Lokalzeit Dortmund: Oma Berndsen trifft Grufti Fabian

Au weia. Das ist also Fabian, aber ich glaub‘ der ist ganz nett, denn ich hab‘ da gar keine Vorurteile.“ Oma Berndsen (80) hält das Bild von Fabian (23) in den Händen. Die rüstige Rentnerin ist im Auftrag der Lokalzeit Dortmund unterwegs, die Jugend von heute zu erforschen. Ob Gothic, Punker, Skater, Sprayer oder Hip-Hopper, die aufgeschlossene Dame ist sich für nicht zu schade. Die Ehrenvorsitzende des Dortmunder Hausfrauen-Bundes, setzt sich mit Helm und Handtasche auf ihren Roller und macht sich auf, Fabian zu besuchen. Um es vorweg zu nehmen: Diese kleine Stück Video inklusive dem dazugehörigen Artikel ist ein Perle im Einheitsbrei schlechter Berichterstattung.

Der junge Student lädt die Dame in seine Studentenbude ein, die er natürlich eigens aufgeräumt hat um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Man spürt schnell, man behandelt sich mit gegenseitigem Respekt. „Ich musste erst mal im Internet nachgucken, was heißt denn Gothic überhaupt.“ – Löblich. „Dieses traurige, ein bisschen Melancholie tut auch ganz gut, also Expressionismus […] dieses Motiv des Todes – ob lustig umgesetzt oder auch ein bisschen ernster, also philosophisch…“ Auch Fabian hat den Schnitt und die knappe Zeit anständig gemeistert und bringt seine Meinung zum Thema Gothic gut rüber. Geht doch!

„Was haben ihre Eltern dazu gesagt, dass sie ein Grufti wurden?“ Ja, das interessiert Omas. Mich übrigens auch. „Das sagt man nicht. Man geht nicht hin und sagt Papa ich bin jetzt ein Grufti, oder mich oute, das ist einfach eine Geschmackssache.

Für ein Fotoshooting kochen Oma Berndsen und Fabian erst mal Kunstblut, bevor man sich schminkt und stylt, schließlich muss man der Kamera ja was bieten. Ein Grufti-Alltag, ihr erinnert euch sicherlich, unterscheidet sich ja nicht groß von dem anderer Menschen.  Jedenfalls bekommt „Prinzessin“ Berndsen schwarzen Nagellack verpasst, bevor Fabian mit ihr in den nächsten Szene-Shop stiefelt, um „dekorative große Ketten“ für die alte Dame zu besorgen, die aber dann doch bei schmucken Gliederringen hängenbleibt. Beim Fotoshooting mit „Schneewittchen“ sorgt sich Oma Berndsen um das Wohl der jungen Dame, während sich Fabian in der Erschaffung einer gruseligen Atmosphäre versucht. „Schon ein befremdliches Hobby…“ konstatiert die alte Dame, während die Lokalzeit die Szene verlässt.

Wirklich nicht übel. Was nach Schnitt und Drehbuch übrig bleibt zeigt Gothic als befremdliches, aber ungefährliches Hobby und dürfte auch als Blaupause für Generationenverständigung ganz gut herhalten. Grufties sind nicht immer komisch und alte Leute nicht immer verbohrt, so ist das nun mal. Oma Berndsen und Fabian machen es vor. Im Bericht hält sich die Redaktion angenehm zurück und ergänzt nur auf der Internetseite ein paar Worte dazu:

Die Gothic-Szene ist eine sehr ästhetische, introvertierte und friedliche Jugendkultur. Was sie verbindet, ist die unpolitische Ablehnung vieler Merkmale der bürgerlichen Gesellschaft. Ein Gothic oder kurz Goth unterscheidet sich von anderen jungen Menschen schon durch sein Erscheinungsbild. Er trägt schwarze Kleidung, schminkt sich düster und verwendet okkulte Symbole. Vom Satanismus distanzieren sich die allermeisten aber. Viele Goths neigen zu einer düsteren Grundstimmung. Ein Grund dafür kann eine schwierige oder gar zerstörte Beziehung zu den Eltern und der Familie sein. Daraus folgt die Ablehnung der bürgerlichen Lebensform der Eltern. Trauer, Introvertiertheit und Einsamkeit prägen die Gefühlswelt der Jugendlichen. Sie fühlen sich zu anderen hingezogen, die ähnlich denken und treffen sie in der Gothic-Szene. Dort können sie ihre wahren Gefühle zeigen und ausleben. Der Gothic setzt sich intensiv mit dem Thema Tod auseinander und setzt damit einen Kontrapunkt zum bürgerlichen Streben nach ewiger Jugend. Er beschäftigt sich ausgiebig damit und diskutiert gern und oft darüber. Die Musik, die er hört verrät seine Gedanken.

