Gothic Friday Dezember: Zwischen Bänkersakkos, Hipster-Beanies und Killstar-Kiddies (Daniel)

Die Nachricht von Daniel erreichte mich bereits vor einigen Tagen. Einen Text hätte er geschrieben, dessen Erstellung zwar schon ein bisschen länger zurückliegt, der sich aber thematisch sehr gut in den Gothic Friday im Dezember integrieren lassen würde und dann auch endlich einmal das Licht der Welt erblickt. Nach der Beseitigung einiger Kommunikationsprobleme fand die Geschichte dann auch endlich den Weg in meinen elektronischen Postkasten. Und obwohl es um Oberflächlichkeiten zu gehen scheint, nimmt uns Daniel dann doch mit unter die schwarze Oberfläche und versucht unter der „Gedanken-Dusche“ anhand von Fragen zu erörtern, wie die Szene auszusehen hätte, in der er sich wohlfühlen würde. Verwirrt? Hier kommt die Auflösung:

Vorwort:

Diesen Artikel habe ich schon vor einer Weile geschrieben und meinem Freund Svartur mitgegeben. Irgendwie ist der Artikel dann in irgend einem Datenloch verloren gegangen und wollte auch irgendwie in Vergessenheit geraten. Aufgrund des neuen Gothic Fridays hat sich in meinem grauen Stübchen doch noch ein Erinnerungsfaden gelockert und ich bin auf die Suche gegangen. Passt zwar nicht ganz genau in das Thema, lässt sich vielleicht trotzdem unter dem Motto einbauen, da ich ja auch einige Sachen anspreche, welche mir auf dem Herzen liegen.

I. Die alte Leier

Seit Satan den Goth erschuf, wurde schon auf den Subszenen der Subszene rumgehackt: „Cyber raus, halte deine Szene sauber„, „Steampunk hat nix mit Goth zu tun„, „StiNos saufen und stören nur“ usw. usw., kennen wir ja alles, haben wir erlebt und haben fleißig mitgemacht. Aber wie steht es denn heutzutage um den „Normal“-Gothen? Gehört der nicht auch schon zu einer fast ausgestorbenen Art in der eigenen Szene? Wie schwarz sind unsere schwarzen Partys und wie steht es um seine Zukunft in und generell um die Szene? Und was ist eigentlich ein normaler Goth?!? Das sind sehr generelle Ansätze, auf die ich nicht in großem Umfang eingehen werde und kann, sondern lediglich mit ein paar kleinen Episoden aus meiner Vergangenheit eingehen möchte.

Beginnen möchte ich meinen ursprünglichen Duschmonolog mit ein paar Anekdoten aus der lokalen Partyszene um mir meine eigenen, gerade beim Duschen aufgekommenen Fragen vielleicht schon selbst zu beantworten.

II. Kostüme und Fotos

Die erste Erinnerung führt mich nach Stuttgart ins leider nun geschlossene Zollamt. Dort sagte einmal ein Fotograf zu mir „tolles Kostüm“, und ob er mich Fotografieren dürfe. Dazu muss ich wohl dem Leser erläutern, dass ich kein tolles Ballkleid trug. Nicht weil es mir nicht stehen würde, sondern weil ich dann doch nicht so androgyn bin und mir als Mann eingestehen muss auch zu wenig Oberweite zu besitzen, als dass mir derartige Kleidung zusagt, nein, ich trug lediglich eine Pumphose, Pikes, ein Netzhemd und sonstigen Kram (auch Schmuck oder Accessoires genannt).

Dabei stellte sich mir die Frage: Bin ich damit schon so exotisch? Natürlich bin jetzt nicht der einzige, der in Stuttgart so rumrennt, aber anscheinend war die Klamotte doch schon ausreichend um als Kostüm angesehen zu werden. Vielleicht gilt diese Klamotte heutzutage in der Szene schon eher als kostümiert? Die große Masse gibt sich schon etwas länger leider weniger Mühe bei der Optik (meiner Meinung nach!). Dabei hatte ich dem gemeinen Gothen doch schon immer als eher eitel (wenn mir das Wort eitel in dem Kontext erlaubt ist) und doch schon sehr auf sein Äußeres bedacht in Erinnerung. Hier geht es nicht um den Stil der 80er/90er oder irgendeiner XXer, eher generell um das „sich Mühe geben„, worüber ich mich nicht im eigentlichen Sinn beschweren will sondern es nur bedauere.

