Rückblick: Die Besucher 2013 – Wave-Gotik-Treffen zwischen Schein und Sein?

Für alle Daheimgebliebenen, Verhinderten und Unabkömmlichen hier der erste Teil des WGT-Specials. Mein Artikel über die Besucher des Wave-Gotik-Treffen 2013 aus dem Pfingstgeflüster. Dabei handelt es sich um die Essenz aus rund 50 Fragebögen, die den Fotografierten mitgegeben wurden. Wer möchte, kann sich auf der verlinkten Seite des Geflüsters noch Exemplare der Vergangenheit sichern und geduldig darauf warten, dass die 2014er Ausgabe erscheint. Die Rechte der Bilder liegen bei den jeweiligen Fotografen.

Das WGT ist vorbei. Ich sitze an meinem Schreibtisch, höre Musik und reise in meinen Erinnerungen. Ich denke an Momente – wie die schwarze Masse sich durch die Stadt zog oder wie die Tram unzählige kuriose Gestalten an die Haltestellen erbrach. Die Möglichkeit, Menschen wiederzusehen, zu denen sich der Kontakt sonst auf Buchstaben beschränkte, neue „Gothics“ mit den gleichen Leidenschaften und Interessen kennenzulernen. Ich werde ein wenig melancholisch. Sicher ist das die Sehnsucht nach einem Platz, an dem man in seiner Andersartigkeit nicht allein war. Ein fünftägiger Erholungsurlaub im schwarzen Meer.

Einen Augenblick lang stutze ich in meinen Gedanken. War das wirklich „schwarz“, was ich in Erinnerung habe? Was ich gesehen habe, war vielmehr eine bizarre bunt-schwarze Mischung aus Subkulturen, Stilen und Szenen. Seit einigen Jahren fällt das Wort „heterogen“ immer wieder im Zusammenhang mit der Gothic-Szene. Das Wort spricht von der Uneinheitlichkeit der Dinge und meint damit die Vielzahl der Stile, die sich zu Pfingsten in der Stadt und an den zahlreichen Veranstaltungsort einfinden.

Die Gothic-Szene ist immer facettenreicher geworden. Von Beginn an nimmt sie beständig neue Stile in sich auf, bietet anderen Szenen ein Refugium und erweitert sich um immer neue Musikrichtungen. Einige begrüßen diese Entwicklung. Sie freuen sich über die Möglichkeit, ihrem Selbst in immer neuen Facetten Ausdruck zu verleihen. Andere stehen dem Ganzen skeptisch gegenüber und können mit vielen neuen Entwicklungen nichts anfangen, sehen ihren Schutzraum bedroht.

Shan Dark, die in diesem Jahr zum 13. Mal das WGT besuchte, fasst einige Gedanken der Kritiker zusammen: „Mittlerweile ist das WGT in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Kostümfest der Skurrilitäten verkommen. Dass dahinter eigentlich eine von der Musik geprägte Untergrund-Szene steckt mit geistigen, kulturellen, emotionalen Inhalten, wird gar nicht mehr wahrgenommen.“ In ihrer Erinnerung an die eigenen Anfänge unterscheidet sich die Szene von Heute durch ihren Geltungsdrang nach Außen: „Damals wollte man unter sich bleiben und hat höchstens untereinander nach Anerkennung in Kleidung, bei Haaren und Optik gesucht, aber nicht bei den Medien oder gar bei Otto Normalbürger.