Liebe Autorin, lieber Autor dieses kleinen Artikels zu den 4 Minuten Video, den ich jetzt mal frech ganz zitiere: Großartig! Sie habe es geschafft, einen respektablen Teil der Faszination „Gothic“ in drei wirklich gelungene und leicht verständliche Absätze zu packen, die sich angenehm vom Einheitsbrei schlecht recherchierte Berichterstattung abheben. Sicherlich ist Gothic noch viel Facettenreicher, aber ihr Artikel stellt dar ohne zu bewerten und macht Lust darauf, sich intensiver mit dem, was wir Szene nennen, auseinander zu setzen. Toll!

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shan_dark
shan_dark (@guest_14973)
Vor 12 Jahre

Ich will auch so eine Oma Berndsen haben!! Erinnert mich an meine kürzlich verstorbene Oma, die zum bodenlangen, historischen, schwarzen Mantel meines Freundes meinte: „Och, der ist aber schick. Trägt man das heute so, ja?“

Gerade die Rentner sind häufig sehr tolerant und offen uns gegenüber, jedenfalls ist das meine Erfahrung.

Ich denke, der Beitrag ist so gelungen, weil er nicht reißerisch ist und nicht kommentiert. Die Worte von der Internetseite teile ich nicht 100%ig, aber schön formuliert finde ich: „Die Musik, die er hört verrät seine Gedanken.“
Da ist was dran…

Madame Mel
Madame Mel (@guest_14976)
Vor 12 Jahre

Auf die Frage: „Wie hätten Sie es gerne?“ antwortet Frau Berndsen: „Viel Schwarz“. Dafür könnte man doch die alte Dame knuddeln, oder?

Danke Robert, damit hast du meine Frage „Gibt es nur mäßig bis schlechte Reports?“ – die ich zum Beitrag „Samstag Abend Reportage-Shadow Leverkusen“ gestellt habe und die bis dato unerhört blieb – indirekt beantwortet. Es gibt sie also doch noch, die guten Beiträge – wenn auch sehr selten.

Auch ich habe die positive Erfahrung gemacht, dass sich alte Menschen sehr wohl noch für die Belange junger Leute interessieren.

@Shan Dark
Das tut mir sehr leid um deine Oma. Meine Lieblingsoma starb, als ich gerade mal 15 Jahre alt war. Sie ging sehr offen mit meinem Schwarzsein um und stattete mich nicht nur mit Kreuzen und einigen schwarzen Kleidungsstücken aus ihrem Fundus ein (die ich dann durch „Verschönerungsaktionen“ aufpeppte), sondern hatte auch immer ein offenes Ohr für meine Skurrilitäten.

Schatten
Schatten (@guest_14977)
Vor 12 Jahre

Ja, dass die alten Leute da oft sehr tolerant sind kenn ich nur gut.
Angefangen bei meinem ehemaligen Chemielehrer, der, als ich das erste mal geschminkt in die Schule kam, angefangen hat von Emazipation zu reden xD Aber allgemein fand er das toll, das ich meine eigene Art hab und nicht der Menge hinterherrenn.

Dann wäre da noch meine Oma der ich mal erklären musste, warum ich ein Grufti bin, sie aber nicht, wo sie doch auch so gern Friedhöfe besucht :D

Zum Bericht kann ich sagen, sehr schön gemacht und auch seriös gehalten :)

shan_dark
shan_dark (@guest_14978)
Vor 12 Jahre

@MadameMel: Danke Dir, ja es ist grad mal 1,5 Monate her. Aber sie ist 90 geworden und hatte ein erfülltes Leben. Darüber bin ich sehr froh. So intensiv teilgehabt wie Deine Oma hatte sie an meinem Goth-Dasein allerdings nicht (leider kein Kleidungs- & Kreuz-Sponsoring). **echt beneidenswert**

