Kämpfer für die Unschuld der Hexen – Hartmut Hegler

Erst gestern feierten die Hexen auf dem Blocksberg ihre „Walpurgisnacht“. Vor rund 400 Jahren war das aber auch schon der einzige Grund ausgelassen zu sein, denn während des dreißigjährigen Krieges (1618-1648) mussten die Hexen fast täglich darum bangen vor Gericht gezerrt und zum Tode verurteilt zu werden. Hungersnot, Seuchen und Missernten stürzten Mitteleuropa in eine tiefe Krise. Da waren Hexen die willkommenen Sündenböcke. Die Hexenverfolgungen kosteten in Mitteleuropa ungefähr 60.000 Menschen das Leben, 25.000 davon in Deutschland.

Ein besonders prominenter Fall war Katharina Henot. Die Kölnerin wurden im Mai 1627 von einem Gericht verurteilt und mit dem Tode bestraft, obwohl sie trotz Folter die ihr zu Last gelegten Taten nie gestand. In einem Artikel vom März 2012 berichtete ich über den tragischen Fall und erwähnte den Pfarrer Hartmut Hegler, der sich vor der Stadt Köln für die Rehabilitierung der angesehenen Postmeisterin einsetzte. Im Juni 2012 war es soweit, der Beschluss zur Anerkennung der Unschuld durch den Kölner Stadtrat war einstimmig.

Im Frühjahr kontaktierte mich der pensionierte Pfarrer und schlug vor, seinem Projekt zur Rehabilitierung der Opfer von Hexenprozessen durch einen Link weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Ich sagte zu und bat aus einem Reflex heraus um ein Interview, dem er sofort zustimmte. Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Mich mit einem evangelischen Pfarrer über Hexenverfolgung zu unterhalten fühlt sich zunächst einmal sehr fremd an. War es nicht die Kirche, die Hexen verfolgte und verbrannte? Martin Luther, der Reformist der Kirche, befürwortete die Hexenverfolgung sogar. Hat damals denn niemand gegen diese Methoden protestiert?

Wie kommt man als evangelischer Pfarrer eigentlich auf die Idee, sich so intensiv mit dem Thema der Hexenverfolgung auseinanderzusetzen?

Schülerinnen im Berufskolleg baten mich, uns im Religionsunterricht Gedanken über ein dunkles Kapitel der Kirchengeschichte zu machen: über die Hexenprozesse. Zunächst habe ich versucht, die Schülerinnen auf fröhlichere Themen einzustimmen, aber sie waren nicht von ihrem Wunsch abzubringen. Als ich mich dann intensiver mit der Zeit der Hexenverfolgungen beschäftigte, merkte ich, wie wenig ich darüber wusste. Das empfand ich als große Herausforderung.

Ich habe mich dann um Hintergrundinformationen über die Hexenprozesse bemüht. Damals wurden Frauen, Männer und Kinder als Zauberer und Hexen beschuldigt, gefoltert und verbrannt. Durch die Folter wurden Menschen zum Geständnis gezwungen, sie seien Hexen. In den Anklageschriften wurde ihnen oft vorgeworfen, sie seien an den Wetterkatastrophen und an den Missernten schuld. Damals wussten die Menschen nichts von den Umständen, wie Wetterkatastrophen entstehen. So wurden Sündenböcke gesucht und gefunden – damals wie heute.

Seit 10 Jahren kämpfen sie nun schon für Gerechtigkeit und die Rehabilitation von Menschen, die vor 300 Jahren wegen Hexerei verurteilt wurden. Wie kam es dazu?

Damals fragten mich die Schülerinnen, wann und ob die Opfer der Hexenprozesse rehabilitiert wurden. In Zeiten der modernen Naturwissenschaften ist jedem einsichtig, dass ein Mensch nicht auf einem Besenstiel reiten und am Hexensabbat teilnehmen oder mit Zauberei Wetterkatastrophen und Krankheiten bewirken kann. Dies waren die Anklagepunkte in den Hexenprozessen, für die Menschen zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden. Aus heutiger Sicht wurden sie im Namen Gottes zu Unrecht beschuldigt und hingerichtet, denn die Angeklagten konnten diese Verbrechen nicht begehen. Ich meine: Die größte Sünde ist das Vergessen der unschuldigen Opfer. Zusammen mit vielen Gleichgesinnten in Deutschland möchte ich mit meinen Büchern und Vorträgen den Menschen ein Denkmal setzen, die damals unschuldig vor Gericht gestellt wurden. Viele verloren ihr Leben, über die Familien wurde unendliches Leid gebracht. In vielen Orten erinnert nichts mehr an ihr Schicksal.

Die Urteile sind also immer noch rechtskräftig?

Nie sind die Urteile der Hexenprozesse jedoch aufgehoben worden. Die Verurteilten gelten bis heute als schuldig im Sinne der Anklage: sie hätten sich dem Teufel verschrieben, Gott verleugnet und durch Zauberei Schaden über die Menschheit und die Natur bewirkt. Nach 300 Jahren verdienen die Opfer der Hexenprozesse ihre Würde und Christenehre wieder zu bekommen und rehabilitiert zu werden.

