Musikperlen – Masken tanzen Einsamkeit (Tauchgang #35)

Licht tanzt auf meinem Gesicht, Schatten an der Wand, mein Stammplatz ist der Notausgang, halt mich fest, ich bin allein. Zukunft gibt’s keine hier, keine Liebe, kein versteh’n. Worte, wo ist der Sinn? Total anonym, total allein.“ Ich habe keine Ahnung wer die Band Tabu ist, von der dieses Liedzeile stammt und doch ist sie der Beweis, dass noch Dinge zwischen Musik, Text, Subjektivität und Objektivität existieren, die einen Song zu dem machen können, was er für einen geworden ist. Tief aus dem Keller der Neuen Deutschen Welle scheint dieses Werk zu stammen, es riecht ein wenig modrig, ist staubig und wirkt in gewisser Weise antik. Es hatte nie einen besonderen Glanz und vermochte nicht, mit dem Funkeln der NDW-Sterne aus jener Zeit mitzuhalten. „Sternenhimmel“, „Fred vom Jupiter“, „Hurra, hurra die Schule brennt“ prägen das Jahr 1982, bestimmen die Ohrwürmer auf den Schulhöfen, sind die Lieblingsplatten der Tanzpaläste und irgendwie auch ständig im Radio oder im Fernsehen seiner Zeit.  Der Song „Allein“ von der Band Tabu verhallt offenbar ungehört im Nirwana der Belanglosigkeit. Möglicherweise lag es daran, dass er melancholisch klingt. Wütend schreit der Sänger seine Einsamkeit ins Mikrofon, während er fast zärtlich von der Zukunftslosigkeit erzählt.

Das Stück polarisiert. Entweder man findet es schlecht oder man liebt es. So kommt es mir vor, als einige der Hörer auf einem Tanzflächenabend in Werk II in Leipzig beim jaulen der letzten Strophen das Gesicht schmerzverzerrt verziehen und fluchtartig den Raum verlassen. Die anderen stehen hingebungsvoll da, bewegen Türme, Iros und Teller wiegend zum Takt der Musik, haben meist die Augen geschlossen und scheinen mit sich selbst und ihrer Welt beschäftigt zu sein. Hätte ich auch so gemacht, doch ein innerer Drang zwang mich dazu, durch die leicht geöffneten Augenschlitze zu spähen. Ich liebe diesen Song. Er bringt alles das in ein 4 Minuten langes Requiem, was die 80er in meiner schöngefärbten Erinnerung gewesen sind. „Alleine“ ist der damit freilich nicht, wie dieser Tauchgang des Musikperlentauchers zu zeigen versucht:

Eleven Pond – Watching Trees

1986. Jeff Gallea, seinerzeit Grafik-Designer, trifft in der Clubszene von Rochester, NY den Mathematik und Philosophy Studenten James Tabbi, findet ihn sympathisch und fragt ihn, ob er nicht Lust hätte, bei einer Band mitzuwirken. So einfach geht das: Eleven Pond ist geboren. Sie bringen das Album „Bas Relief“ im folgenden Jahr heraus, um dann wieder spurlos von der Bildfläche zu verschwinden. 2011 findet man wieder zusammen, um der alten Zeiten willen und vielleicht weil man Lust hat, wieder einmal was Musikalisches zu machen. Jeff hat sich mit einer Gürtelmanufaktur selbstständig gemacht und hat in Ed-Hardy-Manier schon einige Stars begürtelt. Wenn er nichts Besseres zu tun hat, macht er auch Fetisch-Klamotten aus Leder. Ich hab seine alten Sachen viel lieber gehabt, „Watching Trees“ klingt so schön nach Jugend, obwohl die Bedeutung des Songs weniger erfreulich ist, wie Gallea erklärt: „Watching Trees was originally an instrumental song I wrote that had a dark and raining electro feel. The song is about voyeurism, being lonely because you know too much and feeling lost in the industrial world.