@Schatten: Goldig mit deiner Oma. Kennst Du „Harold & Maude“? An den Film musste ich sofort denken, als ich das las. Die 80-jährige Maude geht ja ständig auf Beerdigungen wildfremder Leute…

Rosa Chalybeia
Rosa Chalybeia (@guest_14979)
Vor 12 Jahre

Den Beitrag hab ich neulich auch erst irgendwo aufgeschnappt – irgendwie ja schon niedlich :D
Die Oma find ich auch toll, Fabian wirkt stellenweise etwas verunsichert, aber in Beisein einer Kamera eine nachvollziehbare Reaktion.
Nagut, da „Shooting“ mit dem Kunstblutkrempel finde ich für meinen Geschmack muss ja nicht sein, aber nun gut.

Für lächerlich kurze 4 Minuten Beitrag ist es schon ein ganz passabler Beitrag geworden.

Das ältere Leute offener sind kann auch ich nur bestätigen, ich hatte mal in der Einliegerwohnung eines auch ganz putzigen älteren Ehepaares gewohnt, die war immer ganz hin und weg wenn ich im Garten die neuesten Klamottenwerke abgelichtet habe, oder sie im Wohnzimmer auf meiner Schneiderpuppe was Halbfertiges erspäht hat.

Hab da einen Haufen kleiner Anektoden parat die beweisen wie offen ältere Leute sind. Ausfallend werden immer nur 15 jährige Tiefhosenträger, sofern sie in nem respektablen Rudel auftreten :D

Nur beim Zitat aus der Homepage zur Sendung muss ich zumindest einem Punkt widersprechen. Auch wenn „kann“ dabei steht – es wirkt zu sehr als seien familiäre Probleme ein Hauptgrund fürs schwarz-sein. Sicher ist es schwer Beweggründe darzulegen, aber das wirkt etwas eingleisig. Mein familiäres Umfeld ist jedenfalls ziemlich OK und war es auch immer ;)

Pixella
Pixella (@guest_14980)
Vor 12 Jahre

Wie schön, dass euch MEIN Fundstück gefällt.*g*
Meine Oma ist da weniger tolerant, ich konnte mir,als ich noch Single war anhören, dass ich ja nie einen vernünftigen Mann kriege, wenn ich rumlaufe wie auf einer Beerdigung…*hmpf*

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 12 Jahre

Oma Berndsen ist super! :-) Allerdings kann ich die Aussage „Es ist nicht meine Welt“ vollkommen unterschreiben. Kunstblut, Tod, mechanische Reaper, die sich im Kreis drehen und Stacheldraht gehören nicht zu meinen Hobbys. Ich finde das zwar nicht „befremdlich“ wie Oma Berndsen, aber doch ein wenig klischeebehaftet.

Ich bin auch die weitaus meiste Zeit nicht traurig und habe keine Todessehnsucht. Ganz im Gegenteil. Von daher: Joooo…der Beitrag ist okay, aber er stellt – einmal mehr – nicht im Geringsten das dar, was ich persönlich unter der Schwarzen Szene verstehe.

Und ich gebe Rosa uneingeschränkt Recht: Ich hatte niemals familiäre Probleme, die mich in die schwarze Gruft getrieben haben.

Möglicherweise ist das aber wieder so eine Zeitgeist-Generation-Geschichte. Vielleicht trifft das alles auf heutige „Gothics“ tatsächlich zu – nicht aber auf die Dark Waver der ersten Generation. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir jemals Kunstblut gekocht haben. :-)

shan_dark
shan_dark (@guest_14983)
Vor 12 Jahre

Nee, Kunstblut gekocht hab ich auch noch nicht und diese Art von Fotoshootings sind nicht so ‚meins‘, aber ich kenne durchaus Gothics, die das machen und mal so 8-10 Jahre jünger als ich sind. Daher auch kein Kommentar dazu von mir, weil das aus meiner Sicht nicht unreal/selten ist heutzutage. Ob man nun unbedingt ein Fotoshooting zusammen mit Oma Berndsen und Stacheldraht machen musste…? Aber auf der anderen Seite konnten sie sie schlecht mit auf nen Clubabend nehmen… ;o) …war schon ok aus meiner Sicht.
Die Sache mit dem Gliederring fand ich übrigens klasse!

ixiter
ixiter (@guest_14984)
Vor 12 Jahre

Ne, meine Welt isses auch nicht und ich hab auch keinen blassen Schimmer davon. Aber ich mag euch trotzdem. :) Also zumindest das, was ich mit Goths erlebe .. und das ist je eben nur, dass ich hin und wieder einen oder eine Gruppe irgendwo sehe. Sie fallen natürlich auf, das soll ja auch so sein. Mir gefällt die Ästhetik. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es interessiert mich zu wenig.