Alice Insanity und Nec Romant: Ich bin der Meinung, dass es in den Anfängen der Szene nicht darum ging, durch die Gegend zu stolzieren und zu zeigen, wie toll man in seinen Kleidern aussieht, sondern eher, so abgedroschen es sich auch anhört, um Abgrenzung (c)
Alice:  „Ich bin der Meinung, dass es in den Anfängen der Szene nicht darum ging, durch die Gegend zu stolzieren […] sondern eher […] um Abgrenzung“ 
Bild (c) Marcus Rietzsch
Wir kommen nicht daran vorbei, uns mit den Anfängen zu beschäftigen. Das sollte jeder machen, der sich einer Szene zugehörig fühlt und sich irgendwann mit den Inhalten und Werten auseinandersetzt. Nach 30 Jahren lockt die Szene immer noch Menschen an, die sich selbst darin verwirklichen können. Alice Insanity findet es schade, dass diese Art der Selbstdarstellung für viele Besucher des WGT die einzige Verbindung zu „Gothic“ ist. „Ich bin der Meinung, dass es in den Anfängen der Szene nicht darum ging, durch die Gegend zu stolzieren und zu zeigen, wie toll man in seinen Kleidern aussieht, sondern eher, so abgedroschen es sich auch anhört, um Abgrenzung“.

Selbstdarstellung oder Selbstverwirklichung?

Wie weit darf Selbstdarstellung gehen und wo liegen die Grenzen der Selbstverwirklichung angesichts pompöser Gewänder und karnevalistischer Outfits auf dem WGT? Dürfen wir uns überhaupt über die aufregen, die sich in ihrer Facette visuell ausleben? Eine Frage, die auch mich beschäftigt.

Selbstdarstellung, so findet Snowlady, ist ohnehin aus dem Leben nicht wegzudenken. „Ich stelle mich jeden Tag selbst dar und kommuniziere mit meinem Aussehen mit meiner Umwelt, ob ich das möchte oder nicht. Das WGT gibt vielen Besuchern die Möglichkeit, eine Seite zu zeigen, die im Alltag keinen Platz findet. Das WGT gibt die künstlerische Freiheit, die eigene Erscheinung als Leinwand zu betrachten und verdeckte Dinge an die Oberfläche zu kehren.„ Das WGT ist alljährlicher Höhepunkt der „schwarzen“ Szene und seiner Individualisten. Stygian Sin lebt sich hier ganz besonders, „Da ich Kleidung liebe, gerne selbst anfertige und eh das ganze Jahr über Schwarz trage, hübsche ich mich für das WGT gerne noch extra auf. Es macht mir Spaß, aufzufallen und ich lasse die Gelegenheit bestimmt nicht aus, meine neuesten Kreationen vorzuführen.

Kreativität war immer schon ein wichtiges Merkmal vieler Subkulturen. In der Gothic-Szene schließt das auch den kreativen Umgang mit seinem Körper und der eigenen Bekleidung ein. Ninette nutzt diese Möglichkeit, sich kreativ auszudrücken. Für sie ist die Verwandlung nicht nur das Schlüpfen in andere Rollen, sondern auch ein Teil von ihr selbst. „Es macht mir einfach sehr viel Spaß, und mein Leben beinhaltet schließlich noch eine ganze Ecke mehr als die äußere Selbstdarstellung. Das Gothic-Styling hat für mich viel damit zu tun, mich künstlerisch auszudrücken, auch wenn viele mich sicher erst einmal als „eitle Tussi“ oder „Poserin“ abstempeln. Die Menschen, die mir wichtig sind und mich kennen, wissen, wie viel mehr ich wirklich bin.

Oftmals verbindet man mit dem Wort „Selbstdarstellung“ etwas Negatives. Mademoiselle Karma plädiert deshalb für eine andere Bezeichnung: „Das Wort ,Selbstdarstellung‘ – erst Recht in Verbindung mit Gothic – hat für mich eine sehr negative Konnotation. Es schwingt immer diese Mutmaßung mit, dass man sich nur in Schale werfe, um möglichst oft fotografiert zu werden oder von möglichst vielen Menschen bestaunt, oder besser begafft, zu werden. Viele andere Menschen – mich eingeschlossen – empfinden das Wort ,Selbstverwirklichung‘ als wesentlich treffender.

