Zelte aufgeschlagen hatte.

Jedenfalls kann ich sagen, dass die Atmosphäre recht authentisch wiedergeben worden ist. Zumindest was die reine Bildsprache angeht. Denn im Grunde kann man auch nicht so viel erwarten. Man stolpert binnen weniger Minuten vom Zeltplatz zur Hauptbühne oder mit Rechtsdrall eben zum Hangar. Hat dazwischen noch die Konsumdepots und fertig.
Es ist einfach ein »nur« ein Festival. Und wird dem Anspruch gerecht, vor den Bühnen herumzutoben und danach scheintot ins Zelt zu stolpern. Mehr will es nicht, aber erfüllt den Auftrag dafür zur Zufriedenheit. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass es dort Lesungen gegeben hatte…zumindest 2008, als ich zu letzt dort gewesen war.

Was den Beitrag angeht. Nachdem seine Grafschaft aus dem Monitor griente, war ich ohnehin schon auf alles vorbereitet, bzw. dementsprechend tief war meine Erwartung. Doch (oder vielleicht gerade deswegen) bis auf das Bedienen der Standard-Klischees, an die man sich ja nun mittlerweile gewöhnt hat, war der Beitrag nicht so schlecht.

Was die Protagonistin anging. Nun, ich kenne solche Mädels. Und bin immer gewillt mit solchen ein Festival zu durchleben…das war Sarkasmus. Denn wer von den paar Metern vom Park- zum Zeltplatz schon zu maulen anfängt und so wirkt, als müsste man den Arsch nachtragen. Oder wer schon damit argumentiert, dass er ohnehin abgefüllt sein wird, der kann gerne entweder zu hause bleiben oder das restliche Festival nicht mehr mit meiner Anwesenheit rechnen. Egal ob nun Regen oder nicht. Solche Mentalitäten gehen mir tierisch gegen den Strich. Somit Respekt vor Alex und seiner Gelassenheit, der Knabe war wirklich sympathisch.

Für mich gehörte Entsagung zu einem Festival dazu. Freilich war man mit viel Pech nur durchnässt und unterkühlte. Die Ledertreter klamm, die Hände klebrig, der Schädel vom Schlafmangel dumpf und der Körper gerädert vom Zeltboden. Oder von der Hitze aus- und aufgebrannt. Man hatte Hunger, ein Kratzen im Hals und war völlig im Arsch.
Aber das machte die Atmosphäre aus. Das putschte einen. Und da einen als Standard-Schwarzer ohnehin kein Mädel ansprach oder eines Blickes würdigte, war es einem auch egal, dass man am Tag Zwei aussah wie ein Schrat oder roch wie ein Iltis, denn der nächste Regen kam bestimmt. Und warum duschen, wenn man ein paar Stunden später wieder im Pulk umher sprang.

Wenn ich da auch an unsere damaligen Anreise zurückdenke. Mit vollem Gepäck zum Bahnhof, von Bahngleis zu Bahngleis und wenn es blöd lief, auf dem Rückweg noch auf den Bahnhöfen übernachten. Das würde die heutige pkw-konditionierte Jugend gar nicht mehr einsehen und einem dementsprechend auf den Zeiger gehen.
Wobei das schon eine interessante Zeit gewesen war. Nachts in den Bahnhofshallen irgendwelchen dichten Punks beim Versuch zuzuschauen, aus Holzbänken ein Lagerfeuer zu entfachen oder einfach nur dort die Zeit totzuschlagen. Oder als Meute in den Zügen das Fahrradabteil komplett für sich und sein »Kofferradio« zu haben. Aber andere Zeiten, andere Länder, andere Sitten.

Wie dem auch sei, ich mochte das M´era Luna, würde es auch weiterhin mögen und auch empfehlen. Allerdings liegt Leipzig nun wieder näher.

Grabesmond
Grabesmond (@guest_20994)
Vor 11 Jahre

Mir gehts auch so wie Rosa: Immer wenn ich solche Berichte sehe, möchte ich nur rum motzen, aber andererseits…es steckt schon einiges wahres im Bericht.
Gothic ist im Mainstream angekommen, das kann man nicht abstreiten…und vielen (vor allem dem Nachwuchs), geht es meist nur noch um Klamotten, oder wer am Festival am meisten auffällt.
Und ich will immer noch nicht mit Latexliebhabern und Fetisch-freunden in einen Topf geworfen werden ;D für mich hat Grufti-sein und LLL nicht wirklich was miteinander zu tun.

Das M’era selbst will und werde ich nicht besuchen, auch wenn ich nur eine halbe Stunde von Hildesheim entfernt wohne. Da fahre ich lieber, wie nächste Woche, nach Leipzig und bin nicht wie auf dem M’era auf einem ehemaligen Flugplatz mit anderen eingepfercht, ohne wirklich die Möglichkeit zu haben, auf ein kulturelles Rahmenprogramm auszuweichen, falls mir die Bands nicht wirklich zusagen.

Asti
Asti(@lorraine)
Vor 11 Jahre

ich habe nur die ersten 10 Sekunden des „Berichts“ gesehen und habe dann weggeschaltet. Gut, ich besuche keine Festivals, war noch nie auf dem WGT oder dem Mera oder auch nur dem Amphi, ich war jetzt bei Rock in den Ruinen, also kann ich nicht sagen ob das was man da hätte sehen können authentisch war, aber ich habe noch keinen wirklich objektiven Bericht der „Szene“ gesehen.
Von Blutengel kenne ich keinen einzigen Song…

Marcus
Marcus (@guest_21138)
Vor 11 Jahre

Zumindest wurden einige Seiten gezeigt, die mir bei meinen letzten Besuchen (die mittlerweile ein paar Jahre zurückliegen) im Gegensatz zu der Anfangszeit in Hildesheim negativ aufgefallen sind. Vielleicht konnte ich Ende der 90er (als es noch Zillo hieß) bzw. Anfang des Jahrtausends noch diverse „Phänomene“ ausblenden. Jedenfalls konnte ich mich dem Eindruck nicht mehr verwehren, dass immer mehr Verkleidungen, die an Fasching erinnern, zu sehen waren. Oder das zunehmend ohne Sinn und Verstand Alkohol „konsumiert“ wurde. Irritierend fand ich auch die von Besuchern gespielte Ballermann-Musik auf Park- und Zeltplatz. Darunter litt meine persönliche Stimmung deutlich, woraus ich für mich persönlich die Konsequenz gezogen habe, vorerst nicht mehr nach Hildesheim zu fahren. So gesehen fand ich den Beitrag nicht „schlecht“. Den Anspruch, das Feierverhalten der Gothic-Szene zu zeigen, lasse ich allerdings mal unkommentiert. Ob das M’Era Luna die Gothic-Szene repräsentiert, ist wohl eher eine Definitionsfrage. So wie in der heutigen Zeit Industrial nicht gleich Industrial ist ;-)

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