Zu allem Übel habe ich mich einmal auf einer schwarzen Party mit einem Kerl in Bluejeans und rotem T-Shirt, mit irgendeinem belanglosen orangefarben, verwaschenen Print darauf über die Szene unterhalten, welcher dann zu mir folgende Worte sprach die ich bis dato noch nicht vergessen habe: „Ich bin halt ein bunter Grufti…„. Sollte ich mich nicht langsam der Realität ergeben? Die 80er sind vorbei! Wann heißt es „Gruftis raus, halte deine Szene sauber„? Lasst uns doch bunte Gruftis werden, wie es uns der junge Mann vorlebt…Wobei… irgendwie dann doch nicht… Oder sehe ich da zu „schwarz“?

Die nächste Frage, die ich mir dabei stelle, bezieht sich auf das Foto an sich. Warum muss man sich dauernd abfotografieren? Zeigt das nicht eigentlich den Willen zur Ästhetik (wobei diese ja bekanntlich sehr subjektiv ist)? In meiner Pre-Smartphone-Zeit kannte ich Fotos primär aus dem Urlaub, auf Reisen, wo man Attraktionen und Sehenswürdigkeiten fotografierte. Es wirkt nun immer mehr so als ob der heutige Besuch auf einer schwarzen Veranstaltung schon so eine Sehenswürdigkeit an sich sei. In Zeiten von Gothic-Cruise, Goth-Theme-Partys und Gothic-Cosplays vielleicht schon, aber noch mehr brennt mir die oben schon angerissene Frage weiterhin unter den lackierten Nägeln: Ab wann gilt man(n) denn nun als „ein Foto wert“, als verkleidet, in der eigenen Szene optisch nicht mehr heimisch oder als totaler Exot? Gibt es dort eine optische Grenze? Eine Geschmacksgrenze? Reicht schon ein Deathhawk oder muss es dann doch der schwarze Indianer-Federschmuck sein (in Amerika wohl schon Goth genug)?

Gothic Friday DanielUnd hier ist sie wieder die alte Leier, 1000mal schon erörtert, scheinen mich diese Gedanken doch mehr zu beschäftigen, als ich dachte und trotz 1000maliger Erörterung scheint mir das Ergebnis noch nicht zufriedenstellend genug. Hier spreche ich auch explizit die Fotos vom WGT, dem Amphi oder dem Mera an, die wir alle schon gesehen haben. Diese beleben die Gothic-Safari und verklären das Bild der anderen Leute und potentieller Neuankömmlinge. Hier spreche ich bewusst von „Gothic“ als zwar unbeliebte aber doch allumfassendere Begrifflichkeit der eigentlichen Vielfalt der Szene. Vielleicht verkommt Gothic über die Jahre nur noch zu einem reinen Cosplay unter den oben beschriebenen bunten Grufties, da lässt man sich dann gerne ablichten und kann dann „Gruftie-Cosplay auf einer schwarzen Veranstaltung“ auf seiner virtuellen ToDo-Liste abhaken und sich dann vielleicht wieder dem normalen Leben zuwenden. Besser wird es wohl nicht, eher anders, heißt ja nicht dass es nicht auch interessant werden kann. Und wäre das schlimm? Wer weiß… Vielleicht bin ich derjenige mit der falschen, verklärten Sicht über die heutige Szene? Ich romantisiere gerne, geb‘ ich zu.

Zurück zu den Ausgangsfragen: Den Ottonormal-Gothen gibt es wohl so nicht. Die Schnittmenge mit anderen Subszenen der Szene ist nur aufgrund der Zugänglichkeit und der verschiedenen Einflüsse der Szene nur größer geworden. In der breiten Masse gilt man schnell als Exot. Sucht man was bestimmtes, muss man nur die Augen aufmachen, denn allein sind wir (wer auch immer sich jetzt angesprochen fühlt) nicht!