„Selbstdarstellung muss nicht immer schlecht sein,“ sagt hingegen Dorian Daimonion. Für ihn kann sie „inspirierend wirken oder zum Nachdenken anregen und in der Regel doch auch der Ästhetik der Szene sowie des WGT dienen. Ich kritisiere die Selbstdarstellung insofern nur dann, wenn der Weg zur Selbstverliebtheit allzu weit gegangen wurde.“ Niniel-Chan verweist auf die offensichtliche Verbindung zwischen der „schwarzen“ Szene und dem Drang, sich selbst zu präsentieren: „Zur Szene gehört ganz klar immer eine gewisse Form der Selbstdarstellung, da ja jeder auch nach außen tragen möchte, was er ist […] Ich kann an sich nichts Schlechtes daran finden, sofern sich hinter einer schönen Hülle auch noch ein Mensch mit Charakter verbirgt, der nicht nur zum Schaulaufen in der Szene ist.

SayShaya (c) Jana Northe
SayShaya: „Niedlichkeit, Strenge oder dezente Sinnlichkeit.“
Bild (c) Jana Northe

Das Äußere spiegelt unsere Leidenschaften, Interessen, Wünsche und immer auch ein bisschen unserer Seele. Auch Lucretia Levi drückt sich gerne über ihr Outfit aus: „ich […] sehe das aber nicht als Outfitwettbewerb (Wer hat den größeren Reifrock? Die höher toupierten Haare? Die meisten Fotos?) sondern als Möglichkeit, einmal auch bei Tageslicht übertrieben und so wie ich es am schönsten finde durch die Stadt laufen zu können.“ Gargamel ergänzt: „Ohne Leute, die die Faszination haben, ihr Äußeres in „Gothic-Ästhetik“ zu präsentieren, wäre die Szene nur noch ein langweiliger Haufen schwarz Uniformierter.

Vielfalt der Stile

Ich rufe den Bilderordner zum WGT auf und durchsuche die einschlägigen Kanäle nach Bildern. Mir fällt auf, dass ich versuche, alles und jeden zu kategorisieren. Ich erlebe, wie das Äußere über die Schublade entscheidet, in die ich den Abgebildeten stecke. Steampunks, Neoromantiker oder doch lieber Viktorianer, Waver, Batcaver und Fetisch-Goths? Und wo sind die Cyber geblieben? Ich erwische mich dabei, wie ich immer neue Schubladen beschrifte und alte Schubladen ausmiste. Mir fallen die Patchwork-Gruftis auf, die gleich mehrere Stile mischen oder ihr Outfit nach Tageslaune wechseln. Immer mehr Besucher des WGT betreiben Schubladen-Hopping, wenn man das so ausdrücken kann. Nachtschatten bestätigt meinen Eindruck: „Ich lasse mich nicht in eine Schublade stecken. Mein Musikgeschmack ist auch nicht auf eine Richtung festgelegt. Also warum soll ich mich dann bei dem Kleidungsstil festlegen?“ SayShaya ist ihrer Szene treu, kleidet sich aber jeden Tag „in verschiedenen Attributen, die ich mir selbst zuordne, wie Beispielsweise Niedlichkeit, Strenge oder dezente Sinnlichkeit. So kann ich verschiedene Seiten meiner Persönlichkeit ausleben. Dabei bleibe ich jedoch eher meinem Stil und dem schlicht-romantisch-schwarzem treu, da ich glaube in Lack/Leder oder Steampunkoutfits verkleidet zu wirken.