Visage – The Damned don’t cry

Eine Jugendkultur, die in England für eine deutlich offenere Handhabung des Begriffs „Geschlecht“ sorgte, waren die New Romantics. Im Fahrwasser des legendären Clubs Billy’s (später Blitz) schwappten 1978 einige schillernde Persönlichkeiten an die Oberfläche des Londoner Nachtlebens, die sich möglichweise sonst nie begegnet wäre. Steve Strange, Rusty Egan und Midge Ure brauchten nicht lange, um im dem von Musikern so wimmelnden Club weitere Bandmitglieder zu finden und die Idee zu schmieden, Musik zu machen. 1981 dann der kommerzielle Durchbruch für die neu gegründete Band Visage. „Fade to Grey“ wurde zur Hymne der sogenannten „Blitzkids“, das Album „Visage“ zum einem der vielen Soundtracks dieser Generation. Club und Jugendkultur verbrauchten sich recht schnell, mündeten aber in einige der bedeutendsten Künstlern dieser Zeit, zu denen auch Boy George gehört. „The Damned don’t Cry“ gehört sicherlich zu den Stücken, die vom Erfolg der Hymne verdeckt existierten und in einem Rückblick auf diese Zeit und Jugendkultur wohl weniger prominent erscheinen, als die Hymne selbst. Verdient hat es das sicherlich nicht, wie der Texter von damals, Midge Ure, jüngst eindrucksvoll bewiesen hat.  Hier ist heute jedoch Platz für das Original. Hach, ich schmelze dahin.

Tabu – Allein

Besucher des „Portrait“ und des „Metropol“ werden es sicherlich noch kennen, denn mit diesem Song wurden sie in die frühen Morgenstunden des nächtlichen Discothekenbesuchs entlassen. Für viele ist es die Verkörperung ihrer Jugendlichkeit und dem Lebensgefühl, das viele in Zeiten von globaler Vernetzung und sozialen Netzwerken vermissen. Das Gefühl, allein zu sein. „Hoffnung spielt mit mir jedesmal, tausendmal, wer bist du, wo gehst du hin, keine Antwort, allein. Masken tanzen Einsamkeit, Ballett im Spiegel der Zeit, mein Lieblingslied ist aufgelegt, ich bin allein, ganz allein.“ Über die Band und die Musiker Uli Erdmann, Frank Klubescheidt und Gerd Wüstemann geformt haben sollen, weiß ich nicht viel. Das Internet schweigt sich aus. Das es sowas noch gibt. So entlasse ich den Leser nahezu Informationsfrei mit diesem Eingangs beschriebenen Abschluss:

Ministry – Same old Madness

Die wohl erstaunlichste Verwandlung in der Musikgeschichte legte Al Jourgensen hin, der 1981 die Band Ministry im Chicago gründete. Wer sich die Musik ihrer jüngeren Vergangenheit zu Gemüte führt, wird wohl nicht erwarten, dass die Band überhaupt einen Platz in den Perlentauchern erhaschen konnte. „Industrial-Metal“ – Wer das überhaupt erfunden hat! Die Wurzeln des 1958 in Kuba geborenen Jourgensen liegen tatsächlich im sauber geleckten Synthie-Pop der 80er Jahre, von dem er sich zusammen mit seiner Band recht schnell in die EBM entwickelte, um dann beim Industrial Metal zu landen. Ob es an den Drogen gelegen hat, die der Sänger auch immer wieder in seinen neueren Songs thematisiert, bleibt im Dunkeln. Unstrittig ist jedoch sein politisches Engagement gegen den republikanischen Arm der US-Regierung, so machte Jourgensen erst Stimmung gegen die Bush Regierung und verliert auch über Donald Duck Trump kein gutes Wort. Es ist und bleibt „Same old Madness“, wie er bereits 1982 schon feststellte:

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Heiko
Heiko (@guest_54666)
Vor 7 Jahre

Robert, ich staune immer wieder, was du für Sachen aus den Tiefen von Youtube hebst! War wieder durchgehend sehr schön anzuhören und zu sehen!
Ministry habe ich tatsächlich zuerst als Industrial Metal Band kennengelernt und war dann erstaunt, als ich mal die ganz alten Sachen (Everyday is Halloween als Beispiel) gehört habe. Oder eben hier, Same old madness. Sehr sehr fein.