Schenkten Sie dem Fall „Katharina Henot“ aus Köln ganz besondere Aufmerksamkeit, weil sie ohne das notwendige Geständnis zu jener Zeit nie hätte verurteilt werden dürfen?

Die damaligen Gesetze erforderten für ein Todesurteil ein Geständnis, das meistens durch die Folter erzwungen wurde. Nach mir vorliegenden Informationen ist dies der einzige Fall, dass eine Angeklagte in einem Hexenprozess ohne Geständnis hingerichtet wurde. Das war schon nach damaliger Rechtslage ein eindeutiger Rechtsbruch. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass die Hexenprozessakten von den Verantwortlichen in Köln großenteils vernichtet wurden.

Ich finde Katharina Henot eine bemerkenswerte Frau. Sie war verwitwete Unternehmerin und wurde von Nonnen aus Neid oder unter Zwang als Hexe denunziert. Auf Weisung des Hohen Weltlichen Gerichts der Stadt Köln musste sie Monate im Kerker leiden: ohne Kontakte, ohne Verteidigung. Obwohl sie mehrfach gefoltert und ihre rechte Hand zerquetscht wurde, konnte ihr vom Scharfrichter kein „Geständnis“ abgezwungen werden. Ihr Lebensmut war nicht zu brechen, und sie kämpfte bis zum letzten Atemzug um Gerechtigkeit.

Sie betreiben eine Internetseite über den Pfaffer Anton Praetorius, der zwischen 1597 und 1613 aktiv gegen die Hexenverfolgung kämpfte. Praetorius, der damals als Mitglied eines Hexengerichts gegen vier Frauen berufen wurde, ertrug es nicht, wie unschuldige Frauen durch die Folter in den Tod getrieben wurden. Der Ortspfarrer von Birstein kämpfte so lautstark gegen die Folter der Frauen, dass diese tatsächlich eingestellt wurde und man die einzige Überlebende freiließ.  Ein Jahr später veröffentlichte Anton Praetorius unter einem Pseudonym das Buch „Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht„, in dem sich gegen die Folter der Hexen aussprach. In späteren Auflagen seines Werkes, verurteilt er auch die Hexenprozesse. Wie sind sie auf den mittelalterlichen Pfarrer aufmerksam geworden?

Alles Wetter kommt von Gott zum Segen oder zur Strafe nach seiner Gerechtigkeit und mag den Hexen nichts davon zugeschrieben werden. Außerdem sind die Mittel, welche Hexen gebrauchen zum Wettermachen ganz und gar kraftlos.
1629 schrieb Praetorius: „Alles Wetter kommt von Gott zum Segen oder zur Strafe nach seiner Gerechtigkeit und mag den Hexen nichts davon zugeschrieben werden. Außerdem sind die Mittel, welche Hexen gebrauchen zum Wettermachen ganz und gar kraftlos.“

Auf das Leben von Anton Praetorius bin ich wiederrum durch meine Schülerinnen aufmerksam geworden. Sie erkundigten sich: „Hat denn keiner der Christen damals etwas gegen Hexenprozesse gesagt?“ Dass ein engagierter protestantischer Pfarrer seine Stimme gegen Hexenprozesse erhoben hatte, war mir vorher unbekannt. Zufällig las ich bei einem Besuch in einer Ausstellung im Schieferbergbaumuseum in Schmallenberg/Westfalen über Hexenverfolgungen eine kleine Tafel: „Der erste Westfale, der sich gegen die Hexenverfolgung wandte, war der gebürtige Lippstädter Pfarrer Anton Praetorius“. Der freundliche Museumsmitarbeiter suchte eine geschlagene Stunde, bis er schließlich ein letztes Exemplar des Ausstellungskataloges fand. Auf einer halben Seite waren knappe Angaben zu Praetorius abgedruckt, die mich neugierig machten. Aber es gab kein Buch über ihn, und so begann ich zu recherchieren.

Das Wissen über Gegner der Hexenverfolgung ist im Dunkel der Vergangenheit völlig untergegangen. Dieses Schicksal widerfuhr auch Anton Praetorius, der 1598 als erster protestantischer Pfarrer ein mutiges Buch gegen Hexenverfolgung veröffentlichte. Auch in den evangelischen Kirchen in Westfalen, Lippe, Hessen und Baden, wo er gelebt hatte, war sein Wirken völlig in Vergessenheit geraten.

Einige andere Menschen haben sich zu dieser Zeit bereits gegen die Hexenverfolgung ausgesprochen, Hermann Wilken beispielsweise, sprach sich bereits 1585 literarisch gegen die Hexenverfolgung aus. Was hat sie gerade an Anton Praetorius bewegt?