Missy O erzählt: „Ein Stil muss eine große Begeisterung bei mir auslösen und mich als Gesamtkonzept (Musik, Kunst, Kleidung, Literatur, etc.) überzeugen. Ich möchte einen Stil „leben“, ich verkleide mich nicht.“ Es scheint generell wichtig zu sein, dass man sich trotz der modischen Vielfalt nicht verkleidet. Das zumindest zieht sich wie ein roter Faden durch die Antworten derer, die nach ihrem Kleidungsstil gefragt wurden. Wobei die Authentizität offensichtlich mittlerweile nicht mehr an einem stimmigen Zusammenhang von Outfit und bevorzugter Musik festzumachen ist. Lucretia Levi: „Kleidungsstil und Musikgeschmack müssen auch nicht zwingend so zusammenpassen, wie wir uns das manchmal vorstellen. Jemand kann am liebsten Lack tragen und dabei Mittelaltermusik hören oder optisch eine SchwarzromantikerIn sein, musikalisch aber Postpunk bevorzugen. Das Wichtigste ist, sich in seiner Kleidung wohlzufühlen und nicht krampfhaft etwas darstellen zu wollen.

Lucretia Levi (c) Isabel Thomas
Lucretia Levi: „einmal auch bei Tageslicht übertrieben und so wie ich es am schönsten finde durch die Stadt laufen zu können
Bild (c) Isabel Thomas

M. Synthetic bringt es nochmal auf den Punkt: „Grundsätzlich habe ich nichts gegen die Vielfalt der Stile, solange sie ehrlich ist, das heißt solange man für seinen Stil auch steht und ihn verkörpert.“ Ich persönlich bin mir auch nach all diesen Antworten nicht sicher, inwieweit sich die beschworene „Heterogenität“ mit meiner Vorstellung von der „Schwarzen Szene“ deckt. Schwarz ist doch nicht nur eine Farbe! Wenn Schwarz durch Bunt ersetzt wird, verliert die Szene doch nur ein Detail, oder?

Schwarz spielt noch immer eine Rolle

Ich frage mich, ob die Farbe „Schwarz“ als Zeichen der Abgrenzung ausgedient hat. Wurde sie durch ein „inneres Schwarz“ abgelöst? Wie sonst könnte man die Farben und Stile erklären, die sich auf dem WGT, das sich als Mekka der „schwarzen Szene“ etabliert hat, versammeln? Was bedeutet eigentlich Schwarz noch für die Besucher?

Sarah Selene: „Schwarz ist keine Farbe, sondern ein Kontrast! Ein Kontrast zur allgemeinen Welt, zu allem „normalen“, zu der stressigen und hektischen Welt. Ein Kontrast, der Aufmerksamkeit erregt, der zeigt „Hier schaut her. Ich bin anders und bin es gern!
Für Niniel-Chan ist Schwarz „einfach das Synonym für diese vielfältige Szene, in der ich mich bewege. Es stellt für mich keine Pflichtfarbe für Kleidung dar, um dazu zu gehören, sondern wohl am ehesten ein Lebensgefühl.“ Schwarz ist für sie also nicht das Abgrenzungsmerkmal zur „bunten“ Gesellschaft, sondern die Umschreibung eines Lebensgefühls. Nachtschatten formuliert es so: „Schwarz ist keine Farbe, sondern eine Lebenseinstellung. Es geht in der Schwarzen Szene nicht darum mit der Farbe dem Tod zu huldigen. Es ist vielmehr ein Abheben von der Masse und stellte am Anfang ein Aufbegehren gegen die Obrigkeit dar. Im Schwarzen liegt viel Gefühl, vor allem schwingt immer ein Hauch Melancholie mit.“ Foxglove meint: „Schwarz ist mehr als nur eine Farbe, es ist eher eine Lebenseinstellung, da schwarz mit Dunkelheit assoziiert ist, also der Abwesenheit des Lichtes. Aber nur wer die Dunkelheit kennt, kann das Licht und das damit verbundene Strahlen erkennen.