Eleven Pond kannte ich noch gar nicht, Watching trees geht wirklich sehr gut ins Ohr. Ich werd auf jeden Fall mal in Zukunft den ein oder anderen Dj herausfordern, wenn ich mir das wünsche ;)

The damned don’t cry…. sehr schönes Lied. Kannte ich auch noch nicht(Ich und meine Bildungslücken. Der Kerl hier ist doch allerhöchstens ne sogenannte „Baby Bat“^^). Gefällt mir etwas besser als Fade to grey. Möglicherweise deshalb, weil letztgenanntes ja nun doch schon mehr als bekannt ist. Trotzdem noch ein gutes Lied, nicht dass das falsch interpretiert wird.

Und nun zu Tabu. Ok, kannte ich nun wirklich noch nicht. Aber hey, ich freue mich immer, regelrecht obskures und unbekanntes zu hören! Hier hab ich wirklich mal alle andren Ablenkungen weggeschoben, die Augen geschlossen, den Text wirken lassen…. ja, ja, was da besungen wird, kenn ich selber so. Es ist interessant, da erkenn ich mich ganz gut wieder in dem Lied. Auch wenn der Gesang vieleicht hier und da etwas gewöhnungsbedürftig ist, tut das dem Ganzen keinen Abbruch.
Wirklich sehr schön. Gefällt mir! Auch hier werde ich mal den einen oder anderen Dj(wahrscheinlich ohne Erfolg…) herausfordern.

Kurz und gut: vielen vielen Dank, für diese schöne Musik :)

Ronny Rabe
Ronny Rabe (@guest_54673)
Vor 7 Jahre

Sehr interessanter .
Ich wusste gar nicht das Ministry auch anders können/ konnten.

Eleven Pond – kannte ich auch nicht , wieder was dazu gelernt ;-)

Visage – sehr schön , obwohl ich Boy George immer besser fand / finde ;-)

und Tabu – Kult ! In letzter zeit wird dieser Song durch “ Paul ist tot “ abgelöst am Ende einer Party .

Julius
Julius (@guest_54675)
Vor 7 Jahre

Ich hab „The Damned don’t cry“ schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gehört und komischerweise hatte ich das etwas langsamer in Erinnerung. Das hat mich nun ein bisschen überrascht aber schön, wenn vergessen geglaubtes Liedgut wieder an die Oberfläche geschwemmt wird. Da kommt man direkt in Stöberlaune.

T.S.
T.S. (@guest_54741)
Vor 6 Jahre

Nun ja, anders als bei meinen Vorrednern, lief meine „Musiksozialisation“ in Punkto Ministry streng chronologisch und in der Tat „historisch geordnet“ ab. D.h., mitgeschnitten habe ich immer zeitnah die Wandlung von der eher arg durchschnittlichen Synth-Wavepop-Truppe (Hand auf’s Herz, das „With Sympathy“-Album ist sehr durchwachsen, schlecht gealtert und im Kern auch eher „cheesy“ – in der Hinsicht beachte man auch bitte das Plattencover, huah!) über deren „pure“ (naja…) EBM-Phase (die für mich persönlich die doch am meisten erstaunliche musikalische Wandlung in deren Bandhistorie darstellte, so btw) mit dem doch guten Album „Twitch“, das irgendwie zwischen Front 242, Cabaret Voltaire, Hula, Portion Control, frühen Pankow, „tanzbaren“ Foetus-Sachen und ein wenig der damaligen (eher europäisch kontinentalen) „Industrial“-Ausrichtung herumbastardete – und einen gewissen Vorgeschmack auf das erste Revolting Cocks-Album lieferte, hin zum schleichenden Übergang zum „Industrial (Metal)“, was allerdings eine Spanne von drei Alben benötigte. Weil, die beiden Longplayer vor dem berühmt-„berüchtigten“ Kassen- und Genreschlager „Psalm 69“ pendelten doch noch anschaulich zwiegespalten zwischen EBM-Stereotypen und dem amerikanischen Gusto und dessen Begrifflichkeit von „Industrial“ (jaja, diese schreddernden Kettensägen-Gitarren-Sounds…) hin und her – und erinnerten von daher eher an Skinny Puppy als an pausbäckig-dumpfdoofen Mainstream-„Heavy“ Metal. Je nun, wer hat denn „Industrial Metal“ nun „erfunden“? Gute Frage, Robert, die wirklichen „Pioniere“ und frühen „Protagonisten“ dürften sich wohl kaum mit diesem „Qualitätsmerkmal“ und Produktetikett selbst beworben haben („Hey, wir machen jetzt Industrial Metal, saucoole Sache dat Dingens, ey…“), und Elemente des Hardcore und einer gewissen „härteren“ (wie man’s auch immer nimmt und sieht…) gitarrenorientierten Gangart finden sich doch schon früh bei gewissen Post-Punk-, bzw. auch Elektronik einsetzenden „Wave“/“Industrial“/“Avant“-Bands. Man denke nur mal an z.B. Killing Joke, Swans, Young Gods, Wiseblood, P.I.L., teilweise Laibach. Der „Industrial Metal“-Boom und das auf-diesen-Zug-aufspringen setzte doch erst ein, als die Innovationsehrenpreise schon alle verteilt waren, und es anfing, bocklangweilig mit diesem „Sub-sub-sub-Genre“ zu werden. Der absolute Tiefpunkt und Ausverkauf kam ja dann auch, als rumpelige deutsche Bands, den „Stil“ für sich entdeckten, und in Form von „Neuer Deutscher Härte“ vollkommen gegen die Wand fuhren… (na, von welchen Bands ich wohl gerade rede, bzw. schreibe, hmmm…?). Wie auch immer, „Industrial Metal“ definierte sich m.E. auch immer eher durch bestimmte „Schlüsselsongs“ als mit „durchgehenden“ Alben – und war somit in wohldosierter Form auch immer am Besten und „Wirkungsvollsten“.