An Praetorius hat mich besonders beeindruckt, dass er unter Einsatz seines Lebens eine Frau aus einem Hexenprozess rettete. Aktuell ist sein vehementes Eintreten für die Abschaffung der Folter. Man hat diesen Verfechter der Menschenrechte daher als einen „Vorgänger“ von amnesty international bezeichnet. Praetorius hat es nicht leicht gehabt in seinem Leben, aber er hat das bewiesen, was wir in heutiger Zeit immer wieder fordern sollten: Glaube und Zivilcourage. Er kann für die Jugend ein Vorbild für sein Eintreten für Menschen in Not sein. Gerade das Andenken an das unschuldige Leiden und Sterben von Jesus macht uns Christen besonders sensibel für die Verfolgung Unschuldiger.

Wie lässt sich der Kampf von Anton Praetorius und anderer Gegner der Hexenprozesse auf die heutige Zeit übertragen?

Wenn ich mich mit dem Leben der Menschen vor 300 Jahren beschäftige, wird mir deutlich, wie sehr wir von mutigen Menschen vor uns profitieren, die um die Menschenrechte gekämpft und uns viele Freiheiten erstritten haben. Das verpflichtet uns, uns weiter für diese Menschenrechte einzusetzen. So ist das Erinnern an die Opfer der Hexenprozesse zugleich ein Signal gegen Gewalt an Frauen heute, gegen Mobbing, gegen Ausgrenzung und Diskriminierung.

In ihrem bewundernswerten Kampf für Gerechtigkeit sind Sie nicht allein. 2000 gründeten Sie mit Gleichgesinnten den Arbeitskreis „Hexenverfolgungen“, der sich für die zu Unrecht Verurteilten einsetzt. Außerdem fordern Sie zusammen mit dem Arbeitskreis, das die Kirche zu ihrer eigenen Rolle in den Hexenprozessen Stellung bezieht.  Was wollen Sie damit erreichen?

Ich möchte Informationen über die Hexenprozesse vermitteln. Ich möchte erreichen, dass die Opfer der Hexenprozesse rehabilitiert werden und Gedenksteine vor Ort an ihr Schicksal erinnern. Diese können zum Erzählort werden, um Menschen sensibel für Unrecht heute zu machen, damit sie sich – wie z.B. amnesty international – für das Schicksal von Verfolgten einsetzen, ähnlich wie es in vielen Orten mit den Stolpersteinen für die Opfer der unschuldig Verfolgten des Dritten Reichs geschieht.

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Margot Schierling
Margot Schierling (@guest_49629)
Vor 9 Jahre

Was für ein toller Beitrag über einen beeindruckenden Mann. Danke dafür.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 9 Jahre

Faszinierend, dass es in allen Epochen immer wieder Menschen gab, die hinterfragt haben und sich – oft unter Einsatz ihres Lebens – gegen die Masse gestellt haben. Menschen, die nicht gesagt haben „Das war schon immer so und als Einzelner kann ich sowieso nichts ändern“. Für uns ist es heute durch Online-Petitionen, Demonstrationen im Schutz der Meinungsfreiheit, Konsumverhalten und Demokratie wesentlich einfacher, Dinge zu verändern. Jeder sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein. Vielen Dank an Hartmut Hegler, dass er die Erinnerung an Opfer und auch an bemerkenswerte Vorbilder der Vergangenheit wach hält.

Schatten
Schatten (@guest_49786)
Vor 9 Jahre

Für mich ja schon immer ein sehr interessantes Thema, hab da in der 7. Klasse mal ein Referat drüber gehalten, obwohl es eigentlich nicht mehr in die vorgeschriebene Zeit, Mittelalter, hineinpasste, aber mein Lehrerin hat damals meiner Bitte nachgegeben, doch bitte darüber reden zu dürfen.
Ich finde es an Hegler beeindruckend, dass er sich so aktiv für Unschuldige einsetzt die zu einer Zeit litten, die selbst für die Großeeltern unserer Großeltern schon ewig lange zurücklag. Dafür hat er meinen deutlichen Respekt, dass er sowas nicht einfach als Geschichte abstempelt und die Verurteilten auf bloße Zahlen und Fakten reduziert, denn solche Leute braucht es, die sich für Verfolgte einsetzen, selbst nachdem keine Zeitzeugen mehr am Leben sind, gerade in Anbetracht dessen, dass auch die Opfer der Shoah und ihre Zeitgenossen zur heutigen Zeit immer weniger werden.
Sei es nur, damit nicht komplett vergessen wird…
In Bamberg ist übrigens sogar schon ein Denkmal für die zu Unrecht verurteilten von damals in Planung!
https://www.welt.de/regionales/muenchen/article121691012/Ein-Denkmal-dort-wo-frueher-Hexen-brannten.html

Kleiner Hinweis zum Schluss: Du hast aus dem 30-jährigen einen 32-jährigen Krieg gemacht, er fing 1618 und nicht 1616 an ;)

Svea Görtz
Svea Görtz (@guest_49815)
Vor 9 Jahre

Schon in der Schule habe ich mich sehr für die Geschichte der „Hexen“ interessiert. Die Walpurgisnacht wird hier im Norden von Italien ebenfalls gefeiert und das nicht zu knapp :P Freue mich auf die nächste Nacht der Hexen, wo das gekicher und gekrächze los geht :)

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