Es ist erstaunlich, wie viele der Besucher die gleichen Assoziationen mit „Schwarz“ verbinden. Bei dem Versuch, alle genannten Eigenschaften zu berücksichtigen, ist mir aufgefallen, dass Tanja die meisten der genannten Begriffe in ihrer Antwort erwähnt: „Schwarz ist die Farbe der Kreativität, da aus dem Dunkel alles geboren wird. Durch seine Schwere und Distanziertheit steht es für mich auch für Würde und Eleganz.“ Doch ist das alles? Nec liefert eine Erklärung, die mich innerlich zum Lächeln bringt und die das zusammenfasst, was ich persönlich mit der Farbe verbinde: „Schwarz bedeutet für mich den Blick hinter die Kulisse des ach so schönen und heilen Lebens, und dass auch das Dunkle, Hässliche und Ungewöhnliche schön sein kann, wenn man es einfach aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

Sarah Selene Bild (c) P2
Sarah Selene: „Neben der Musik interessiere ich mich vor allem für Kunst […] es ist immer ein Stück einer Geschichte, die man damit einfängt
Bild (c) P2
Blick hinter die schwarz-bunte Kulisse

War früher das Äußere ein unverwechselbarer Indikator für die subkulturelle Zugehörigkeit und sogar für den Musikgeschmack, so fällt es mir heute, beim Durchsehen der vielen Erinnerungsbilder, schwer, die Leute auf dem WGT einzuordnen und Parallelen zu mir zu finden. Doch das ist nur bei oberflächlicher Betrachtung so. Es gibt nach wie vor Dinge, die uns verbinden. Mit dem Begriff „Schwarze Kultur“ beschreibt man eine Vielzahl von Interessen, die viele wieder zusammenführt, die optisch getrennt erscheinen. Foxglove stellt fest: „Die Ausstellungen während des WGT zeigen die Szene und deren Themen aus vielen interessanten Blickwinkeln. Dadurch ist es möglich seinen Horizont zu erweitern und die Sichtweise anderer auf scheinbar vertraute Themen zu erkennen. Ähnlich ergeht es mir mit den Lesungen, bei denen teilweise überraschende Einsichten gewährt werden.

Die Gothic-Szene findet sich nicht nur im Bereich der Musik zusammen. Das stetig wachsende Rahmenprogramm ist Beweis genug. Von Jahr zu Jahr gibt es mehr Ausstellungen, Führungen, Lesungen und Veranstaltungen mit kulturellem Hintergrund. Überdurchschnittlich oft wagen Szene-Mitglieder den Sprung auf „die andere Seite“ und versuchen mit ihren Talenten andere zu erreichen. Sarah Selene lässt sich beispielsweise von den zahlreichen Ausstellungen inspirieren: „Neben der Musik interessiere ich mich vor allem für Kunst. Nicht nur, weil ich versuche, mit meinen Bildern Kunst zu schaffen, ich zeichne und male auch. Ich habe die Ausstellung im agra-café besucht und war begeistert von den Bildern der Künstler. Es ist immer ein Stück einer Geschichte, die man damit einfängt, versucht wiederzugeben und dem Betrachter daran teilhaben zu lassen und das ist auch das Faszinierende daran – in meinen Augen.

Auch Reflexion und Selbstreflexion sind verbindende Element hinter der schwarz-bunten Kulisse. SayShaya bringt dies so zu Papier: „Mich faszinieren vor allem philosophische Gespräche und Lesungen, da ich den Sinn und Unsinn der Dinge gern erkunde. Neben geistreichen Gedanken begeistert es mich auch die Emotionen anderer in Kunst, Photographie und Tanz zu beobachten, wodurch man selbst emotional berührt wird und den eigenen Gedanken beraubt den Moment genießen kann.