Für einen „guten DJ“ sollte der Wunsch von Eleven Ponds‘ „Watching Trees“ keine sonderliche „Herausforderung“ darstellen, denn die vor einigen wenigen Jährchen veröffentlichte Compilation „Cold Waves + Minimalelectronics“, die diesen Song nebst weiteren Perlen dieser Musikausrichtungen beherbergt, sollte beim Plattenaufleger mit halbwegs vernünftigem Repertoire zum Standard gehören. Ausserdem wird diese Compi immer noch an (fast) jeder Strassenecke feilgeboten. Und das (doch etwas durchwachsene – aber hochgehypte) einzige 80s Album der Band, „Bas Relief“ betitelt, wurde ja nun auch vor nicht allzu langer Zeit wieder als Vinyl-Re-Issue unter die Leute gebracht. Da empfehle ich doch eher die – auch noch nicht vor allzu langer Zeit veröffentlichte – 12″ mit „Watching Trees“ in zwei Versionen. Da hat man dann auch, was man so „braucht“…

Tja, Visage, die erste „All Star“-Group des New Wave mit u.a. Ultravox- und Magazine-Background – und Musikern, die später noch in allen möglichen illustren Bands wieder auftauchen sollten.
Da war der Kommerz und der Erfolg vorprogrammiert – und dürfte wohl auch ganz oben auf der Agenda gestanden haben. Von daher war mir deren Debüt-7″ von 1979 immer näher, als alles was danach kam (bitte nicht falsch verstehen, ich mag Visages erste zwei Alben sehr – das dritte ist vollkommen überflüssig…). Besonders die B-Seite, das doch recht unbekannte und relativ „rare“ Frequency 7 in der kurzen Version mit Gesang hat deutlich mehr Verve, „Minimal Wave“-feeling und Tempo als die allseits bekannte (eher langweilige) „Dance“-Version. Das nur mal als Tipp…
Je nun, „The Damned don’t cry“, schöne Wave Pop-/“New Romantic“-Nummer, die jedes gescheite 80s Mixtape bei Autofahrten hörenswert macht. Nicht mein absoluter Favorit der Truppe, aber mit deutlichem Nostalgiewert (wenn man denn darauf Wert legt…).
Scheusslich jedoch das Plattencover: hat so eine lächerlich-cheesy „New Romantic“-meets-dekadente-Herrenmensch-Attitüde. Da hatte man sich damals wohl nicht weiter drüber Gedanken gemacht…

Und Tabu: yep, erinnere mich auch. Hatte ich mal die Platte. Habe ich nicht mehr. Habe auch nicht weiter danach gesucht – wohl verliehen und nicht mehr zurück bekommen. Habe sie auch nicht sonderlich vermisst. So ist das wohl manchmal…

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