III. Schwule, Schminke und saubere Szene

Die nächste Erinnerung dreht sich explizit um das Thema Schminken (v.a. als Mann). Natürlich ist es kein Muss und es steht auch nicht in der Gothenbibel/dem Gothenkoran/dem Gothenkodex, dass der gemeine Gothe sich anmalen muss, natürlich nicht, aber das Schminken an sich scheint mir auch immer rarer zu werden. Woran kann das liegen? Es kam einmal so ein Typ (Schublade auf) Hiphop-Hardcore-Hipster-StiNo (Hauptsache Tunnels und Basecap; Schublade zu) zu mir meinte: „Geh mal aus dem Weg, Schwuchtel!“ und stieß mich zur Seite, da ich wohl, zumindest gefühlt, der einzig geschminkte Mann auf der Veranstaltung war. Vielleicht ist es doch die Intoleranz der sich heute auf schwarzen Parties aufhaltenden Masse, die Schuld ist, dass sich manche nicht mehr trauen sich zu Schminken und dass so ein Auftreten doch wohl eher noch mehr zurückgehen wird. In der Stadt in der ich hier wohne, gibt es aufgrund der StiNo-Menge und der Refugees-free-entry-policy (was ich ja gut heiße!!!) eine überdurchschnittliche Anzahl an bunten Menschen und leider auch an extrem beharrlichen Annäherungsversuchen und das führte zu dem Problem, dass sich kaum noch wirklich viel Schwarzvolk auf dieser „schwarzen“ Party einfindet und wenn, dann wird nicht lange geblieben. Hat man am Ende doch recht? Halte deine Szene sauber?

Schon schießt mir eine weitere Frage in den Kopf: Wann ist denn die Veranstaltung schwarz genug, dass man als Goth/Gruftie/Waver (diesmal explizit) in den eigenen Reihen noch akzeptiert wird, ohne dass solche Kommentare wie oben fallen? Wo kann man noch schwarz sein unter den schwarzen? Vielleicht bleibt, um ein Thema des vorherigen Gothic-Fridays aufzugreifen, doch nur noch das Internet und seine in den eigenen vier Wänden aufgenommene Fotos, die einem eine falsche romantische Vorstellung von längst Vergangenen und doch erwünschten Zeiten vermitteln als letztes Refugium (Ich merke gerade wie ich jedes zweite Wort wie „normal“ „Goth“ „schwarz“ usw. am liebsten in “ “ schreiben würde).
Und nun, wie schwarz sind aufgrund der kostümierten, der breiten Masse und der StiNos unsere Partys? Zunehmend dunkelbunt, je nach Location? Jedenfalls hier noch schwarz genug um mich wohl zu fühlen!

Natürlich sind das hier beschriebene nur Einzelfälle, doch gerade die bleiben, wie ich selbst bemerke, dann doch eher in der Erinnerung zurück als die Heute-war-alles-wie-immer-Tage.

IV. Elektro und schwarzes Schwarz

Als dritte Erinnerung im prasselnden Wasser kam mir eine Veranstaltung in der Schweiz hoch, ich war bis zu dem besagten Zeitpunkt noch nie vorher in der Schweiz zum Feiern und wusste nicht wie die Szene sich dort im Allgemeinen gibt. Also ab dafür und dort hin, Ausland ist immer eine Erfahrung wert. Auf dieser Party war das dominierende Outfit der männlichen Besucher Anzugschuhe, Hemd mit- oder ohne Krawatte und irgendeine schwarze Hose mit vereinzelten Sakkos. Accessoires und Makeup waren so gut wie nicht auszumachen. Ich mit meiner Lederjacke gehörte da irgendwie nicht in das Bild.

Die Musikauswahl gestaltete sich dann zu allem Übel auch etwas monotoner als erwartet, weil mit 3 Floors angekündigt: Cyberelektro, Elektro mit Popakzenten und waviges Elektro standen auf dem Plan der drei Floors. Selbst auf dem (80er?)-Wave-Floor liefen zB. von Depeche Mode irgendwelche Elektro Remixe was mir leider die Laune etwas verdorben hat. Musik erträglich trinken war anhand der Preise auch nicht möglich. War das noch eine schwarze Party, eine schwarze Elektroparty oder eine Elektroparty mit zufällig schwarz gekleideten Leuten? Ab wann ist denn heutzutage eine Veranstaltung eigentlich der Szene zuzuordnen? Reicht es wenn sich ein paar Anzugträger auf einer Afterwork-Party dunkelbunt einfinden um zu 80s-Musik zu tanzen wo zufällig mal ein Depeche Mode- oder The Cure-Remix dabei ist?