Das, was uns verbindet, liegt offensichtlich zum großen Teil unter der Oberfläche. Mir fällt eine interessante Erfahrung ein, die ich beim Besuch der Ausstellung über „Gruftis in der DDR“ im „runden Eck“ machen durfte. Das Treppenhaus des Museums war Ausstellungsfläche und Ort der Begegnung. Die Menschen, die mir über die Etagen begegneten, waren sozusagen einen Querschnitt durch die schwarze Szene. Cyber-Gothics, Steampunks, Neoromantiker, Batcaver und Waver standen nachdenklich vor den Ausstellungsstücken und versuchten, eine Vergangenheit zu verstehen, die ihnen fremd und weit entfernt erschien. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten dürfen wir uns nicht mehr auf unser Auge verlassen. Die Gothic-Szene ist – so sehr ich dieses Wort hasse – äußerlich heterogen geworden. Hier findet jeder seine Nische der Selbstdarstellung, die jedoch nichts über eine Zugehörigkeit aussagt.

Der detaillierte Blick zeigt, dass das Äußere heutzutage über das innere „Schwarz“ hinwegtäuscht und nicht jeder, den man mit seinen Interessen, Leidenschaften und Sichtweisen auf gleicher Wellenlänge vermutet, auch äußerlich kompatibel ist. Diese Uneinheitlichkeit macht es für uns schwer, zu unterscheiden. Wir müssen uns miteinander beschäftigen um herauszufinden, was hinter den kalkweißen Gesichtern, Irokesen und Piercings steckt und welches Herz unter den Korsagen schlägt. Anima Libraria weiß, was hinter ihrer Fassade mit anderen gemeinsam hat: „Trotz aller Unterschiedlichkeiten ist es das, was in meinen Augen alle Gothics verbindet: Leidenschaft.“ Und diese Leidenschaft schließt das eigene Selbst mit ein.

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DCD
DCD (@guest_49836)
Vor 9 Jahre

Kunst hin Kunst her, ich komme auf Menschen, die sich größtenteils über ihre Optik definieren und ständig präsent und fotografiert sein müssen, recht unangenehm. Nichts anderes ist der Durchschnitt der wgt Besucher in meinen Augen.
Schade, dass es kaum junge Menschen der schwarzen Szene gibt, die sich nich ständig aufstylen und auffallen müssen..

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 9 Jahre

Kunst hin Kunst her, ich komme auf Menschen, die sich größtenteils über ihre Optik definieren und ständig präsent und fotografiert sein müssen, recht unangenehm. Nichts anderes ist der Durchschnitt der wgt Besucher in meinen Augen.

Viele der Besucher, die man gerne und schnell mal in die Selbstdarsteller Schublade steckt verwendet sehr viel Zeit in die Arbeit an ihrer Bekleidung und haben sich oft ein sehr hohes Level an handwerklichem Geschick angeeignet. Wenn man dann Kleidung als Ausdruck seiner Selbst ansieht, ist es nicht mehr ganz so verwerflich sich über die Optik mitzudefinieren. Sich zu zeigen immer mit überhobener Selbstdarstellung zu verbinden finde ich daher etwas einseitig ausgedrückt. Zu mal es da mitunter wirklich sehr ästhetische Endprodukte (Kleidung, Fotos, Tanz etc.) gibt die tatsächlich etwas künstlerisches haben und zum nachdenken / Auseinandersetzung anregen können.
Die Problematik der Sache liegt wohl mit in dem Punkt, dass das was man von „der Szene“ oft wahrnimmt, eben nur das Selbstdarstellerische ist. Natürlich sind da auch Menschen dabei, bei denen es unter der Kleidung inhaltslos und leer ist. Und ja, die finde ich auch abstoßend. Aber was das erste Urteil nach dem Optischen angeht wird man doch gerne mal eines besseren belehrt. Verhindern, dass nach dem Äußeren Urteile gefällt werden kann wohl keiner und bedarf immer auch einen Reflexionsprozess. Dazu muss man dann aber schon gewillt sein. Gerade in der öffentlichen Darstellung ist man das eher nicht.