Die Welt ist bunt und vielfältig. Es ist schön, das heutzutage diese Vielfältigkeit gelebt werden kann.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 12 Jahre

@ixiter

Richtig! Die Welt ist bunt und vielfältig. Zumindest an der Oberfläche und vornehmlich in der westlichen Welt mit ihren Konsumtempeln und einem Glitzer- und Glamour-Zeitgeist. Doch selbst hier verbirgt sich unter bunten Farben eine dunkle Seite, die nur allzu gerne ausgeblendet wird.

Sonne, Licht, Glück und Frohsinn sind Pflicht und werden zum unangefochtenen Ziel der angepassten Masse. Trauer, Tod, Krieg, Elend, vermeintlich „negative“ Gefühle und Bilder werden ausgeblendet und weggeschlossen. Brot und Spiele fürs Volk, damit weniger gedacht und weniger gemacht wird. Der Mainstream fließt durch den Alltag und reißt alle kritischen Gedanken mit sich und ertränkt sie in Coca Cola, Flatrate-Saufpartys, neuen Handys und Mega-Flachbildfernsehern. Dazu trällern die gecasteten Pop-Mäuschen ihren Frohsinn und ihren Flachsinn in die Küchen und Wohnzimmer, damit niemand auf die Idee kommt, dass irgendwas NICHT bunt und vielfältig sein könnte.

Ich will die Gothic Szene nicht zur Märtyrer-Szene mit überdimensionalem sozialen Gewissen machen, denn auch hier hat der Mainstream Einzug gehalten, aber es handelt sich noch immer um eine Subkultur, die sich in vielen Bereichen gegen die „Krankheiten der Gesellschaft“ stellt und unter anderem durch das optische Erscheinungsbild auf die dunkle Seite der Welt hinweist. Oder, um es mit den Worten von Johnny Cash zu sagen:

Ah, I’d love to wear a rainbow every day,
And tell the world that everything’s OK,
But I’ll try to carry off a little darkness on my back,
‚Till things are brighter, I’m the Man In Black!

ixiter
ixiter (@guest_14986)
Vor 12 Jahre

Niemals wird everything OK sein. Das kann nicht klappen. Das ist Utopie. Es wird also immer etwas geben, was Not OK ist. Es ist recht einfach, so ein Not OK zu finden und es anzuklagen. Man wird immer Freunde und Zuspruch für eine solche Klage bekommen.

Wieviel schwerer ist es aber, etwas Gutes hervorzuheben und sein Gefallen daran mitzuteilen. Schnell erheben sich Stimmen, auch darin ein ‚Not OK‘ zu finden, daran rumzumäkeln, den „Fehler“ darzulegen. So ein Negativismus wird bei vielen Menschen zur Attitüde. Das ist m.E. eine der schlimmsten „Krankheiten der Gesellschaft“.

Zu diesem Negativismus sollte man sich weder verleiten noch sich davon beeindrucken lassen.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 12 Jahre

Ich glaube, ganz so wortwörtlich sollte man die Textzeile von Herrn Cash auch nicht nehmen. Sie ist eher im übertragenen Sinne und etwas „globaler/allgemeiner“ gemeint. Es geht ja nicht darum, dass man Negativismus als Attitüde mit sich herumschleppt sondern darum, dass man auch für Umstände empfänglich bleibt, die eben nicht „gut“ sind und darauf hinweist. Wenn du den Text zum Song vollständig durchliest, wird vielleicht deutlicher, dass es nicht darum geht, im Alltag an Kleinigkeiten rumzumeckern.

Mal abgesehen davon spielt beim schwarzen Gewand der Szene aber auch Mode/Vorliebe und die von dir erwähnte Ästhetik eine Rolle. Ich will die Outfits hier nicht zwanghaft in die gesellschaftskritische Richtung deuten.

tobikult
tobikult(@tobikult)
Vor 12 Jahre

Heimatfernsehen! Wie schön. Ich liebe diesen Dialekt. Den konnte meine Oma us Bochum auch perfekt.

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