Gothic Friday - Daniel Bild 2Muss man Musikalisch unterscheiden zwischen Gruftie-Veranstaltungen und schwarzen Veranstaltungen? Gerade auch im Hinblick darauf, dass sich auf schwarzen Partys hier in der Gegend immer öfter Metal gewünscht wird, ist der Trend wohl eher der, dass sich die Stile überschneiden sollen. Das Bandshirt von der gestrigen Metalparty ist ja schnell gewechselt, kurz das Killstar-Oberteil aus dem Schrank geholt und die Strumpfhose löchrig gemacht. Ist ja prinzipiell auch kein Problem, drücke mich ja auch ab und an auf ‘ner Metalparty rum und habe auch meinen Spaß, doch „verkleide“ ich mich dazu nicht um nochmal das oben angesprochene Thema des Kostüms aufzugreifen.
Wie erkenne ich nun beispielsweise am Flyer ob die vermeintlich schwarze Party eine schwarze Party ist? (Ach ich weiß ja selbst nicht wie ich mich hier ausdrücken soll, immerhin weiß ich was ich meine.) Immer mehr vor dem schließen stehende Clubs müssen vielleicht sogar auf schwarzen Einheitsbrei und Elektro setzen um zahlungsfreudigere Kunden anzulocken? Sollte ich um meine Musik hören zu wollen vielleicht mehr auf Djs achten? Leider mache ich genau das in letzter Zeit und bleibe immer auf den gleichen Veranstaltungen hängen, öffne mich nicht der Musikwelt und werde genau so ein engstirniger Clubfaschist und Musik-Nazi wie die Leute, die ich sonst immer belächelt habe… Musik lerne ich nur noch im privaten Bereich kennen, über Freunde.

Motto für die Zukunft: „Die 80er sind vorbei, halte meine Szene sauber, glänze durch Abwesenheit„? Ich kenne genug, bei denen genau dies eingetreten ist. Im Grunde betreibe ich ja Schwarzmalerei, es klingt jetzt schlimmer als die Realität wirklich aussieht, dennoch gab es das ein oder andere Ereignis, das einen manchmal zu solchen Gedanken treibt. Das Wochenende steht bevor und ich bin mir unsicher ob, und wenn, wohin ich weggehen soll. Ich habe hier auch bewusst mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben, nicht um Zustimmung zu bekommen oder Kommentare wie „Oh nein, noch so ein Heulbeitrag“ zu ernten, sondern um vielleicht auch einen Einblick in eure Erfahrungen und Gedanken zu bekommen, ohne gleich die Suchfunktion auf Stichworte zu bemühen. Schließlich habe ja nicht nur ich solche Situationen und Reaktionen erlebt. Ich harre einfach dem das da kommt!

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Mone vom Rabenhorst
Vor 7 Jahre

„Sollte ich um meine Musik hören zu wollen vielleicht mehr auf Djs achten? Leider mache ich genau das in letzter Zeit und bleibe immer auf den gleichen Veranstaltungen hängen, öffne mich nicht der Musikwelt…“

DJs: JA.
Musikwelt: Über Youtube/Freunde entdecken und dann ggfs. Konzerte besuchen.

Im Ruhrpott gibt es ja relativ viele Partys.
Ich schaue in erster Linie nach dem Party-Motto und ganz wichtig: WER auflegt. Man sollte seine bevorzugten DJs kennen. Legt ein Unbekannter auf, frage ich sonst nach, was so läuft oder suche nach vergangenen Playlists. Im Facebook-Zeitalter ist das kein Problem. Wenn dann eventuell noch einige Bekannte zum Quatschen auf der Party sind, ist die Sache rund.
Wobei ich allerdings auch kein Problem damit habe, alleine auf eine Party zu gehen und der Musik zu lauschen, wenn die Veranstaltung im Vorfeld äußerst vielversprechend klingt.
Und ich gehe sogar ganz selten mal VORSETZLICH zu einer Party, wo den ganzen Abend gruseliger Gruftischlager für den gemeinen EMP-Gothic läuft. Hierzu brauche ich ich allerdings einige Bekannte zur Unterhaltung. ;-)
Wenn man an einem solchen Abend nichts erwartet, kann man auch nicht enttäuscht werden.

Nachtrag zum Thema „Kostümfest“
Die 80-er sind tot, das wissen wir alle. Das Lebensgefühl von damals gibt es nicht mehr. Das habe auch ich mittlerweile begriffen, also denke ich lieber über andere Sachen nach, als darüber herumzuheulen.

Mein Motto: Jeder soll sich optisch zum Affen machen, wie er mag. (Mich eingeschlossen.)
Ob ich das Outfit des anderen gut/doof/passend/kacke/albern finde oder es in meinen persönlichen Tol(l)eranzbereich paßt, ist mein Problem/Amüsement. Ich muß mich mit den Leuten ja nicht abgeben.

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