Allgemein muss ich schon sagen, dass ich das Gefühl habe, dass die platte Selbstdarstellung immer mehr zunimmt und immer extremer werden muss. (In Anbetracht der Individualisierung, die immer mehr des Selbst und Einzigartigkeit fördert keine unerklärbare Entwicklung). „Sex sells“ ist ja eh schon lange das oberste Gebot für einige Zeitgenossen. Gott sei dank gibt es aber doch noch genug Rückzugsorte und Möglichkeiten Menschen kennenzulernen, die sich ebenfalls davon distanzieren oder eine ästhetische Form der, ich nenne es in Anlehnung an ein Interview, Selbstverwirklichung zelebrieren. Was das WGT angeht, auf / neben der Flaniermeile halte ich mich einfach nicht lange auf.

Schade, dass es kaum junge Menschen der schwarzen Szene gibt, die sich nich ständig aufstylen und auffallen müssen.

Auch unter den jungen Leuten gibt es genug, die sich nicht nur über ihr äußeres definieren, auch wenn der Eindruck teilweise anders ist ;) Darüber hinaus denke ich, es ist nicht ungewöhnlich in der Jugend klamottentechnisch mal über die Stränge zu schlagen und so richtig daneben zu liegen. Ebenfalls nicht, dass man versucht seine Zugehörigkeit über das Äußere zu definieren, zu festen und zu erlangen. Solange das wesentlich inhaltliche dabei auch Entwicklung findet muss man das wohl verzeihen können. (Wenn nicht sind die mitunter auch schnell wieder nicht mehr schwarz und verschwinden aus dem Blickfeld) Ganz ehrlich, bei wem ging das in der Anfangszeit nicht mal furchtbar schief und man hofft heute nur, dass davon nirgendwo ein Bild kursiert?!

Mr. Niles
Mr. Niles (@guest_49842)
Vor 9 Jahre

Das „Problem“ mit dem stylen ist eher dieser schmale Grat vom Erhabenen zum Lächerlichen!?
;-)

Konnte man/frau sich in den 8zigern gar nicht genug Schichten wallender Gewänder überwerfen, werden die Leutz seit beginn der 9ziger immer nackiger.
Sicherlich liegt das auch am Einfluss der SM_Szene…
Der damalige Stil hatte meiner Meinung nach auch einen gewissen, hmm „Gegenwartsbezug“(?) und weniger dieses viktorianisch-mittelalterliche gerüsche von heute.

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 9 Jahre

Das “Problem” mit dem stylen ist eher dieser schmale Grat vom Erhabenen zum Lächerlichen!?
;-)

Ja, allerdings auch das. Wobei lächerlich ja auch immer im Auge des Betrachters liegt^^

Rosa Aristides Chalybeia
Rosa Aristides Chalybeia (@guest_49845)
Vor 9 Jahre

Flederflausch hat das ja schon schön zusammengefasst, als „optisch auffällige Person“ *g* kenne ich die sozusagen andere Seite nur zu gut – eben daß man bereitwillig in die Schublade der Aufmerksamkeitsgestörten gestopft wird, ohne sich mal zu fragen, wie die Person da wirklich drauf ist.

Kleidung ist immer ein Kommunikationsmittel, Äusseres, etwas weiter gefasst. Von grundlegenden Stilen wie „sportlich“ oder „klassisch“ über szenetypische Frisuren und Kleidungsstücke, über komplett nichtkonformes – wir teilen der Umwelt mit, wer wir sind, in Grundzügen zumindest. Ich denke das sollte man immer im Auge behalten, wenn über so ein vermeintlich „oberflächliches“ Thema gesprochen wird, denn wenn mans genau betrachtet, ist es garnicht so oberflächlich, es wird nur dann oberflächlich wenn Menschen nur die oberflächlichen Ebenen sehen – gilt für beide Seiten – sprich, der Selbstdarsteller der das nur tut um vor die Kamera zu geraten, oder andersrum derjenige der jeden Reifrockzipfel gleich ohne einen zweiten Gedanken, so einsortiert.

Freilich fängt die Beschäftigung mit so einem Stil erstmal schlicht mit „find ich halt schön“ an, von da an entwickelt sich aber dann der Rest, man probiert sich vielleicht auch optisch erstmal ne Weile aus bis man „sich selbst“ gefunden hat, Kleidung ist, gemäß des Kommunikationsaspektes ein Spiegel von dem was man in sich trägt. Oder dient, grad im Berufs-Umfeld – auch mal dazu, den Menschen zu sagen – auf uns kann man sich verlassen, wir sind seriös. Oder wir „verkaufen“ uns als guten Mitarbeiter im Bewerbungsgespräch durch unser Äusseres, was da natürlich ein grundlegender Teil des Auftretens ist. „Äusserlichkeiten“ sind im Grunde eine Sprache, die meisten sprechen sie unbewusst, aber es ist nunmal ein garnicht wirklich oberflächliches Thema.

Das Kommunikationsmittel „Äusseres“ ist etwas das in meinem Leben immer schon eine starke Rolle gespielt hat, ich war ein verbal sehr schüchterner Teenager, aber auch einer der sich immer wie ein gestrandetes Alien gefühlt hat. Worte waren, zumindest gesprochen, nie so mein Ding, also hab ich das Äussere als mein Kommunikationsmittel gewählt, das Alien konnte und wollte sich nicht anpassen, es wollte als solches am besten schon von Weitem gesehen werden. Oder klarstellen daß die Hülle des „Teenie-Mädels“ nicht ganz korrekt war. Hat einige Leute zusätzlich verstört daß ein so introvertierter Mensch wie ich so gnadenlos exzentrisch auf der Strasse rumlief, aber mei, besser als an der Anpassung zugrunde gehen.
Weiß nicht wie nachvollziehbar das ist, wird auch oft als oberflächliches Anzeichen abgestempelt, wenn sich jemand so intensiv mit Kleidung befasst wie ichs tue (was ja auch schon vor meiner Profischneider-Zeit der Fall war)- für mich wars damals schon irgendwie wichtig zumindest diese Art von Ventil zu haben. Und natürlich gilt das auch heute noch – auch wenn ichs jetzt gezielter, durchdachter und präziser tue, einfach auch weil ich mich selbst besser kenne.

Wie Robert ja auch schon sagte – die Optik ist auch für Gruftvolk ein durchaus wichtiges Thema, aber im Sinne der Kommunikation, nicht des Auffallens wegen. Sicher hat auch die Medienlandschaft ihren Teil dazu gegeben, daß man den besonders „unmenschlich“ hergerichteten Grufti samt Kalk und Kontaktlinsen nicht mehr als besonders bedrohlich wahrnimmt, sondern als Spektakulär und – ja, gerade eben aufmerksamkeitssuchend, damit wäre das was mal Aussage eines krassen Äusseren war, nämlich das „Lass mich in Ruhe!“ – komplett in die andere Richtung gedreht wurde. Und in dem Moment springen wieder die auf die die Aufmerksamkeit suchen und in dem Stil das adäquate Mittel sehen. Weil ja „die Leute“ auch nichst anderes tun – nach der oberflächlichen Auffassung.

Ich finde das schon sehr schade daß sich das in die Richtung entwickelt hat. Steht man auch vor dem Gedankengang, sich in Zukunft zurück zu halten weil man in die Kiste nicht mit reingestopft werden will und die ganze Knippser-Action mehr und mehr nervig ist, man grad am WGT sogar planen muss, an gewissen Tagen zu gewissen Zeiten manche Stellen zu meiden, um da nicht reinzugeraten, wenn man sich voll aufrüscht, auf der anderen Seite würde es aber heißen, seinen kreativen Drang wegzuschieben damit man nicht mit irgendwelchen Hohlrollern in Verbindung gebracht wird.
Ist irgendwie auch nicht befriedigend …

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